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EU-Beitritt von Ukraine und MoldauScholz muss liefern

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Europas Staats- und Regierungschefs müssen zur EU-Erweiterung viele offenen Fragen beantworten. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine.

Ankunft von Olaf Scholz in Brüssel am 14.12.2023 Foto: Omar Havana/ap

V iktor Orbán hat sich verzockt. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hatte der ungarische Regierungschef damit gedroht, die europäische Ukraine-Politik mit einem Veto zu blockieren. Die geplanten EU-Beitrittsverhandlungen wollte der notorische Neinsager ebenso stoppen wie eine 50 Milliarden Euro schwere Finanzspritze, die Kyjiw vor dem drohenden Staatsbankrott retten soll.

Doch nach achtstündigen fruchtlosen Verhandlungen musste Orbán einsehen, dass er sein Blatt überreizt hat. Von Kanzler Olaf Scholz ließ er sich zu einer Kaffeepause überreden. Kaum hatte er den Saal im Brüsseler Ratsgebäude verlassen, einigten sich die verbliebenen 26 Staats- und Regierungschefs auf grünes Licht für Beitrittsgespräche. Orbán war weg, der Konsens war da.

Der Trick ist legal, denn Abwesenheit gilt nach den EU-Regeln als Enthaltung und nicht als Nein. Er hat den Weg für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau frei gemacht. Georgien wird zum EU-Kandidaten, auch Bosnien und Herzegowina bekommt eine Chance. Das ist mehr, als selbst Optimisten erwartet hatten. Die EU steuert eine große Erweiterung auf über 30 Mitglieder an.

Bereit für einen Big Bang?

Doch in die Freude über die „historische“ Entscheidung mischt sich auch Sorge über die Zukunft der Union. Denn die große Erweiterungsrunde ist nicht gut vorbereitet. Umfragen zeigen, dass die Bürger der „alten“ EU dem Beitritt der Ukraine skeptisch gegenüber stehen; auch Kanzler Olaf Scholz wird noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Nicht einmal die EU selbst ist bereit, für einen neuen „Big Bang“, wie die erste große Osterweiterung 2004 getauft wurde. Die nötigen Reformen wurden verschlafen, sie müssen nun in aller Eile nachgeholt werden. Bisher gibt es dafür aber nicht einmal einen Plan. Er soll erst 2024 nachgereicht werden. Die EU lässt sich auf ein Abenteuer ein, für das sie selbst nicht gerüstet ist.

Die größte Sorge gilt aber dem Krieg. Wie kann man mit einem Land über den Beitritt verhandeln, das um sein Überleben kämpfen muss? Kann die Ukraine der EU beitreten, wenn große Teile des Landes besetzt sind? Schon jetzt hat die EU größte Mühe, Geld für neue Finanzspritzen für die Ukraine aufzutreiben. Der Wiederaufbau wird noch teurer.

Orbán hatte vor dem EU-Gipfel eine Strategiedebatte angemahnt. Sein Ziel war es, Entscheidungen zu verhindern. Damit ist er krachend gescheitert. Das entbindet Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs aber nicht von der Pflicht, ihre Pläne zu erläutern und die vielen offenen Fragen zu beantworten. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern um ganz Europa.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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14 Kommentare

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  • Zockerbude Brüssel

    Zitat: „Viktor Orbán hat sich verzockt.“

    Nein, er hat sich nicht verzockt, sondern hoch gepokert und dabei 10 Mrd. € gewonnen, die die EU-Kommission trotz anhaltender Kritik an der Rechtsstaatlichkeit in dem Land nun endlich deblockiert hat - eine sehr transparent verschleierte Form von staatlicher Korruption.

    Im übrigen hat Orban in einem Interview mit dem staatlichen Hörfunk seines Landes klargestellt, daß die Enthaltung Ungarns für die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine noch an der Ablehnung im Parlament scheitern (übrigend ebenso wie im neu gewählten Parlament der Niederlande).

    Derweil zockt er weiter und knüpft die Zusage Ungarns an weitere EU-Hilfen für die Ukraine an die Freigabe der noch blockierten Gelder für sein Land. Ungarn verlange "nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles“. (Quelle: Tagesschau 15.12.2023)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Korr.:



      statt " ...daß die Enthaltung Ungarns für die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine noch an der Ablehnung im Parlament scheitern"

      lies

      "...daß die Enthaltung Ungarns für die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine noch an der Ablehnung im Parlament scheitern könnten."

      Sorry

  • Die EU und auch die NATO sind für mich schlicht größenwahnsinnig.



    Und es ist undemokratisch.



    Die Frage, wollen wir eine West-EU oder eine West- und Mitteleuropäische Union wurde schon einfach so entschieden.



    Jetzt wir die Frage "Wollen wir EU mit Osteuropa, aber gegen Russland" einfach so beschlossen. Öffentliche Debatte um Chancen und Risiken? Fehlanzeige. Demokratische Entscheidungen der Völker oder der Parlamente? Fehlanzeige.

