Umgang mit Rassismus: Mutig mit eigener Schwäche
Mit Abwehr auf das Thema Rassismus zu reagieren, bringt uns nicht weiter. Viel sinnvoller ist, die eigene Haltung zu betrachten, auch wenn’s wehtut.
E in Freund schickte mir vor einigen Tagen ein GIF. Es zeigt zwei gezeichnete Männchen. Das Männchen auf der linken Seite lächelt breit und jongliert entspannt mit vielen orangenen Bällen in der Luft. Das Männchen auf der rechten Seite versucht, einen einzigen riesigen orangenen Ball von der Erde hochzuheben. Das Gesicht ist schmerzverzerrt, der Ball scheint so schwer zu sein, dass er sich kein bisschen bewegt, sosehr das Männchen auch zieht und zerrt.
Unter dem gut gelaunten jonglierenden Männchen auf der linken Seite stehen die Worte: „Die Probleme anderer lösen“. Unter dem leidenden Männchen rechts die Worte: „Deine eigenen Probleme lösen“. An dieses GIF muss ich dieser Tage oft denken. Ich führe in letzter Zeit viele Gespräche über Rassismus in Deutschland. In diesen Gesprächen spüre ich oft Angst, Abwehr und Unsicherheit. Im Selbstbild des weltoffenen, toleranten Landes der Dichter und Denker, so mein Eindruck, kann, darf kollektiver Rassismus nicht existieren.
Kritik, Zweifel, Fragen haben wenig Raum. Spreche ich über Rassismus in Deutschland, sieht mein Gegenüber in mir oft die Anklägerin statt die politische Beobachterin, die ich bin. Rassismus wird ausgelagert, den gibt es bei Extremisten, bei der AfD, im Ausland, aber nicht bei uns. Wir sind „gut“ und wollen es auch bleiben. Wer dieses Selbstbild infrage stellt, wird ignoriert oder angegriffen.
Unwillkürlich denke ich im Vergleich dazu an die Gespräche, die ich im letzten Jahr zum Iran geführt habe. Trotz der Schwere des Themas – sexualisierte Gewalt, politische Repressionen, Hinrichtungen, Tod – flossen die Gespräche über den Iran leicht dahin wie ein sprudelnder Fluss. Ich nahm Empörung und Wut wahr über das, was im Iran passiert. Es schien gleichzeitig leicht, sich damit auseinanderzusetzen – denn es waren die Probleme anderer.
Eingefahrene Muster ändern
Es ging um ein fernes Land, in dem Frauen schlecht behandelt werden, das lässt sich leicht verdammen. Es ist einfach, sich Probleme anzuschauen, die nicht die eigenen sind; es erzeugt die Illusion, dass der eigene Schatten doch gar nicht so groß ist, wie man tief im Inneren, unbewusst, vielleicht fürchtet. Richtet sich der Blick nach innen, auf die eigenen Strukturen, auf den eigenen Schmerz, auf die eigenen Wunden, wird der sprudelnde Fluss zu einer zähen Masse, die sich kaum bewegen will.
Ich kenne eine ähnliche Dynamik aus meinem eigenen Leben. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich jede Kritik, jede Auseinandersetzung, in der mein Handeln eine Rolle hätte spielen können, nicht aushalten konnte. Mein Selbstbild war das einer integren, hilfsbereiten, selbstlosen Person, deren Fehler Ausrutscher waren, aber nichts mit mir zu tun hatten. Wer dieses Selbstbild infrage stellte, wurde ignoriert oder angegriffen. Ich hielt mich für sehr aufgeklärt, glaubte, ich hätte meine Wunden aufgearbeitet.
Ich war für meine Freund:innen eine gefragte Beraterin, ich war gut darin, anderen bei ihren Problemen zu helfen. Nach außen war alles wunderbar. Im Inneren nicht. Ich verstand nicht, warum ich nicht weiterkam; bestimmte Muster nicht ändern konnte, andere Menschen verletzte, unruhig war, leicht aus der Fassung zu bringen, nicht in mir ruhte. Bis ich irgendwann das Glück hatte zu verstehen: Ich muss dorthin schauen, wo es wehtut. Richtig wehtut.
Ich schaute mir meine schlechten Seiten an, so ehrlich und schonungslos wie möglich. Ich arbeitete daran, sie als Teil von mir zu akzeptieren; zu verstehen, welchen Wunden sie entstammen. Ich erkannte: Je mehr ich sie ignorierte, umso größer wurde der Schmerz, der mit dieser Verleugnung einherging. Es war – es ist – ein langer Prozess, diese Seiten zu akzeptieren. Ich ziehe und zerre jeden Tag, wie das Männchen mit dem schweren Ball.
Gift für die ganze Gesellschaft
Ich lerne, zuallererst Mitgefühl für mich zu haben. Gerade wegen der Dinge, die ich falsch mache, mit denen ich andere verletze, mich selbst verletze. Ich lerne, diese Seiten von mir zu akzeptieren. Um die Scham darüber zu nehmen. Um sie dann bearbeiten zu können, um es besser machen zu können. Was ich nicht sehe, kann ich nicht verändern. Nur so konnte ich mich auf den Weg machen, eine bessere Version meiner selbst zu sein.
Kann man einen individuellen Weg mit dem eines ganzen Landes vergleichen? Diese Frage kann ich nicht beantworten; gleichzeitig komme ich nicht umhin, die Abwehr, die Angst zu erkennen, die damit einhergehen, wenn es darum geht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Gerade, wenn es um den eigenen Schatten geht. Es scheint ein Muster bei uns (oder bei vielen von uns) Menschen zu sein – und betrifft so auch die ganze Gesellschaft.
Wenn ich über Rassismus in Deutschland spreche, tue ich das zuallererst, weil ich sehe, wie viele Menschen seit Jahrzehnten durch rassistische Narrative, die allgegenwärtig sind, verletzt wurden und werden. Von rassistischer Gewalt ganz zu schweigen. Aber auch, weil rassistische Narrative Gift für die gesamte Gesellschaft sind. Sie treiben auseinander, sie öffnen Tür und Tor für antidemokratische und autoritäre Kräfte. Sie schwächen die demokratische Resilienz einer Gesellschaft.
Niemand kann dieses Land zwingen, sich mit seinen Strukturen auseinanderzusetzen – sich ehrlich damit auseinanderzusetzen. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst mag schmerzhaft sein. Nur gibt es ohne Schmerz kein Wachstum, keine Verbesserung, keine Heilung. Wenn man diese Verbesserung möchte, gibt es keinen anderen Weg. Es geht nicht nur um die Menschen, die mit internationaler Biografie in diesem Land leben. Sondern um die ganze Gesellschaft.
Wenn mich heute jemand kritisiert, gehe ich nicht in Abwehr oder Scham. Ich versuche neugierig zu sein, ich höre zu, auch wenn es weh tut. Vor allem bin ich dankbar. Weil ich sonst meine Fehler, meine Wunden nicht erkennen würde. Und so stehen auf meinem persönlichen GIF heute auf beiden Seiten grinsende und jonglierende Männchen. Es gelingt mir nicht immer. Aber ich versuche es. Und das ist, glaube ich, schon mal was.
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