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Kritik in der Ampel an SicherheitspaketMit Sicherheit gibt’s Ärger

Die Regierung wollte schnell sein. Daraus wird jedoch nichts. Denn es hagelt Kritik – von Fachleuten und aus den Fraktionen.

Es gibt noch SPD-Politiker, die das Recht auf Asyl achten: Jan Dieren im Bundestag Foto: Hannes P. Albert/dpa

Berlin taz | Eigentlich sollte es ganz schnell gehen. Bestenfalls schon diesen Donnerstag wollte die SPD-Fraktion das nach dem Solingen-Attentat fix geschnürte Sicherheitspaket im Bundestag final verabschieden. Dazu wird es nun nicht kommen, das Vorhaben ist bis mindestens Oktober aufgeschoben. Denn es hagelte am Montag bei einer Ex­per­t*in­nen­an­hö­rung im Parlament Kritik an den Maßnahmen. Und auch in den Ampelfraktionen wird diese immer lauter – auch in der SPD.

„So wie das sogenannte Sicherheitspaket jetzt ist, darf es nicht bleiben“, sagte der SPD-Abgeordnete Jan Dieren der taz. „Viele der diskutierten Maßnahmen sind nicht nur überzogen, sie schaffen auch einen Zusammenhang, wo keiner ist. Statt über islamistischen Terror zu reden, verschärfen wir jetzt irrational die Migrationspolitik“, so Dieren, der auch Vorsitzender der linken SPD-Gruppe DL21 ist. „Das ist fatal für die gesellschaftliche Debatte und es spielt nur einen in die Hände: den ganz Rechten. Wir geraten da in eine sehr gefährliche Spirale.“

Mit dem Sicherheitspaket will die Ampel nach Solingen Härte zeigen, vor allem Kanzler Olaf Scholz macht Druck. Dieren hält einige Punkte, wie die Stärkung der Islamismusprävention oder einzelne Verschärfungen des Waffenrechts, für sinnvoll. An anderen übt er scharfe Kritik: Leistungskürzungen für Dublin-Geflüchtete, grenznahe Inhaftierungen, Ausweisungen nach Syrien oder Afghanistan, anlasslose Kontrollmöglichkeiten für die Polizei oder einen biometrischen Abgleich von Internetdaten, um Geflüchtete zu identifizieren. „Jeder dieser Punkte ist falsch und maßlos“, so Dieren. „Für die Tat eines Einzelnen werden die Rechte einer ganzen Gruppe, der Geflüchteten, pauschal beschnitten. Wenn wir uns darauf einmal einlassen, dann wird bei zukünftigen Taten die Schraube immer weiter gedreht. Dem müssen wir Einhalt gebieten.“

„Enorme Belastung für Kommunen“

Und Dieren ist nicht allein. Auch seine SPD-Mitabgeordnete Annika Klose teilt die Kritik. „Statt nach Solingen die Islamismusprävention beherzt anzugehen, mit einem Demokratiefördergesetz oder Investitionen in Jugendarbeit, setzt das Sicherheitspaket auf das Thema Migration. Noch dazu mit unausgegorenen Maßnahmen, die auch rechtlich fraglich sind“, so Klose zur taz. So könnten die Leistungskürzungen für Dublin-Geflüchtete dazu führen, dass diese nach kurzer Zeit auf der Straße landen, sich in Notunterkünften und Tafeln wiederfinden. „Das kann niemand wollen und das wäre auch eine enorme Belastung der Kommunen. Dieser Punkt darf so nicht kommen.“

Auch die AG Migration in der SPD geht auf die Barrikaden, nennt das Sicherheitspaket in einem aktuellen Papier „rechtlich fragwürdig“. Es stehe „auch im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde“. „Die Maßnahmen haben mit Solingen kaum noch etwas zu tun, stellen aber eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht und dürften einiges Chaos in den Behörden verursachen“, kritisiert der Vorsitzende Aziz Bozkurt, der Staatssekretär in der Berliner Landesregierung ist.

Bereits am Dienstag hatten So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen um Gesine Schwan einen offenen Brief ­veröffentlicht, in dem sie kritisierten, dass sich ihre Partei an einem „Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung“ beteilige. Die SPD müsse vielmehr wieder für eine „humane Asylpolitik“ eintreten. Auch neun Bundestagsabgeordnete unterzeichneten.

Klar ist aber auch: Die Mehrheit der SPD-Fraktion will das Paket weiter beschließen, nun im Oktober. Fraktionsvize Dirk Wiese will dies „so schnell wie möglich“ tun. Er spricht von „wichtigen Maßnahmen“, die aber rechtssicher sein müssten. „Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, so Wiese, der einräumt, dass es sich um „eingriffsintensive Regelungen“ handelt.

