Rassistische Ausfälle auf Sylt: Überall – nur nicht „bei uns“

Wenn selbst Julian Reichelt sich über die Ras­sis­t:in­nen von Sylt empört, zeigt das vor allem, wie externalisiert der eigene Rassismus ist.

Ein Demonstrant hält ein Schild hoch auf dem steht: Sylt: Oben links, nicht rechts

Die Wut über die rassistischen Ausfälle von Sylt externalisiert den alltäglichen Rassismus der Mitte Foto: Lea Sarah Albert/dpa

Wie sie feiern in dieser Luxusbar auf Sylt mit ihren Goldohrringen und teuren Sonnenbrillen. Ganz Deutschland ist sich einig, wie erbärmlich die jungen Leute sind, die in dem inzwischen berühmt-berüchtigten Sylt-Video „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ grölen und dabei mutmaßlich den Hitlergruß zeigen.

Kanzler Olaf Scholz findet die Parolen „­eklig“, während Bundesinnenministerin Nancy Fae­ser die Gruppe als „wohlstandsverwahrlost“ bezeichnete. Besonders bemerkenswert ist, dass Faeser außerdem forderte, dass Rassismus „überall Widerspruch“ erfahren müsse: „Es ist wichtig, den Mund aufzumachen und gegenzuhalten gegen solchen Menschenhass“, so Faeser.

Man kommt nicht umhin, sich daran zu erinnern, wie die Innenministerin sich weigerte, den Angriff eines Berliner Polizisten auf eine syrische Familie im Jahr 2022 mit dem Satz: „Das ist mein Land, und du bist hier Gast“, als rassistisch zu bezeichnen. Man müsse „Verständnis“ haben, wenn Po­li­zist:in­nen auch mal „deutliche Worte“ fänden. Im Sylter Fall scheint sie keine Hemmungen zu haben, „den Mund aufzumachen“.

Die Gruppe von Sylt ist die perfekte Projektionsfläche. Man kann sich klar positionieren gegen Leute, die eh alle schrecklich finden: reich, verwöhnt, abgehoben. Man kann sich zum Sonderpreis von Rassismus distanzieren und auf Anerkennung für die „klaren“ Worte hoffen. Besonders offensichtlich wird das im Fall von Julian Reichelt, der auf X folgenden Post absetzte: „Mit Papas Porsche nach Sylt hochknallen und dann schön Schampus, Hitler-Bart und Ausländer raus. Wie kaputt muss man im Kopf sein? Und wieso wird so was geduldet und hingenommen von der Bar und allen umstehenden Gästen?“

Parolen sind doch längst in der Politik angekommen

Nun, es ist derselbe Grund, aus dem heraus eine Gesellschaft duldet, dass Julian Reichelt auf seiner Plattform NiUS im Sekundentakt rassistische Narrative in die Welt pustet: weil rassistische Denkmuster normalisiert sind. Sie werden konsequent externalisiert. Rassismus existiert unter Extremisten, im Ausland – und nun, allem Anschein nach, unter Wohlstandsverwahrlosten. Nur nicht „bei uns“.

Die Parolen von Sylt sind schon lang in der Politik angekommen. Die CDU-CSU-Bundestagsfraktion fordert, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft der deutsche Pass nach bestimmten Straftaten entzogen werden darf. In Hessen steht es bereits im schwarz-roten Koalitionsvertrag: Nach bestimmten Straftaten wird die „deutsche Staatsangehörigkeit entzogen“. Das ist die gesetzliche Unterscheidung von „echten“ und „nicht echten“ Deutschen, also Deutschen auf Bewährung, je nach Herkunft. Oder anders: Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.

In diesem Fall allerdings gibt es keinen Widerspruch. Niemand nennt es „eklig“, niemand fordert, „den Mund aufzumachen“. Es sind dieselben rassistischen Denkmuster; aber es knallt eben nicht so. Und vor allem stammen sie nicht von ein paar betrunkenen, verwöhnten Bratzen, die man so leicht verabscheuen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.