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Propalästinensisches Camp an der FURingen um Antworten

An der Freien Universität Berlin ist das Camp des Palästinakomitees bis in den Juli verlängert. Der Musiker Michael Barenboim kommt zu Besuch.

Neun Zelte stehen derzeit vor dem Henry-Ford-Bau an der Freien Universität Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Es ist 12 Uhr mittags und heiß. Unter zwei Pavillons und mehreren Palästinaflaggen ringen rund 30 Menschen um Antworten. Vor ihnen sitzt Michael Barenboim, Dekan und Professor der Barenboim-Said-Akademie und Sohn von deren Mitbegründer Daniel Barenboim. Er ist außerdem einer, der im Mai den offenen Brief gegen die polizeiliche Räumung eines Protestcamps auf dem Gelände der Freien Universität (FU) mit unterzeichnet hatte. Am Mittwochmittag lädt er die Anwesenden im Protestcamp vor dem Henry-Ford-Bau der FU erst mal zu Fragen ein.

„Etwas, das uns ja oft blockiert, ist die Frage, was antisemitisch ist. Und wo Äußerungen eine Schmerzgrenze überschreiten, oder was – vielleicht auch je nach Sozialisation – noch aushaltbar ist“, sagt eine Anwesende. „Wir ziehen ja bei Rassismus oder Sexismus auch Grenzen.“ Barenboim berichtet in seiner Antwort von eigenen Erfahrungen als Jude, und dass es oft darum gehe, wer was sagt. „Wem wird Antisemitismus vorgeworfen? Da spielt oft auch Rassismus, besonders antipalästinensischer Rassismus hinein“, sagt er.

„Die falschen Leute definieren, was Antisemitismus ist“, wirft jemand aus der Runde ein, und meint damit, wie sich derzeit Po­li­ti­ke­r*in­nen der CDU oder auch AfD mit teils autoritären Forderungen als Vor­rei­te­r*in­nen im Kampf gegen Antisemitismus inszenieren. Auch bei anderen Diskriminierungsformen gäbe es Grauzonen, die „wir alle täglich erleben und aushalten“, wirft eine weitere Teilnehmerin ein.

Barenboim sagt mit Blick auf die Diskussion um verschiedene Antisemitismusdefinitionen, dass weder die IHRA-Definition noch die Jerusalem Deklaration dafür gedacht seien, sie in politische Aktionen zu überführen.

Auf der Wiese gegenüber der Pavillons stehen neun Zelte, davor hängen Banner, auf einem Whiteboard ist das Programm für den Tag aufgeschrieben. Das Camp steht seit vergangenem Donnerstag. Im Schnitt hätten etwa 15 Leute hier auch übernachtet, bei Veranstaltungen seien meist 20 bis 50 Personen anwesend, sagt Caro Vargas, FU-Studentin und Sprecherin vom Palästinakomitee FU, die das Camp organisieren.

Gegen Waffenlieferungen und für Umbenennungen

Die Student*innen, die sich in dem Camp zusammengefunden haben, fordern damit in erster Linie ein „Ende des Genozids, der Apartheid und Besatzung in Palästina“. Sie setzen sich für einen Stopp der Waffenlieferungen ein, wollen eine Zivilklausel an der FU verankern, die Forschung für militärische Zwecke verbietet. Sie sind gegen die IHRA-Definition von Antisemitismus. Sie wollen, dass die FU Stipendien für palästinensische Stu­den­t*in­nen einrichtet und protestieren gegen Polizei auf dem Uni-Gelände und gegen den neu gefassten Paragrafen des Hochschulgesetze. Hintergrund war der Angriff eines FU-Studenten auf einen jüdischen Kommilitonen im Februar. Nun dürfen die Unis Stu­den­t*in­nen wohl bald auch wegen Gewalt oder Androhung von Gewalt exmatrikulieren.

Auch der Henry-Ford-Bau soll umbenannt werden, neue Namensgeberin soll die Holocaust-Überlebende Esther Bejerano sein. Ihre Forderungen hätten sie in den ersten Tagen gemeinsam entwickelt, sagt Sprecherin Vargas. „Wir können nicht ruhig weiterstudieren, während ein Genozid stattfindet“, sagt sie. Stattdessen wollen sie eine Art Universität für alle. Das sei „ein Raum, wo Wissen produziert wird, auch über Palästina“, sagt sie.

