Auslaufendes 9-Euro-Ticket: Und was ist mit dem Klima?

Bald ist das bundesweite 9-Euro-Ticket Geschichte. Aus sozialer Perspektive hat die ÖPNV-Flatrate ihren Zweck erfüllt. Und aus ökologischer?

Ein Regionalzug in abendlicher Landschaft

Sozial und ökologisch wichtig, ob für 9 Euro oder mehr: Nahverkehr in Stadt und Land Foto: Michael Probst/ap/picture alliance

Am kommenden Montagvormittag startet in Berlin-Gesundbrunnen ein Sonderzug mit sieben Waggons, an Bord werden Ak­ti­vis­t:in­nen Transparente schwenken und lautstark die Verlängerung des 9-Euro-Tickets fordern. „Wir Bür­ge­r*in­nen lieben das 9-Euro-Ticket!“ heißt es im Aufruf der Organisationen Campact und Greenpeace. Nach der Ankunft am Potsdamer Platz wollen die Ak­ti­vis­t:in­nen zum Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) ziehen – demjenigen, dem die Verantwortung für das anschlusslose Auslaufen der Fahrkarte zugeschrieben wird, weil er partout kein Geld dafür lockermachen will.

In der nächsten Woche endet der Sommer des unbeschwerten Bus- und Bahnfahrens, dann ist das 9-Euro-Ticket Geschichte. Ab dem 1. September gelten im Nahverkehr wieder hohe, mitunter kaum zu durchschauende Tarife. Ob es in absehbarer Zeit ein neues Angebot für ein bundesweit einheitliches Ticket gibt, ist ungewiss.

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Das 9-Euro-Monatsticket ist Teil des Entlastungspakets der Bundesregierung, um günstige Mobilität zu ermöglichen. Wer eine ÖPNV-Abokarte, ein Job- oder Semesterticket hat, bekommt den Differenzbetrag erstattet und kann damit bundesweit fahren. Eines steht fest: Seinen sozialen Zweck hat das Ticket erfüllt. Besonders Menschen mit wenig Geld ermöglichte die Flatrate Bewegungsfreiheit.

„Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Haushalte mit wenig Einkommen das Ticket richtig gut genutzt haben“, sagt der Berliner Verkehrswissenschaftler Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. „Den Effekt haben wir unterschätzt, das ist eine unerwartete Erkenntnis.“ Dabei haben keineswegs nur Haushalte mit wenig Geld von der Billigfahrkarte profitiert. „Das Ticket ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt die Verkehrsforscherin Claudia Nobis vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt. „Es ist quer durch die ganze Gesellschaft genutzt worden.“

Ab dem kommenden Donnerstag gibt es zunächst kein 9-Euro-Ticket mehr. Nur in Berlin will die SPD, dass es den Tarif von September bis Jahresende in einer abgespeckten Variante erneut geben soll. Im Rest der Republik gibt es noch keine günstigen Anschlusslösungen. Dabei mangelt es wirklich nicht an Vorschlägen:

Fortsetzung 9-Euro-Ticket Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schlägt vor, das Projekt überall um 2 Monate zu verlängern, damit Bund und Länder Zeit genug haben, sich auf eine bundesweite Anschlusslösung zu einigen.

29-Euro-Ticket einfach Die Verbraucherzentralen wollen eine bundesweit im Nah- und Regionalverkehr gültige Fahrkarte für 29 Euro im Monat.

29-Euro-Ticket plus Der Berliner Verkehrswissenschaftler Andreas Knie fordert die Einführung eines 29-Euro-Monatstickets, das auch in Fernzügen und auf der sogenannten letzten Meile gilt. Das heißt: auch in Taxis und für Leihräder oder E-Scooter.

29-Euro- und 49-Euro-Ticket Die Grünen plädieren für eine Doppellösung in Form eines regionalen Tickets für 29 Euro und ein bundesweites für 49 Euro.

69-Euro-Ticket Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat sich für ein bundesweit geltendes Ticket für 69 Euro ausgesprochen.

365-Euro-Jahresticket Die Linkspartei, CSU-Chef Markus Söder und Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe sind für eine bundesweit geltende Fahrkarte, die 1 Euro am Tag kostet.

Etwa zu der Zeit, zu der am Montag die Ak­ti­vis­t:in­nen vor Lindners Ministerium demonstrieren, werden Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und einige Lan­des­ver­kehrs­mi­nis­te­r:in­nen zu einer Online-Pressekonferenz zusammenkommen. Wissing will die Auswertung der Marktforschung zum 9-Euro-Ticket abwarten, die der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Auftrag gegeben hat, bevor er sich zu einem möglichen Nachfolgeprojekt positioniert. Die wird wahrscheinlich im November vorliegen.

Die Kosten für das 9-Euro-Ticket in Höhe von 2,5 Milliarden Euro hat der Bund übernommen – als Gegengewicht zum Tankrabatt, der ebenfalls ausläuft. Aus Wissings Sicht liegt der Ball ohnehin im Feld der Länder. „Entscheidend ist, dass die Länder sich einig sind, wie es weitergeht“, sagt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. „Aber es gibt keinen geeinten Vorschlag.“ Die Länder wären sich wohl schnell einig, wenn der Bund die Finanzierung einer Anschlusslösung übernehmen würde. Doch FDP-Chef Lindner ist strikt dagegen. Bislang verweigert die FDP nicht nur das, sondern auch die aus Sicht der Länder nötige Aufstockung der Mittel für den Ausbau des ÖPNV. Die Länder sehen sich deshalb nicht dazu in der Lage, eine Anschlusslösung aus eigener Kraft zu stemmen.

