Migrationspolitik der SPD: Der Abschiebekanzler
Verschärfen, kürzen, abschieben: Olaf Scholz macht Migration zur Chefsache. In seiner Partei bleibt die Kritik an seiner harten Gangart leise.
Es ist derselbe Olaf Scholz, der knapp einen Monat später im Bundestag aufzählt, was er und seine Regierung alles getan haben, um Asylbewerbern das Leben hier so schwer wie möglich zu machen: Abschiebegewahrsam verlängert, Durchsuchungen in Flüchtlingseinrichtungen ermöglicht, die Zahl sicherer Herkunftsländer ausgeweitet, Leistungen gekürzt. „Das haben wir getan.“ Scholz sieht richtig stolz aus, als er gegen die „Sprücheklopfer“ von der Union austeilt.
Wer hat hier den härtesten Ton drauf, na? Zwischen den beiden Reden liegen vier Wochen, zwei Landtagswahlen und mehrere Messerattentate.
Migration ist seither Thema Nummer eins, die Debatte dreht sich immer schneller und mit zunehmendem Rechtsdrall. Schon nächste Woche könnte der Bundestag das sogenannte Sicherheitspaket beschließen, das unter anderem vorsieht, dass Menschen, für deren Asylverfahren eigentlich ein anderes EU-Land zuständig ist, in Deutschland keine Sozialleistungen mehr erhalten. Das Ziel: die sogenannte irreguläre Migration begrenzen, mehr Menschen zur Ausreise bewegen.
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Zuwanderung als Verwaltungsakt
Scholz macht das Thema zur Chefsache. Schon vor zehn Monaten sagte er im Gespräch mit dem Spiegel: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Eigentlich sind für Abschiebungen die Länder zuständig. Nun wird Scholz, der oft als zu zögerlich und moderierend kritisiert wird, zum Abschiebekanzler.
In der Welt von Olaf Scholz ist Zuwanderung etwas, das sich in Verwaltungsakte übersetzen und präzise steuern lässt. Deutschland müsse sich aussuchen, wer kommen dürfe, betont er oft. Denen, die fleißig sind, will er reguläre Zuwanderungswege eröffnen. Wer nicht bleiben darf, soll auch wirklich abgeschoben werden. Subtext: Die sind dann ja auch nicht fleißig. In einer perfekt organisierten Scholz-Welt funktioniert das so: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in Kröpfchen, also raus.
Anfang der Woche reiste Scholz nach Usbekistan. Erstmals seit 22 Jahren kam wieder ein Bundeskanzler auf Staatsbesuch. Die Usbeken zeigten dem Kanzler zunächst das märchenhafte Samarkand, kurz danach unterzeichneten beide Seiten ein Migrationsabkommen. Es folgt dem Muster ähnlicher Vereinbarungen wie etwa mit Kenia und Georgien: Arbeitsvisa gegen die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern. Nun gibt es in Deutschland kaum Usbeken, die ausreisepflichtig sind, gerade mal 200 von 13.700. Das Interesse der Deutschen ist ein anderes, es verbirgt sich hinter Artikel 15 des Abkommens zur „Durchbeförderung“ von Drittstaatsangehörigen.
Gemeint ist die Abschiebung von Menschen nach Afghanistan. Scholz hatte angekündigt, auch wieder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. Ende August startete erstmals nach vier Jahren wieder ein Flugzeug mit 28 afghanischen Straftätern nach Kabul. Organisiert über Katar. Man sei im Gespräch mit strategisch wichtigen Schlüsselstaaten, um weitere Abschiebeflüge zu organisieren, erklärte Scholz’ Regierungssprecher damals. Usbekistan ist einer dieser Schlüsselstaaten, grenzt an Afghanistan und pflegt gute Kontakte zu den Taliban.
Eine überdrehte Debatte?
So offen die Usbeken für deutsche Arbeitsvisa und wirtschaftliche Kontakte sind – zum Reisebüro für deutsche Abschiebeflüge wollen sie eigentlich nicht werden. Nicht nur, dass möglichst kein Wort über die Gespräche nach außen dringen soll. „Hier herrscht die Auffassung, dass Deutschland selbst Gespräche mit den Taliban führen sollte“, berichtet Gulnosa Khusanowa, leitende Redakteurin beim privaten Wirtschaftssender Uzreport.
