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SPD-Generalsekretär Kühnert tritt zurückDie Tür bleibt offen

Er galt als das Talent der SPD – nun ist Generalsekretär Kühnert aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Nachfolger soll Matthias Miersch werden.

Vom Parteilinken zum Kanzler-Verteidiger: Kühnerts Job war zuletzt nicht eben leicht gewesen Foto: Jens Gyarmaty

Berlin taz | Weg ist er. Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, hat sein Amt am Montag mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Und nicht nur das, er wird auch nicht mehr als Kandidat zur Bundestagswahl 2025 antreten. Kühnert machte seine Entscheidung selbst öffentlich und führte gesundheitliche Gründe an.

Für einen Wahlsieg im nächsten Jahr brauche es den vollen Einsatz der gesamten SPD, schreibt er in einem Brief an die Genossen und Freunde: „Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin.“ Die Energie, die für sein Amt und einen Wahlkampf nötig seien, „brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden. Deshalb ziehe ich die Konsequenzen.“

Wie die taz aus Parteikreisen erfuhr, sei Kühnert nicht lebensbedrohlich erkrankt, sondern vor allem psychisch angeschlagen. Er sei erst einmal krankgeschrieben, werde auf absehbare Zeit auch nicht für Interviews zur Verfügung stehen.

Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen, schreibt Kühnert in der Erklärung. „Sie schmerzen mich, weil ich meine politische Arbeit mit Herzblut betreibe.“ Richtig sei sie trotzdem. Er trage Verantwortung für sich selbst – und für die SPD. „Indem ich mich jetzt ganz um meine Gesundheit kümmere, glaube ich, meiner doppelten Verantwortung am besten gerecht zu werden.“

Es geht um seine Gesundheit

Die beiden SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil hatte Kühnert wenige Tage zuvor informiert. Beide äußerten sich am Montag, kurz nachdem der Rücktritt publik wurde. Klingbeil, mit dem Kühnert auch privat befreundet ist, wirkte angefasst. „Es geht jetzt um Kevin, es geht um seine Gesundheit.“ Seine Entscheidung verdiene Respekt, man sei dankbar für seinen unermüdlichen Einsatz. „Als Freund kann ich nur sagen: hundertprozentige Unterstützung für den Weg, der jetzt vor ihm liegt.“ Auch Esken erklärte, sie sei bestürzt. Wenn er dafür bereit sei, werde für ihn immer eine Tür offenstehen.

Mit Kühnert verliert die SPD auf absehbare Zeit eines ihrer größten Nachwuchstalente. Der heute 35-Jährige war 2021 zum Generalsekretär gewählt und im Dezember 2023 mit großer Mehrheit im Amt bestätigt worden. Kühnert hatte die große politische Bühne 2017 als Juso-Vorsitzender betreten und brachte die Jungsozialisten kurz darauf mit fulminanten Reden gegen eine erneute Große Koalition in Stellung.

Die No-Groko-Kampagne war zwar am Ende nicht erfolgreich, aber die Jusos waren unter Kühnert zum Machtfaktor und Kühnert selbst zu einem der einflussreichsten Politiker im internen Machtgefüge der SPD geworden. Dass Saskia Esken im Verbund mit Norbert Walter-Borjans 2019 Parteivorsitzende wurde, und zwar gegen einen gewissen Olaf Scholz, der zusammen mit Klara Geywitz antrat, verdankt sie maßgeblich Kühnert und den Jusos.

Ganz unumstritten war Kühnert aber zuletzt nicht mehr. Die für die SPD vergeigte Europawahl geht maßgeblich mit auf sein Konto. Es war die erste große Wahl, die er als Generalsekretär zu managen hatte, als Ziel hatte er sich 16 Prozent plus x gesteckt. Am Ende landete die SPD bei mageren 13,9 Prozent.