Im Camp hat in der vergangenen Woche der Politikwissenschaftler Hajo Funke über Protestkultur gesprochen, die Gruppe Tesla stoppen kam für ein Panel zu Klimagerechtigkeit und Antikolonialismus. Auch Klasse gegen Klasse und Waffen der Kritik sind als Gruppen im Camp präsent. Platz hatten im Programm auch Gruppen wie Young Struggle und Zora, die nach dem 7. Oktober den Pogrom der Hamas als Befreiungsschlag feierten.

Camp-Sprecherin Vargas erklärt, dass sie weder die Forderungen noch Positionierungen kommentieren wollen. „Wir sind solidarisch mit allen vorherigen Uni-Besetzungen. Differenzen in den Forderungen und im Fokus sind das Ergebnis eigener Diskussionsprozesse“, sagt sie. Wichtig sei: „Am Ende kämpfen wir alle für die gleiche Sache: Ein Ende des Genozids.“

Instrumentalisierter Antisemitismus

Vargas betont auch: „Für uns gilt, dass wir gegen jede Form von Unterdrückung kämpfen und Antisemitismus auch sehr ernst nehmen.“ Es gäbe aber Kontexte, in denen Antisemitismus instrumentalisiert werde. „Es ist doch auffällig, wenn uns Antisemitismus vorgeworfen wird, er bei bestimmten Po­li­ti­ke­rn als Jugendsünde gilt“, sagt Vargas.

In der Diskussion ermutigt Barenboim die Teilnehmer*innen, sich mehr Kenntnisse zu „zentralen Wissenslücken“ zum Israel-Palästina-Konflikt anzueignen. „Wir sollten uns nicht einreden lassen, es sei kompliziert“, sagt er – und empfiehlt, gezielt Abgeordnete anzuschreiben. Es sei wichtig, mehr über den Konflikt zu sprechen anstatt darüber, „wer wo steht“. „Die Fronten verhärten sich, niemand will der vermeintlich anderen Seite zuhören“, sagt eine Teilnehmerin. Doch genau dazu sollten die Universitäten eigentlich Raum geben.

Das Camp war zunächst für eine Woche geplant und genehmigt. Von der FU hieß es, das Camp sei bisher friedlich verlaufen und habe auch keine Auswirkungen auf den Lehrbetrieb gehabt. Wie das Palästinakomitee FU bestätigte, wollen sie bis mindestens zum 12. Juli im Camp weitermachen, bis dahin ist das Camp weiterhin als Versammlung angemeldet.

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19 Kommentare

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    Die Moderation

  • "Auch Klasse gegen Klasse und Waffen der Kritik sind als Gruppen im Camp präsent. Platz hatten im Programm auch Gruppen wie Young Struggle und Zora, die nach dem 7. Oktober den Pogrom der Hamas als Befreiungsschlag feierten."

    Antiimperialistische Steinzeitkommunisten und Parteigänger der Hamas haben also auch ihr Plätzchen gefunden.

    Wer sich durch die Anwesenheit solche Leute nicht dazu gedrängt fühlt, sein Lager sofort abzubrechen, macht sich mit ihnen gemein.

    Dass das keiner von denen so sieht, nicht einmal darüber nachdenkt, das spricht Bände.

    Feinsinnig tastet man den Grenzbereich von Israelkritik und Antisemitismus aus.



    Die oben genannten tun das nicht, sie kennen die Antwort, Israel muss weg.

  • „Wir können nicht ruhig weiterstudieren, während ein Genozid stattfindet“.

    Seltsam, wieso konnte man bei anderen Fällen, die im Gegensatz zu Gaza durch die Bank als Genozid anerkannt werden, wie z.B. der Völkermord an den Jesiden (August 2014–mindestens 2017) und der



    Völkermord an den Rohingya (2016–2017) ruhig weiterstudieren? Wieso kann man angesichts des imperialen russischen Krieges, der genozidäre Elemente und Absichten enthält, angesichts der Konflikte im Sudan und im Kongo und generell ansonsten immer ruhig weiterstudieren?

    • @Turban:

      Ich denke mal, das liegt daran:

      "No jews, no news"

  • In diesem Camp sind auch "Gruppen wie Young Struggle und Zora, die nach dem 7. Oktober den Pogrom der Hamas als Befreiungsschlag feierten" willkommen.



    Da wird mir einfach nur übel.