Harsche Kritik von Ex­per­t*in­nen

Zuvor hatten am Montag Ex­per­t*in­nen in einer Bundestagsanhörung die Maßnahmen teils harsch kritisiert. Es sei fraglich, ob damit die Sicherheit tatsächlich erhöht werde und wie etwa die Waffenverbote kontrolliert werden sollten, hieß es dort. Es brauche eher mehr Personal für Polizei und Ausländerbehörden. Auch bedeute die biometrische Datenerfassung eine massive digitale Überwachung. BKA-Vizepräsidentin Martina Link betonte dagegen, dass dies nötig sei, um Attentäter oder Gefährder zu identifizieren. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Lou­isa Specht-Riemenschneider warnte, grundrechtsintensive Maßnahmen übereilt zu beschließen.

Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht „zahlreiche, durchaus tiefgehende europa- und verfassungsrechtliche Fragen“. Es brauche nun die notwendige Zeit, um diese sorgfältig zu klären. Die Kritik der Sachverständigen sei „extrem deutlich“ gewesen, das nehme man ernst. „Das Bundesinnenministerium ist in der Pflicht, die Vorlage an zahlreichen Stellen nachzubessern“, so von Notz zur taz. Auch müsse das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum reformierten BKA-Gesetz abgewartet werden, das am 1. Oktober fallen soll – weil sich daraus weiterer Handlungsbedarf ergeben könne.

FDP-Innenexperte Manuel Höferlin spricht ebenso von rechtlichen Fragen nach der Anhörung, die noch zu klären seien – etwa beim biometrischem Abgleich und Fragen der informationellen Selbstbestimmung. Aber auch er macht Druck: „Es ist wichtig, dass das Sicherheitspaket so schnell wie möglich umgesetzt wird, damit die dringend notwendigen Maßnahmen schnellstmöglich genutzt werden können.“

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10 Kommentare

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  • Hypothetischer und eher harmloser Fall (nach angestrebter Gesetzeslage): Otto Normalverbraucher steht auf dem Weg zur Arbeit an einer sehr belebten Bushaltestelle. Dieser fällt der Polizeistreife in irgendeiner Weise auf (schiefe Nase, weiße Tennissocken in Sandalen, krumme Vorderbeine etc.). Daraufhin macht die Polizei von ihrem Recht auf eine anlasslose Durchsuchung Gebrauch. Otto hat also vor versammelter Mannschaft seine sämtlichen Taschen, Rucksäcke usw. auszuleeren. Zu dieser erniedrigenden Situation kommt vielleicht noch dazu, daß sich in seinem Frühstückspaket z. B. ein Opinel Picknick (Taschenmesser mit Löffel und Gabelaufsatz) befindet, um vielleicht einen Apfel zu schälen oder eine Büchse Fisch auszulöffeln. Damit verstößt Otto gegen das Waffengesetz, weil Bushaltestellen und Busse Waffenverbotszonen sind, es droht eine Geldstrafe zwischen 500 und 10000 Euro.



    Nun frage ich mich, was ich von Politikern halten soll, die eine derartige Gesetzeslage schaffen wollen. Und die weitere Frage ist, ob man sich in diesen Kreisen bewußt ist, daß auch die AfD an ihrer Stelle sitzen könnte mit all diesen wunderbaren Werkzeugen in der Hand.

  • Bei dem Thema Sicherheit geht es um das 'Sicherheitsgefühl'. Dieses Gefühl ist einer Mediengesellschaft permanent gefährdet, weil Sex und Crime mehr Aufmerksam erregen lässt, als die banale Tristesse des alltäglichen Lebens. Neben True Crime und Klankriminalität rücken gewaltbereite MigrantInnen und Jugendliche in den Fokus, die mit mit drastischen Maßnahmen bekämpft werden zu müssen. Dass das Thema als Wahlkampfthema ausgeschlachtet wird und PolitikerInnen sich gegenseitig als härteste Hardliner überbieten wollen, gehört zu den Fehlentwicklungen einer Wahlrepublik.

    Nichts gegen korrekte und gezielte Polizeiarbeit, wer aber mit Schrotgewehren auf Spatzen schießt, trifft mehr Unschuldige als TäterInnen und versäumt auf die Herausforderungen von Jugendlichen und MigrantInnen einzugehen. Was helfen könnte, wären mehr und bessere konkrete Angebote für Jugend- und Migrationsarbeit. Dringend notwendig scheint mir auch allgemeine Arbeit an der sog. Leitkultur, weg von dem Mantra individueller Selbstverwirklichung hin zu gemeinsamer Verantwortung. Zeit, dass endlich mehr über die 'Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten' gesprochen wird.

    • @Stoersender:

      "Bei dem Thema Sicherheit geht es um das 'Sicherheitsgefühl'. Dieses Gefühl ist einer Mediengesellschaft permanent gefährdet, weil Sex und Crime mehr Aufmerksam erregen lässt, ..."

      Ihr Argument finde ich sehr gut und richtig. Dennoch möchte ich ergänzen, dass es vielleicht nicht ausschließlich um Gefühle, sondern auch oft um Erfahrungen geht, die die Bürger:innen entweder selbst oder jemand in ihrem nahen Umfeld macht und dies dann durch Erzählung vervielfacht.

