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Wege zur Befreiung der Hamas-GeiselnDeutschland macht sich klein

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wenn Deutschland die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln wichtig ist, muss es sich für einen Waffenstillstand einsetzen.

Efrat Macfhikawa, Nichte der Geisel Gadi Moshe Mozes, hält symbolisch eine Sanduhr in der Botschaft Israels Foto: Christoph Soeder/dpa

N och sind über 130 Geiseln in der Gewalt der Hamas, und das schon seit über 100 Tagen. Verzweifelt drängen deren Angehörige und Freunde darauf, dass ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät. Es ist gut, dass in Deutschland daran erinnert wird, zumal unter den Geiseln auch deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger sind. Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit wäre es aber auch, die Bundesregierung hier stärker in die Pflicht zu nehmen.

Denn die Bundesregierung könnte mehr tun, um auf eine Freilassung der Geiseln hinzuwirken. Sie könnte sich zum Beispiel für einen Waffenstillstand und Verhandlungen starkmachen. Schließlich kamen im November rund 100 Geiseln frei, nachdem Israel mit der Hamas darüber verhandelt hatte. Dazu brauchte es eine Feuerpause. Und die bräuchte es jetzt wieder.

Selbst wenn man 24.000 getötete Palästinenserinnen und Palästinenser als „Kollateralschaden“ betrachtet, wie es manche tun – allein um das Leben der Geiseln zu retten, müssen die Waffen schweigen. Seit Israels Regierung ihren Krieg wieder mit unverminderter Härte weiterführt, sind mehrere Geiseln gestorben, drei wurden irrtümlich von israelischen Soldaten erschossen. Mit jedem Tag, den der Krieg weitergeht, schwindet die Hoffnung, dass die übrigen Geiseln ihn überleben. Außerdem könnte Deutschland mehr Druck auf Katar machen, um die Hamas zum Einlenken zu bewegen. Der umstrittene Gasdeal mit dem Emirat könnte dafür ein Hebel sein.

Außenministerin Annalena Baerbock fordert von Israel, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen und mehr für den Schutz der Zivilistinnen und Zivilisten zu tun. Sie hat ihren Ton verschärft, aber was hat sie in der Hand? Das bleibt unklar. Um die humanitäre Krise im Gazastreifen zu lindern, muss die Bundesregierung den Druck auf Israel erhöhen und mit Konsequenzen drohen, falls nichts passiert.

Stattdessen belässt es die Außenministerin bei wohlfeilen Appellen. Damit macht sich Deutschland kleiner, als es ist. Denn ohne Druckmittel, über die Deutschland zweifellos verfügt, gehen alle Forderungen ins Leere. Dann bleibt jede Empörung folgenlos.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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18 Kommentare

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  • "kamen im November rund 100 Geiseln frei, nachdem Israel mit der Hamas darüber verhandelt hatte. Dazu brauchte es eine Feuerpause."

    Das ist eine völlige Umkehr der Tatsachen. Nicht die Feuerpause war die Voraussetzung für Verhandlungen und die Geiselfreilassungen. Die Verhandlungen und die Vereinbarung von Geiselfreilassungen war die Voraussetzung für die Feuerpause.

    Nehmen wir an, Isr. erklärt sich zu einem Waffenstillstand ohne weitere Voraussetzungen bereit; warum sollten dadurch die Geiseln kurzfristig freikommen? Bei der letzten Geiselnahme (Gilad Shalit) dauerte es 5 Jahre bis dieser frei kam, und im Gegenzug mussten über tausend Palästinenser freigelassen werden, die für den Tod von insgesamt 200 Menschen verantwortlich waren.

    In den letzten 3 Monaten sind hingegen 54 Geiseln frei gekommen, und es mussten im Gegenzug 150 Pal. freigegeben werden, die keinen getötet hatten.

    Kann mir irgend jemand plausibel darlegen, warum durch eine plötzliche Waffenruhe ohne vorherige Vereinbarung zur Freilassung der Geiseln, diese schneller freikommen sollten und zu günstigeren Konditionen? Denn Herr Bax kann es nicht.

