Räumung eines Camps an der FU Berlin: Protestbefreite Universität
Propalästinensische Studierende besetzen einen Innenhof an der Freien Universität. Kurz darauf wird geräumt. Lehrkräfte solidarisieren sich mit den Protesten.
Am Dienstagmorgen hatten hier, im Theaterhof der „Rost- und Silberlaube“ der FU in Dahlem, etwa 150 Studierende Zelte, Bänke und einen kleinen Pavillon aufgestellt und Transparente aufgehängt. Fast alle tragen Kufijas; in der Mitte der Freifläche steht eine Frau mit Megafon. „We are the students, let's stop the bombing now“, ruft sie, gefolgt vom umstrittenen Sprechchor „From the River to the Sea, Palestine will be free“. Die Menge jubelt und applaudiert.
An einer Wand bringen die Protestierenden eine Liste mit Namen von in Gaza getöteten Palästinenser*innen an. Unter dem Pavillon wird ein kleiner Infostand eingerichtet, es gibt Äpfel, Tee und Informationsbroschüren zu den Themen „Occupying Berlin Universities“ und „Intifada, Widerstand überall in diesem Land“.
Die Person an dem Stand sagt der taz: „Eigentlich haben wir gerade eingeladene Redner:innen für Diskussionsrunden, aber sie werden von der Polizei nicht durchgelassen.“ Eine weitere Protestierende ist aufgebracht. Sie sagt, sie habe nicht gedacht, „dass in Deutschland die Demokratie so dünnhäutig ist. Kulturelle und Bildungseinrichtungen beziehen faschistische Positionen.“
Schnell formiert sich auch Gegenprotest
Doch nicht allen gefällt, was hier passiert: In Hörweite steht ein Person, sie hat eine Israelfahne um sich gebunden. Sie wolle sich nicht einschüchtern lassen, aber in Anbetracht dessen, was hier in der Universität vor sich gehe, habe sie als Jüdin große Angst, sagt sie. „Der Antisemitismus, der in der Uni offen zur Schau getragen wird, ist unerträglich.“ Auch aus dem Fenster eines an den Innenhof grenzenden Raums hat jemand eine Israelflagge gehängt.
„Die Situation für jüdische Studierende wird zunehmend unsicher“, kritisiert auch Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion, gegenüber der taz. Petri berichtet, viele jüdische und proisraelische Kommiliton:innen würden Drohnachrichten erhalten. „Die Situation hat sich nicht beruhigt, davor warnen wir schon lange.“
Gruppe fordert „akademischen Boykott“ Israels
Auf der Social-Media-Plattform Instagram hatte die propalästinensische Gruppe „Student Coalition Berlin“ (SCB) vor der Besetzung einen umfassenden Forderungskatalog veröffentlicht. Unter anderem solle die Universität für einen sofortigen Waffenstillstand und Stopp deutscher Rüstungsexporte einstehen.
Auch verlangt die Gruppe einen umfassenden kulturellen und akademischen Boykott Israels – was auch ein Ende der wissenschaftlichen Kooperationen der FU mit israelischen Universitäten bedeuten würde. SCB kündigte an, „keine Verhandlungen oder Kompromisse“ akzeptieren zu wollen.
Eine FU-Sprecherin erklärte gegenüber der taz, die Protestierenden hätten am Dienstagmorgen auch versucht, in Räume und Hörsäle einzudringen. Nachdem die Besetzer:innen Verhandlungen abgelehnt hätten, habe die Universitätsleitung bereits am Vormittag die Räumung des Camps veranlasst.
„Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet. Wir stehen für eine wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise“, sagte Universitätspräsident Günter Ziegler. Ziegler stellte klar, dass die FU einen akademischen Boykott Israel „entschieden ablehnt“.
