piwik no script img

Krieg im Nahen OstenDie Hisbollah entwaffnen

Kommentar von Susanne Knaul

Im Libanon stellt eine aus Teheran finanzierte Terrororganisation die stärkste militärische Macht. Ohne die Hisbollah wäre ein Frieden längst möglich.

Trümmerfeld: Rauch steigt vom Ort eines israelischen Luftangriffs in Beirut auf, am 3.10.2024 Foto: Stringer/dpa

E s sind düstere Tage für den Nahen Osten. Viele ZivilistInnen wurden schon getötet, und es werden vermutlich noch viele mehr. Niemand hat die seit Monaten befürchtete Ausweitung des Kriegs verhindert. Der anklagende Zeigefinger richtet sich jetzt auf Israel. Benjamin Netanjahu, so der Vorwurf, der in Israel und weltweit laut wird, heize die Gewalt an. Nur solange die Kriege im Gazastreifen und im Libanon andauerten, das sei Netanjahus Kalkül, sei auch seine Macht gesichert. Das mag stimmen. Es ist aber nur der eine Teil der Wahrheit.

Der furchtbare Krieg im Gazastreifen, der auf das Massaker, der palästinensischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel folgte, ist für die libanesisch-schiitische Terrororganisation Hisbollah erklärtermaßen Grund für den seither andauernden Beschuss auf Israels Norden. Aus Solidarität mit den PalästinenserInnen sollen die Angriffe aus dem Libanon fortgesetzt werden, solange der Krieg im Gazastreifen andauert. Dahinter steckt jedoch ein nicht weniger kaltes Kalkül aufseiten der Hisbollah.

Die Kooperation der beiden Terrororganisationen, deren Kampf gegen Israel unterschiedlich beurteilt werden sollte, stützt sich keinesfalls auf gegenseitige Liebe – Sunniten und ­Schiiten betrachten einander als Ungläubige. Beide Terrororganisationen verfolgen das Ziel, die jüdischen Menschen aus Israel zu vertreiben. Unterschiedlich ist ihre Motivation. Die Hamas kämpft für die Befreiung des aus ihrer Sicht palästinensischen Landes „from the river to the sea“, Israel inbegriffen.

Sie ist eine antizionistische Terrorgruppe, keine antisemitische. Juden und Jüdinnen, die nicht in Israel oder in den palästinensischen Gebieten leben, sind für sie keine Gegner. Nicht so die Hisbollah, die global agiert – und zwar nicht nur, um Spenden zu sammeln oder Waffen einzukaufen, wie es die Hamas auch tut. Sie geht weltweit mit Terror gegen jüdische Menschen vor.

Verlogene Solidaritätsbekundungen

Anders als in Gaza und dem Westjordanland sind die Menschen im Libanon keinerlei Menschenrechtsverletzungen durch israelische BesatzungssoldatInnen oder Sied­lerInnen ausgesetzt. Seit Israel die Truppen im Sommer 2000 aus dem Südlibanon abgezogen hat, gibt es keinen relevanten Gebietsstreit zwischen den beiden Nachbarstaaten. Die Besatzung ist lange vorbei.

Die Solidarität mit den PalästinenserInnen, die sich die Hisbollah auf die Fahnen schreibt, entlarvt sich spätestens mit Blick auf die Flüchtlingslager im Libanon als heuchlerisch. Seit mehr als 70 Jahren leben dort PalästinenserInnen, inzwischen schon in der dritten und vierten Generation, ohne staatsbürgerliche Rechte. Sie dürfen nicht an Wahlen teilnehmen, zahlreiche Berufe bleiben ihnen verwehrt. PalästinenserInnen, ob im Gazastreifen, im Westjordanland oder eben auch im Libanon, sind der Hisbollah völlig egal. Die Zerstörung Israels ist ihre Raison d’Être.

Israel führt keinen Krieg ­gegen den Libanon, sondern ­gegen eine Terrororganisation, die von den Aja­tollahs gut 3.000 Kilometer weit weg in einen Kampf geschickt werden, der nicht sein muss. Ajatollahs, die daheim Frauen in die Gefängnisse stecken, vergewaltigen und foltern lassen, weil sie kein Kopftuch tragen; die Hamas-Terroristen mitfinanzieren und Geld in den Jemen schicken, damit auch die Huthis von Zeit zu Zeit eine Rakete nach Tel Aviv schicken können.

