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Streitgespräch über ein Verbot der AfD„Wir brauchen eine Atempause“

Die AfD wird immer radikaler. Hilft jetzt nur noch ein Verbot? Marco Wanderwitz von der CDU und Sebastian Fiedler von der SPD streiten darüber.

Soll diese Partei verboten werden? Überklebtes Wahlplakat 2021 in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

wochentaz: Herr Wanderwitz, Sie wollen ein AfD-Verbotsverfahren auf den Weg bringen und suchen dafür Mitstreiter im Bundestag. Warum ist das der richtige Weg?

Im Interview: Marco Wanderwitz

48, Rechtsanwalt, ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter der CDU aus dem sächsischen Erzgebirge. Er war Ostbeauftragter der Bundesregierung, innerhalb seiner Partei steht er für einen harten Abgrenzungskurs zur AfD.

Marco Wanderwitz: Es hat ja einen guten Grund, dass uns das Grundgesetz die Möglichkeit zu einem Parteiverbot gibt: Weil eine wehrhafte Demokratie gegen ihre größten Feinde auch ganz scharfe Schwerter führen muss. Ich bin, auch durch Erfahrungen aus meiner sächsischen Lebenswirklichkeit, zu dem Ergebnis gekommen, dass die AfD mittlerweile unzweifelhaft rechtsradikal ist. Dass sie wirklich Böses im Schilde führt und das auch ernsthaft betreibt. Deshalb ist das Verbotsverfahren der richtige Weg. Und da neben der Bundesregierung und dem Bundesrat auch der Bundestag, zu dem ich gehöre, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen kann, sammle ich dort Unterstützer. Der Antragsentwurf liegt hier vor mir.

Wären Sie dabei, Herr Fiedler?

Im Interview: Sebastian Fiedler

50, Kriminalhauptkommissar, kommt aus Nordrhein-Westfalen und sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag. Zuvor war er Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Fiedler ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestags.

Sebastian Fiedler: Nein, Stand heute bin ich nicht dabei – aus juristischen und politischen Gründen. Ich bin kein Verfassungsjurist, aber nach allem, was ich weiß, darf man durchaus Zweifel haben, ob ein solches Verfahren erfolgreich wäre. Für ein Verbot reicht es nicht, wenn sich eine Partei gegen die Menschenwürde, Demokratie und den Rechtsstaat richtet. Da müssten, bildlich gesprochen, schon Waffenarsenale im Keller liegen – es muss ein aggressives Vorgehen gegen den demokratischen Rechtsstaat nachgewiesen werden können. Aber selbst der Verfassungsschutz hat die AfD erst in zwei Bundesländern als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Man kann also alles andere als siegesgewiss nach Karlsruhe gehen. Und ein erfolgloses Verfahren wäre eine Katastrophe.

Schon 2017 scheiterte ein NPD-Verbotsverfahren. Das Bundesverfassungsgericht attestierte der Partei zwar, verfassungsfeindlich zu sein – aber zu durchsetzungsschwach, um die Demokratie wirklich angreifen zu können.

Wanderwitz: Es stimmt, man kann nicht sicher sein und ein nicht gelingendes Verfahren wäre eine ziemliche Katastrophe. Aber in der Abwägung würde ich dieses Risiko eingehen. Ohne Verbotsverfahren werden wir die AfD nicht mehr los. Jetzt haben sie nur einen Landrat und einen Bürgermeister. Aber ich fürchte, der erste Ministerpräsident in einem ostdeutschen Bundesland ist nicht mehr fern. Zu einer absoluten Mehrheit könnten zum Beispiel in Thüringen gut 40 Prozent reichen, wenn SPD, FDP und Grüne an der Fünfprozenthürde scheitern. Ich höre jetzt oft, bei diesen Zustimmungswerten für die AfD kann man ein Verbot nicht mehr machen. Vorher aber hieß es, das ist alles noch beherrschbar. Ich befürchte nur, die Zeit dazwischen hat es nie gegeben.

Sebastian Fiedler, 50, Kriminalhauptkommissar, kommt aus NRW, seit 2021 für die SPD im Bundestag Foto: Stefan Boness/Ipon

Fiedler: Es darf aber doch nicht der Eindruck entstehen, dass wir mit einem Verbotsverfahren den bequemeren Weg wählen, weil wir es anders nicht hinbekommen.

Wanderwitz: Wir würden ja nicht beschließen, einen politischen Mitbewerber zu verbieten. Sondern wir leiten ein rechtsstaatliches Verfahren ein, an dessen Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wir brauchen eine Atempause für die Demokratie. Die AfD in den Parlamenten treibt uns jeden Tag vor sich her. Sie hat Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die 24 Stunden am Tag vom Steuerzahler bezahlt das Internet und die Parlamente mit rechtsradikalen Inhalten fluten.