Kein Zusammenhang mit Wahlergebnis

Zudem brachte es das Amt als Generalsekretär mit sich, dass der Glanz des Polit-Popstars allmählich verblasste. Aus dem Parteilinken und einstigen Scholz-Kritiker war seit der Bundestagswahl ein Kanzler-Verkäufer geworden, das Rebellische hatte sich in zahllosen Talkshowauftritten, in denen er die Politik der Ampel zu verteidigen hatte, abgeschliffen. Kühnert selbst machte zwischen den Zeilen deutlich, wie sehr er zuweilen mit der Aufgabe haderte.

So kritisierte er nach der Europawahl „unklare Signale“ aus dem Kanzleramt zum Ukrainekrieg. Der Kanzler, den er gerade großflächig als Friedenskanzler plakatiert hatte, hatte mitten im Wahlkampf entschieden, dass die Ukraine mit westlichen Waffen auch Ziele in Russland angreifen darf. Auch zuletzt sparte er im Spiegel-Interview nicht mit Kritik am Kanzler, wünschte sich „mehr Mut“.

Trotz der Pannen im Wahlkampf und obwohl Klingbeil sich zuletzt stärker als bisher in die Planung des Bundestagswahlkampfes einschaltete (und damit Kühnert auch ein Stück weit entmachtete) – zum Rücktritt gedrängt worden war Kühnert deswegen nicht. Wie die taz aus seinem Umfeld erfuhr, habe es für ihn „keinerlei Zusammenhang“ mit dem Wahlergebnis vom Juni gegeben.

Ge­nos­s:in­nen reagierten betroffen. „Kevin Kühnerts Rücktritt hat uns überrascht“, so die Berliner Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel in einer Presseerklärung. Kühnert hatte 2021 das Direktmandat im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg für die SPD zurückerobert, war zwischenzeitlich auch mal als Geheimtipp für den Posten des Regierenden Bürgermeisters im Gespräch. Ein Gerücht, das er selbst nie streute, sondern welches ihn eher amüsierte. Aber wer weiß: „Die Türen der Berliner SPD stehen ihm immer offen“, so die Landesspitze.

Matthias Miersch soll neuer Generalsekretär werden.

Auch bei der Parteikonkurrenz überwiegt das Bedauern. „Kevin Kühnert ist einer der klügsten und schlagfertigsten Politiker, die ich kennenlernen durfte“, schreibt die Noch-Parteivorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, die Ende September ebenfalls ihren Rücktritt bekannt gegeben hatte. Und auch die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmerman wünschte Kühnert auf X alles Gute: „Der politische Betrieb kann ein hässlicher Raubbau sein. Egal, was einen politisch trennt – wenn es um die Gesundheit geht, wird fast alles zweitrangig.“

Für die SPD, das machten Klingbeil und Esken bei allem Bedauern deutlich, geht es jetzt darum, die Parteizentrale im Schnellverfahren wahlkampftauglich aufzustellen und ein Jahr vor der Bundestagswahl einen Schlüsselspieler einzuwechseln. Gebraucht wird eine Person, die Erfahrung hat, parteiintern gut vernetzt ist und Kampagnen organisieren kann. Die Aufgabe ist gigantisch. Die SPD ist aktuell in Umfragen mit 17 Prozent weit von den 25,7 Prozent entfernt, die vor drei Jahren reichten, um stärkste Kraft zu werden. Die von ihr angeführte Ampel ist so unbeliebt wie nie und auch Scholz’ Beliebtheitswerte sind auf einem Tiefpunkt.

Dennoch übt man sich in der Parteizentrale im Optimismus. „Wir wollen diesen Wahlkampf gewinnen. Meine feste Überzeugung ist es, dass man Erfolg organisieren kann“, meinte Klingbeil am Montag. EinE NachfolgerIn soll noch am Montagabend bestimmt werden. Ab 18 Uhr treffen sich die Parteigremien zu digitalen Sitzungen. „Wir sind vorbereitet“, so Esken. Wer auf Kühnert folgt, wird die Parteispitze am Dienstag offiziell bekannt geben. Für 13.45 Uhr lädt sie zur Pressekonferenz ein.

Nach Informationen des Magazins Politico wird Fraktionsvize Matthias Miersch neuer Generalsekretär. Das wurde der taz aus Parteikreisen bestätigt. Miersch übernimmt das Amt zunächst kommissarisch bis zum Parteitag. Offiziell verkündet wird die Entscheidung am Dienstag von der Parteispitze.