Die Hisbollah und der Iran sind ein und derselbe Gegner für Israel. Aus dem Iran kommen Waffen, Geld, militärisches Know-how und entsprechend Handlungsanweisungen. Dass Teheran die Raketenangriffe gegen Israel als einen „Akt der Selbstverteidigung“ bezeichnet, spricht für sich. Wer die furchtbare Eskalation im Nahen Osten in diesen Tagen deshalb allein auf das politische Kalkül Netanjahus zurückführt, geht dem inszenierten Solidaritätsnarrativ der Hisbollah auf den Leim.

Die libanesische Armee stärken

Dass es zu einer Eskalation kam, kommen musste, ist aber auch zugleich ein Versagen der interna­tio­nalen Gemeinschaft, der ­Unifil (United Nations Interim Force) und auch der deutschen Marine, die seit 2006 vor der libanesischen Küste stationiert ist. Mit dem damaligen Waffenstillstandsabkommen lautete ihr Auftrag, eine Aufrüstung der Hisbollah zu unterbinden und zeitgleich die libanesische Regierung und Armee zu unterstützen. An dieser Mission sind alle gescheitert.

Stattdessen hat man zugesehen, wie die Terroristen ihre Raketenlager auffüllen. Die internationale Gemeinschaft steht in der Pflicht, die Terroristen im Libanon, die sich feige in Wohngebieten, unter Schulen und Krankenhäusern verstecken, zu entwaffnen. Um Frieden zwischen den beiden Nachbarstaaten möglich zu machen, darf es im Libanon nur noch eine bewaffnete Macht geben: die libanesische Armee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
Mehr zum Thema

40 Kommentare

 / 
  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.

  • Ohne den Iran wäre seit Jahren Frieden. Es hätte keinen 7. Oktober 2023 gegeben, und Jüdinnen und Juden weltweit würden sich nicht verkriechen und keine mangelnde Empathie seitens der Nichtjuden erleben müssen.

  • "Den Libanesen ist ihre jeweilige Sub-Gruppe (Christ,Druse,Sunnit,Schiit und dann auch noch die Nähe zu den Anrainern) wichtiger als der Kunststaat Libanon,..."

    Ich stelle jetzt eine vermutlich dumme Frage,die meinem Pragmatismus geschuldet ist:



    Weshalb gibt es zwischen den libanesischen Bürger:innen,der Regierung und den Anrainern keine Verhandlungen,dass der Libanon aufgelöst wird und der Grundbesitz dem Staatsgebiet der Anrainer zugeschlagen wird,so dass sich die Bürger:innen entscheiden können,welchem Staat sie sich am nächsten fühlen?



    Die Drusen und Christen wären als israelische Bürger vermutlich ganz gut aufgehoben.Sunniten als Jordanier und Schiiten als Syrier.



    Folgendes klingt unfreundlich,aber vernünftig: Die Menschen "an sich" will vielleicht niemand haben,aber da mit ihrer Zugehörigkeit auch ein Zuwachs an Staatsgebiet und Grundbesitz einhergeht,müssten sich doch Lösungen finden lassen,die für alle zufriedenstellend sind.



    Ich fand es schon in Zusammenhang mit der Nakba,der Vertreibung von je ca. 750.000 islamischen und jüdischen Bürgern bedauerlich,dass nicht "einfach" ein Bevölkerungsaustausch incl. Vermögen/Grund vorgenommen wurde.

    Welchen Denkfehler mache ich?

    • @*Sabine*:

      Die Umstände sind einfach komplexer, als die vereinfachten Lösungsvorschläge.

      Es gäbe viele praktische Probleme, z.B.:

      Jordanien ist kein Anrainer Libanons, dem kann man keine Gebiete Zuschlagen.



      Was soll aus den Sunniten werden? Syrien zuschlagen? Einer der Spannungsfelder am Vorabend des Syrischen Bürgerkriegs war, dass die Bevölkerung mehrheitlich sunnitisch war, die Führung aber überwiegend Alewiten. Die werden zwar auch zu Schiiten gerechnet, sind aber doch wieder eine andere Glaubensgemeinschaft, als die Zwölferschiiten im Libanon – wieder ein Grund für Spannungen, so dass unsicher ist, ob diese damit zufrieden wären.

      Die Christen und Drusen leben überwiegend im mittleren Abschnitt, während der Süden der Isr. grenzt, von Schiiten dominiert wird.



      Es ist auch sehr fraglich, ob Isr. dies haben wollte? Ich glaube kaum, dass Isr. sich darüber freuen würde dass der jüdische Bevölkerungsanteil sinkt.

