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Versammlungsfreiheit wird eingeschränktFatale Polizeistaatsräson

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Repressionen gegen Klima- und Pro-Palästina-Proteste bedrohen die Versammlungsfreiheit in Europa. Das ist auch ein Einfallstor für die AfD.

Hauptantwort des Staates auf den Unmut mit seiner Nahost-Politik: Die Polizei, hier nach der Auflösung des Palästina-Kongresses Foto: Fabian Sommer/dpa

F reiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden – das hat Rosa Luxemburg einmal gesagt, es ist wohl ihr berühmtestes Zitat. Wer die Andersdenkenden jeweils sind, das unterscheidet sich je nach Epoche und von Land zu Land. Aber grundsätzlich gilt: der Umgang mit Menschen, die eine andere Meinung vertreten als die Regierung oder die Mehrheit in ihrem Land, zeigt, wie es um die Freiheit dort insgesamt steht. Das gilt um so mehr, wenn diese Menschen ohnehin schon diskriminierten Minderheiten angehören.

Diese Freiheit ist in Europa bedroht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat untersucht, wie in 21 europäischen Ländern mit dem Recht auf friedlichen Protest umgegangen wird. Ihr Fazit: die Versammlungsfreiheit wird immer stärker eingeschränkt, abweichende Meinungen werden immer häufiger durch Verbote und Gewalt, Überwachung oder Einschüchterung unterdrückt.

In Polen und der Türkei richtet sich das gegen die LGBTQ-Community, die sich in den vergangenen Jahren vermehrten Schikanen ausgesetzt sah. In anderen Ländern trifft das auch Klimaaktivist:innen, die zuweilen in die Nähe von Terroristen gerückt und kriminalisiert werden. Europaweit waren davon aber vor allem pro-palästinensische Proteste betroffen. Die Maßnahmen der Behörden gegen sie seien oft unverhältnismäßig und führten dazu, rassistische Vorurteile zu bestärken, so die Menschenrechtsorganisation.

Der Amnesty-Bericht untersucht Fälle bis Ende 2023 – also überwiegend noch vor dem Angriff der Hamas und dem Beginn des aktuellen Gaza-Kriegs am 7. Oktober. Schon davor waren, etwa in Berlin in den Jahren 2022 und 2023, Kundgebungen am palästinensischen Nakba-Gedenktag am 15. Mai vorab verboten worden. Seither hat sich die Lage deutlich verschärft: Europaweit wurden Proteste gegen den Krieg in Gaza teilweise komplett verboten oder eingeschränkt, bestimmte Parolen und Symbole verboten und in Deutschland die vermeintliche „Staatsräson“ durch die Polizei mit Gewalt durchgesetzt.

„Fortschrittskoalition“ greift zu Repression

Die Repression erreichte in diesem Jahr einen Höhepunkt. Zum „Palästina-Kongress“ mit weniger als 250 Teil­neh­me­r:in­nen in Berlin wurden 2.500 Polizeibeamte abkommandiert, prominente Teilnehmer per Verbot an der Einreise gehindert und der Kongress nach nur zwei Stunden beendet. Dass deutsche Gerichte solche präventiven Einreiseverbote oder das pauschale Verbot bestimmter Parolen inzwischen für rechtswidrig erklärt haben, scheint Politiker hierzulande nicht zu beirren. Sie setzen sich darüber hinweg. Mehrere Pro-Palästina-Camps an Hochschulen wurden seitdem mit Gewalt aufgelöst, die Teilnehmer mit fragwürdigen Strafanzeigen überzogen. Das hat einen „Chilling Effect“, es schreckt andere von Protesten ab.

Nach der Räumung eines Pro-Palästina-Camps an der Freien Universität in Berlin im Mai 2024 verteidigten über 1.000 Lehrende in einem offenen Brief das Recht auf friedlichen Protest an ihren Hochschulen. Dass sie dafür von der Bildungsministerin diffamiert wurden und in ihrem Ministerium geprüft werden sollte, ob man den Unterzeichnern Fördermittel entziehen könnte, passt in das autoritäre Bild. Dass die Bundesregierung beschlossen hat, Ausländer künftig schon für ein „Like“ in den Sozialen Medien ausweisen zu können, macht es nicht besser.

