Auseinandersetzung um Homöopathie: Frankreich will bei Globuli sparen
Eine staatliche Empfehlung könnte bewirken, dass die umstrittene Homöopathie nicht mehr bezuschusst wird. Das löst eine aufgeheizte Debatte aus.
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Kosten für homöopathische Heilmittel müssen nicht mehr anteilig von der Krankenkasse übernommen werden. So lautet zumindest die Empfehlung der französischen Gesundheitsbehörden, der Haute Autorité de la Santé (HAS). Bisher werden in Frankreich die Auslagen für homöopathische Präparate von der öffentlichen und obligatorischen Krankenversicherung zu 30 Prozent vergütet, und auch die Konsultation von homöopathischen ÄrztInnen wird von der Kasse genauso behandelt wie die von Schulmedizinern.
Das könnte sich schon bald ändern, denn die ExpertInnen der HAS kommen aufgrund ihrer Auswahl unter mehr als tausend Studien und der Fachliteratur zu dem Schluss, dass die rund 1.200 in Frankreich verkauften homöopathischen Produkte „nicht effizienter als ein Placebo“ seien. Die subjektiv verspürte Besserung oder Linderung beruhe letztlich auf Einbildung. Von den Kriterien für die Kassenvergütung von zugelassenen Heilmitteln erfülle die Homöopathie lediglich die Auflage, nicht gefährlich zu sein. Auch das Argument, die PatientInnen würden vermehrt auf andere Pharmaprodukte ausweichen, wenn die Homöopathie nicht mehr kassenkonform sei, wird laut HAS von keiner seriösen Studie belegt.
Ihr Verdikt ist für die französische Regierung zwar nicht bindend. Doch die ersten offiziellen Reaktionen lassen darauf schließen, dass die Regierung nur darauf gewartet hat, mit zusätzlichen Einsparungen an den Gesundheitskosten zum Ausgleich der Finanzen der Krankenkasse der Sécurité sociale (umgangssprachlich: „Sécu“), des öffentlichen Sozialversicherungssystems, beizutragen.
Haushaltsminister Gérald Darmanin freut sich bereits öffentlich über die Aussicht auf neue Maßnahmen zur Senkung des Sécu-Defizits: Im letzten Jahr hatten die Versicherungsleistungen der Sécu für Homöopathie 126,8 Millionen Euro betragen. Das ist zwar eine nahezu homöopathische Dosis im Vergleich zu den rund 20 Milliarden für alle Medikamente, aber aus Sicht der Staatskasse dennoch nicht zu verachten. Auch Gesundheitsministerin Agnès Buzyn – sie ist selber Ärztin und ehemalige Universitätsprofessorin – hatte mehrfach erklärt, sie werde „die Empfehlungen der HAS bei ihrer für die kommenden Tage erwarteten Grundsatzentscheidung respektieren“.
Pharma-Unternehmen zittern
Die Aussicht, dass PatientInnen in Frankreich demnächst sämtliche Kosten für homöopathische Medikamente vollumfänglich selber tragen müssen, hat erwartungsgemäß heftige Reaktionen ausgelöst. Die Firma Boiron gehört zu den weltweit wichtigsten Herstellern von homöopathischen Produkten und erzielt 60 Prozent ihres Umsatzes (359 Millionen Euro) in diesem Bereich. Boiron-Generaldirektorin Valérie Lorentz-Poinsot warnt die Regierung vor dramatischen Folgen für ihr Unternehmen und die mehr als tausend von ihm in Frankreich beschäftigten Menschen. Sie verlangt, dass vor einem Regierungsentscheid eine Parlamentsdebatte stattfindet. Bis dahin könnten die auch in Frankreich zahlreichen Befürworter der Homöopathie die öffentliche Meinung für ihre Sache mobilisieren.
Genau das befürchtet offenbar Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye. „Die Regierung hat noch nichts entschieden“, beschwichtigt sie. Im Oktober will sich auch die nationale Ärztekammer („Ordre des Médecins“) äußern, in deren Reihen die Homöopathie nur wenige Freunde hat. So erwägt die Ärztekammer laut Le Parisien, den Fakultäten des Landes zu untersagen, Diplome für Homöopathie auszustellen, oder auch zu verbieten, dass auf dem Namensschild neu eröffneter Arztpraxen der Hinweis „Homöopath“ steht. Laut einer Umfrage wünschen aber 74 Prozent der Französinnen und Franzosen, dass ihnen – wissenschaftliche Studien hin oder her – die Kosten für homöopathische Heilmittel weiterhin vergütet werden.
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