      Da wäre es schon etwas weniger schwierig, den Libanon in 3-4 separate Staaten für die entsprechenden Bevölkerungsgruppen aufzuteilen.

      • @Socrates:

        "Jordanien ist kein Anrainer Libanons, dem kann man keine Gebiete Zuschlagen."

        Danke für die Korrektur und bitte entschuldigen Sie meinen Fehler. Ich hatte vor meinem Beitrag extra nochmal in eine Landkarte geschaut, aber Jordanien anscheinend "dazugeträumt". Tut mir leid.

        Auch mit dem restlichen Text haben Sie recht. Ihre Idee, den Libanon in 3-4 separate Staaten aufzuteilen (und zwischen ihnen Friedensverträge zu schließen), finde ich gut.



        In der durch Sie angeregten Recherche habe ich zum ersten Mal den Begriff "rummelkitische Katholiken" gelesen.

  • Man liest und bleibt staunend vor so viel Naivität zurück.

    Der Libanon ist ein failed state und das schon seit ungefähr den 80igern des vorigen Jahrhundert. Auf dem Gebiet des Libanon ringen traditionell alle Anrainer um Einfluss. Türkei, Syrien, Israel und eben auch Iran. Wenn man den Iran Persien nennt, sieht man, dass diese Machtkämpfe dort Jahrtausende alt sind.

    Eine libanesische Regierung die ihre Armee stärken und Einfluss gewinnen könnte, ist in diesem komplexen Beziehungsgeflecht schlicht handlungsunfähig. Den Libanesen ist ihre jeweilige Sub-Gruppe (Christ, Druse, Sunnit, Schiit und dann auch noch die Nähe zu den Anrainern )wichtiger als der Kunststaat Libanon, ein Vermächtnis des Untergangs des osmanischen Reichs und unfähiger britischer und französischer Kolonialherren.

    Jede regierung des Libanon muss damit kämpfen, dass es keine libanesische Identität gibt und daher auch keine Akzeptanz. Im Zweifel gilt die Loyalität der Sub-Gruppe.

    • @Erwin Schiebulski:

      Und dabei galt der Libanon mal als Musterbeispiel für einen multi-ethnischen Staat der zeigt dass so etwas funktioniert.

  • Tja, und wie soll das gehen? Die werden nicht auf Aufforderungen reagieren, ihre Waffen in einer Turnhalle abzugeben. Und zu den "verlogenen" Solidaritätsbekundungen: die gibt es in diesem Konflikt allenthalben. Auf beiden Seiten!

  • Fra Knauls Artikel sind mit das Beste, was Zeitungen zu dem Thema zu bieten haben, finde ich.

    • @rero:

      Nun ja, mit Verlaub - der Satz dass die Hamas eine antizionistische Terrorgruppe und keine antisemitische sei, ist schon eine ziemlich euphemistische Umschreibung.

  • Man kann die Solidarität in Zweifel ziehen, aber ein Punkt wird in dem Artikel ausgelassen und am Ende dreht sich alles darum: ob und wann die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen. Man kommt immer wieder auf diese Frage zurück.

    • @Moritz Pierwoss:

      Einen palästinensischen Staat könnte es bereits seit 1948 geben. Allerdings konnten die Verantwortlichen auf arabischer Seite sich bisher nicht mit dem Gedanken anfreunden, Nachbarn jüdischen Glaubens zu haben. Insofern richtet sich die von Ihnen aufgeworfene nur an eine der beiden beteiligten Parteien. Immerhin hat man von Hamas und Hisbollah noch nie gehört, dass sie die Grenzen von 1948 oder überhaupt irgendein Israel akzeptieren würden.

      • @Fisherman:

        Es gab sehr wohl die Chance: erinnert sei an das Oslo-Abkommen zwischen Arafat und Rabin. Letzterer wurde dann von rechten Israelis ermordert, der Siedlungsbau in der Westbank ging weiter, die (säkulare) PLO wurde mit allen Mittel geschwächt zugunsten der religiösen Gruppen etc. und jetzt sind wir da wo wir sind.

      • @Fisherman:

        Das ist nicht ganz korrekt.

        Der aktuellen Charta der Hamas nach würde diese einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptieren. Das impliziert zumindest einen israelischen Staat daneben. Auch steht dort ausdrücklich, dass ihr Kampf dem zionistischen Imperialismus und nicht den Judentum gelte.



        Auch ließ ein hochrangiger Offizieller verlauten, dass sie in dem Fall bereit wären die Waffen nieder zu legen und eine reine politische Partei zu werden.