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17 Kommentare

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  • Mich überrascht es nicht, man hat es ihm angesehen, mit jedem mal sah er etwas angeschlagener aus, die Augenränder wurden größer, von daher denke ich die Entscheidung war gut und richtig und ich wünsche ihm alles Gute!

  • "Wie die taz aus Parteikreisen erfuhr, sei Kühnert nicht lebensbedrohlich erkrankt, sondern vor allem psychisch angeschlagen." Über Kenntnisse zum Gesundheitszustand eines Angestellten dürften der Arbeitgeber und seine Angestellten Dritten keine Mitteilungen, auch keine Andeutungen machen. Um dem vorzubeugen steht auf dem Formular der "Krankschreibung" = "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Formular 1 Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber" keine Diagnose sondern nur die voraussichtliche Dauer der Krankschreibung. Wir wissen nicht was der Betroffene seinem Arbeitgeber anvertraut oder zur Weitergabe erlaubt hat. Er hat aber öffentlich mitgeteilt, dass er sich um seine Gesundheit so intensiv kümmern muss, das er für Weiteres nicht zur Verfügung steht. Das ist unmissverständlich. Personen mit psychischen Erkrankungen werden durch Gerede eher kränker. Das ist das Schlechte an diesem Bericht. "Lebensbedrohlich erkrankt" meint hier mutmaßlich : "Körperlich lebensbedrohlich erkrankt", das ist das schlecht formulierte an diesem Bericht, das wäre das Gute in der Sache. "Gesundheit für alle" ist DNA der SPD, weswegen ich mich den Genesungswünschen anschließe.

  • Matthias Miersch hat eher nur einen Makel: wie viele andere begabte Spitzengenossen kommt er auch noch aus Niedersachsen.



    Doch der Name dürfte ja aus dem Sächsischen o.ä. stammen, das sollte ausreichen.



    Auf dem Posten muss man reden, konzipieren, zusammenhalten können und auch die arg Konservativen und Lauen einbinden. Ich bin neugierig.

  • Ich vermisse ihn nicht, aber ich kann nachvollziehen, dass er da auf eine Ebene gerutscht ist, die vielleicht nicht seiner Persönlichkeit entsprochen hat. Wer diese politische Ebene macht, der muss dieser Ebene alles unterordnen, wirklich alles, sonst geht es nicht und hier ging es dann ja auch nicht.



    Dazu kommt dann die kalte Dusche, die bei der SPD beim Übergang von Jusos zur SPD vorgeschrieben ist. Nicht jedem wird danach wieder warm.



    Und die SPD schwächelt gerade, er wäre eine der Führungspersönlichkeiten gewesen, die jetzt mit guten Ideen und Antworten hätte aufwarten müssen. Ich kann mir aber leider nicht vorstellen, dass er das hinbekommen hätte. Außerdem war er natürlich eine schlaue Besetzung, der Posten hat ihn an die Kette gelegt, eigentlich genau an den Punkt, wor er folgen musste, seine Rolle als konstruktiver, junger Rebell ging damit nicht. Jetzt ist er Politrentner und hat ne Chance seinem Leben eine neue Perspektive zu geben.

    Ich hoffe, er findet eine sinnvolle Tätigkeit, die gut zu ihm passt.

  • Beste Genesung und alles gute.



    Gesundheit geht vor.

  • Gute Besserung und ein baldiges Comeback.

  • Von allen Seiten, Parteien aus dem Bundestag kamen Genesungswünsche, fast alle mit einer persönlichen, angefaßten, emotionalen Sprache - kein Schwampf, keine Phrasen. CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke. Ich habe nichts gelesen, was distanziert, kühl, gezwungen oder wie eine Pressemitteilung klang.



    Nur von einem Verein im Bundestag habe ich nichts gefunden. Jeder kann jetzt raten, welcher.



    Aber auch das ist irgendwie unfreiwillig ehrlich....

  • Alles Gute für Kevin Kühnert. Phrasen wie „nicht lebensbedrohlich erkrankt, sondern vor allem psychisch angeschlagen“ sollte es heute nicht mehr geben. Psychische Erkrankungen sind oft lebensbedrohend und für mich klingt das verharmlosend. Es ist gut, dass er sich jetzt auf seine Genesung konzentrieren kann.

    • @Core Persephone:

      Das war auch mein erster Gedanke.

  • Ein Ausnahmetalent verlässt die Bühne.



    Ich hoffe, er kehrt gesund zurück.



    Doch wie Lars Klingbeil passend sagt:" Politik ist nicht Alles"!



    Danke für den Einsatz in den vielen Krisen, die uns begleiten!

  • ein einigermaßen respektvoller artikel. nach dem fiasko mit kevin schmeißt hin oder so - ist die taz wohl zur besinnung gekommen.



    danke für die einigermaßen sachlichen infos im o.a. artikel.



    die krise der spd ist mitnichten die krise von KK.



    oder von OS.



    die zunahme des rechts"populismus" - nicht nur in der BRD - ist zum gruseln - und ebenso, daß die spd, aber auch die grünen- davor eingeknickt sind, was ihnen beiden nix, aber auch gar nix nützt.



    der spagat von KK in der führungsrolle als generalsekretär hat ihm evtl.selbst geschadet.



    es ist sicherlich schmerzlich gewesen, eine spd zu verteidigen, die in der regierung so ein schlechtes bild abgibt. was natürlich auch den bürgerlichen medien geschuldet ist - aber auch eigenem versagen. der rechtsruck zahlte sich wohl nicht aus.



    zurückweichen vor den faschos - bringts nicht.



    das irgendwie zu müssen -geht eigentlich nicht. sowas kann einen zerreißen.

    • @Brot&Rosen:

      das sehe ich genauso!

  • Wenn Frau Esken ihren Parteiposten



    Kühnerts Fürsprache verdankt, dann



    spricht das gegen sein politisches



    Talent. Im übrigen wird politisches Talent oft mit Opportunismus verwechselt.

  • Der klügste Kopf der SPD nimmt seinen Hut.

    Zurück bleibt eine weitgehend verschnarchte, abgehobene Truppe, bei der man selten den Eindruck hat, dass sie auf dem Boden der Tatsachen steht oder gar bereit ist, ernsthaft für ur-sozialdemokratische Werte zu kämpfen. Dann noch das Festhalten an Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten.



    Der Nachwuchs (Türmer) lässt auch nichts Gutes erahnen.

    Die Talfahrt kann also weitergehen?

  • Nicht zu ersetzen. Von den sehr Wenigen, die gefragt wären und denen es auch nur im Ansatz zuzutrauen wäre, teilweise auch entspr. Wiedererkennungseffekt schon hatten (nat. nicht seinen), scheinbar so ziemlich alle noch vor ihm aus dem Rampenlicht. Namen müssen nicht sein, aber es ist nicht nur eine Dame aus Bonn. Als Generalsekretär konnte er nun keine andere Rolle spielen, das muss und wird ihm klar gewesen sein, ist reflektiert wie kaum ein anderer in der deutschen Spitzenpolitik, und welche Politik mit Scholz (nicht) machbar sein würde, das nun sowieso. Wie er persönlich für die Europawahl verantwortlich sein soll, hab ich nicht ganz verstanden, ist mir in dem Kontext kaum aufgefallen. Die Spitzenkandidatin allerdings auch nicht, von daher. War's wohl nicht so wichtig. Ich wüsste an Kühnerts Stelle auch nicht, was für Wähler man überhaupt ansprechen wollte, wenn dann schon Parteichef (und Freund..) Klingbeil reingrätscht, der auch "mal" Zwangsarbeit für Asylbewerber gefordert hat: bitte, googelt es, falls schon verdrängt. Kühnert alles Gute, vielleicht wird er es doch nicht lassen können, die Tür bei Volt steht garantiert offen. Das würde mich freuen.

  • Alles Gute, Genosse Kevin.

    • @Jim Hawkins:

      Genosse bin ich nicht, aber alles Gute wünsche ich ihm auch.