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Antisemitismus bei US-Gaza-ProtestenWelt ohne Israel gewünscht

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Auf Palästina-Demos beim demokratischen Parteitag wird ein Ende der US-Unterstützung gefordert. Klarer kann man sich ein wehrloses Israel nicht wünschen.

Demonstrationen vor dem „Democratic National Convention“ in Chicago Foto: Chris Riha/imago

W er die Gaza-Proteste vor dem demokratischen Parteitag in Chicago diese Woche begrüßt oder als „willkommene Konsensstörung“ beschreibt, verharmlost eine antiisraelische Bewegung, die sich seit dem 7. Oktober zunehmend vom demokratischen Diskurs verabschiedet.

Auf den Demos in Chicago zu sehen: Flaggen der Hisbollah, des Irans oder Samidoun – Gruppen und Staaten, die direkt oder indirekt am Terror gegen israelische Zi­vi­lis­t*in­nen beteiligt sind. Am Dienstag verbrannte ein vermummter Demonstrant eine Israel-US-Mischflagge. Auf Transparenten steht neben einer Kalaschnikow „Bring the war home“ oder „Shut down the DNC for Gaza“.

Die Botschaft ist klar: Es geht nicht um Dialog, es geht um eine infantile Intifada-Inszenierung, die ausgerechnet den demokratischen Parteitag zum Desaster machen will – in einem Wahlkampfjahr, das womöglich die Zukunft der US-amerikanischen Demokratie entscheiden wird.

Kann man die Kriegsführung der israelischen Armee kritisieren, etwa dass es zu viele zivile Opfer in Gaza gibt? Man muss es. Aber es ist naiv zu glauben, dass ein Stopp der Waffenlieferungen aus den USA, wie die Demonstrierenden sie fordern, den Krieg in Nahost beenden würde. Israel wird nach wie vor von Iran und seinen Proxys angegriffen. Wenn der jüdische Staat sich nicht mehr wehren kann, dann ist ein zweiter 7. Oktober die Folge.

Die Maximalforderungen der Bewegung zeigen, wohin die Reise geht: in eine Welt, in der Israel nicht mehr existiert. Denn unter diesen ist auch die Einstellung jeglicher Hilfe an Israel – was die Finanzierung des Iron Dome gefährden würde, ein Luftabwehrsystem, das Zi­vi­lis­t*in­nen schützt und die Eskalation des ständig schwelenden Konflikts schon in vielen Fällen verhindert hat.

Wer nun insinuiert, dass Kamala Harris wegen der Israel-Solidarität ihrer Partei lediglich das geringere Übel gegen Donald Trump darstelle und das nicht ausreiche, verkennt, was im November auf dem Spiel steht: die Abschaffung der Demokratie. Und was durch einen Harris-Sieg gewonnen wäre: die erste Frau und die erste schwarze Frau im Weißen Haus.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei. Der britische Journalist schreibt über Medien und Gesellschaft, Neonazis und Nahost, Antisemitismus und Rassismus. Er ist Herausgeber des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen", 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.
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12 Kommentare

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  • Die Ironie ist, dass man wenig Fantasie braucht, um sich vorzustellen, was Donald Trump mit aufmuckenden Arabern machen würde. Seine Lösung für Gaza ist thermobarische Munition.

  • Ich frage mich immer, wie schnell solche Proteste wieviel kleiner werden würden, wenn man den Protestierenden mal aufzeigen würde, welche realen Folgen für den Einzelnen drohen, wenn sich die USA von Israel distanzieren. Es fällt mir wirklich schwer zu glauben, dass viele meinen, die USA würden Israel aus der Güte Ihres Herzens und nicht aus wirtschaftlichen Interessen unterstützen. Entsprechend zu glauben, es würde sich etwas ändern, wenn speziell die USA die Waffenlieferungen einstellen, kommt mir merkwürdig vor. Im Gegenteil, in der aktuellen Lage haben die USA überhaupt noch die Option auf eine Waffenruhe zu drängen, weil sie am längeren Hebel sitzen. Mit einem anderen Alliierten würde sich Bibi eventuell nicht in Zurückhaltung üben und den ganzen Gazastreifen einfach platt machen, oder es zumindest versuchen.

  • Es ist nicht die Kriegsführung der israelischen Armee, sondern die der israelischen Regierung. Die Generale der Armee würden gerne anders handeln, wenn sie dürften. Und es geht nicht um die Abschaffung des israelischen Staates, sondern genau wie im Wahlkampf der USA auch um den Erhalt der Demokratie und der Menschenrechte. Oder glaubt der Autor noch, dass diese extrem rechte israelische Regierung die Menschenrechte auch für Palästinenser schützt? Sie tut es genauso wenig, wie es eine rechte Trump Regierung tun würde, bekäme sie das Mandat für eine Regierungsbildung. (In den USA muss man noch nicht einmal die Mehrheit der Wähler hinter sich haben, um eine Regierung bilden zu können. Siehe letzte Wahl von Trump!)

  • "Aber es ist naiv zu glauben, dass ein Stopp der Waffenlieferungen aus den USA, wie die Demonstrierenden sie fordern, den Krieg in Nahost beenden würde."



    Biden hat sich mit seiner unentschlossenen Haltung gegenüber Neranjahu in der Tat mitschuldig gemacht an dessen Kriegsverbrechen mit Zehntausenden von zivilen Opfern. Von daher sind die Demos zum Dem. Parteitag als moralischer Weckruf zu begrüßen. Der Krieg in Nahost wird durch die völlig unverhältnismässige Kriegsführung Israels befeuert, siehe die Verlautbarungen von Hutis, Hisbollah und Iran. Ein Stopp der Lieferungen von Offensiwaffen der USA und der BRD wäre ein klares Signal an Israel, sich an das Völkerrecht halten zu müssen. Davon wäre der Irondome, als reiner Verteidigungsschutz, natürlich ausgenommen. Von einer Vernichtung Israels kann daher überhaupt nicht die Rede sein.