Bei der Pressekonferenz am Montag präsentieren die Ver­kehrs­mi­nis­te­r:in­nen vorläufige Ergebnisse der Marktforschung. Dafür werden 78.000 Personen ab 14 Jahren befragt. Eine verbreitete Auffassung ist, dass das 9-Euro-Ticket vor allem in der Freizeit genutzt wird. Das bestätigen die vorläufigen Ergebnisse nicht, sagt Jan Schilling, Geschäftsführer ÖPNV beim VDV. Demnach wird das Ticket überwiegend für Alltagsfahrten genutzt, etwa zur Arbeit oder zur Schule. Neben dem Preis geben 40 Prozent der Befragten als wichtigsten Kaufgrund den Verzicht aufs Autofahren an. Trotz teilweise überfüllter Züge und Busse erklärten 88 Prozent der Befragten, mit ihrer letzten Fahrt mindestens zufrieden zu sein. „Je­de:r Fünfte war sogar vollkommen zufrieden“, berichtet Schilling. Von denjenigen, die das Ticket nicht gekauft haben, erklärte rund ein Drittel, lieber mit dem Auto zu fahren.

Mit dem 9-Euro-Ticket endet ein einmaliger Feldversuch. In Berlin, Hamburg, Köln, München, Dresden und etlichen weiteren Orten arbeiten Ver­kehrs­for­sche­r:in­nen an Studien. „Aus wissenschaftlicher Perspektive bietet das 9-Euro-Ticket die herausragende Möglichkeit, sozusagen als Reallabor, eine Datenbasis mit Aussagekraft zum Potenzial des öffentlichen Verkehrs zu gewinnen“, sagt Angela Francke, Professorin für Radverkehr und Nahmobilität an der Universität Kassel. Diese Gelegenheit habe „mit Sicherheit ein Stück weit Enthusiasmus ausgelöst, in einem gesellschaftlichen Experiment für drei Monate genau untersuchen zu können, wie der Beitrag des öffentlichen Verkehrs zur Verkehrswende aussehen kann“.

Laut den ersten Ergebnissen ihrer Studie beeinflusst unter anderem die eigene Bewertung der ÖPNV-Infrastruktur vor Ort die Entscheidung für das 9-Euro-Ticket. Genutzt wird es demnach – anders als nach den Ergebnissen der VDV-Marktforschung – vor allem für Tagesausflüge und Besuche von Freun­d:in­nen und Verwandten, nur wenig für die Alltagsmobilität.

Ob wegen des 9-Euro-Tickets weniger Leute mit dem Auto gefahren sind, werden die Ergebnisse von Verkehrszählungen zeigen. In Berlin etwa gibt es Hinweise darauf, dass die Zahl der Pkw-Fahrten gesunken ist, sagt Klaus Emmerich von den Berliner Verkehrsbetrieben. „Das gilt ganz besonders an den Wochenenden.“ Dass Bür­ge­r:in­nen eher in der Freizeit aufs Autos verzichten und Bus oder Bahn nehmen, findet er plausibel. Denn hier fallen Änderungen leichter. Alltagsroutinen in einem kurzen Zeitraum zu ändern, ist dagegen schwer.

Das 9-Euro-Ticket hätte der Anfang für eine Trendwende in der Verkehrspolitik sein können.

Der Preis allein ist indes offenbar nicht entscheidend dafür, dass ein günstiges Tickt auch ökologisch etwas bringt. „Aus klimapolitischer Perspektive wären weitere Maßnahmen erforderlich“, sagt Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr beim Thinktank Agora Verkehrswende. Dazu gehören ein Ende des Dienstwagenprivilegs oder höhere Parkgebühren. „Die Kosten, die ein Auto verursacht, müssen dem Halter auch angelastet werden“, fordert Kosok. Dass der massive Ausbau des ÖPNV erforderlich ist, ist für Kosok wie für alle Ver­kehrs­ex­per­t:in­nen keine Frage. Wenn es keine Verbindungen gibt, hilft auch eine günstige Fahrkarte nicht weiter.

Das 9-Euro-Ticket hätte der Anfang für eine Trendwende in der Verkehrspolitik sein können, sagt Kosok. „Es ist ernüchternd, dass es für die Bundesregierung nicht Anstoß für eine weitergedachte Strategie der Verkehrswende ist“, sagt er mit Blick auf die fehlende Anschlusslösung. „Es ist enttäuschend, dass die Regierung nicht mit weiteren Instrumenten aufwartet.“

Das sieht Verkehrsforscher Knie ebenso. Er plädiert auch zu Forschungszwecken für ein Nachfolgeprojekt über ein ganzes Jahr: 29 Euro im Monat soll es seiner Überzeugung nach kosten, anders als das 9-Euro-Ticket aber auch in Fernzügen und für die sogenannte letzte Meile gelten, also das Taxi, den E-Scooter oder das Leihrad für den Weg vom Bahnhof oder der Haltestelle nach Hause. „Damit werden alle ein Jahr entlastet“, sagt er. Die dafür nötigen 14 Milliarden Euro könnten über das Ende der Dieselsubventionierung, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und die Entfernungspauschale finanziert werden.

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