        Die PLO hat bereits 1993 Israel als jüdischen Staat anerkannt.

        Bei aller berechtigter Kritik, sollte man trotzdem bei den Fakten bleiben.

        www.theguardian.co...srael-1967-borders

        apnews.com/article...c29464eab234045438

        • @Timothee Güsten:

          Das ist nicht ganz korrekt.

          Der von Ihnen verlinkte Artikel des Guardian stellt doch selbst fest, dass dies keine neue oder aktualisierte Charta ist. Soweit ich recherchierte, wurde die Charta nie außer Kraft gesetzt. Der eng. Titel lautet "Document of General Principles and Policies" - in etwa Allgemeine Grundsätze und Konzepte.



          Haben Sie es überhaupt mal gelesen? Da wird überhaupt kein Isr. Staat impliziert – im Gegenteil.

          Auszüge:



          18. „The establishment of “Israel” is entirely illegal“



          19. „There shall be no recognition of the legitimacy of the Zionist entity.“



          20. „Hamas rejects any alternative to the full and complete liberation of Palestine, from the river to the sea.“

          Nirgends heißt es, dass Hamas sich mit einen Staat in den Grenzen von 1967 begnügen würde. Man betrachtet ihn nur als „nationalen Konsens“.

          Wenn man sich dass zusammenreimt, dann wird klar, dass H. einen solchen Staat akzeptieren würde – als Etappenziel, von dem aus man gestärkt das eigentliche Ziel verfolgen will, ein vollständiges Palästina „from the river to the sea“ - also die Vernichtung Israels.

          Das es mit einer solchen Hamas nachhaltigen Frieden geben kann, betrachte ich als Wunschdenken.

  • Saddam Hussein "disarmed" (George W. Bush), die Waffen sind beim islamischen Staat gelandet.

    Gaddafi "entwaffnet", die Waffen sind jetzt beim islamischen Staat in Afrika (Mali ...).

    über zwanzig Jahre Krieg in Afghanistant und es sind doch wieder die Taliban am Ruder.

    Wann lernen wir dazu?!

    • @Deutschfranzose:

      Wieso, was haben Sie denn daraus gelernt? (sowohl als allgemeine Richtlinie, als auch zu empfehlendes Vorgehen im Falle der Hisbollah)?

  • "Sie ist eine antizionistische Terrorgruppe, keine antisemitische."

    Mal in die Charta der Hamas geschaut? Das ist im besten Fall blauäugig, Hamas und Hizbollah sind sich was Juden angeht einig.

  • Was für ein Frieden wäre ohne Hisbollah möglich? Klar ist: Die Hisbollah muss weg, die Hamas auch, die Regierung Netanjahu und die Siedler in den besetzten Gebieten ebenfalls. Nur dann kann es einen fairen Frieden geben, den zu verteidigen sich lohnt. Alles andere ist komplett für den Allerwertesten, weil dann mindestens eine Partei nur draufzahlt.

  • Israel wird es nicht dulden, dass es eine funktionierende -und das heißt militärisch tatsächlich fähige, schlagkräftige LIBANESISCHE Armee, Luftwaffe oder Marine gibt. Mal abgesehen davon, was sich alles im Libanon ändern müsste, damit so eine militärische Organisation aufgebaut werden könnte. Dazu bräuchte es wohl mehr als eine Revolution im Libanon.



    Aber davon abgesehen: Israel duldet keine funktionierende Armeen auf einem Level das israelischen Aktionen gegen diese Staaten zu jedem beliebigen Zeitpunkt etwas entgegensetzen könnte.



    Normale Staaten haben dazu zB eine Wehrpflicht, Kasernen, Ausbildungsstätten, Übungsplätze, Standorte für Waffen, Munition, Training. All das darf in Nachbarstaaten wie Libanon nach israelischer Doktrin nicht entstehen -weil es sofort als Bedrohung Israels betrachtet wird - Sicherheitsinteressen anderer Staaten, die nichts mit Israel zu tun haben, versteht und akzeptiert die israelische Politik nicht.



    Wer immer solche funktioniende Armeen aufbauen will, muss damit rechnen, dass es von einer israeilischen Auslandsaktion zerstört wird. Das ist der Hauptgrund, warum es im Libanon, im Gaza, wohl auch im WJL so viel unterirdisches gibt.

