piwik no script img

Autorin über den Rassismus in uns„Jeder lernt dieselben Narrative“

Rassistische Denkmuster sind tief in uns allen verankert und schwer loszuwerden. Die Journalistin Gilda Sahebi hat ein Buch darüber geschrieben.

Alltagsrassismus in Berlin: Die dortige „Mohrenstraße“ wird nach jahrzehntelanger Debatte umbenannt Foto: dpa/dpa-Zentralbild | Gerald Matzka
Alina Götz
Interview von Alina Götz

taz: Frau Sahebi, wir denken alle rassistisch. Wehren sich noch viele Menschen gegen ­diesen Fakt?

Gilda Sahebi: Die meisten Menschen wehren sich grundsätzlich dagegen, dass sie Seiten in sich haben, die sie nicht mögen. Dazu gehört auch Rassismus, aber eben auch alle Denkmuster, die wir als Gesellschaft als schlecht definieren. Die Seiten möchte man nicht in sich haben. Gesamtgesellschaftlich ist Rassismus ein starkes Triggerwort. Es gibt eine große Schwierigkeit, darüber zu sprechen. Nicht umsonst war der ursprüngliche Titel von meinem Buch „Deutschland und das R-Wort“.

Stattdessen heißt es jetzt „Wie wir uns Rassismus beibringen“. Wie machen wir das denn?

Indem wir als Gesellschaft immer die gleichen Projektionen weitertragen und die gleichen Debatten führen. Dadurch tragen sich ­Erzählungen von Generation zu Generation weiter. Jeder lernt aufs Neue dieselben Narrative, seit dem Kaiserreich.

Zum Beispiel?

Das stärkste Narrativ ist „Wir gegen die“. Dieses „Wir“ wird über die deutsche Abstammung definiert. 1913 wurde gesetzlich festgelegt, dass deutsch nur ist, wer deutsches Blut hat. Das tragen wir immer noch stark in uns. Wenn ich in Berlin durch die Straßen gehe, habe ich ­gelernt, zu unterscheiden, wer deutsch ist und wer nicht.

Ist das wie ein Programm in Ihrem Kopf?

Bild: Hannes Leitlein
Im Interview: Gilda Sahebi

40, ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin mit beendetem Medizinstudium.

Genau, das passiert einfach. Es ist ein unbewusster Prozess.

Warum entstehen da rassistische Denkmuster, wo Mehrheiten und Minderheiten aufeinandertreffen?

Die Entwicklung von Rassismus ist abhängig von der Historie eines Landes. In den USA ist das stark mit der Sklaverei verknüpft. In Deutschland ist eine der ältesten Formen der anti-slawische Rassismus. Da geht es nicht um die Hautfarbe, sondern die Herkunft. Aber grundsätzlich schafft sich die Mehrheitsgesellschaft unbewusst Bilder von der Minderheit, um sich abzugrenzen. Rassismus ist ein Herrschaftsinstrument. Sklaven waren nicht grundsätzlich Schwarz, es gab auch weiße. Die haben sich dann gegen das ungerechte System, ­Besitz anderer Menschen zu sein, gewendet. Die Herrschaft hat darauf reagiert, indem es sie anhand der Hautfarbe getrennt hat. Die Weißen durften fortan an der Gesellschaft teilhaben. So kann man Menschen voneinander spalten und beherrschen. Das wird auch heute noch gemacht. Eine gespaltene Gesellschaft lässt sich viel leichter manipulieren.

Welche politischen Strukturen fördern hier vor Ort Rassismus?

Die Lesung und das Buch

Lesung: Gilda Sahebi, Reihe Out Loud, 12. Juni, Lagerhaus Bremen, 19.30 Uhr

Buch „Wie wir uns Rassismus beibringen. Eine Analyse deutscher Debatten“, S. Fischer, 464 S., 26 Euro / als E-Book 19,99 Euro

Alle politischen Kräfte. Die gängigen Narrative werden von niemandem infrage gestellt. Es gibt das Bild, dass linke Kräfte weniger rassistisch seien – sind sie nicht, sie sind das nur weniger offen. Rechte Kräfte sind da deutlich offener. In progressiven Kreisen ist Rassismus verdeckt, weil er nicht zum Selbstbild dazu gehört. Das ist fast gefährlicher, weil er verleugnet wird – und alles, was man nicht sieht, wird stärker.

Was würden Sie denn Menschen in diesen besagten linken Kreisen für einen Umgang damit empfehlen?