Lehrkräfte kritisieren Unileitung
Zahlreiche Lehrkräfte üben wiederum an dieser Haltung Kritik. „Es ist keine Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog ausgerichtet ist“, heißt es in einem Statement, das rund 100 Lehrkräfte von Berliner und anderen Hochschulen unterzeichnet haben. „Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“
Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Gaza „sollte die Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht alle konkrete Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht geeignet halten“. Die Wissenschaftler*innen forderten die Leitungen der Berliner Universitäten auf von einer polizeilichen oder auch strafrechtlichen Verfolgung ihrer Studierenden abzusehen. „Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben.“ Mit Polizeieinsätzen auf dem Campus sei dies nicht vereinbar.
Und doch kommt es genau so: Ab Mittag umstellt die Polizei den Theaterhof, auch auf den angrenzenden Dächern haben sich Beamte positioniert. Nur anderthalb Stunden nach Beginn der Räumung ist der Theaterhof leer. Zelte, Decken, Plakate und das Megafon der Protestierenden liegen zusammengeschoben am Rand der Freifläche. Wie die Polizei später mitteilte, wurden 79 Personen festgenommen und nach Identitätsfeststellungen entlassen. 80 Ermittlungsverfahren sowie 79 Ordnungswidrigkeitenverfahren wurden eingeleitet.
Vor dem Eingang zum Gebäude haben sich in der Zwischenzeit proisraelische Demonstrant*innen zu einer Gegenkundgebung versammelt. Die etwa 35 Personen tragen Israelfahnen und Plakate, etwa mit der Aufschrift „Jewish Lives Matter“. Gegenüber stehen die verbliebenen propalästinensischen Demonstrant*innen. Die Polizei versucht, sie des Geländes zu verweisen.
Spannungen seit Monaten spürbar
Das schnelle und repressive Vorgehen der Universitätsleitung gegen die Besetzung kommt wenig überraschend. Bereits am Freitag hatte die Humboldt-Universität ein propalästinensisches Sit-in von rund 150 Personen auf der Wiese vor dem Hauptgebäude in Mitte nach wenigen Stunden räumen lassen. Die Polizei erklärte, es seien 37 Ermittlungsverfahren wegen möglicher Fälle von Volksverhetzung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden.
An der Freien Universität hingegen war es in den vergangenen Monaten ruhig geblieben, obwohl Spannungen zwischen propalästinensischen und proisraelischen Studierenden spürbar waren. Im Dezember hatten propalästinensische Aktivist*innen einen Hörsaal besetzt, der ebenfalls schnell geräumt wurde. Damals kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen proisraelischen und propalästinensischen Studierenden.
Besonders der jüdische FU-Studierende Lahav Shapira geriet währenddessen auf der Social-Media-Plattform X in den Fokus propalästinensischer Aktivist:innen. Im Januar verprügelte ein Kommilitone Shapira und verletzte ihn schwer. Die Polizei vermutet, dass das Motiv für den Angriff die vorangegangene Auseinandersetzung über den Gazakrieg war.
Infolge des Angriffs beschloss der Senat im April eine beispiellose Verschärfung des Hochschulgesetzes, die in Zukunft auch Exmatrikulationen aus politischen Gründen ermöglichen soll. Sowohl hochschulpolitische Gruppen als auch zahlreiche Akademiker:innen kritisierten diesen Schritt als Gefahr für die Meinungsfreiheit an den Berliner Universitäten.
Schwappt die Protestwelle aus den USA nach Deutschland?
Hinter dem harten Durchgreifen am Dienstag steht wohl auch die Angst der Behörden, die Protestwelle an den US-amerikanischen Universitäten könnte nach Deutschland überschwappen. So besetzten Studierende der New Yorker Columbia University über mehrere Wochen eine Wiese, um gegen die Verstrickungen ihrer Universität im Gazakrieg zu protestieren. Anfang Mai ließ die Uni das Camp mit einem martialischen Polizeiaufgebot räumen.
Die Aktionsform fand landes-, inzwischen auch weltweit Nachahmer*innen. Außer in Berlin gab es am Dienstag auch an der Uni Wien einen Versuch propalästinensischer Aktivist:innen, ein Protestcamp zu errichten. An der Uni Leipzig besetzten Studierende den Audimax. In Amsterdam räumte die Polizei ein am Montag errichtetes Camp mit schwerem Gerät.
Aktualisiert: 8. Mai, 15.38 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen