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Feminismuscheck im Auswärtigen Amt

Die grüne Ministerin Annalena Baerbock stellt Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vor. Zwei Drittel des Gesamtetats sollen „gendersensibel“ ausgegeben werden. Frauen sollen zudem mehr in Friedensverhandlungen involviert sein

Frauen in Fayzabad, Afghanistan: Das Auswärtige Amt will in dem Land den Aufbau von Frauenhäusern unterstützen Foto: Omer Abrar/afp

Von Simone Schmollack

Als Margot Wallström 2014 als damalige schwedische Außenministerin den Begriff feministische Außenpolitik als einen Politikansatz für ihr Land zum Maßstab machte, wurde sie international kaum gehört. Feministische Außenpolitik, was soll das sein? Mehr Frauen an der Front? Mehr Waffen in Frauenhände? So ähnlich klangen damals irritierte Fragen. Heute, fast zehn Jahre später, ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, nach der Übernahme Afghanistans durch die Taliban, seit den Protesten im Iran, die sich vor allem gegen Gewalt an Frauen richten, scheint eine feministische Außenpolitik wichtiger denn je. Seit die Grüne Annalena Baerbock ihr Amt als Außenministerin angetreten hat, verweist sie immer wieder auf diese neue Strategie. Bislang jedoch blieb Baerbock eine Erklärung schuldig, wie feministische Außenpolitik konkret aussieht und wie sie in der Praxis umgesetzt werden könnte. Dabei hatten die Grünen diesen Grundsatz hart in den Koali­tionsvertrag hineinverhandelt. Am Mittwoch, nach fast 15 Monaten Regierungszeit von SPD, Grünen und FDP, legt Baerbock Leitlinien zur feministischen Außenpolitik vor. In dem 88 Seiten starken Papier, das der taz vorab vorliegt, listet Baerbocks Haus erstmals sechs Leitlinien für das künftige „außenpolitische Handeln“ Deutschlands auf. Aber auch vier Richtlinien, die ihr eigenes Haus betreffen: Wie wird das Auswärtige Amt selbst feministischer? Baerbock will bei den Mitarbeitenden einen „feministischen Reflex“ ausbilden: Ist das feministisch oder kann das weg?

Die Grüne will in ihre Außenpolitik „Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und Sicherheit“ integrieren und Frauen verstärkt bei Friedensverhandlungen sowie bei der Rüstungskontrolle einbinden. Was so pauschal wie abgenutzt klingt, hat einen realen Hintergrund: Frauen und Kinder zählen – im Gegensatz zu Männern an der Front – zur Zivilbevölkerung. Und die ist in einem modernen Krieg wie dem in der Ukraine verstärkt betroffen. Dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte zufolge gab es bis Mitte Februar mehr als 8.000 Tote der ukrainischen Zivilbevölkerung, darunter viele Kinder, sowie über 13.000 verletzte Zivilist:innen. 18,8 Millionen Ukrai­ne­r:in­nen haben seit Kriegsbeginn ihre Heimat verlassen, hauptsächlich Frauen, Kinder, Alte.

In anderen Kriegs- und Fluchtsituationen sind insbesondere Frauen Opfer von sexueller Gewalt, Versklavung, Ausbeutung. Viele Frauen, die es von Afrika nach Europa geschafft haben, berichten davon, auf der Flucht vergewaltigt, zur Arbeit gezwungen oder gefoltert worden zu sein. In autoritären Staaten wie dem Irak versklavt der IS Jesidinnen, in Nigeria entführt die Terrororganisation Boko Haram wiederholt Schülerinnen. „Solange Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher“, sagt Baerbock.

Laut den Leitlinien geht es darum, eine „gleichberechtigte Repräsentanz und Teilhabe von Frauen und marginalisierten Menschen in der Gesellschaft“ zu schaffen. Dafür sollen bis zum Ende der Legislaturperiode die rund 5 Milliarden Euro für humanitäre Projekte des Baer­bock-Hauses – das sind etwa zwei Drittel des aktuellen Gesamtetats von 7,5 Mil­liar­den Euro – „gendersensibel“ ausgegeben werden, also dezidiert Frauen und vulnerablen Gruppen zugutekommen.