  • wenn ich schon lese, dass Klasse gegen Klasse und ihre Ableger dabei sind, dann weiß Mensch schon gleich, in welche Richtung sich zum Nahostkonflikt weitergebildet werden soll..



    Für alle, die es nicht wissen: Klasse gegen Klasse bezeichnet Israel als Kolonialmacht die es „bis auf die Grundmauern niederzureißen“ gilt.

  • Die palästinensische Sache ist im Grundsatz berechtigt und ich verstehe warum man als Linker sich dafür einsetzen möchte.

    Trotzdem ist objektiv festzustellen, dass die entscheidenden Akteure auf der arabischen Seite Islamisten und/oder völkische Nationalisten sind. Der Befreiungskampf ist in der Realität von rechten (im Falle der Hamas sogar von faschistischen) Kräften dominiert. Es wird daher auch nicht ein friedliches Miteinander mit den Juden angestrebt, sondern deren Vertreibung.

    Das Anrecht der arabisch-muslimischen Bevölkerung an sich wird dadurch zwar nicht unberechtigter, aber die Solidarität wird extrem erschwert. Eigentlich müssten linke, pro-palästinensische Kräfte die Absetzung von Hamas, Fatah und Co. anstreben, genauso wie linke Israelis gegen Netanyahu demonstrieren.

    Solange die pro-palästinensischen Aktivisten aber nicht mal rechts und links unterscheiden können, habe ich große Zweifel an ihren moralischen und intellektuellen Kapazitäten.

    PS: Das Einfordern von palästinensischen Inhalten in deutsche Curricula empfinde ich als übergriffig und kolonialistisch. Es steht für mich in der langen Tradition des arabisch-muslimischen Macht- und Dominanzstrebens.

    • @Chris McZott:

      Antisemitische Pogrome waren auch vor dem 7. Oktober 2024 kein Befreiungsinstrument. Der fehlende Diskurs in der propalistensischen Szene dazu ist ein Indiz für Ihre Annahme.



      So wird keine Beitrag zur Verbesserung der Situation erreicht. Die Chefs der Hamas sitzen derweil beim Scheich am Swimmingpool und amüsieren sich über die verheerende Wirkung ihres Handelns.

  • "Ende der Besatzung" heißt das jetzt also. Dazu Folgendes:

    Als die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 1964 gegründet wurde, war das Gebiet, das "befreit" werden sollte, das Staatsgebiet Israels. Das Westjordanland und Gaza waren nicht gemeint, denn das Westjordanland wurde damals von Jordanien beherrscht und Gaza von Ägypten.

    Und auch heute sind mit Begriffen wie "Besatzung" und "illegale Siedlungen" nicht nur das Westjordanland und Gaza gemeint, auch wenn zahlreiche Deutsche, die mit den "propalästinensischen" Protesten sympathisieren, das gern glauben möchten. In der Sicht der politisch relevanten palästinensischen Organisationen ist ganz Israel von "Siedlerkolonialisten" besetzt, und alle von Juden bewohnten Wohngebiete in Israel sind aus dieser Sicht "illegale Siedlungen".

  • > „Wir sind solidarisch mit allen vorherigen Uni-Besetzungen. Differenzen in den Forderungen und im Fokus sind das Ergebnis eigener Diskussionsprozesse“

    Wenn also Leute als „Ergebnis eigener Diskussionsprozesse“ einen Genozid an allen Juden fordern, ist das OK?

    > „Die Fronten verhärten sich, niemand will der vermeintlich anderen Seite zuhören“

    Stellen sie sich auf dem Camp auch die Frage, ob sie vielleicht mit dafür verantwortlich sind?

    Fans der offen genozidalen Hamas einladen und sich dann wundern, dass andere nicht mehr mit ihnen reden wollen?

  • In einigen Teilen Berlins ist es unsicher als Jude unterwegs zu sein. Schöneberg gehört dazu, wenn ich daran erinnern darf, dass vorr paar Jahren ein Rabbi in der Beckerstraße zusammengeschlagen wurde. Und ein junger Mann mit Kippa auf dem Dürerplatz.

    Anfang Mai wurde im Wedding ein Jude zusammengeschlagen, der auf dem Weg zur Synagoge war.

    Anfang des Jahres wurde ein jüdisches Paar am Hermannplatz angegriffen, weil sie hebräisch miteinander sprachen.