Es ist immer schwierig, seine eigenen Schattenseiten anzuerkennen. Das ist mir bewusst. Ich weiß aus eigener Arbeit, dass das schmerzhaft ist. Wenn eine Person da nicht hinschauen möchte, ist das in Ordnung. Aber ich empfehle es, wenn man sich wirklich mit seinen Schatten – und dazu gehört eben Rassismus – ausein­ander setzen möchte. Das ist ein Prozess. Und die Bereitschaft, auch in die Scham reinzugehen, ist die Voraussetzung dafür.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Klar, kaum einer von uns ist von rassistischen Klischees frei. Meines Wissens haben wir zur Zeit aber ein echtes Problem von rechts, und zwar von ganz rechts. Das hat sich auch in Deutschland bei den Europawahlen gezeigt. Warum werden am Ende des Interviews wieder die Linken angeschwärzt, und zwar als Ganzes. Diese Verallgemeinerung ist ein Teil des Problems.

  • Sorry, ist der Hauptteil des Interviews versehentlich gelöscht worden oder ist es der erste Teil einer 10-teiligen Serie, der neugierig machen soll? Bis hierhin ist so gut wie nichts gesagt worden, schade hätte spannend werden können!

  • Mit Scham funktioniert das nicht.

    Ein berühmter Rabbi sagte mal: "Man muss den Menschen nicht erzählen, wie schlecht sie sind. Man muss ihnen sagen, wie gut sie sind. "

    Mit Scham halte ich jemanden klein.

    Er bleibt gefangen

    Werden Kinder viel mit Scham erzogen, wachsen sie nicht zu freien Menschen heran.

    Für Selbstreflektion braucht es aber freie, selbständige, denkende Menschen.

    Als Eltern kann man mit nichts sein Kind besser an sich fesseln, als ihm stets das Gefühl von Scham zu geben, das Gefühl, nicht gut genug zu sein.

    Für selbstbewusster, reflektierte Kinder genügt es im wesentlichen, ihnen zu sagen, was gut ist und warum.

    Sie folgen von allein.

    Menschen sind so strukturiert.

    Erwachsene auch.

    Scham wird die Welt nicht vom Rassismus befreien.

    Eher das Gegenteil, wage ich zu prognostizieren.

    Bereits im vorangegangenen Artikel der Autorin zu diesem Thema hat sie beschrieben, wie sie potentielle Verbündete vor den Kopf stieß.

    Angesichts der aktuellen politischen Lage sind die Zeiten von "Name it, blame it, shame it." eigentlich vorbei.

    • @rero:

      "Und die Bereitschaft, auch in die Scham reinzugehen, ist die Voraussetzung dafür."

      das ist für mich nicht zu verwechseln mit menschen "shamen".

      es sich einzugestehen, rassistische denkmuster und gefühle zu haben ist meiner meinung nach der einzige schlüssel, diese zu überwinden.

      • @Matt*Rix:

        Sich etwas einzugestehen, ist was anderes als Scham.

        Die Autorin fordert Letzteres.

  • Die allermeisten Sklaven in diesem Land waren jahrhundertelang weiß.

    Da im Christentum Sklaverei verboten ist, nannte man es Leibeigenschaft.

    Sklavenmärkte gab es aus dem gleichen Grund nicht, aber die Körperschaften, wie Auspeitschen, waren die üblichen.

    Vergewaltigungen waren institutionalisiert, nannte sich Erstnachtsrecht.

    In Teilen des heutigen Deutschlands erlebte die Leibeigenschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch eine Hochphase.

    Muss man wissen, wenn man historisch argumentiert.

    • @rero:

      "Vergewaltigungen waren institutionalisiert, nannte sich Erstnachtsrecht."

      Mir liegt es fern, die sexualisierte Gewalt früherer (oder heutiger) Zeiten zu bagatellisieren, aber das ist Fiktion!







      Mehr dazu in: Alain Boureau: Das Recht der Ersten Nacht. Zur Geschichte einer Fiktion. Zürich 2000.

      • @Chris Demian:

        Danke für den Literaturtip.

  • ""Die Entwicklung von Rassismus ist abhängig von der Historie eines Landes.

    In den USA ist das stark mit der Sklaverei verknüpft. In Deutschland ist eine der ältesten Formen der anti-slawische Rassismus. Da geht es nicht um die Hautfarbe, sondern die Herkunft.""

