Gesichts­verhüllungs­verbot in Hamburg: Scheinheilig und diskriminierend

Hamburgs rot-grüne Koalition behauptet, „offene Kommunikation“ an Schulen zu fördern. Tatsächlich aber führt sie einen Kulturkampf.

Nahaufnahme einer Frau, die Niqab trägt. Ein Schlitz im schwarzen Stoff zeigt nur die Augenpartie.

Will die Hamburger Regierungskoalition nicht in der Schule sehen: Niqabträgerin (Symbolbild) Foto: Boris Roessler/dpa

Künftig ist es in Hamburg allen Schü­le­r*in­nen verboten, in der Schule ihr Gesicht zu verhüllen. So will es eine Gesetzes­änderung, die die Bürgerschaft kürzlich beschlossen hat.

Allen Schüler*innen? Nun ja, es gibt Ausnahmen: wenn sie aus gesund­heitlichen Gründen eine ­medizinische Maske tragen oder wenn sie im Chemie­unterricht Schutzmasken brauchen. Auch für Theaterstücke und beim Schulkarneval dürfen Hamburger Schü­ler*in­nen ihr Gesicht weiterhin verhüllen.

Aber für wen gilt dann die Gesetzes­änderung überhaupt, die Rot-Grün unter dem Titel „Gewährleistung der offenen Kommunikation an Hamburger Schulen“ zur Abstimmung eingebracht hat? Für die schätzungsweise zehn Schülerinnen, die in Hamburg ­Niqab oder Burka tragen – jene muslimischen Kleidungstücke, die das Gesicht bis auf einen Schlitz oder ein Netz über der Augenpartie komplett verdecken.

In dem Antrag geht es darum aber gar nicht, sondern vordergründig um „offene und gleichberechtigte“ Kommunikation. Für die sei „die gegenseitige Wahrnehmung von Gesichtszügen und -ausdruck“ ein Kernstück – wofür es übrigens bislang keinerlei wissenschaftlichen Beleg gibt. Gleichzeitig stellte sich Schulsenatorin Ksenija ­Bekeris (SPD) freimütig vor die NDR-Kamera und sprach über „vermehrte Einzelfälle von Mädchen, die mit einer kompletten Gesichtsverhüllung in der Schule sind“. Man nehme „aus bestimmten Gemeinden eine Radikalisierung wahr“. Dem wolle man „die Stirn bieten“.

Kein wissenschaftlicher Beleg

Wenn sie ehrlich wären, hätten SPD und Grüne gleich ein Niqab-und-Burka-Verbot-Gesetz auf den Weg gebracht. Aber ein Gesetz, das so spezifisch die Freiheit einer einzelnen Gruppe einschränkt, wäre ja diskriminierend gewesen. Ein Gesetz, das nur scheinbar allgemeingültig ist, aber am Ende doch nur für eine – ohnehin marginalisierte – Gruppe Konsequenzen hat, ist aber auch diskriminierend.

Klar, vielleicht sind unter den rund zehn Schülerinnen eine oder zwei, deren Eltern sie einerseits dazu zwingen, eine Burka zu tragen – ihre Freiheitsrechte also nicht anerkennen –, andererseits aber so gesetzestreu sind, dass sie ihrer Tochter erlauben, künftig ohne Verhüllung in die Schule zu gehen; und nicht das Verbot unterlaufen, indem sie das Kind von der Schule nehmen oder gar ins Ausland schicken.

Man schützt Kinder nicht vor der Unterdrückung durch ihre Familien, indem man ihnen etwas verbietet, sondern nur, indem man sie ernst nimmt, für sie da ist, sie stärkt und sie darin unterstützt selbstbestimmt zu leben.

Wie wenig die Gesetzesänderung am Wohl der Schülerinnen orientiert ist, zeigt sich in ihrer Begründung: Für nicht schulpflichtige Schülerinnen gebe es die „Alternative, den Schulbesuch zu beenden“. Zudem könne der angestrebte Bildungserfolg auch „anders als durch den Besuch einer Präsenzschule erreicht werden“, heißt es da.

SPD und Grüne wollen Schülerinnen also lieber gar nicht in der Schule haben als mit Niqab oder Burka. Und das im Namen der Kommunikation. Damit nehmen sie in Kauf, dass die Betroffenen den Kontakt zu Gleichaltrigen und Leh­rer*in­nen komplett verlieren.

Islamismus bekämpft man nicht, indem man Verhüllung verbietet, sondern indem man Prävention finanziert und Diskriminierung abbaut, statt muslimischen Mädchen das Gefühl zu geben, dass sie unerwünscht sind. Radikalisierungsprozesse sind komplex, aber Diskriminierungserfahrung kann eine Rolle darin spielen. Nicht zuletzt, dass CDU und AfD zugestimmt haben, zeigt: SPD und Grüne führen einen Kulturkampf – und geben es nicht mal zu.

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Seit September 2022 Volontär*in bei der taz nord in Hamburg. Hat Politikwissenschaften und Transkulturelle Studien an der Uni Bremen studiert.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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