    Es gibt Antisemitismus in dieser Stadt und es muss dringend etwas dagegen getan werden.

  • „Am Ende kämpfen wir alle für die gleiche Sache: Ein Ende des Genozids.“

    Damit kann dann ja nur das Ende der Hamas gemeint sein. Ist das doch die einzige Gruppe vor Ort, die einen Genozid nicht nicht nur in ihrer Gründungsurkunde stehen, sondern ihn auch praktisch durchgeführt hat.

    Merke: die Hamas möchte alle Israelis umbringen aber kann es nicht. Israel kann alle Palästinenser umbringen, möchte es aber nicht.

    • @BrendanB:

      Nein, damit war der Genozid in Gaza gemeint.

      • @Schleicher:

        Unzweifelhaft. Nur fragt sich, ob es den überhaupt als solchen gibt. @BrendanB hat in diesem Zusammenhang ein paar Argumente GEGEN die Unterstellung genozidaler Absichten geliefert und implizit die Frage gestellt, warum die Ankläger Israels den manifesten, selsbt eingestandenen Genozid durch die Hamas offenbar deutlich erträglicher finden, da er in Ihrem leidenschaftlichen Anti-Genozid-Narrativ irgendwie nie vorkommt.

        Können SIE diese Frage beantworten?

    • @BrendanB:

      Keine*r von denen, die da zelten, würde der Hamas eine Träne nachweinen. Nur steht für diese Menschen eben das nicht mehr zu rechtfertigende Sterben in Gaza im Vordergrund. Und merke: respektable und moralisch gewichtige Stimmen, global und in Israel sprechen von "Genozid". Ich selbst bin nach wie vor unsicher, was die Einordnung der Kriegsführung der IDF in Gaza angeht. Nur eines weiß ich sicher: der Straftatbestand des Genozid kennt kein Mindesttempo (gern bemüht von denen, die schreiben: Wenn Israel nur wollte, wären schon alle Palästinenser*innen tot). Auch wichtig: Genozid ist kein "Erfolgsdelikt", die Intention ist entscheidend. Und Intention kann sich auch aus der Summe der Handlungen ergeben. Auch Vertreibungen können genozidal sein, wenn sie auf das Ende einer spezifischen Bevölkerungsgruppe abzielen. Was die Hamas angeht: sie ist leider da, sie wird leider in irgendeiner Form bleiben. Ihre Ideologie ist genozidal, aber Ideologie ist nicht alles: ihr Handeln ist oft berechnend und pragmatisch und nicht ausschließlich auf das Töten von Israelis ausgerichtet.

      • @My Sharona:

        "ihr Handeln ist oft berechnend und pragmatisch und nicht ausschließlich auf das Töten von Israelis ausgerichtet."

        Ich finde diese Verharmlosung unappetitlich. Die genozidalen Ziele der Hamas sind manifest, und nicht erst am 7. Oktober hat sie demonstriert, dass sie diese nicht nur mit aller Brutalität gegen Israelis (oder Juden anderer Provenienz, die sich in Israel aufhalten) nach Kräften verfolgt, sondern auch unter völliger Verachtung des Wohlergehens jener Menschen, für die sie sich eigentlich verantwortlich fühlen sollte. Wenn Jemand die Taten solcher Leute und ihre Macht, in Gaza weiter entsprechend schalten und walten zu können, einfach hinnimmt (und von Israel faktisch erwartet, dass es das auch tut), aber das Vorgehen Israels nur wegen des VERDACHTS der genozidalen Absichten lautstark als unerträglich brandmarkt, kann man das genauso so kumulativ als selbstverräterisches Verhalten sehen.

        Ich will Ihnen das nicht unterstellen. Überlegen Sie nur vielleicht mal selbst, inwiefern solche Indizien bei Ihnen einen realen Zustand beschreiben, und falls nicht, ob Sie nicht umgekehrt gegenüber Israel an den Indizienbeweis genozidaler Absichten zu geringe Anforderungen stellen.

  • Möge das endlich zu Dialog führen.

    • @tomás zerolo:

      Wie denn - wenn man "Gruppen wie Young Struggle und Zora, die nach dem 7. Oktober den Pogrom der Hamas als Befreiungsschlag feierten" da Raum gibt, ihre Vernichtungsfantasien zu propagieren?



      Sorry, aber mit der Duldung dieser Gruppen verlieren alle anderen ihre Glaubwürdigkeit.