Verschärfungen beim Bürgergeld: Klassenpolitik von oben

3 Stunden Arbeitsweg! Mit solchen Maßnahmen werden Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen gegängelt, weil die Ampel rechten Reflexen verfällt, statt Probleme zu lösen.

Die Politiker Lindner, Scholz und Habeck bei einer Pressekonferenz.

Finanzminister Lindner, Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck am 5. Juli bei einer Pressekonferenz Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Ampelkoalition war mal angetreten, um Kinder aus der Armut zu holen. Sie wird abtreten als eine unsoziale Regierung, die rechte Politik auf dem Rücken der ärmsten Bevölkerungsschichten macht. Die nun beschlossenen Gängelungen von Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen – bis zu drei Stunden Arbeitswege, härtere Strafen und weniger Schonfristen – sind das jüngste Beispiel.

Einerseits reproduzieren sie das falsche Stereotyp vom faulen Arbeitslosen. Denn ein großer Teil der Sozialleistungsempfänger stockt bereits zu niedrige Löhne auf oder kann – etwa alleinerziehend – gar nicht mehr arbeiten, weil die kaputtgesparte Erziehungslandschaft es nicht zulässt. So oder so reicht das in Bürgergeld umbenannte Hartz IV häufig trotz Arbeit nicht zum Leben – insbesondere angesichts der drastisch gestiegenen Lebensmittelpreise.

Anstatt aber für langfristig gute Arbeit oder Ausbildungsangebote zu sorgen, bewirken verschärfte Sanktionen das Gegenteil: Sie zwingen mehr arme Menschen in den Niedriglohnsektor, wo sie im Zweifel weiter vom Bürgergeld abhängig bleiben.

Zudem ist längst erwiesen, dass Sanktionen stigmatisieren statt motivieren – sie wirken also kontraproduktiv. Und sie treffen Wenigergebildete, verschärfen so soziale Ungleichheit und sorgen für Verschuldung. Entsprechend fordern nicht nur Sozialverbände und NGOs die Abschaffung von Sanktionen – sondern auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.

Autoritär-populistische Reflexe von rechts

Stattdessen bedient die Ampel autoritär-populistische Reflexe von rechts: Die faulen Arbeitslosen sollen den Gürtel enger schnallen und gefälligst die Drecksarbeit machen. Anstatt Krisenlasten gesellschaftlich gerecht zu verteilen, eine Erbschafts- und Vermögenssteuer einzuführen, Löhne zu erhöhen, Lebensmittelpreise zu deckeln und Investitionen anzugehen, gibt es ein künstliches FDP-Spardiktat, unter dem vor allem diejenigen leiden, die ohnehin schon nichts haben. Das ist nichts weniger als Klassenpolitik von oben, die soziale Probleme verschärft, anstatt sie zu bekämpfen.

Entlarvend ist bei alledem auch, worüber sich kaum jemand aufregt: eingestellte Cum-Ex-Ermittlungen etwa, mangelnde Bekämpfung von Steuerkriminalität und Abzocke auf dem Wohnungsmarkt. Und warum zwingt eigentlich niemand, die 800.000 arbeitslosen Reichen, die von einem leistungslosen Einkommen leben, zu einer gemeinnützigen Beschäftigung, anderthalb Stunden von ihrem Wohnort entfernt?

Aber keine Sorge, immerhin für die Kleinen ist ja alles halb so wild: Nach den jüngst beschlossenen Haushaltsplänen sollen schließlich auch die Kinder ja 5 Euro mehr pro Monat bekommen. Dafür bekommt man 2024 in der Regel zwar nicht mal mehr in Berlin einen Döner, aber dann fällt vielleicht weniger auf, dass der Bundestag gleichzeitig eine Rekorderhöhung der Diäten beschlossen hat.

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