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Migrationspolitik in DeutschlandEine Verschärfung jagt die nächste

Donnerstag und Freitag treffen sich die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen und In­nen­mi­nis­te­r*in­nen. Das Thema Migration bestimmt dabei die Agenda.

Ein Modell für Deutschland? Italienische Polizisten vor einem Asylzentrum in Albanien Foto: Adnan Beci/afp

Berlin taz | Geflüchteten drohen in Deutschland neue Verschärfungen: Am Donnerstag kommen die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zusammen, hauptsächlich um über Migrationspolitik zu sprechen. Gleichzeitig tagen bis Freitag die In­nen­mi­nis­te­r*in­nen der Länder, hier ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dabei. Ein Überblick über die wichtigsten Themen.

Asylverfahren in Drittstaaten

Kernthema und auch Hauptstreitpunkt werden wohl Asylverfahren in Drittstaaten sein. Die Union in Bund und Ländern schaut dabei mit Neid auf Modelle in anderen europäischen Ländern: Großbritannien will etwa Geflüchtete nach Ruanda bringen, wo sie dauerhaft bleiben sollen. Italien will eigene Asylverfahren in Albanien durchführen und Geflüchtete erst mit positivem Asylbescheid einreisen lassen. Im November hatte Scholz den unionsgeführten Ländern zugesagt, prüfen zu lassen, ob sich solche Modelle auch in Deutschland umsetzen ließen. Am Donnerstag will der Kanzler die Ergebnisse vorstellen.

Schon jetzt ist klar: Die unionsgeführten Länder werden nicht zufrieden sein. Der Prüfbericht, der der taz vorliegt, sieht „vielfältige rechtliche und praktische Hindernisse“ und damit kaum Erfolgschancen. Angesichts drohender Kosten, des Verwaltungsaufwands und fehlender Aufnahmestaaten sei die Idee kaum umsetzbar. Die rechtlichen Hürden ließen sich zwar überwinden, so der Bericht, nötig wären aber Gesetzesänderungen auf nationaler sowie auf EU-Ebene.

Ein großes Hindernis wäre wohl das im EU-Recht vorgeschriebene „Verbindungsmoment“: Um einen Geflüchteten in einen Drittstaat zu bringen, ist eine direkte persönliche Verbindung von ihm oder ihr dorthin nötig. Italien umgeht diese Regelung, indem es nur Geflüchtete nach Albanien bringen will, die auf See aufgegriffen werden und deshalb nie in die EU eingereist sind. Großbritannien unterliegt seit dem Brexit ohnehin keinen EU-Regeln mehr.

Men­sch­enrecht­le­r*in­nen sind entsetzt, dass deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen über solche Pläne auch nur nachdenken. Über 300 zivilgesellschaftliche Organisationen baten Kanzler Scholz in einem offenen Brief, solchen Überlegungen eine klare Absage zu erteilen. Es drohten „schwere Menschenrechtsverletzungen“, die Pläne seien außerdem „extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar“.

Abschiebungen nach Syrien und ­Afghanistan

Kaum Streit ist bei dem Thema Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan zu erwarten. Scholz hatte Anfang Juni angekündigt, wieder Straftäter in die beiden Länder abschieben zu wollen. Damit sind wohl auch die unionsgeführten Länder zufrieden. Hintergrund ist der mutmaßlich islamistisch motivierte Messerangriff eines Afghanen in Mannheim, bei dem ein Polizist starb.

Unklar ist noch, wie genau die Abschiebungen vonstattengehen sollen. Weder zu Assads Terrorregime in Syrien noch zu den islamistischen Taliban unterhält Deutschland Beziehungen, es wären aber intensive Absprachen nötig. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) forderte zuletzt, zumindest mit Afghanistan wieder Verbindungen aufzunehmen, um die Abschiebungen zu ermöglichen. Bundes­außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lehnt dies bisher ab. Das Bundesinnenministerium arbeitet derweil daran, Abschiebungen über Nachbarländer abzuwickeln, ohne direkt in Kontakt zu treten. Nachdem zunächst Pakistan im Gespräch war, sieht das Bundesinnenministerium derzeit offenbar Usbekistan als Zwischenstopp für abzuschiebende Afghanen als Option. Auch für Syrien gibt es solche Pläne.

Unabhängig vom konkreten Abschiebeweg gilt, dass nur sehr wenige Af­gha­n*in­nen und Sy­re­r*in­nen in Deutschland betroffen sein werden. Für fast alle von ihnen gelten Abschiebeverbote, sofern sie nicht ohnehin einen höheren Schutzstatus haben. Auch wenn sie schwere Straf­taten begehen, Terror verherrlichen oder als Gefährder geführt werden, können sie deshalb nicht in ihr Herkunftsland zurückgezwungen werden. Nur 13.396 Af­gha­n*in­nen und 10.026 Sy­re­r*in­nen würden überhaupt für Abschiebungen infrage kommen, sofern sie auffällig werden.