    ==



    Trotzdem in der Beschreibung von Gilda Sahebis Themenschwerpunkten Antisemitismus, Rassismus, Frauenrechte, Wissenschaft (eigentlich Gesundheitspolitik) und Naher Osten aufgeführt werden stolpert sie über die Gewichtung ihrer Themenschwerpunkte.

    Das Problem Nr. 1 seit Jahrhunderten -- in Deuschland seit 1870 und aktuell seit dem 7. Oktober neu aufgelegt ist der Antisemitismus -- und zwar von links gleichermassen wie von rechts - trotz Shoah - der jüdisches Leben in Deutschland gefährdet.

    Das anti-slawische Feindbild ist untrennbar mit der NS Agitation gegen "Ostjuden" und gegen den "jüdischen Bolschewismus" verbunden



    -- siehe Vernichtungspolitik in WWII des NS-Regimes als negativer Höhepunkt rassistischer Hierarchisierungen.

    Da Sahebi sich besonders mit kulturellen Entwicklungen im Iran auskennt hätte ich mit gewünscht, das sie aus eigenen Erfahrungen heraus argumentiert.

  • Irgendwie finde ich diese Kurzinterviews der taz ja immer recht wenig befriedigend. Dieses hier scheint mir aber besonders inhaltsleer. Was schade ist, angesichts des Themas.

  • Da fühlen sich aber einige getroffen oder sind so cool, dass sie die 100%ige Kontrolle über ihr Unterbewustsein haben. In letzteren Fall Respekt !!



    Mir fällt sowas meist erst im Nachhinein ein, unterbewusst sortiere ich auch nach Kriterien, wie eigener Gruppenzugehörigkeit oder Fremdheit, da spielt alles mögliche rein, und ich kann das vernünftig erst im Rahmen der Reflektion meiner Gedanken bewerten und meine unterbewussten Rassismen überwinden soweit ich das will.

  • 464 Seiten - vielleicht wird es doch noch etwas konkreter und erhellender als aus dem Interview heraus erwartbar.

  • Mit Verlaub “Wenn ich in Berlin durch die Straßen gehe, habe ich ­gelernt, zu unterscheiden, wer deutsch ist und wer nicht!“ - ich nicht.

    kurz - Was ich hier lese ist für mich - sorry - nichtssagender holzschnittartiger leicht lamoryanter Kappes.



    „Jeder lernt dieselben Narrative“ ist durch nichts zu belegen.

    • @Lowandorder:

      Zustimmung. Würd mich sicher nicht für völlig vorurteilsfrei halten, aber sone Denke ist mir völlig fremd und ich lass mir die auch nicht andichten. Aber diese pauschalisierende Setzkastenmentalität gehört scheinbar zum Zeitgeist. Prinzipiell würd ich sagen, Rassismus hat nichts mit Erstwahrnehmnung zu tun, sondern damit dem, wie man ihr umgeht.

    • @Lowandorder:

      Wenn ein von Ihnen verfasster Kommentar gleich beim ersten Lesen völlig verständlich ist, muss er erst recht Hand und Fuß haben.

      • @Suryo:

        May be. Ein Mitflorist hat mal angemerkt “wenn Lowandorder in ganzen Sätzen schreibt - wird’s ernst.“

    • @Lowandorder:

      Dem kann ich leider nur zustimmen. Die Trennlinien verlaufen nicht an irgendwelchen ethnischen Zugehörigkeit, sondern beim sozialen Status. Anstatt jedem pauschal vorzuwerfen, er sei rassistisch, sollte man den Menschen eher ein universalistisches Weltbild vermitteln.

    • @Lowandorder:

      Vor allem würden mich die unterbewussten, rassismusfreien Entscheidungskriterien interessieren.

  • Das Problem mit der Scham ist, dass sie als Druckmittel bzw. Angstgegner in der Sozialisation der deutschen Gesellschaft seit langem kontraproduktiv funktioniert. Sie erzeugt Abwehr oder Vergeltungswünsch, Ping Pong mit Maximalvorwürfen und Vereinzelung. Dies war in früheren Jahrzehnten im Alltag im Allgemeinen und in der linken Szene im Besonderen ein weit verbreitetes Phänomen, nicht nur beim Thema Rassismus. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Vorwürfe allein kein Umdenken oder Nachdenken über sich selbst in Gang setzen. Siehe auch dazu das Buch "Scheidelinien" von Anja Meulenbelt. Ist schon älter, aber sehr aktuell.