Asyldebatte in Deutschland: Absurd teure Scheinlösungen
Die Politik sucht mit den anvisierten Asylverfahren in Drittstaaten eine Wunderwaffe gegen die AfD-Erfolge. Sogar mit neokolonialem Verhalten.
F ür die Union war die Sache klar: Es gebe „Handlungsdruck“, meinte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), die Kommunen seien überlastet mit den vielen Flüchtlingen, da „müssen wir liefern“. Markus Söder (CSU) befand, die Grünen müssten „endlich von der Bremse gehen“, damit Deutschland seine Asylverfahren in Drittstaaten verschieben könne.
Monatelang hatte das Innenministerium die Idee von Dutzenden Expert:innen prüfen lassen. Doch diese seien „skeptisch bis kritisch“ oder lehnten „solche Modelle klar ab“, heißt es in dem Bericht, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag der Ministerpräsidentenkonferenz vorstellte.
Viele der Fachleute hatten auf die Entrechtungen hingewiesen, auf den „Eindruck neokolonialistischen Verhaltens“, die zweifelhafte Kosten-Nutzen-Relation solcher Modelle. Die Länderchefs juckte das nicht. Sie rangen – mit Ausnahme von Bremen und Thüringen – der Bundesregierung das Zugeständnis ab, bis Dezember „konkrete Modelle“ dafür zu entwickeln.
Zu groß ist die Sehnsucht nach einer Wunderwaffe gegen die anhaltenden AfD-Erfolge. Alle gieren nach einer neuen, durchschlagenden Idee, die das Asylproblem endlich lösen soll – und tun in einem Akt kollektiver Selbsttäuschung so, als seien das die Drittstaaten. Die Union will auf sie den kompletten Flüchtlingsschutz der gesamten EU abwälzen. Wäre das die Lösung, wäre sie längst unter Dach und Fach.
20 Jahre geister die Idee schon herum
Die Ampel hatte sich 2021 im Koalitionsvertrag vorgenommen zu prüfen, ob Asylverfahren in Drittstaaten „in Ausnahmefällen“ möglich sind. 2023 kam ihr „Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen“, der FDPler Joachim Stamp, ins Amt – und plädierte für Asylverfahren in Afrika, auch wenn das „sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf“ erfordere.
Einen langen Vorlauf? Den gab es: 2018 sinnierte Angela Merkels Afrikabeauftragter Günter Nooke darüber, ob afrikanische Regierungschefs bereit seien, „gegen eine Pacht ein Stück territoriale Hoheit abzugeben“. Dort, so Nooke, „könnten in Wirtschaftssonderzonen Migranten angesiedelt werden.“
Ab 2016 und 2017 wollten die Innenminister Thomas de Maizière und Horst Seehofer im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nach Nordafrika bringen. Schon 2004 hatte der SPD–Innenminister Otto Schily die Idee aufgebracht. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) meinte damals, die Bundeswehr könnte Flüchtlingslager in Nordafrika betreiben und dorthin Geflüchtete abschieben. 20 Jahre geistert die Idee schon herum – wieso hat sie keiner je zum Abschluss gebracht? Auch Stamp nicht, der nun schon 18 Monate genau dafür im Amt ist?
43 Millionen Flüchtlinge afrikaweit
Die Antwort ist, dass viele Regierungen Afrikas der Ansicht sind, schon genug Flüchtlinge aufzunehmen – 43 Millionen sind es afrikaweit. Sie halten die europäischen Auslagerungswünsche für kolonialistisch und fürchten, dass so langfristig immer mehr Menschen bei ihnen hängen bleiben.
Es ist auch eine Frage von Souveränität – und von alten offenen Rechnungen. Wenn die Union nun glaubt, die Afrikaner schon irgendwie weichklopfen zu können, ignoriert sie, was auf dem Kontinent passiert. Das Wall Street Journal etwa schrieb im Mai hellsichtig, dass der Westen den Kontinent „an Putins Russland verliert“. Der Westen werde „vom Kontinent verdrängt“.
Europas Wünsche werden entsprechend zunehmend zurückhaltend behandelt. Der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei will mit Ghana und Senegal verhandeln. Doch auch Senegals neuer Präsident Bassirou Diomaye Faye gewann die Wahl im März mit einer spürbar souveräneren Rhetorik. So werden Aufnahmeplätze für Flüchtlinge aus Europa allenfalls noch zu astronomischen Preisen verkauft – bei wachsender Erpressbarkeit.
Absurdes Beispiel Großbritannien
Großbritannien musste Ruanda 370 Millionen Pfund Entwicklungshilfe versprechen, dazu weitere 120 Millionen Pfund, sobald die ersten 300 (!) Menschen umgesiedelt werden. Dazu überweist London bis zu 171.000 Pfund pro umgesiedelter Person, um diese für zunächst fünf Jahre zu versorgen. Bis April 2024 sollen bereits 290 Millionen Pfund geflossen sein, obwohl noch kein einziger Flüchtling nach Kigali kam.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne weitere Länder sich darauf einlassen könnten, für ähnliche Beträge eine überschaubare, vierstellige Zahl an Menschen aus Deutschland aufzunehmen. Ausgeschlossen aber ist, dass sich diese Bereitschaft auch in Größenordnungen erkaufen lässt, die die deutschen Kommunen spürbar entlasten würden – also im mindestens fünfstelligen Bereich, über Jahre. Dabei brauchen die Kommunen wirklich Entlastung: Geld und Personal für Bildung, Integration, Sozialleistungen, Wohnen. Teure Scheinlösungen in Afrika lenken davon ab.
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