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Krieg zwischen Israel und HamasDie explodierte Nicht-Lösung

Die Falle der Hamas ist aufgegangen: Der Märtyrer-Hydra wachsen immer neue Häupter. Dagegen hilft das Unterscheiden von Bevölkerung und Anführern.

Ein Panzer der iraelischen Armee steht am Grenzzaun zum Gazastreifen, 28.11.2023 Foto: Alexander Ermochenko/reuters

A uch sieben Wochen nach dem Attentat der Hamas, auch nach den langen Wochen dieses Krieges im Nahen Osten, auch nach Geiselfreilassungen und Feuerpause gilt das, was der ehemalige französische Außenminister Dominique de Villepin gesagt hat, immer noch: „Die Hamas hat uns eine Falle gestellt.“ Und diese ist zugeschnappt.

Die Falle besteht darin, dass es keinen Ausweg gab und gibt: Nicht auf den Terror zu reagieren, wäre schlecht gewesen. Dagegen vorzugehen wie die Israelis, ist schlimm. Beides aber dient der Hamas. Selbst die massiven Angriffe, auch und gerade die schrecklichen Bilder von den Verheerungen im Gazastreifen, sie folgten und folgen noch der Intention der Terrorgruppe. Die Falle, die die Hamas gestellt hat, ist die Falle des maximalen Schreckens, der maximalen Grausamkeit, so Villepin.

Ihr Ziel ist es, jede Art von Frieden zu verhindern. Wie sie unverhohlen aussprechen. Absurderweise liegt gerade in diesem Ziel eine Art Spiegelverhältnis zwischen Netanjahu und der Hamas. Nicht in dem Sinne, dass diese Regierung – wie schlimm sie auch sein mag – mit einer Terrororganisation gleichzusetzen wäre. Aber es gibt zwei Momente solch einer Spiegelung.

Da ist zum einen die jahrelange Politik, eine Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern. Denn es war die Hamas, die seit den 1990er Jahren alle Friedensversuche torpediert hat.

Die Fallenlogik der Hamas

Und da ist zum anderen die Spiegelung einer religiösen Aufladung des Konflikts: Die Islamisierung auf palästinensischer Seite reflektiert in gewisser Weise den politischen Aufstieg der messianischen Siedler bis in die gegenwärtige Regierung auf israelischer Seite. Diese jahrelange Nicht-Lösung ist explodiert.

Eine Explosion, die das Gegenteil einer Lösung ist. Auch darin besteht die Hamas-Falle: sowohl den schlechten Status quo ante einer Nicht-Lösung als auch jede mögliche positive Lösung zu verhindern. Ob die Hamas militärisch und damit auch politisch besiegt werden kann und um welchen Preis, ist nach wie vor offen. Nicht offen jedoch ist, und gerade darin liegt ja die Fallenlogik, dass sie auf diesem Weg ideologisch kaum einzudämmen ist. Wie einer Hydra scheinen ihr stets neue Häupter, neue „Märtyrer“ nachzuwachsen.

Auch eine Ausweitung des Konflikts droht. Plötzlich findet man sich in einem Westen wieder, dessen Anderes, dessen Alternativen Iran, Hamas, Hisbollah, Erdoğan und Putin lauten. Alternativen, bei denen jedes linke antiwestliche Gefühl gefriert.

Dachte man zumindest – bis vor ein paar Tagen Osama bin Ladens „Brief an Amerika“ einen völlig unerwarteten Hype auf Tiktok auslöste. Offenbar geht der ehemalige Al-Qaida-Anführer da als plausible antiwestliche Alternative durch. Sein Versuch, „Palästina“ zu jenem Symbol zu machen, um das sich Muslime weltweit versammeln, hat nun einen verspäteten paradoxen Effekt: Heute schart sich eine Tiktok-Blase um dieses Zeichen.

Der einzige Lichtblick in dieser Nacht der Welt ist eine Differenz: die Differenz zwischen den Bevölkerungen und ihren Anführern. „Die Hamas ist nicht das palästinensische Volk. Netanjahu und Ben-Gvir sind nicht alle Israelis“, so der Historiker Simon Sebag Montefiore. Die Letzteren jeweils aber sind es, auf deren Rücken, mit deren Leben der Konflikt ausgetragen wird.

Protestbewegung als Rückgrat der Zivilgesellschaft

In Israel hat sich diese Differenz vor dem 7. Oktober nachhaltig artikuliert. Die Protestbewegung ist das neue Rückgrat der Zivilgesellschaft, so der Historiker Moshe Zimmermann.

Was die palästinensische Differenz anlangt, so ist diese, zumindest in unseren Breiten, sehr viel stiller. Notgedrungen angesichts der autoritären Herrschaft der Hamas. Sie ist so leise, dass man dachte, es gibt sie überhaupt nicht. Aber manchmal lässt sie sich doch vernehmen.

