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Grüne nach Ampel-AusWahlkampf in der Einarbeitungsphase

Für die Grünen kommt das Aus der Ampel-Koalition zu einem ungünstigen Zeitpunkt: schlechte Umfragewerte, neuer Vorstand, inhaltliche Uneinigkeit.

Don’t look back in Anger: Vizekanzler Robert Habeck bei seinem Statement zum Ampel-Ende Mittwochnacht Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Berlin taz | Wann sagt er denn nun, dass er Kanzlerkandidat der Grünen wird? Am Donnerstagmittag, als sich Robert Habeck in seinem Wirtschaftsministerium noch mal zum Ende der Ampelkoalition erklärt, will er die Frage wieder nicht beantworten. Er stehe als Minister hier, sagt Habeck. Alles Parteipolitische werde man „zu gegebener Zeit“ erfahren.

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Schon ab kommende Woche Freitag treffen sich die Grünen zu ihrem Parteitag in Wiesbaden. Geplant war schon länger, dass Habeck dort offiziell zum Kandidaten gekürt wird. Seine Bewerbung, das war schon vor dem Koalitionsbruch klar, muss er mit ausreichend Vorlauf verkünden. Was seit Mittwochabend neu ist: Nach dem Parteitagsbeschluss wird es keine lange Übergangszeit mehr geben. Dann muss er unmittelbar in den Wahlkampfmodus umschalten.

Von den drei Koalitionsparteien waren die Grünen wohl diejenigen, die das am wenigsten wollten. Zunehmend genervt waren zwar auch sie von der FDP und Finanzminister Christian Lindner. Rapide sank schon in den letzten Tagen unter den Grünen die Hoffnung darauf, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin hält.

Aber während es die FDP mit ihren Forderungen auf den Bruch anlegte und der Kanzler ihr die Pistole auf die Brust setzte – für die Ukrainehilfe müsse nach der US-Wahl die Schuldenbremse gelockert werden –, traten die Grünen bis zum Schluss und darüber hinaus konzilianter auf. „Es gab verschiedene Optionen zur Schließung der Haushaltslücke, die auf dem Tisch waren“, sagt Habeck bei seinem Auftritt am Mittag. „Man hätte sich auch ohne Überschreitungsbeschluss einigen können.“

Mitten im Umfragetief

Ein Grund, den die Grünen öffentlich vor sich hertragen: die staatspolitische Verantwortung. Während die Welt im Chaos versinkt und Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht, dürfe Deutschland eigentlich nicht führungslos dastehen. Oder zumindest nicht: ohne gültigen Haushalt für das nächste Jahr. Dazu kommt möglicherweise auch: Wahltaktisch kommt das Ende für sie zum ungünstigsten Zeitpunkt.

Da wäre zum einen das Umfragetief. Ob es bis zum regulären Wahltermin im September überwunden worden wäre? Unklar. Nun bleibt für die Trendwende jedenfalls weniger Zeit. Und: Die Parteizentrale ist mitten im Umbruch. Der bisherige Vorstand ist zurückgetreten, die Neuen werden erst auf dem Parteitag gewählt, mit ihnen wechseln wohl auch Mitarbeiter*innen. Der Wahlkampf startet mitten in ihrer Einarbeitungsphase.

Die Grünen selbst beteuern am Donnerstag zwar, gut vorbereitet zu sein. Die Personalfragen seien geklärt; der Vollzug auf dem Parteitag komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Und tatsächlich liefen ja schon umfangreiche Vorbereitungen auf das Szenario vorgezogener Wahlen. Seit dem letzten Haushaltsstreit im Sommer, als die Situation schon einmal knapp war, konnte sich die Partei auf die Option einstellen. Und doch: Zentrale inhaltliche Fragen sind bislang ungeklärt. Eigentlich hätte es gereicht, sie bis zu einem Programmparteitag im nächsten Frühjahr zu klären. Nun muss dieser zweite Parteitag auf den Januar vorgezogen werden.

Machen die linken Grünen der Harmonie zuliebe Abstriche an ihren Forderungen?

Auf dem ersten Parteitag in der nächsten Woche wird es natürlich auch schon um Inhalte gehen. Die Konfliktpunkte sind seit Wochen offen an den Anträgen und Änderungsanträgen ablesbar. Es geht zum Beispiel um Richtungsentscheidungen in der Migrationspolitik und um das grüne Profil bei der sozialen Gerechtigkeit. Konsens ist es, dass es in Deutschland fairer zugehen müsse. Strittig ist der Weg dorthin – etwa, ob es wieder eine Vermögenssteuer geben soll.

Nun wird die Parteitagsdebatte unter veränderten Vorzeichen geführt werden. In der Partei kursiert die Hoffnung, dass der Wahlkampf unmittelbar bevorsteht, könnte zusammenschweißen. Das Interesse an offenen Konflikten sinke. Fragt sich nur, was das angesichts der zuletzt wieder hochgekochten Flügelkonflikte heißt: Machen die linken Grünen der Harmonie zuliebe Abstriche an ihren Forderungen – oder wird Realo Habeck auf sie zugehen, um im Wahlkampf alle motiviert an Bord zu haben?

Parallel zum Wahlkampf bleiben zudem noch die Regierungsgeschäfte weiterzuführen. Ein Spagat: Im Werben um Wählerstimmen geht es um maximale Profilierung. Angesichts der Weltlage und der Probleme im Land wollen sich die Grünen auf der anderen Seite um punktuelle Mehrheiten mit der Union im Bundestag bemühen. Er erwarte da „keine große Verbrüderung“, so Habeck. Zumindest über Gespräche würde er sich aber freuen.

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11 Kommentare

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  • Die Grünen müssen überzeugende Antworten finden auf die Kritik an Ihnen und der Ampel ohne sich dabei zu verbiegen.

    Sie müssen sich vor allem ehrlich machen zum Umgang mit der Schuldenbremse, wo dann die Prioritäten liegen sollen und wo sie Einschnitte sehen.

    Ein Auftritt, der wie die letzte Ampel auf einen erneuten Verfassungsbruch hinausläuft, wird nicht überzeugen.

  • Die Grünen müssen einen sehr effektiven und fokussierten Wahlkampf führen. Sie müssen sich von FDP, CDU, CSU und AfD sehr deutlich unterscheiden und sie müssen auch eine Distanz zur SPD herstellen. Nur dann wird es gelinigen, halbweg gut wieder in den Bundestag einzuziehen. Und sie müssen vorsichtig sein, in eine neue Regierung einzutreten. Die Opposition kann für die Grünen sehr viel Sinn ergeben. Und Harbeck sollte so oder so zur Verfügung stehen. Das ist jetzt wichtig, nicht ihn zu diskutieren.



    Die Grünen müssen sich in der Frage Asyl, Migration und Zuzug sehr gut strukturieren und eine Position vertreten, die praktisch und realistisch machbar ist.

  • Bloß keine Kompromisse mit der CDU: die wird jede Möglichkeit zur Profilierung auf Kosten anderer nutzen.



    Bitte, bitte ein deutlich soziales Programm, auf jeden Fall die Vermögenssteuer und massiv geförderter Ausbau der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes. Wahlen gewinnen können die Grünen z.Zt. eh nicht. Aber ein klares Profil für die Rolle in der Opposition können sie sich geben. Und dann bitte eine klare sachbezogene Politik und keine Grabenkämpfe über Ideologien.



    Es kommen auch wieder andere Wahlen. Hoffentlich

    • @Squirrel:

      @Squirrel ich fürchte sie werden eher versuchen bei der CDU anschlussfähig zu bleiben. Das bedeutet soziales fällt wie gewohnt hinten runter - siehe Klimageld. Und bei der Migration und den Menschenrechten wird es weitere Abstriche geben, das zeigt ja schon der Bundesratsvorstoss der 2 schwarz-grünen und der einen grün-schwarzen Landesregierungen. Ich wünschte mir sie würden aus vielen Parlamenten fliegen um sich inhaltlich neu aufzustellen.



      Derzeit ist das Grüne Grundsatzprogramm das Papier nicht wert auf dem es gedruckt wurde.

    • @Squirrel:

      Mein Eindruck bezügl. Charakter von Personen des öffentlichen Lebens war nicht immer, aber überwiegend zutreffend.



      Dabei schneiden in der Politik die Grünen bei mir persönlich immer noch am besten ab. Aber gute Charaktereigenschaften und gute Absichten spielen immer kleinere Rollen im Weltgeschehen, wobei das leider auch immer mehr für die "breite Masse" zutrifft. Wäre dort alles in Sachen Mentalität in Ordnung, sähe die Welt wesentlich anders aus. Weiterhin bestimmen Konsumsucht, Gier und wachsender Egoismus im Allgemeinen die Zukunft.

  • Meiner Ansicht haben die Grünen den Fehler gemacht , zu oft Kompromissen zuzustimmen , dabei oft die eigenen Wählerschaft nicht oder zu wenig im Auge zu behalten.Herr Habeck und vor allem Frau Baerbock haben aus meiner Sicht sehr gute Arbeit geleistet, haben das aber nicht vermitteln können . In den Köpfen der Deutschen sitzen Narrative wie " Verbotspartei , Vielflieger, Heizungsdisaster " fest . Das alles als richtig oder falsch einzuordnen mag jeder selbst beurteilen , der größte Fehler war aber die fortwährende Suche nach einem gemeinsamen Konsens, das wird leider allgemein mehr und mehr als Schwäche angesehen. Die Grünen hätten die Koalition verlassen sollen und nicht Herrn Lindner das politische Feld weiter überlassen sollen . So wird weiter das Bild der " Unfähigkeit" von den politischen Gegnern gezeichnet werden .

  • "Ein Grund, den die Grünen öffentlich vor sich hertragen: die staatspolitische Verantwortung. Während die Welt im Chaos versinkt und Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht, dürfe Deutschland eigentlich nicht führungslos dastehen. Oder zumindest nicht: ohne gültigen Haushalt für das nächste Jahr."