    • @Monomi:

      Danke

  • Die Hisbollah ist längst ein Staat im Staate und der größte Wirtschaftsfaktor im Libanon. Sie ist im Finanzsektor aktiv und betreibt Banken und Wechselstuben, kontrolliert den Energiesektor, die meisten Öllieferungen laufen über die Hisbollah und verdient kräftig an den Einfuhrzöllen mit. Und nicht nur wirtschaftlich sind ihre Strukturen stark mit den schiitischen Libanesen verflochten auch sozial, so betreibt sie Krankenhäuser, Schulen etc. Selbst der derzeitige Premier ist durch die von der Hisbollah unterstüzte Allianz ins Amt gehievt worden.

    Eine derartige Miliz kann geschwächt werden, wie ja bereits geschehen, aber sie zu entwaffnen oder gar ihre Strukturen vollständig zu zerschlagen, setzt eine Bodenoffensive voraus die für Israel auch in einem Desaster enden könnte, aber vor allem würde sie den instabilen Libanon entgültig ins Chaos stürzen.

    Der einzige Weg sie dauerhaft zu schlagen wäre die Beseitigung des gegenwärtigen iranischen Regimes. Ohne die Milliarden aus Teheran (laut Wirtschaftswoche geschätzte 700 Millionen Dollar jährlich), würden zumindest die wirtschaftlichen Aktivitäten im Inland lahmgelegt und der Waffenankauf eingeschränkt.

    • @Sam Spade:

      Das ist wiederum politische Analyse auf Spielfilmniveau. Die gescheiterten Regime-Change-Versuche der letzten 25 Jahre sollten eigentlich zu der Einsicht geführt haben, dass es ebenso falsch wie gefährlich ist, jeweils einen Gegenspieler zum Erzfeind zu erklären, mit dem es keine Verständigung geben kann (dass das Etikett „Regime“ nur denen verliehen wird, die sich nicht der eigenen Hegemonie unterwerfen, sollte eigentlich zu denken geben). Iran hat seit geraumer Zeit immer wieder gezeigt, dass er durchaus kompromissfähig ist: durch seine Unterstützung für die arabische Friedensinitiative 2002, durch das JCPOA, oder kürzlich durch die Bereitschaft, auf einen Gegenschlag für den Mord an Haniyeh zu verzichten, um einen Waffenstillstand in Gaza zu ermöglichen (der nicht an Iran gescheitert ist). Wer den Konflikt mit Hisbollah lösen will, muss mit Iran verhandeln, statt sich weiter geopolitischen Gewaltphantasien hinzugeben, die die eigene Verantwortung für den NO-Konflikt völlig ausblendet.

      • @O.F.:

        "... um einen Waffenstillstand in Gaza zu ermöglichen (der nicht an Iran gescheitert ist). ..."

        Der Iran möchte sicherlich gerne, dass seine noch aktionsfähige Stellvertreter-Kampftruppe in Gaza weiter bestehen bleibt. Wollte der Iran einen Waffenstillstand in Gaza, würden die iranischen Regierungschefs die Geiselnehmer dazu aufrufen, die Geiseln freizulassen und die Waffen niederzulegen.

        "Wer den Konflikt mit Hisbollah lösen will, muss mit Iran verhandeln, ..."

        Das befürworte ich und sollte auf jeden Fall versucht werden. Ich nehme an, im Hintergrund laufen bereits Gespräche.

        Was der Iran dafür wollen und bekommen könnte, seine Stellvertreter-Kampftruppen in Gaza, Libanon und Jemen fallenzulassen, weiß ich nicht.

    • @Sam Spade:

      Die Hisbollah hält neben dem Iran und Putin ja auch seit einer Reihe von Jahren Assad an der Macht.

      Und verdient ganz prächtig an dem Captagon-Handel mit. Das Zeug wird von Assads Leuten hergestellt und von der Hizbollah in arabischen Ländern vertickt. Millionen Süchtige. Ein riesiges Problem. Assad weitet seine Märkte auch auf Europa und die USA aus.

      Heißt Hisbollah nicht übersetzt die "Partei Gottes"?

      • @shantivanille:

        "... Captagon-Handel mit. ... Ein riesiges Problem."

        Vielleicht löst es auch ein paar Probleme, wenn es die Konsumenten glücklich macht oder bei übermäßigem Konsum die kognitiven Funktionen beeinträchtigt. Eines von beidem hätte ich Herrn Sinwar vor der Planung des 07.10. gewünscht, weil das Massaker dann vielleicht nicht geschehen wäre.

  • Vielen Dank Frau Knaul, schön, dass Sie so klare Worte gefunden haben!

  • Artikelzitat: "Sie (die Hamas) ist eine antizionistische Terrorgruppe, keine antisemitische. Juden und Jüdinnen, die nicht in Israel oder in den palästinensischen Gebieten leben, sind für sie keine Gegner."