  • Danke für diese Richtigstellung. Angefügt sei, dass es nicht nur den Demonstranten in den USA oft um die Vernichtung Israels geht, den gleichen widerlichen Hass, die gleichen antisemitischen Parolen können müssen wir auch fast täglich auf unseren deutschen Straßen beobachte; sowohl von Palästinensern und Palästinensisch- und Arabischstämmigen als auch von verwirrten, sich selbst dabei noch als links und progressiv begreifenden Blinden, die noch die letzte Greueltat als Freiheitskampf bezeichnen und die widerlichste Hetze als Meinungsfreiheit verharmlosen.

  • Vielen Dank für diesen Artikel!



    Ich teile die vorgebrachten Ansichten und bin auch froh, dass diese ablehnende Haltung den Protesten gegenüber in der kommune



    zum Artikel " willkommene Konsensstörung"



    auch von der Mehrheit der tazleserInnen zum Ausdruck kam.



    Harris hat in Ihrer Chicagoer Rede Ihren Willen zum Frieden in Nahost sehr deutlich gemacht und der US Regierung ist wohl alles Andere als "Untätigkeit" in der



    Vermittlung vorzuwerfen.

  • Diese Protest sind nach Inhalt und Form abstoßend, aber in der Möglichkeit ihrer Durchführung in der Demokratie selbstverständlich.



    Die USA verfolgen in ihrer Außenpolitik langfristige Ziele, sind ihren Werten verpflichtet und fühlen sich darin auch allen anderen Staatsformen, in welchem autoritären Gewand auch immer, überlegen.



    Manche scheinen zu vergessen, dass Biden ein Demokrat ist und Harris seine Vize. Man kann also davon ausgehen, dass es außenpolitisch keine 180-Grad-Wende geben wird (vielleicht eine 360-Grad-Wende im Sinne Frau Baerbocks).



    Die USA werden Israel auch ab dem kommenden Jahr (unter welchem Präsident auch immer) vorbehaltlos ("eisern") unterstützen. Und das ist auch gut so.



    Der Iron Dome wird stehen.

  • Es gibt ein Drittes: universalistisch Menschen- und Völkerrechte von Hamas wie Netanyahu einfordern.

    Das Handeln eines Staats wie Netanyahus Israel gerade dermaßen deutlich auch noch zu unterstützen, ist dagegen wohl ein sehr falsches Zeichen, universal betrachtet. Und so wird es auch in fast allen Staaten wahrgenommen.

  • Mit der fort währenden Unterstützung Israels verpufft aber jegliche Kritik. Der israelischen Regierung (und nicht nur der jetzigen) ist Kritik ziemlich egal solange es weiter Unterstützung gibt.

    Also was schlägt der Autor vor soll getan werden, dass Israel endlich mal eigene Fehler und Unrecht eingesteht und das ändert - ganz besonders im Hinblick auf die Besatzung im WJL und deren widerwärtigen Auswüchsen (Siedlergewalt, Untätigkeit des Militärs bei Siedlergewalt, Verwaltungshaft etc.. )?

    Was der jetzige Weg (Unterstützung und immer wieder mal Kritik) bringt, sieht man ja. Nämlich nichts, außer dass die rechtswidrige israelische Expansion immer weitergeht.

    Vielleicht sollten da mal härtere Bandagen aufgefahren werden.



    Und hilflos wird Israel mit Sicherheit nicht sein. Für ein Land mit dieser Größe und Einwohnerzahl gibt es ganz schön viel Rüstungsindustrie.

  • Iranischer Flaggen haben auf fortschrittlichen Demos genau so wenig zu suchen wie russische, ukrainische, israelische oder deutsche Flaggen.

    Man muss sich schon entscheiden, ob man für Nationalismus eintritt oder für gleiche Menschenrechte für Alle.

    Ein Staat, ganz egal welcher, ist niemals Selbstzweck, sondern für das Wohlergehen der Menschen nicht nur im eigenen Land verantwortlich. Wenn ein Staat, egal welcher, sich nur um die "eigene" Bevölkerung kümmert (nach dem Motto "America First" oder "Deutschland zuerst") dann ist das ein Zurück in der Geschichte Richtung 19. Jahrhundert und Anfang 20. Jahrhundert. Militarismus, Aufrüstung und Krieg wurde damals von den stärkeren und aggressiveren Mächten immer als Verteidigung des Guten gegen das Böse geframed, was auch an religiösen Fanatismus erinnert, wie er nicht nur im Iran existiert, sondern untergründig auch nach wie vor in christlichen Staaten.

    Welches Konzept haben denn die US-Demokraten, um Frieden und Wohlstand in aller Welt voran zu bringen im Unterschied zu Trump & co? Ich denke, das sind Fragen, die sich die starke linke Antikriegs- und Menschenrechtsbewegung nicht nur in den USA berechtigter Weise stellt.

  • Das schlimme an dieser Bewegung ist zum einen, dass sie stumpfsinnig antisemitisch und antiwestlich ist, dass sie islamistischen Terror als *Widerstand" feiert, die Ziele ihrer Idole auf eine Art und Weise ignoriert, die wehtut und dass sie bei diesem ganzen Treiben absolut blind dafür ist, was droht.

    In den USA die Machtübernahme durch Trump und bei uns durch die AfD.

    Das Erwachen wird heftig sein. Vernagelt wie sie sind, merken sie das womöglich gar nicht und rufen in der neuen, schlimmeren Realität einfach weiter ihre furchtbaren Parolen.

    • @Jim Hawkins:

      Nachher war es dann wieder keiner.