Dass ausgerechnet eine Ampel-Regierung, die mal als liberale „Fortschrittskoalition“ angetreten ist, so stark auf Repression setzt, ist fatal. Die ersten Versammlungsverbote in Berlin wurden sogar unter einem rot-rot-grünen Senat verfügt. Der Union geht das alles noch nicht weit genug. Und sollte die AfD jemals an die Macht kommen, muss sie sich nur noch ins gemachte Nest setzen. Sie muss nur neue Gesinnungsstraftatbestände schaffen, um ihre Gegner zu verfolgen – zum Beispiel „Deutschenfeindlichkeit“. Die Methoden sind bereits alle da – und bereits erprobt.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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18 Kommentare

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  • Libuda , Moderator

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  • "Repressionen gegen Klima- und Pro-Palästina-Proteste bedrohen die Versammlungsfreiheit in Europa."

    Nur Repressionen gegen Klima-Proteste. Pro-Palästina-Proteste sind erlaubt. Nur gibt es die kaum. Was es gibt, sind Anti-Israel-Proteste mit terrorverherrlichenden und antisemtischen Begleiterscheinungen.

  • Es werden nicht pro Palästina Demos verboten, sondern antisemitische. Wenn das zum Teil dasselbe ist, ist nicht die Polizei Schuld.

  • So lang die Palästinenserfans es Unterlassen der Hamas, Entführung, Vergewaltigung und Mord anzulasten, darf doch solche Demo eingeschränkt werden.

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    Hier werden Zusammenhänge konstruiert. Und nein, selbst als linker (in jeder Hinsicht) „Andersdenkender“ empfinde ich Deutschland nicht als vergleichbar mit Polen unter der PIS-Regierung oder Erdogans Türkei.

  • Na ja, also bei diesen berühmt-berüchtigten sog. "Nakba-Gedenktagen" kam es insbesondere in Berlin zu jeder Menge antisemitischen Vorfällen, terrorverherrlichenden Parolen sowie körperlichen Übergriffen. Rufe wie „Bombardiert Tel Aviv“ oder "Israel Kindermörder" sollten eigentlich zu einem sofortigen Abbruch führen.

    Klar, dass das endlich verboten werden musste. Hat ja lange genug gedauert.

    Und wenn hierzulande an Unis jüdische Studenten geschlagen und bedroht werden von Leuten, von denen Zweidrittel nicht mal zur Uni gehören, und jüdische Studenten sich nicht mal mehr in die Uni trauen, klar muss das abgestellt werden.

    Ebenso wie massive Sachbeschädigung in Unis, verschmierte Wände, Symbole der verbotenen Terrororganisation Hamas, umgekehrte rote Dreiecke, mit der künftige Opfer oder Attentate markiert werden, klar muss das gestoppt werden. Hat auch viel zu lange gedauert.

    Zurück zur Nakba. Nakba II. Die Nakba, in der die Araber ihre Länder "judenfrei" gemacht und über 900.000 Juden vertrieben haben.

    Kein Jude würde sich hier trauen dagegen zu protestieren. Lebensgefährlich.

    Ein hervorragender taz-Artikel dazu:

    taz.de/Arabische-Juden/!5894964/

  • Leider haben Sie in Ihrem Artikel die Randale und Verwüstungen der sogenannten, friedlichen Protest-Camps nicht erwähnt. Schade.

  • Wir biegen die Wahrheit so lange, bis es passt.

    Und schon sind Verfolgung von LGBTQ-Peoples genau dasselbe wie ein Einreiseverbot für jemanden, der wäre er jünger und würde im "Konzentrationslager Gaza" gelebt haben, sich an den Massakern würde beteiligt haben.

    Und dasselbe wie das Verbot von Symbolen und Parolen islamistischer Terrorgruppen.

    • @Jim Hawkins:

      Sag mal so - in der Bullerei & der übrigen Exekutive too - unbekannt! But



      Der Rahmen ist klar & unmissverständlich gesetzt! Gelle

      Brokdorf-Beschluss Karlsruhe



      Meinungs&Versammlungsfreiheit !



      Sind Unterpfand der Demokratie in dieser Republik nach dem Grundgesetz •

      zB “Die Versammlungsfreiheit friedfertiger Demonstrationsteilnehmer bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen Einzelner oder einer Minderheit zu rechnen ist. Ein Verbot komme erst dann in Betracht, wenn eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter einen solchen Verlauf anstrebt oder billigt; auch hier seien jedoch seitens der Behörden zunächst alle Mittel auszuschöpfen, die den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.“



      &



      “Da anders als im allgemeinen Polizeirecht Verbote und Auflösungen von Versammlungen erst bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergehen könnten, seien strenge Anforderungen an die anzustellende Gefahrenprognose zu erfüllen. Verdacht oder Vermutungen reichten nicht aus, vielmehr müsse die Prognose auf konkreten Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten beruhen.“



      de.wikipedia

      • @Lowandorder:

        Nix dagegen.