    In ihrer Gründungscharta bezieht sich die Hamas auf die weltweit einflussreichste antisemitische Verschwörungstheorie, Die Protokolle der Weisen von Zion.



    Die mit Abstand verschwurbelste und bösartigste Verschwörungstheorie, die die Welt jemals gesehen hat.

    Artikel 7 der Hamas-Charta erklärt das Töten von Juden – nicht nur von jüdischen Bürgern Israels oder Zionisten – zur unbedingten Pflicht jedes Muslims, indem sie sie zur Voraussetzung für das Kommen des Jüngsten Gerichts erklärt.

    Israel spielt nur eine Nebenrolle, es geht um die komplette Auslöschung des Judentums.

    Weltweit.

    Und nicht nur der Juden.

    "Die gesamten 510 Millionen Quadratkilometer dieser Erde werden wir dominieren", so Hamas Kommandeur Mahmoud al-Zahar.

    Volle Solidarität und volle Unterstützung für die Israelis, die auch für uns kämpfen!

    • @shantivanille:

      Das ist wiederum viel zu vereinfacht. Sie geben den Inhalt der Hamas-Charta verzerrt wieder und ignorieren die Frage, welche Geltung diese überhaupt noch hat – und vor allem ignorieren Sie politische Realitäten: Hamas hat nie jenseits der Palästinensergebiete agiert und verfolgt eine primär nationalistische Agenda (weshalb sie auch unter genuin islamistischen Gruppen wie dem IS nicht wohlgelitten ist). Die Aussage, Israel würde auch für uns kämpfen, ist besonders zynisch: Israel kämpft dafür, seine Kontrolle über die Palästinensergebiete aufrecht zu erhalten und einen Palästinenserstaat zu verhindern – daran kann man nur dann eine Verteidigung des Westens zu sehen, wenn man sich die internationale Ordnung als vom Westen dominierte Gewaltordnung vorstellt. Ich kann nur ein weiteres Mal dazu raten, sich mit der Geschichte des NO-Konflikts eingehender zu befassen und sich nicht von fragwürdigen Informationen und anti-muslimischen Ressentiments leiten zu lassen.

      • @O.F.:

        In der Frage der ideologischen Ausrichtung verweise ich darauf, dass die erklärte Vernichtungsabsicht gegenüber Israel auch in der zweiten Hamas-Charta von 2017 eindeutig zum Ausdruck kommt. Weiterhin sind islamistische und antisemitisch-eliminatorische Versatzstücke dort zu finden, wie auch in der Gründungscharta. Ich nehme an, Sie meinen diese zweite Version, wenn Sie danach fragen, ob die Charta überhaupt noch Relevanz habe. Natürlich hat sie das, wie der Terrorangriff vom 7.10. auf israelischem Bosen gezeigt hat.



        Lediglich lässt sich sagen, dass in der Neufassung der Charta stärker als bisher gemäßigtere und (befreiungs)nationalistische Töne angeschlagen werden, aus taktischen Gründen.



        Am antisemitisch-eliminatorischen Grundcharakter dieses Hamas-Manifestes hat sich jedoch nichts geändert. Und er betrifft nicht allein den Staat Israel, gemeint ist alles Jüdische weltweit.



        www.bpb.de/themen/...-charta-der-hamas/



        Dass Hamas sich ideologisch vom IS noch unterscheidet - wie Sie richtigerweise feststellen -, macht die Sache nun auch nicht besser.

      • @O.F.:

        Wer Islamisten wie die Hamas oder Hisbollah bekämpft, trägt damit auch indirekt zum Schutz westlicher Demokratien bei. Das die Hamas in ihrer Charta zur Vernichtung der Juden aufruft können sie da nachlesen. Das der Iran seit Gründung zur Vernichtung Israels aufruft können sie ebenfalls nachlesen. Das sie in diesem Zusammenhang dem Iran Friedensabsichten nachsagen und meinen die Absichten des Artikel 7 der Hamas Charta in Frage zu stellen, ist angesichts der Ereignisse vor einem Jahr naiv und zudem geschmacklos. Gleiches gilt für das oberlehrerhafte Verhalten gegenüber @shantivanille und anderen Kommunarden. Absolut unangebracht!

        • @Sam Spade:

          Einen Punkt hat @O.F. aber nun doch: der Westen ist am Aufstieg und der Radikalisierung des weltweiten Islamismus nicht ganz unschuldig, insbesondere was den IS betrifft. Die Geister, die man rief … sage ich an dieser Stelle nur.