  • Der Krieg um Palästina ist eindeutig die Fortsetzung/Konsequenz des 2. Weltkriegs. Beide Völker sollten dafür von Europa Schadensersatz einfordern und sich nicht gegenseitig zerfleischen.

  • Es ist nicht die Aufgabe des Kommentators zu meinen was die Öffenlichkeit tun sollte um die Regierung dazu zu bringen Druck auf Israel auszuüben. Wir sollten lieber Druck auf die Hamas ausüben. Keine Lieferung von irgenwas an den Gaza bevor die Geiseln nicht frei sind. Diese Leute akzeptieren nur Macht.

  • Baerbock könnte z.B. weitere humanitäre Hilfe von der Freilassung von Geiseln abhängig machen, Bisher hat alleine Deutschland 200 Mio an Gaza gegeben ohne irgendeine Forderung zu stellen! Baerbock fordert viel von Israel, und nichts von der Hamas. Was sagt uns das wohl?

    • @Gerald Müller:

      Baerbock fordert viel von Israel? Gestern noch habe ich did Bundesregierung hier in der Kommune für ihre “ausgewogene” Haltung in diesem Konflikt verteidigt. Heute lese ich, dass Deutschland Israel Panzermunition liefern will. Katar liefert Medikamente für die notleidende Bevölkerung in Gaza.



      www.tagesschau.de/...on-israel-100.html



      Militärische Notwendigkeit oder symbolischer Akt der Solidarität mit Israel? Ersteres würde ich bestreiten - Israel hat keine militärische Unterstützung aus Deutschland nötig -, zweiteres wäre ein definitiv falsches Signal.

      • @Abdurchdiemitte:

        Tja sehe ich anders: Erstens liefert Deutschland nicht nur Munition an Irael, sondern auch 200 Millionen Euro an Hilfsgeldern für Gaza (ob die das dann für Medikamente ausgeben oder damit Tunnel baen, ist eine andere Frage)



        Zweitens: Woher wissen Sie, dass Israel keine militärische Unterstützung in Form von Waffenlieferungen braucht? Selbst Russland muss MUnition aus Nordkorea und Drohnen aus dem Iran kaufen.



        Drittens: Als Akt der Solidarität ist Waffenlieferung an Israel jetzt genau das richtige Signal: Wir erkennen das Recht Israels zur Selbstverteidigung an, es gehört zur Staatsräson. (Und gleichzeitig forden "wir", heißt die Außenministerin mehr für den Schutz von Zivilisten zu tun...

  • Persönlich wäre es mir auch lieber gewesen, Israel hätte einen anderen Weg gefunden, die Hamas zu eliminieren, einen Weg mit weniger zivilen Opfern.

    Doch die Hamas ist nicht nur eine Terrorgruppe sondern eine Terrorarmee mit 35.000 bis 80.000 Mitgliedern. Bestens ausgerüstet durch Iran. Milde gilt als Schwäche.

    Die Geiselverhandlungen waren ja nur möglich weil Israel so viel Druck gegen die Hamas gemacht. Ansonsten gilt die Gründungscharta der Hamas von 1988.

    Wiki: Nach Artikel 13 lehnt die Hamas friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage ab, da sie im Widerspruch zu ihrer Ideologie stünden. Der Verzicht auf nur einen Teil Palästinas sei ein Verzicht auf einen Teil des Glaubens. Stattdessen könne die Palästina-Frage nur durch den Dschihad gelöst werden. Diplomatische Initiativen, Vorschläge und internationalen Konferenzen seien „sinnlose Zeitvergeudung, frevelhaftes Spiel, und das palästinensische Volk ist zu kostbar, als dass man mit seiner Zukunft, seinem Recht und seinem Schicksal ein frevelhaftes Spiel treiben könnte".

    Art. 7 beschreibt das Ziel der weltweiten Tötung von Juden, nicht nur auf Israel bezogen.

    Die Hamas AG (ihr Politbüro-Trio in Katar verdient Milliarden, je mehr getötete Palästinenser*innen, desto höher die Spenden, die abgezweigt werden) ist ja nur eine von vielen iranischen Stellvertreterarmeen. Und Chameini hat Israel bis 2040 die totale Zerstörung angedroht. In iranischen Großstädten zeigen Digitaluhren die verbleibende Zeit bis dahin.