    • @Kartöfellchen:

      Der Großteil Osteuropas ist bereits in der EU und die Erweiterung richtet sich nicht gegen Russland sondern entspricht den wünschen der Menschen vor Ort. Die Idee die EU nach Osten zu erweitern wurde lange diskutiert, ist halt schon paar Jahre her. Seitdem ist das ein Konsens weil die Märkte und Fachkräfte gebraucht werden. Sobald Russland lernt seine Nachbarn in Ruhe zu lassen kann es wieder auf Augenhöhe mit der EU handeln.

  • "Die EU lässt sich auf ein Abenteuer ein, für das sie selbst nicht gerüstet ist."

    So ist es. es ist grob fahrlässig, von Erweiterung zu reden, bevor die inneren Probleme gelöst sind.

    Oder ist es so und so nicht ernst gemeint? Macht man den Ukrainern etwas vor, um sie bei der Stange zu halten?

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es wird die Erweiterung geplant und anschliessend durchgeführt. Parallel werden die inneren Probleme mit den Reachtsradikalpopulisten, die dem brandschatzenden & zerstörungswütigen Russland zustimmend, schleimend und keifend auf die Schulter klopfen durch eine Brandmauer marginalisiert.

      Würden Sie bitte Argumente anführen warum beide Prozesse nicht parallel zueinander erfolgreich durchgeführt werden können?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es geht hier eher um Symbolpolitik als um Erweiterung um der Erweiterung Willen wie oft zuvor.

      Es geht darum, die Ukraine nach außen offensichtlich einzubinden und dem Teil, der nach einer wie auch immer gearteten Beilegung des Konflikts als Ukraine verbleibt, Sicherheit vor einem erneuten Aufflammen russischer Kriegshandlungen zu verschaffen, so lange ein formeller Nato-Beitritt noch nicht in Betracht kommt.

  • 6G
    697175 (Profil gelöscht)

    Mit der großen Ost-Erweiterung wurde das Totenglöckchen für die EU, für die auch von mir so viel Zustimmung herrschte, eingeläutet. Der selbe Größenwahn wie bei FIFA und UEFA und sonst wem : je mehr, desto besser. Leider sinkt die Qualität. Ist mir aber jetzt egal, dass wir auch die neuen Staaten finanzieren, muß ich nicht unbedingt mehr erleben.

    • @697175 (Profil gelöscht):

      Das denke ich auch. Das ist nicht klug.

  • Eine Strategiedebatte, wie Orban sie sich wünscht, ist ja eigentlich eine Frage demokratischer Problemlösung. Offensichtlich ist aber Durchregieren angesagt.



    Leider haben die Bürger zumindest in Deutschland kein Mitspracherecht, wer neues Mitglied der EU werden soll. Das würde auch nicht zu den undemokratischen Strukturen der EU passen. Denn hier geht es in erster Linie um die Durchsetzung ökonomischer Interessen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Das es um ganz Europa geht und Putin Europa meint mit seinem Angriff gegen die Ukraine ist seit dem 24. Februar 2022 klar - nur einige haben es immer noch nicht begriffen.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Nun, vielleicht ist dieses Argument einfach auch ein rhetorischer Kniff, der verschleiern soll, dass der Angriff eigentlich der NATO-Osterweiterung gilt, die Putin stoppen will.



      Sage nicht ich, sagt



      - NATO-Generalsekretär Stoltenberg



      und



      - Der Verhandlungsleiter der Ukraine in Istanbul.

      • @Kartöfellchen:

        Ja, durchaus! NATO (die sie hier ins Spiel gebracht haben btw) und EU sind Russland halt Weg, wenn es darum geht, die Menschen bis zur Oder wieder zu unterjochen.

      • @Kartöfellchen:

        Hat Stoltenberg nie gesagt, und das Putin das bei Verhandlungen zur einzigen Bedingung machte hatte vielleicht auch damit was zu tun das die russische Armee sich zu dem Zeitpunkt in der Auflösung befand, wäre der Westen all-in gegangen ab März 22 wären die russischen Landstreitkräfte vernichtet worden. Das Russland nicht zu echten Sicherheitsgarantien bereit war zeigt das sie schnell aus der Saxhe rauswollten um später wiederzukommen. Ein NATO Beitritt stand weder an noch war er auf 20 Jahre realistisch. Wenn Putin deswegen Krieg führt ist er sehr dumm. Vorallem warum zieht er dann Truppen von der NATO Grenze ab? Wenn er sich von der NATO bedroht fühlt? Er ist Imperialist, er hat 5 ukrainische Oblaste annektiert, spricht der Ukraine das Existenzrecht ab und fabuliert von historischen Ansprüchen weil Gebiete mal zum Zarenreich gehört haben. 2 dekontexualisierte Aussagen als Argument zu nehmen und russische Handlungen, Propaganda und Aussagen offizieller der letzten 2 jahre zu ignorieren macht kein starkes Argument.