          Aber gerne können wir uns über das Thema weiter unterhalten.

          • @Abdurchdiemitte:

            Der Islamismus ist ja die Antwort des Islams auf die westliche Modernisierung. Entstanden unter den Eindrücken der Kolonialzeit wie in Indien oder Ägypten. Die Radikalisierung und Vernetzung der Dschihadisten hatte seinen Ursprung allerdings 1979 als Reaktion auf den Afghanistankrieg.

            Der Beitrag des Westens zum Aufstieg des Islamismus ist unbestritten. Gerade die Amerikaner haben ja in jahrzehntelanger Fehleinschätzung der islamischen Kultur und Religion kein Fettnäpfchen ausgelassen. Dazu noch die recht einseitige Wahrung der wirtschaftlichen Interessen. Ergibt unterm Strich eine negative Bilanz.

            In diesem Konflikt geht es aber nicht um den Anteil des Westens sondern darum, dass Israels Bevölkerung erwartet nicht permanent von Raketen und Attentätern bedroht zu werden. Gleiches gilt für die Palästinenser, die auch in Frieden und ohne israelische Repressalien oder militärische Interventionen leben möchten. Um das zu erreichen, muss aber die Ursache beseitigt werden und das sind der Iran und seine Proxys. Danach dürfte es leichter fallen eine Einigung zwischen Israel und den Palästinensern zu erzielen.

            • @Sam Spade:

              Im Prinzip ja … in Teheran liegt der Schlüssel zur Lösung des Konfliktes. Ab diesem Punkt geht unsere gemeinsame Einschätzung des Problems dann aber vermutlich doch auseinander: ich denke nicht, dass eine weitere Eskalation seitens Israels oder auch der USA einen Sturz des Mullah-Regimes herbeiführen kann … und wenn doch, wären die Risiken des Kontrollverlustes über diesen Konflikt zu groß, als dass die westliche Welt diesen Weg beschreiten sollte.



              Zur Erinnerung: im benachbarten Irak sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung Schiiten, im Libanon sind es mehr als ein Drittel (mit wachsender Tendenz). Ich fände es unverantwortlich, diese Länder in einen moerderischen Bürgerkrieg hineingleiten zu lassen bzw. zu failed states zu machen, nur um das iranische Mullah-Regime zu stürzen. Wenn das funktionieren sollte, dann nur von innen, nicht durch Israel oder die USA.



              Jedoch: „a little help from my friends“ wäre schon ganz okay, aber sehen Sie irgendwelche Initiativen, die die iranische Opposition wirksam unterstützen oder irgendwelche herausragenden Persönlichkeiten, die diese Opposition anführen könnten?

        • @Sam Spade:

          Das ist eben ein verkürzter Blick auf diese Konflikte, die sicher nicht damit gelöst werden, dass man noch gewaltsamer agiert. Die meisten Palästinenser haben ihr ganzes Leben unter israelischer Besatzung verbracht, die meisten haben Freunde und Angehörige verloren... glauben Sie wirklich, dass diese Menschen versöhnlicher werden, wenn man noch mehr Bomben auf sie wirft? Dass Iran die arabische Friedensinitiative von 2002 unterstützt hat, ist eine Tatsache, ebenso die nationalistische Ausrichtung von Hamas (Zitate stehen in Kontexten!!!). Noch einmal: das ist kein Spielfilm, in dem man nur genügend Schurken umbringen muss, um ein Happy End zu erreichen, sondern ein komplexer Konflikt mit vielen Grautönen.

          • @O.F.:

            Unsere Gemeinsamkeit besteht in der Einschätzung, dass der israelisch-iranische Konflikt nicht mit Gewalt gelöst werden kann. Und wahrscheinlich mit Ihnen bin ich der Meinung, dass die jüngsten Signale des Einlenkens aus Teheran bzw. der Zurückhaltung nicht einfach zugunsten einer Eskalationslogik vom Tisch gewischt werden dürfen. Und wenn Israel kein Interesse an Deeskalation hat, US-Präsident Biden sollte es haben … leider Gottes ist zur Zeit Wahlkampf in den Staaten, da ist in diese Richtung nicht mehr viel zu erwarten. Wohin die Reise mit Trump gehen würde, hat der ja schon angekündigt - in die nukleare Dystopie.