        Ich hatte nur die jüdischen Studenten und Studentinnen im Blick, die sich nicht mehr oder nicht mehr alleine frei auf dem Campus bewegen können.

        Und: Diese Aktivisten sind nicht demokratisch, au contraire.

        In der Regel brüllen sie jeden nieder, der es wagt, eine abweichende Meinung zu artikulieren.

        Die Veranstaltungen, die sie gesprengt haben, sind an der Zahl.

        Sie markieren Wohnungen von Juden oder israelsolidarische Lokalitäten mit Symbolen der Hamas.

        So recht kann ich bei deren Vorgehen den Unterschied zu dem von Nazis nicht so recht erkennen.

    • @Jim Hawkins:

      Zu viele ‘ würde’ in diesem Kommentar.



      Strafrechtlich kann kein ‘ würde’ relevant sein. Daran sollten wir uns schon halten.

    • @Jim Hawkins:

      Jede*r hat das Recht sich >friedlich< und ohne Waffen unter freiem Himmel zu versammeln, näheres regelt ein Landesgesetz.

      Nakba Demos sind üblicherweise nicht friedlich, auf einer der letzten großen Anti-Israel Demos musste eine Person die Bilder von Shani Louk gezeigt hat von der Polizei geschützt werden, Teilnehmer*innen des FU Camps haben u.a. einen jüdischen Studenten krankenhausreif geschlagen, bei der Demo auf dem Alex wurde "Kaybar Kaybar Juden!" gerufen, ein exterminatorischer Wunsch, Udi Raz von der jüdischen Stimme liked ein Video in dem eine "Pro" Nationalbewegungsakteurin ein "Fuck Hamas" durchstreicht und gegen "Zionistinnen" hetzt, die Besetzung der HU endet mit Feindmarkierung, Androhung körperlicher Gewalt und mehreren Zehntausend Euro Schaden, in der Sonnennallee wurden Genozidale Taten der Hamas geleugnet und gefeiert, bei einer Anti Israel Demo an der FU haben Personen in GEW Westen illegalerweise Teilnehmer aus der Veranstaltung gedrückt (obwohl diese weder Hausrecht hatten, noch die Herausgeworfenen die Demo unzulässig gestört hatten), an der UdK und TU trauen sich jüdische Freunde nach Beleidigung kaum aufs Gelände.

      "Friedlich"...

  • Danke für diese klaren Worte in einem dunklen Deutschland

  • Was als "Pro-Palästinensisch" bezeichnet wird, wurde verboten, weil es der Denkmantel für Antisemitismus war und ist. Seit Jahren gab es bei den Nakba Aufmärschen immer wieder blanken Antisemitismus. Natürlich waren es dann immer die Gruppen, auf die die Veranstalter keinen Einfluss haben. Bei den Universitäten verhält es sich ähnlich.

  • Immer schön, Rosa Luxemburg zu zitieren: Vergessen wird aber oft, dass die Freiheit nur für die Anhänger der Kommunisten gelten sollte, nicht aber bourgoisen Klassenfeind. Ihr gesamtes Programm erlaubt viele Sichtweisen, eine Demokratin war sie sicher aber nicht. Für sie galt die Diktatur einer Klasse als Grundlage für den "Freiheitsgedanken".

  • Genauso sieht es aus. Die "Fortschrittskoalition" ist der Türöffner für noch mehr Verbote, Kriminalisierung und Drangsalierung von Andersdenkenden. Diese Koalition hat nichts mit Fortschritt, jedoch viel mit Rückschritt zu tun.

  • Rosa Luxemburg hat das nie gesagt, es war eine handschriftliche Marginalie in einem Entwurf, und wurde in dem Wortlaut auch nie publiziert. Allerdings ist sie mit so einer falschen Zuschreibung in guter Gesellschaft, von Sokrates über Genghis Khan bis Churchill...

    ...man könnnte jetzt auch noch eruieren, warum denn "Nakba"-Demos in der Vergangenheit verboten oder aufgelöst wurden, aber das passt hier nicht, oder?

  • Sorry Herr Bax, aber der Antisemitismus quillt bei den "Pro-Palästina-Protesten" aus allen Poren. Ich habe also kein Problem damit wenn die genau unter die Lupe genommen werden. Antisemitismus darf sich nicht unter den Deckmantel der Meinungsfreiheit verstecken.