So zirkulierte kürzlich ein Video auf Twitter, wo eine wütende Gaza-Bewohnerin rief: „Das alles verdanken wir den Hunden von der Hamas“, so die verzweifelte Mutter über den Tod ihres Kindes. Es ist dies die zaghafte, aber einzige Stimme einer Hoffnung.

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14 Kommentare

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  • Die Hamas ist ein Geschäftsmodell, das einige Leute in der Führungsspitze der Terrorfirma reich gemacht hat, auf jeweils zwei bis vier Millliarden Dollar laufen die Schätzungen.

    Die Funktionäre haben das Geld aus Spenden und Zuwendungen abgezweigt, so dass es locker für diverse Protzvillen in Katar und der Türkei reicht. Mit Familie ist man da da in Privat-Jets unterwegs.

    Und schickt das palästinensische Volk in die Hölle um möglichst viel Opfer zu generieren.

    Dafür machen dann Tausende von Hamas-Terroristen über Jahrzehnte nichts anderes als Bomben bauen und Tunnel buddeln.

  • bis zum erschrecken Wahr...

  • Sehr guter und differenzierter Kommentar. Um der Hamas-Falle zu entgehen, muss sich die israelische Öffentlichkeit gegen die Kriegs-Logik der Rache und dem Ziel der militärischen Vernichtung des Gegners stellen. Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand, UN-Truppen im Gaza und Verhandlungen mit der PLO für eine 2 Staaten-Lösung wird zur politischen und damit auch zur militärischen Schwächung der Hamas führen. Nur so wird Israel in Sicherheit leben können.

    • @Rinaldo:

      Das wäre genauso ein Sieg der Hamas. Sie hätte damit letztlich die Uneinnehmbarkeit ihrer aus Menschen gebauten Festung etabliert, von der aus sie den nächsten Unfrieden stiften kann. Israel würde nur die andere Wange hinhalten, was außerhalb unserer westlichen, christlich geprägten Symbolkommunikation niemand als Zeichen von Stärke respektiert - schon gar nicht die Hamas und ihre auf Israels Auslöschung erpichten Unterstützer.

      Israel kann sicher viel tun, um gnädiger rüberzukommen. Es sollte die entwickelten Techniken, Zivilisten zu warnen und ihre Versorgung zu ermöglichen (ohne dadurch auch dem Nachschub für die Hamas Tür und Tor zu öffnen), konsequent anwenden und weiter verbessern.

      Und. Darüber. Reden. Bislang gelingt es ihm nicht, so zu kommunizieren, dass auch Diejenigen, die es eigentlich nicht wahrhaben wollen, nicht mehr ignorieren können, wie hier gerade historische Pionierleistungen erbracht werden, um zivile Opfer möglichst vermeidbar zu machen. Das sollte sich eigentlich ändern lassen.

      Und diejenigen, DIE das nicht wahrhaben wollen, obwohl sie sich eigentlich nicht für Unterstützer der Hamas halten, sollten endlich erkennen, in wessen Horn sie tuten. Und damit meine ich auch SIE, @Rinaldo.

    • @Rinaldo:

      Weshalb sollte die Hamas, wo sie gerade am Gewinnen ist, jetzt eine 2-Staaten-Lösung aushandeln wollen?

      Die PLO hat in Gaza nichts zu verhandeln.

      Sie hat dort nicht das Sagen.

      Auf welcher Basis sehen Sie bitte eine militärische Schwächung der Hamas?

      Die Hamas ist gerade mächtiger als wahrscheinlich jemals zuvor.

      Selbst in Europa jubelt man ihr zu.

  • @Gnutellabrot Merz, Sie sprechen von der Auslöschung der Hamas als einzigen Weg, koste es, was es wolle. Auch um den Preis der Auslöschung Israels als demokratischer Staat? Denn eben genau darin besteht die "Hamas-Falle", wenn ich Isolde Charim richtig verstanden habe. Und darin, dass der "Märtyrer-Hydra" ständig neue Köpfe nachwachsen, auch dann noch, wenn der Hamas-Kopf längst abgeschlagen sein wird.



    Sollte Israel deshalb auf die Zerschlagung der Hamas verzichten? Nein, das ist nicht mein Plädoyer, schon gar nicht angesichts der barbarischen Verbrechen vom 7. Oktober. Aber der Weg, den Israel in Gaza eingeschlagen hat, ist nicht die Lösung des Problems. Es gibt jetzt freilich keine Alternative dazu, aber es gibt eine Zeit nach diesem Krieg. Dann nicht darauf vorbereitet zu sein, keine politischen Lösungen des Konflikts parat zu haben, wäre wirklich fatal.

  • "Was die palästinensische Differenz anlangt, so ist diese, zumindest in unseren Breiten, sehr viel stiller. Notgedrungen angesichts der autoritären Herrschaft der Hamas."

    In unseren Breiten? Wer hat bitte seit der Machtergreifung der Hamas vor 17 Jahren verhindert, dass die Palästinenserinnen und Palästinenser in Deutschland gegen die Hamas auf die Straße gehen? Wieviele Demonstrationen gab es in diesen 17 Jahren? Und wieviel wurde seit dem 7.10. gegen Israel demonstriert?