            Aber hören Sie auf, den antisemitischen Charakter der Hamas herunterzuspielen! Ob der islamistische Judenhass nun „palästinensisch-nationalistisch“ oder - wie beim IS - mehr „universalistisch“ daherkommt, eine existenzielle Bedrohung für Juden stellt er allemal dar, nicht nur für den Staat Israel, für alle jüdischen Menschen weltweit. Wir haben gesehen, dass er nicht zwischen rechten, militanten und linken, friedensbewegten Juden unterscheidet.



            So lange diese menschenfeindliche Ideologie noch existiert, ist also Wachsamkeit angesagt.

  • Israel ist bereits in den Libanon einmarschiert, bevor die Hisbollah überhaupt existierte. Damals war es die PLO - und die wurde auch als terroristische Organisation eingestuft. Der Begriff "Terrororganisation" scheint immer an arabischen Menschen zu haften - denn der Pager-Anschlag hat jeden getroffen, es verstößt gegen internationales Recht jemand, selbst wenn er zur befeindeten Hezbollah gehört zu Hause oder in seiner Freizeit mit seiner Familie zu ermorden. Wenn Israel, die USA und die EU keine Zweistaatenlösung zulassen, wird der palästinensische Widerstand nach neuen Wegen suchen. Das Narrativ der Ausrottung des anderen gibt es auch auf israelischer Seite - Amalek - so heißt die Geschichte in der hebräischen Bibel und wird ständig von Netanjahu und anderen rechtsextremen Politikern zitiert - gut und böse - es wird benutzt, um die Ermordung palästinensischer Kinder und Frauen zu rechtfertigen. Warum bleiben wir nicht einfach bei den Zahlen? die tatsächliche Ermordung und Vertreibung von Palästinensern im Gazastreifen, im Westjordanland oder im Libanon - nach 11 Monaten sind mindestens 44.000 Menschen getötet worden - die meisten von ihnen Frauen und Kinder, der Rest ist 🌬️

    • @elma:

      Wo soll denn der Pager- Angriff gegen internat. Recht verstoßen haben?

      Wer ein aktives Kommunikationsgerät einer militärischen Organisation bei sich trägt um Befehle empfangen zu können, ist teil einer militärischen Befehlskette, und damit legitimes Ziel - durch tragen des aktivierten Gerätes entfällt der Schutz. Das einer dabei zivile Kleidung trägt und sich unter Zivilisten bewegt, macht ihn noch nicht zur zivilen, geschützten Person. Vielmehr muss man sich fragen, warum er dies tut; höchstwahrscheinlich um nicht angegriffen zu werden. Dann wäre dies ein Kriegsverbrechen: „die Benutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um Kampfhandlungen von gewissen Punkten, Gebieten oder Streitkräften fernzuhalten.“

      Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen: Kommandoposte, Truppen, Waffen, usw. absichtlich inmitten Zivilisten unterzubringen ist ein Kriegsverbrechen, weil es den Gegner zwingt, mehr zivile Opfer in Kauf zu nehmen.

      Zivilisten die dem zum Opfer fallen sind folglich jenem anzulasten, der sie zu diesem Zweck missbraucht.

      Die getöteten Zivilisten sind folglich Opfer eines Kriegsverbrechens der Hamas und der Hizbollah, nicht von Israel.

  • Danke für die differenzierte Analyse, Frau Knaul. Es ist notwendig, die unterschiedlichen Motive herauszustellen, die Hamas und Hisbollah in diesem Konflikt mit Israel antreiben … die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Krieges liegen in der jahrzehntelangen, nicht gelösten Ungerechtigkeit der Verweigerung der palästinensischen Eigenstaatlichkeit mit Gründung des Staates Israel.



    Das ist es, was UN-Generalsekretär Gutteres meinte, als er davon sprach, der Hamas-Terror vom 7.10. habe nicht im „luftleeren Raum“ stattgefunden. Auch wenn das manche taz-Foristen hier nicht gerne hören wollen.



    Und ich erinnere daran, dass im libanesischen Bürgerkrieg Schiiten wie die anderen Bevölkerungsgruppen auch erbittert gegen die Präsenz der PLO in ihrem Staat gekämpft haben, bis 1982 als Reaktion auf den israelischen Einmarsch die Hisbollah gegründet wurde.



    Genau so notwendig ist es eben, die Unterscheidung zwischen Antizionismus und (eliminatorischem) Antisemitismus vorzunehmen … antizionistische ultra-orthodoxe jüdische Gruppierungen hassen möglicherweise zutiefst den säkularen israelischen Staat, niemals jedoch sind sie so gewaltsam gegen ihn vorgegangen, wie es Hamas und Hisbollah tun.