Menschenrechtsorganisationen sehen in den Abschiebeplänen Verstöße gegen das Völkerrecht. In Afghanistan und Syrien drohe den Abgeschobenen Folter und Todesstrafe.

Bezahlkarten für Asyl­be­wer­be­r*in­nen

Bei diesem Thema war die Bundesregierung den Ländern im Winter weit entgegengekommen. Gegen den Widerstand der Grünen setzte Kanzler Scholz durch, dass der Bundestag eine gesetzliche Grundlage für die Karte schafft, auf die Asyl­be­wer­be­r*in­nen künftig ihre Leistungen überwiesen bekommen sollen. Die konkrete Ausgestaltung liegt bei den Ländern. Offen ist noch, ob sich die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen auf ein gemeinsames Limit für Bargeld­abhebungen einigen können. Während die unionsgeführten Länder eine Grenze von 50 Euro befürworten, wollen insbesondere die Landesregierungen mit Grünen-Beteiligung deutlich höhere Limits.

Klar ist dagegen, dass die Bezahlkarte ­Geflüchteten das Leben schwerer machen wird. Als Abschreckungsinstrument ist sie genau dafür gedacht. Die Karten werden nicht nur einschränken, wie viel Geld abgehoben werden kann, sondern auch Überweisungen grundsätzlich ausschließen.

Bürgergeld für Ukraine-Geflüchtete

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte zu Beginn der Woche, Geflüchteten aus der Ukraine künftig Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlen. Auch einige Uni­ons­po­li­ti­ke­r*in­nen befürworten das. Bisher erhalten geflüchtete Ukrai­ne­r*in­nen Bürgergeld, das deutlich über dem liegt, was andere Asyl­be­wer­be­r*in­nen in den ersten 36 Monaten erhalten. Die Kri­ti­ke­r*in­nen sehen darin einen Fehlanreiz, der dazu führe, dass sich viele Ukrai­ne­r*in­nen keinen Job suchen.

Die Länder – auch viele CDU-regierte – sind skeptisch. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stammen aus ihren Kassen, das Bürgergeld zahlt dagegen der Bund. Aber auch die zuständigen Bundesministerien sind dagegen. Das Sozialministerium unter Hubertus Heil (SPD) teilte mit, über das Bürgergeld – das schließlich über die Jobcenter ausgezahlt werde – ließen sich Ukrai­ne­r*in­nen schnell in den Arbeitsmarkt integrieren. Faesers Bundes­innenministerium betonte, der bürokratische Aufwand sei bei einer Umstellung deutlich höher.

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16 Kommentare

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  • Straftäter wie den mutmaßlichen "islamistischen Messerstecher" von Mannheim nach Afghanistan abzuschieben ist schon eine sehr absonderliche Idee. Nicht weil den Abgeschoben "Folter und Todesstrafe" drohen würde, sondern weil sie dort schlicht frei kommen (was interessiert so eine Tat im fernen Europa die Taliban). Und da Europa weiterhin eine effektive Grenzkontrolle fehlt, sind die Abgeschobenen auch recht bald wieder hier - allerdings in Freiheit und nicht im Gefängnis.

  • Gut, man könnte auch einfach die in Teilen hanebüchene Praxis bei den Asylverfahren verbessern (Länge der Verfahren etc.), aber das triggert die Rechtsextremisten hierzulande ja nicht. Man könnte die Ursprungsländer von abgelehnten Asylbewerbern unter massiven Druck setzen, die eigenen Bürger zurückzunehmen. Oder auch (AFAIK macht die Schweiz das so) die Länder für die Rücknahme belohnen. Aber auch das triggert die Rechtsextremisten nicht.



    Mir scheint, als gäbe es - abgesehen vom äußersten rechten Rand der Gesellschaft - keine Zielgruppen mehr, die für die Parteien von Relevanz sind.

  • Und die AfD freut sich über die zahlreiche energische Mitarbeit an der Umsetzung ihrer Fremdenhass-Politik. Wenn auf beiden Seiten der "Brandmauer" die gleichen Ziele stehen, braucht man auch keine Mauer mehr.

  • Was wäre denn die Alternative zu einer Neugestaltung der Asylpolitik? Weiter so? Einfach mehr Zeltstädte und Containersiedlungen bauen? Hoffen, dass der Rechtsruck bei den Wählern einfach verpufft?

  • Was für ein Hype um ein künstlich von Rechtsaussen aufgeblasenes Thema! 2023 wurden in Deutschland knapp 330.000 Asylanträge gestellt. 2024 sind das bisher 113.000. Rechne selbst hoch, wie viele das aufs ganze Jahr berechnet sein werden. Was rechtfertigt die Verschärfung det Abwehrmassnahmen? Die Sehnsucht nach einem warmen Plätzchen im Allerwertesten der AfD?

  • Mal ganz abgesehen von den Menschenrechtsproblemen.



    Wir leisten uns in Deutschland ein recht teures Strafvollzugssystem, welches uns verkauft wird als beste Möglichkeit, Täter zu resozialisieren und zukünftige Taten zu verhindern.