Konkret zählen dazu etwa die medizinische Versorgung geflüchteter Rohingya-Frauen in Flüchtlingscamps in Bangladesch, psychotherapeutische Arbeit mit Opfern sexualisierter Gewalt in Äthiopien, Somalia, Nepal. In Afghanistan will das Baerbock-Ministerium in diesem Jahr den Aufbau von Frauenhäusern durch die Gleichstellungsorganisation UN Women mit 500.000 Euro unterstützen.

Die Leitlinien erkennen auch an, dass Frauen und vulnerable Gruppen stärker als Männer unter der Klima- und Energiekrise sowie Hunger leiden und vielfach aus Wirtschaftsprozessen herausgehalten werden. UN Women zufolge lebten 2022 weltweit 388 Millionen Frauen in extremer Armut, 150 Millionen mehr Frauen als Männer litten Hunger. Denn Frauen, so Antonia Baskakov, entwicklungspolitische Referentin bei der Kampagnen- und Lobbyorganisation One, „essen oft zuletzt und am wenigsten“. One setzt sich global gegen Armut und Hunger sowie für die Gleichberechtigung von Frauen ein.

Je ärmer ein Land, desto ärmer sind dort die Frauen. In der Folge verfügen sie zudem über weniger Bildung. In Subsahara-Afrika können 72 Prozent der Männer lesen und schrei­ben und nur 59 Prozent der Frauen. Weltweit gehen 130 Millionen Mädchen nicht zur Schule. Doch besser gebildete Frauen treffen bessere Lebensentscheidungen: Gesundheit, Ernährung, ­Hygiene, Familienplanung, Bildung für die eigenen Kinder. Dass Volkswirtschaften um ein Viertel wachsen, wenn Frauen vollständig gleichberechtigt sind, ist mittlerweile allgemein bekannt.

In all diesen Punkten ist sich Baerbock mit ihrer Kabinettskollegin, der SPD-Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze, einig. Zeitgleich mit Baerbock legt Schulze am Mittwoch Eckpunkte ihrer 42-seitigen Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik vor.

Baerbock will bei ihren Mitarbeitenden einen „feministischen Reflex“ ausbilden

Beide Papiere sind eng miteinander abgestimmt, versichern beide Ministerinnen. So stimmen Baerbock und Schulze überein, dass feministische Außenpolitik und feministische Entwicklungspolitik nicht einzig für Frauen da sind, sondern für „alle Mitglieder der Gesellschaft“, wie Baerbock sagt. Oder wie Schulze es formuliert: „Wenn Frauen gleichberechtigt sind und gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität in der Welt.“

Um auch ihr Ministerium auf mehr Feminismus einzuschwören, will Annalena Baerbock eine „Botschafterin für feministische Außenpolitik“ ernennen. Doch anders, als die Bezeichnung ausdrückt, ist dies keine öffentliche Person, die im Ausland etwa für feministische Außenpolitik wirbt. Das mache die Ministerin schon selbst, heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt. Der ­formale Titel ist „Beauftragte“, die Stelle gibt es aber bereits. Diese soll nun stärker im Haus auf mehr Gleichstellung drängen, beispielsweise bei der Stellenbesetzung. Aktuell sind nur ein Fünftel von Deutschlands Bot­schaf­te­r:in­nen Frauen. Im Sommer dieses Jahr werde die Stelle regulär neu besetzt, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.

Im Herbst 2022 hatte die neue rechtsbürgerliche Regierung in Schweden ihre feministische Außenpolitik gestrichen. Der Trend indes ist ein anderer: Chile, Mexiko, Kanada, Spanien und andere Länder verfolgen eine „feministische Diplomatie“. Nun auch Deutschland.

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