    Iran liegt gut in der Zeit. Der Hamas-Terror war perfekt geplant.

    Und ist im übrigen auch ein Krieg gegen die Frauen:



    www.nytimes.com/20...xual-violence.html

    Doch warum auch Babys töten?

    Israel sitzt mit der Hamas in der Falle. Diese benutzt die Zivilbevölkerung um Opfer zu generieren.

    Doch Israel verteidigt uns alle gegen den Iran und ähnliche Terrorgebilde.

    de.wikipedia.org/wiki/Hamas-Charta

  • Ich finde es wichtig zwischen Terroristen und Zivilisten zu unterscheiden. In vielen Kommentaren sehe ich diese Unterscheidung nicht. Aber am wichtigsten ist meiner Ansicht an Lösungen zu arbeiten. Ich weiß nicht, ob mehr Druck von deutscher Seite hier hilfreich wäre.

    • @Iris Martin:

      Was ist denn der Unterschied zwischen "Terroristen" und "Zivilisten"? Der "Kämpfer" hat Brüdern und Schwestern und seine Familie, die ihn unterstützen. Die hybrid agierenden Hamas-Kämpfer stehen doch nicht im leeren Raum, gerade nicht in kommunitaristischen Gesellschaften. Das spricht natürlich nicht gegen Verhandlungen, aber es ist doch alles etwas komplexer.

  • Oder aber die Hamas gibt die Geiseln frei und entschuldigt sich für diese widerliche Tat?

  • Wurde eigentlich die Zahl von 24.000 Toten mal konkretisiert? Sind es 24.000 Zivilisten oder sind hier auch Hamas-Kämpfer eingerechnet? Dann wären die Anteile interessant.



    Besten Dank.

    • @Ein Freund:

      taz.de/Opfer-im-Gaza-Krieg/!5969294/

      Schon etwas älterer Artikel (2/3 Mo), deshalb damals auch noch von geringeren Opferzahlen die Rede. Das ist tatsächlich immer die Gesamtzahl, wobei in den Statements des Gesundheitsministeriums zumindest Frauen und Kinder / Minderjährige noch separat ausgewiesen werden. Verhaltnis ca 30:70, wenn ich mich recht erinnere.

      Es gibt übrigens durchaus auch Stimmen (nicht die der Hamas), die diese Zahlen als eher zu gering einschätzen, da viele der Toten unter Trümmern (noch) nicht geborgen wurden und daher noch erfasst wurden.



      Was mE aber auch fehlt sind 'indirekte' Opfer: Menschen, die durch die seit dem 7. Oktober verschlechterte Allgemeinlage (Hunger, Krankheiten in Folge der hygienischen Umstände, durch Flucht ) ums Leben gekommen sind.

      Übrigens, darauf wird kaum hingewiesen: am 7. Oktober starben auf israelischer Seite neben den Zivilisten auch Soldat:innen. Man liest immer die Gesamtzahl, hier wird nicht nach einer Unterscheidung gefragt. Passt für mich auch, es sind jedem Fall Menschen, die gestorben sind.

    • @Ein Freund:

      Daniel Bax gibt für gewöhnlich die Zahlen des Hamas-"Gesundheitsministeriums" wieder.

      • @Wurstprofessor:

        Ich weiss, aber sind das ausschließlich Zivilisten, oder inklusive Hamas-Kämpfern?

  • Die ägyptischen Menschenrechtler haben doch sicher auch von der Hamas gefordert, sich sofort zu ergeben, um einen sofortigen Waffenstillstand zu erreichen, oder? Wäre sicher die einfachste Möglichkeit, dass Leiden schnell zu beenden.

  • Umgekehrt wird ein Schuh draus. Deutschland muss sich für die Befreiung der Geiseln einsetzen, damit ein Waffenstillstand möglich wird. Man kann von keinem Land verlangen, sich von einer Terrororganisation erpressen zu lassen.

  • Wir hatten einen Waffenstillstand, der Hamas sind Menschenleben unwichtig und sie haben ihn gebrochen.

  • good