  • Ich nehme an, den meisten Bürger:innen war klar, dass erst nach den Wahlen das Gerangel um die Maßnahmen beginnen würde und auch die ersten Gerichtsurteile abgewartet werden müssen, um zu sehen, ob Änderungen bei unserer Zuwanderungspolitik möglich sind.

    Auf mich wirkt es so, als wären keine Änderungen möglich, so dass ich denke, wir müssen uns irgendwie mit dem Zuzug und den Menschen, die in Deutschland leben möchten, arrangieren.

    Ebenso bin ich der Ansicht, dass unsere Ressourcen für eine Integration auf so hohem Niveau, wie sie meiner Meinung nach notwendig wäre, nicht ausreichen und bald in noch geringerem Maße verfügbar sein werden.

    Ich gehe davon aus, dass wir zukünftig eher ein Staat wie die USA sein werden. Weniger soziale Absicherung und mehr Internationalität.



    Ich hoffe der Wandel gelingt, ohne dass noch mehr Menschen mit und ohne Migrationshintergrund verelenden.

    Hinsichtlich der Reformen in Bezug auf GEAS bin ich noch skeptisch, ob das alles bereits rechtssicher ausgehandelt ist.

  • Vergleiche das mal mit Marathon:

    Da ist "schnell sein" nicht das erste Ziel sondern die Kräfte optimal einzuteilen und laaannnge durchzuhalten.

    Aber wenn die Entscheider nicht auf eigene Kenntnisse und Fähigkeiten zurückgreifen können müssen sie auf den Floh im Ohr hören der offenbar ständig Mist erzählt.

    • @Bolzkopf:

      "Aber wenn die Entscheider nicht auf eigene Kenntnisse und Fähigkeiten zurückgreifen können müssen sie auf den Floh im Ohr hören der offenbar ständig Mist erzählt."

      Das ist doch nichts neues. Nur wird es dieses mal von einer Seite bedauert, die bei anderen Gelegenheiten klatscht.

      Schauen wir etwas zurück - Lieferkettengesetz: Auf den Mittelständler mit 17 Mitarbeitern mit voller Härte draufhauen, Amazon drückt alles an die Verkäufer ab, Ikea drückt alles an die Auftragsfertiger ab und ein Industriekonzern bereitet eine Einkaufs-GmbH mit 11 Mitarbeitern vor, um mit diesem Kleinbetrieb möglichst die Berichtspflicht zu sparen.

      Schauen wir ein wenig zur Seite - Tariftreuegesetz: deutsche "Vorzeigebetriebe" wie VW oder der "Made-in Germany-(trotzdem nicht tarifgebunden)-Trikotagen Gebrüder Mayer" dürfen ihre Lieferanten mit Verweis auf asiatische Preise weiter drücken bis es quietscht und beim Staat darf bei deutschen 18,50€ (statt 19€ nach Tarif) je Stunde nicht mehr beauftragt werden, aber dafür bei rumänischen 8,60€ je Stunde - und das soll dann "hiesige fair handelnde Unternehmen vor Dumpingkonkurrenz schützen".

      Andere Flöhe im Ohr, aber unterm Strich ähnliche Symbolpolitik.

  • Denen in der SPD, die sich dagegen stemmen: DANKE!

    Die Massnahmen sind so nicht nur falsch und (von mir aus) rechtlich bedenklich. Sie untermauern das (falsche) Narrativ, "Migration" sei "die Mutter aller Probleme" -- das seit je her die AfD stärkt.

    Das wollen wir nicht.

  • "Harsche Kritik von Ex­per­t*in­nen



    Zuvor hatten am Montag Ex­per­t*in­nen in einer Bundestagsanhörung die Maßnahmen teils harsch kritisiert."

    Selbsternannte sogenannte und überparteilich anerkannte Expert:innen, die Kongruenz ist nicht groß.

    Ein allgemein anerkannter und geschätzter ❗Wirtschaftsexperte schrieb bei zeit.de:



    /



    www.zeit.de/wirtsc...olitik-zuwanderung

  • Gerade mit Blick auf die geplanten anlasslosen Kontrollen, die faktisch die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen ( noch deutlicher als im Artikel hier herausgestellt: netzpolitik.org/20...ngen-fast-ueberall ), hätte die FDP hier eine großartige Gelegenheit, ihr liberales Profil zu schärfen, als Korrektiv zu wirken, und den Unsinn nicht mitzutragen. Aber stattdessen machen die "Liberalen" auch noch Druck. Und dann wundert sich diese Partei, daß sie nicht gewählt wird.

  • Schreiender Aktionismus folgt auf die Angst die letzten Wähler zu verlieren. Ich würde das nicht tun. Populismus können die Extremen besser. Sie sind lauter und müssen nichts beweisen.



    Vernünftiger wäre es auf die Experten zu hören.