    Ich glaube nicht dass dieses Verhältnis repräsentativ wäre. Ich denke das vielen der hier lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser sehr wohl bewußt ist, dass es den Frieden nur geben kann wenn die Hamas weg ist.

    Aber die an den Tag gelegte Außendarstellung ist - gelinde gesagt - desaströs. Und das wirkt nach.

  • Schon mit der missbräuchlichen Verwendung des Begriffs "Märtyrer" ist auch unsere taz-Autorin leider in eine Falle der Hamas-Propaganda getappt.

    Märtyrer sind Gläubige, die sich gewalt- und kampflos aus Überzeugung ihrem Schicksal ergeben. Sie leiden lieber selbst Unrecht und Gewalt statt sich mit Gewalt zu verteidigen.

    Klassische Vorbilder für diesen altgriechischen Begriff (wörtlich "Zeugen") waren ursprünglich Christen, die sich in der römischen Christenverfolgung in der Arena lieber von wilden Tieren haben fressen lassen als ihrem Glauben abzuschwören.

    Blind draufschlagende Terroristen, Kidnapper, Attentäter und auch Selbstmordattentäter sind niemals Märtyrer, denn sie legen kein glaubhaftes Zeugnis für ihren Glauben ab. Im Gegenteil, sie besudeln ihre Religion mit Dreck.

    • @Winnetaz:

      In Brüssel gibt es eine Place des Martyrs. Der Platz ist nicht nach Gläubigen benannt, die sich gewalt- und kampflos aus Überzeugung ihrem Schicksal ergeben. Das Christentum hat diesen Begriff nicht für sich gepachtet.

    • @Winnetaz:

      Die Selbstinszenierung von Gewalttätern als 'šahīd'/"Märtyrer' mag sich bei vielen eingebrannt haben, aber wenn es um die Bedeutung des Wortes šahīd, und seine Benutzung geht, würde dem šahīd statt dem Märtyrer eher das 'Opfer'/casuality entsprechen. Ihre Definition ist in dem Kontext also nicht so ganz richtig.



      Auch Opfer von Naturkatastrophen etwa nennt man šahīd. Und unschuldige zivile Opfer allemal. Was anderes würde in dem Kontext die Bedeutung zukommen, ihnen ihren Zivilistenstatus und Unschuld abzusprechen.

  • Wenn egal ist, was man macht, dann ist das doch keine Falle der Hamas in die man tappt. Dann ist es einfach egal, was man macht.

    Dass die Hamas nur Terror, Mord und bestialischste Entmenschlichung von Männern, Frauen und Kindern will, weiß doch jeder.

    Der einzige Weg ist die komplette Auslöschung der Hamas, koste es was es wolle.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Was heißt denn für Sie 'komlette Auslöschung der Hamas' und 'koste es was es wolle' ?

  • "So zirkulierte kürzlich ein Video auf Twitter, wo eine wütende Gaza-Bewohnerin rief: „Das alles verdanken wir den Hunden von der Hamas“, so die verzweifelte Mutter über den Tod ihres Kindes."

    Das Kind ist tot, die Mutter hat mit diesem Video, wie ich annehme, auch ihr Todesurteil unterschrieben. Erscheint es nur mir typisch, dass es eine Frau ist, die ihre Stimme erhebt? Was machen die Hunderttausenden von männlichen Nicht-Hamas-Mitgliedern in Gaza, die sich bewaffnen und/oder mit der IDF zusammen die Hamas-Terroristen festsetzen und das Leid beenden könnten?



    Es wundert mich, dass es nicht ein paar Männer in Gaza gibt, die andere Nicht-Hamas-Anhänger dazu motivieren können.



    (Mir scheint, dass ebenso wie im Iran und Afghanistan die männliche Bevölkerung als Profiteur der jeweiligen Gesellschaftssysteme in religiöser Verblendung kein Gefühl dafür entwickelt hat (konnte?), was Recht und was Unrecht ist).

    "Was die palästinensische Differenz anlangt, so ist diese, zumindest in unseren Breiten, sehr viel stiller. Notgedrungen angesichts der autoritären Herrschaft der Hamas."

    Ausschließlich, oder gibt es vielleicht doch noch andere Gründe? In den westlichen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, könnte man sich ja relativ gefahrlos gegen die Hamas positionieren.

    • @*Sabine*:

      Es wundert mich, dass es nicht ein paar Männer in Gaza gibt, die andere Nicht-Hamas-Anhänger dazu motivieren können.

      Ich glaube, wir als Nachfahren der Deutschen aus der Zeit der Naziherrschaft wissen, wie viele Menschen aus Angst lieber nicht so genau hinsehen oder zu viel Angst hatten sich zu wehren - abgesehen natürlich von denen, die gerne mitgemacht haben."