Das wurde auch auf einem Treffen der fünf zentralasiatischen Staaten deutlich, an dem Scholz zwei Tage später im kasachischen Astana teilnahm. Die Präsidenten Turkmenistans und Tadschikistans lobten die friedliche Entwicklung in Afghanistan und forderten die internationale Gemeinschaft auf, daran mitzuwirken. Offizielle Zusammenarbeit mit den radikalislamischen Taliban, die gerade ein Gesetz erlassen haben, das Frauen in der Öffentlichkeit den Mund verbietet? Scholz blieb auf Nachfrage skeptisch.
Man kann sich fragen, ob hier nicht überhöhte Erwartungen geweckt werden. Oder ob die ganze Debatte über Abschiebungen und Verschärfungen nicht völlig überdreht ist.
Im vergangenen Jahr beantragten 330.000 Menschen Asyl in Deutschland, die meisten aus gutem Grund. Die bereinigte Schutzquote liegt bei 70 Prozent. Von denen, die abgelehnt werden, dürfen viele geduldet bleiben. Die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen beträgt 51.000; weniger als die Hälfte, rund 19.000, sind abgelehnte Asylbewerber, etwa der Mordverdächtige von Solingen. Zudem sinkt gerade die Zahl der Asylanträge. Die Zahl der Abschiebungen steigt, im letzten Jahr waren es über 16.430.
Er will hart bleiben
„Auch wenn der letzte Ausreisepflichtige abgeschoben wurde, ist noch keine Wohnung mehr gebaut, keine zusätzliche Pflegestelle besetzt. Wir sollten vielmehr über die tatsächlichen Probleme in diesem Land sprechen und darüber, wie wir Leute in Arbeit bringen“, findet Rasha Nasr. Sie ist Sprecherin für Migration und Integration der SPD-Fraktion und eine der wenigen, die sich trauen, den Kanzler öffentlich zu kritisieren.
Mit Bauchschmerzen habe sie seine Rede im Bundestag verfolgt: „Ich war erschrocken, mit welchem Enthusiasmus Olaf Scholz die Verschärfungen vorgetragen hat.“ Die geplante Streichung von Leistungen für abgelehnte Asylbewerber findet sie unmenschlich. „Das könnte noch mehr Leute in die Schwarzarbeit treiben oder dazu bewegen, unterzutauchen.“
Die Kritik an Scholz bleibt leise in der SPD. Es gibt einen offenen Brief der Jusos an den Kanzler und die Parteispitze, worin sie sich „erschüttert und entsetzt“ zeigen und Abschiebungen nach Afghanistan, Leistungskürzungen und Grenzkontrollen widersprechen. Unter den rund 120 Namen ist keiner, den man kennt.
Politiker:innen, die sich öffentlich gegen Scholz äußern, haben meist Migrationshintergrund. So wie Nasr oder auch der Bundestagsabgeordnete Hakan Demir, der eine „neue deutsche Härte“ konstatiert, „die die Gesellschaft in ‚wir‘ und ‚die‘ spaltet“. Die Regierung versuche zwar, Fachkräfte und anerkannte Geflüchtete als Teil der Gemeinschaft willkommen zu heißen. „Aber so kommt es in der Gesellschaft nicht an. ‚Die‘, das sind dann etwa der syrische Arzt oder die geflüchteten Jugendlichen, die mich in der Bürgersprechstunde fragen, ob sie noch dazugehören“, so der Abgeordnete aus Berlin-Neukölln.
Sahra Mohamed, stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende, hält es für fahrlässig, „dass die SPD es zulässt, dass reale Ängste in der Gesellschaft nach unten kanalisiert werden und nun Migrant:innen für alle Probleme verantwortlich gemacht werden“. Sie könne sich kaum noch mit ihrer Partei identifizieren und wolle aus dem Juso-Bundesvorstand zurücktreten.
Ob Scholz die Einwände beeindrucken? Kaum. Er will jetzt hart bleiben.
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