Reporter ohne Grenzen über Gaza-Krieg: „Das Fenster nach Gaza“

Gaza ist zum tödlichsten Kriegsort für Journalisten geworden. Die „Reporter ohne Grenzen“ wollen, dass jeder Tod genau untersucht wird.

Trauernde Männer sitzen an einem Grab.

Palästinenser nehmen an der Beerdigung von Hamza Wael Dahdouh, einem Journalisten des Senders Al Jazeera, teil Foto: imago/ap

taz: Herr Resch, Anfang Januar sind der Al-Dschasira-Journalist Hamza Dahdouh und einer seiner Kollegen bei einem Raketenangriff der israelischen Armee gestorben. Der britische Guardian stellte in den Raum, dass der Angriff gezielt erfolgt sei. Wie schätzen Sie den Fall ein?

Christopher Resch: Der Fall hat eine besondere Tragik. Ham­za al-Dahdouh ist der Sohn des bekannten Journalisten Wael Dahdouh, dem Leiter des Al-Dschasira-Büros in Gaza. Er hat durch die israelischen Luftangriffe schon mehrere enge Familienmitglieder verloren, seine Frau, ein Enkelkind und mit Hamza jetzt auch noch das dritte eigene Kind. Doch der Fall zeigt auch den Kampf um die Narrative, der mit diesem Krieg einhergeht.

ist Pressereferent bei Reporter ohne Grenzen. Er hat in Leipzig und Istanbul Journalistik und Arabistik studiert.

Die israelischen Streitkräfte haben zwei Raketen auf das Auto gefeuert, in dem Dahdouh und sein Kollege Mustafa Thuraya saßen. Anschließend haben Militärsprecher behauptet, dass sich in dem Auto auch ein Hamas-Terrorist befand, mussten von dieser Darstellung jedoch wieder abrücken. Wir fordern dringend eine unabhängige Untersuchung zu diesem und anderen Fällen.

Gibt es denn Fälle, bei denen eindeutig bewiesen ist, dass die israelische Armee Journalisten gezielt tötete?

Es gibt Indizien dafür, aber es ist meistens nicht eindeutig zu beweisen. Eine Ausnahme ist der Fall des Reuters-Journalisten Issam Abdallah vom 13. Oktober, knapp eine Woche nach Kriegsbeginn.

Abdallah befand sich im Südlibanon an der Grenze zu Israel, hat über Kämpfe ­zwischen der Miliz Hisbollah und den israelischen ­Streitkräften berichtet. Dabei wurde er mit einer Granate getötet.

Es gibt eine erdrückende Beweislage dafür, dass die israelischen Streitkräfte gewusst haben müssen, dass er und sechs weitere Kollegen dort arbeiten. Auch wir haben dazu recherchiert. Von gezielten Tötungen von Journalisten zu sprechen, sind harte Vorwürfe, die man nicht leichtfertig erheben sollte. Aber wir untersuchen jeden Fall, und zumindest in diesem sieht es danach aus.

Andere Angriffe gingen möglicherweise nicht gezielt gegen Journalisten, doch an ihrer Legitimität kann man trotzdem zweifeln?

Ja, wir kritisieren sie unter Berufung auf das Völkerstrafrecht: Es handelt sich unserer Ansicht nach um unverhältnismäßige und unterschiedslose Angriffe, die einfach nicht ausreichend berücksichtigen, dass da Journalistinnen und Journalisten als eine Gruppe der ­Zivilbevölkerung getroffen werden.

In Deutschland hat der Tod von zahlreichen Journalisten nicht zu einem großen Aufschrei geführt hat.

Es kommt schon zur Sprache, ich selbst habe in den letzten drei Monaten viele Interviews gegeben, doch eine wirklich große Debatte nimmt nicht an Fahrt auf. Wir von Reporter ohne Grenzen haben zwei Strafanzeigen beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, mit denen wir erreichen wollen, dass mögliche Kriegsverbrechen von Israel und auch der Hamas an Journalistinnen und Journalisten untersucht werden sollen. Doch unsere Pressemitteilungen dazu wurden von deutschen Medien so gut wie nicht aufgegriffen.

Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) sind bisher mindestens 79 Journalisten getötet worden. Reporter ohne Grenzen spricht derzeit von 22. Woher kommt diese Differenz?

Diese Differenz ist eigentlich gar keine, das CPJ zählt derzeit 79 getötete Journalisten und wir tatsächlich 80. Wir versuchen allerdings wirklich zweifelsfrei zu belegen, dass der oder die Journalistin während oder wegen seiner oder ihrer Arbeit getroffen wurde. Das ist eine Verpflichtung aus unserem Mandat, und diese Verifizierung dauert manchmal einfach eine Weile.

Ich kann Kritik an dem Vorgehen verstehen, aber wir vertreten den Standpunkt, dass keinem geholfen ist, wenn wir da vorschnelle Schlüsse ziehen. Wir kommunizieren aber beide Zahlen, die verifizierte und die Gesamtzahl, weil jeder einzelne Fall abseits der persönlichen Tragik natürlich eine Auswirkung auf den Journalismus als Ganzen hat und darauf, welche ­Informationen wir aus Gaza bekommen.

Sterben im Israel-Gaza-Krieg verhältnismäßig viele Journalisten?

Ja, das CPJ sagt zum Beispiel, dass es der tödlichste Krieg weltweit für Journalisten seit den Aufzeichnungen ist. Dem können wir uns anschließen. Dass so viele Journalisten getötet wurden, liegt an der Art der israelischen Kriegsführung, das muss man klar sagen. Die flächendeckenden Bombardements ermöglichen es nicht, die Zivilbevölkerung zu schützen, und unserer Ansicht nach muss die israelische Armee hier viel mehr tun.

Wie steht es in dieser Si­tua­tion um die Unabhängigkeit der Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet?

Journalisten kommen seit dem 7. Oktober nur nach Gaza, wenn sie mit der israelischen Armee unterwegs sind. Sie müssen der Armee anschließend ihr Material vorlegen, was für diese Art der Berichterstattung aber nicht ungewöhnlich ist. Wir fordern, dass über die israelischen und den ägyptischen Grenzübergang mehr internationale Medien ins Land gelassen werden.

Und wie berichten palästinensische Medien?

Ich habe den größten Respekt vor dem Mut und vor der Arbeit palästinensischer Journalistinnen und Journalisten, sie sind derzeit das Fenster, durch das die Welt nach Gaza schauen kann. Aber es gibt natürlich Schwierigkeiten, die Menschen vor Ort leben mitten im Krieg, sie haben selbst Angst, vielleicht gibt es Verletzte und Tote im nächsten Umfeld, es fehlt an Strom und Treibstoff. Und natürlich unterdrückt auch die Hamas kritische Berichterstattung, auch wenn es in Gaza immer auch eine lebendige Zivilbevölkerung gab, die kritischen Journalismus ermöglichte.

Besonders al-Dschasira hat einen riesigen Einfluss in der Berichterstattung.

Al-Dschasira war und ist nie ein wirklich unabhängiger Sender gewesen. Man hat sich immer ein Stück weit nach dem gerichtet, was durch das Herrscherhaus in Katar vorgegeben wurde. Das internationale Programm von al-Dschasira ist tendenziell ein bisschen freier und seriöser, aber trotzdem sollte man es mit Vorsicht genießen. In Gaza sind ja auch die großen internationalen Nachrichtenagenturen wie Reuters und AFP vor Ort, die versuchen im Detail zu berichten. Wenn man alle zusammen schaut, dann entsteht ein Gesamtbild.

Es gibt jedoch auch den Verdacht, dass palästinensische Journalisten vom Terrorangriff am 7. Oktober wussten und deswegen eben auch frühzeitig bei den Taten präsent waren. Wie schätzen Sie den Vorwurf ein?

Das ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch Verdachtsberichterstattung, die jedoch sehr reale Folgen nach sich gezogen hat: Es gab mehrere israelische hochrangige Politikerinnen und Politiker, die dazu aufgerufen haben, diese Leute zu töten. Journalisten sind aber kein Freiwild.

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