    Das wird im linksliberalen Spektrum auch anerkannt, aber auf Lindner haben wohl auch wenige gesetzt. Habecks Chance ist jetzt die Führung und die Ansage für eine gerechte Politik der Zukunft, die alle Problemzonen adressiert. Bei dem Wort Charisma fallen mir sowieso keine Alternativen ein.



    "Gegner müssen gegen Habecks Charme, Charisma und vor allem seine Entschlossenheit ankommen



    Tatsächlich baut Habeck, so beschreiben es Freunde, einen gewissen Druck auf, wenn er seine fairen Vier-Augen-Gespräche führt. "Guck mal, hier bin ich", signalisiere er dann, "ich würde den Job super machen, und am Ende profitieren wir alle." Dem Konkurrenten schiebt er so die Verantwortung dafür zu, mit der eigenen, weniger strahlenden Persönlichkeit womöglich ein schlechteres Ergebnis für die Grünen zu holen."



    b. focus.de 2021



    Den FDP-Chef kann er bei Persönlichkeitswerten wie Sympathie wohl jetzt abhängen.

  • "Für die Grünen kommt das Aus der Ampel-Koalition zu einem ungünstigen Zeitpunkt: schlechte Umfragewerte, neuer Vorstand, inhaltliche Uneinigkeit."

    Ich würde zwei Thesen wagen, für die SPD sind die Umfragewerte auf einen neuen absoluten Tiefpunkt und die FDP würde es hoffentlich nicht in den Bundestag schaffen.

    Das die Grünen das mitgemacht haben auf dieser Ebene mit der FDP hätte ich niemals gedacht, die Grünen sind selber Schuld, wenn alleine die Grüne Jugend das Handtuch wirft, das sollte jeden zu denken geben, wie weit die Grünen nicht nur vom Klimaschutz abgedriftet sind. Bei der nächsten Wahl wird es sich zeigen inwieweit die jungen Wähler ihnen das nicht verzeihen werden, und das werden nicht wenige sein.

    Für alle an der Regierung beteiligten Parteien konnte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein, nochmal zu Erinnerung das war die unbeliebteste Regierung aller Zeiten mit den entsprechenden Umfragewerten! Bei der nächsten Wahl werden die Ampel Parteien ihre Abreibung bekommen, darauf können sie sich verlassen.

  • Naja, einfach ist irgendwie anders. Aber der schwache Trost ist immerhin, dass Scholz das Blaming wirklich zu 100% auf Lindner konzentriert hat. Die Grünen können im kommenden Wahlkampf immerhin plakatieren: an uns hat's nicht gelegen.



    Was Merz und vor allem Söder nicht hindern wird, genau diese Mär zu pushen.

  • Ich glaube nicht, dass sich die Grünen da so viel Gedanken machen müssen. Ihr Wählerpotenzial ist auf ihre Kernwählerschaft zusammengeschrumpft. Und die wissen, was sie an den Grünen haben: Eine Partei, die im Gegensatz zu den anderne die Probleme zumindest benennt und dafür auch Lösungen sucht.



    Dann gibt es noch diejenigen, die die Grünen vielleicht wählen würden, wenn sie nicht für jedes Windrad fünf Kröten schlucken würden. Bei denen wird die Entscheidung unabhängig vom Wahlkampf fallen -- je nachdem, ob man in den letzten drei Jahren das ganz große Kotzen bekommen hat oder nicht. Und je nach Prognose, was in der nächsten Legislatur so kommt.



    Und dann geht es vielleicht noch um 1-2%, die man mit Wahlkampf erreichen kann. Viel ist das nicht.

  • Wie bekommen wir als WählerInnen einen INHALTLICHEN, anständigen Wahlkampf ? Da spricht Einiges dafür, die Leichtigkeit, mit der die CDU-Oberen und insbesondere der kleinen Trump Söder glauben, auftreten zu dürfen, allein dadurch zu beschweren, in den an Hand der noch von Rot-Grün vorgesehenen Projekte wie die Rente oder Krankenhausreform von den schwarzen Reaktionären erst einmal GEGENVORSCHLÄGE zu hören. Da wird schnell deutlich, mit welcher Verantwortungslosigkeit hier Stimmung gemacht wird. Wir sind in einer Situation, in der mit dem Rücgang vieler Industriebranchen, sei es aufgrund von Konkurrenz z.B. aus China, aber allein aus der Tatsache, dass zuviel, einfach zuviel ist und mit dem Verlust an Nachfrage auch die Arbeit verloren geht, wwas wiederum die Binnennachfrage schrumpfen lässt, muss doch die ganze Dramatik (die ja auch in China deutlich wird) erst einmal erkannt werden. Vor diesem Wahrheiten weichen Politiker gern aus, genauso, wie sie die Kosten der Klimatransformation verschweigen wollten, allein aus Angst, nicht wieder gewählt zu werden. Nein, es stellt sich die Frage des Reichtums und seiner Verteilung grundsätzlich neu, bevor Trumpisten die Demokratie zerstören.