    Kann es sein, dass niemand diesem System traut? Denn wenn wir wirklich an die Resozialisierungswirkung von Gefängnissen glauben würden, dann wäre das doch genau der richtige Ort, um straffällige Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität hinzubringen, um anschließend einen gut integrierten Menschen wieder rauszulassen.



    Die Diskussion um straffällig gewordene Asyl-Berechtigte entlarvt diesen Mythos perfekt.

    • @Herma Huhn:

      Wie soll die Diskussion etwas entlarven über das vermutlich überhaupt nur wenig Wissen in der Allgemeinbevölkerung besteht? Wenn, dann entlarvt sie doch wohl eher das vorherrschende Gefühl zum Thema. Das kann informiert sein oder eben auch nicht.

      Faktisch lässt sich schwer sagen, ob es sich um einen Mythos handelt. Dazu bräuchte es einen wissenschaftlichen Vergleich unterschiedlicher Ansätze im Strafvollzug. Behauptet werden kann erstmal viel.

      Auch die Behauptung, dass unser System teurer sei als ein nicht auf Resozialisierung ausgelegtes, ist erst einmal für sich weit verbreitet, aber bei genauer Betrachtung wenig fundiert.

      Egal wie die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesen Themen ausgefallen sind, so bleibt es doch klar, dass es sich bei dem System um keinen Zauberstab handelt, der bei 100 Prozent der Fälle eine perfekte Resozialisierung erreichen kann - bei weitem nicht.

      Die Realität ist, dass es immer eine Rückfallquote geben wird - egal wie gut oder schlecht das System ist.

  • Aus Angste vor den kommenden Wahlen überbieten sich die "Altpartein", die Parolen von AfD und Rechtsradikalen zu kopieren - allen voran die Union mit ihren Ost.Ministerpräsidenten. Jeder sollte sich bewußt sein, dass der Konservativismus auch diesmal bereit ist, den Pack mit den Teufel zu schließen. Der Glaube, die Gefahr durch Beteiligung einhegen zu können, ist lebendiger dennn je.

  • Natürlich wird das Problem so nicht gelöst werden. Nur dummerweise weiß auch niemand eine wirkliche andere Lösung. Insofern hoffen halt alle von ganz rechts bis ganz links, dass sich mit ihren angedachten Scheinlösungen schon irgendwie beruhigender leben lässt. Zumindest für die Wähler

  • Als sie die Angst vor den abgelehnten Asylbewerbern schürten habe ich geschwiegen - ich war ja kein Asylbewerber.



    Als sie die Geflüchteten aufs Meer zurückschoben habe ich geschwiegen - ich wohne ja schon immer hier.



    Als sie die maßgeschneiderten Gesetze zur Deportation von Nichtchristen und Deutschen mit Migrationshintergrund planten habe ich geschwiegen - ich habe ja seit Generationen biodeutsche Vorfahren.



    Als sie Genderqueere und LGBT* Menschen ins Visier nahmen habe ich geschwiegen - sicherheitshalber. Wer weiß wer die nächste Gruppe von Sündenböcken sein wird...?

  • Marode Bahn: Ausländer!



    Krankenhaussterben: Ausländer!!



    Multikulti-Nationalelf: Ausländer!!!

    Keines der realen Probleme in Deutschland wird durch Abschieben (egal ob im kleinen oder "im großen Stil") gelöst. Aber hey, die Fremden sind einfach tolle Sündenböcke die sich oft nicht mal wehren können. Und mit markigen Abschiebesprüchen kann man ohne Aufwand und Kosten Tatkraft und Entschlossenheit simulieren und dem Rechten Stimmen wegneh... oh.

    • @B. Iotox:

      Die Fremden verdienen kaum Geld, können schlecht Deutsch und dürfen nicht wählen. Sie können sich einfach nicht wehren.

    • @B. Iotox:

      Ich behaupte frech, die ein oder andere Messerstecherei oder Vergewaltigung kann man verhindern, jawoll.

      Der Vergewaltiger von Illerkirchberg läuft hier wieder frei rum. Das müsste er nicht.

      • @Wonneproppen:

        Och, wenn's darum geht, Zugehörige zu einer bestimmten Gruppe abzuschieben, weil einer davon Vergewaltiger ist, dann rate ich dazu, Deutsche auszuweisen. 2021 gab es in Deutschland etwa 7700 Vergeealtigungen. Da wird wohl die eine oder anderen einem Deutschen anzulasten sein.

  • und die AfD ist nicht mal eine Regierungspartei, sondern nur in der Opposition. Läuft doch gut für die AfD.

  • C*U-Opposition:



    Auf dem Rücken der Wärmepumpe, gesponsert vom Schwarzen Felsen, nach Ruanda*.



    Ich find's geil.



    'Nichts gegen den Staat Ruanda. Soll hier nur als Synonym stehen für eine unmenschliche Asylpolitik.