Fiedler: Herr Wanderwitz, Ihr Parteifreund Norbert Lammert hat einmal sinngemäß den klugen Satz gesagt: Demokratische Rechtsstaaten – er ergänzte: insbesondere gut funktionierende Rechtsstaaten – sind gegen das Wahlverhalten der eigenen Bevölkerung nicht gefeit. Für dieses Wahlverhalten sind aber alle Parteien verantwortlich. Wir müssen Konzepte anbieten, die überzeugen – hier und jetzt. Natürlich versucht die AfD, den Staat von innen heraus anzugreifen, aber der Rechtsstaat ist wehrhaft.

Wanderwitz: Der Rechtsstaat war nicht in der Lage, die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann aus dem Richteramt zu entfernen, jetzt muss sie sich bald wegen Terrorverdachts vor Gericht verantworten.

Fiedler: Das stimmt. Aber wir hatten an anderer Stelle eine Rechtsprechung, nach der der ehemalige AfD-Abgeordnete Jens Maier jetzt nicht mehr auf einem Richterstuhl sitzt. Gerade erst haben wir im Bundestag festgelegt, dass bei Schöffinnen und Schöffen das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ganz klar sein muss. Wir haben das Gesetz zu den parteinahen Stiftungen auf den Weg gebracht, womit es nun eine aktive Verfassungstreue braucht, um finanziert zu werden – für alle Parteien. Und bei dieser Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats würde ich gerne noch nachschärfen.

Wo denn?

Fiedler: Wir müssen eine Lücke beim Verfassungsschutz schließen und ihn in die Lage versetzen, bei der Finanzierung von nicht gewaltorientiertem Extremismus hinzugucken. Bisher kann er das, vereinfacht gesprochen, nur bei der Terrorismusfinanzierung. Eine zusätzliche Befugnis zur Überwachung von Extremismusfinanzierung ist aber nicht nur für die Aufklärung des Rechtsextremismus, sondern etwa auch beim Islamismus relevant. Wenn wir über Schwerter des Rechtsstaats sprechen, dann haben wir das noch nicht ausgepackt. Gerade bei der AfD ist oft unklar, woher ihre Gelder kommen, vielleicht auch aus Russland oder anderswo.

Wanderwitz: Absolut, das sehe ich auch so.

Die Frage ist: Reicht das?

Marco Wanderwitz, 48, Rechtsanwalt, kommt aus Sachsen, seit 2002 Bundestagsabgeordneter der CDU Foto: Stefan Boness/Ipon

Fiedler: Ich habe nicht gesagt, dass das reicht. Ich habe Beispiele genannt, die zeigen, dass wir durchaus etwas tun. Aber wir haben eine Partei, die schon jetzt bundesweit 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint, in manchen Bundesländern deutlich mehr. Das Verfahren würde Jahre dauern. In dieser Zeit würde sich die AfD noch mehr in die Opferrolle begeben, als sie das ohnehin schon tut.

Wanderwitz: Ich glaube auch, dass sie noch ein bisschen lauter schreien würden. Aber es wäre nur ein weiterer Teil der AfD-Erzählung, dass wir sie undemokratisch aus dem Weg räumen wollen. Und ich bin überzeugt, dass die AfD im Grunde große Angst vor dem Verbotsverfahren hat.

Fiedler: Aber in den USA sehen wir ja, dass Gerichtsverfahren den Rechtsaußen nicht unbedingt schaden müssen. Dort laufen strafrechtliche Verfahren gegen Trump und es stärkt ihn. Ich habe Sorge, dass das hier auch so wäre. Deshalb überwiegt bei mir die Skepsis. Außerdem diskutieren Sie nur das bestmögliche Szenario, Herr Wanderwitz. Ein schlechteres wäre, dass sich die AfD durch das Verfahren weiter radikalisiert. Und ich würde nicht ausschließen, dass durch weitere Krisen – im Osten, bei der wirtschaftlichen Entwicklung oder Arbeitslosigkeit – dann noch ganz andere Bekloppte zusammenkommen, wie wir das in der Coronazeit gesehen haben. Dann würde ein reines AfD-Verbot auch nichts helfen.

Wanderwitz: Es ist zu befürchten, dass sich die AfD durch ein Verbotsverfahren noch weiter radikalisiert. Aber das würde nicht den großen Unterschied machen. Für mich bleibt die Abwägung: Was kann ich gewinnen und welche Gefahren lauern auf dem Weg dahin?

Parteiverbote in der Bundesrepublik

Entscheidungen: In der Bundesrepublik gab es bislang zwei erfolgreiche Parteiverbote: 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Zwei Verbotsverfahren gegen die NPD dagegen scheiterten. Das erste wurde 2003 aus verfahrensrechtlichen Gründen eingestellt, das zweite 2017, weil die NPD zu wenig Einfluss hat, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen.

Verfahren und Kriterien: Im zweiten NPD-Urteil konkretisierte das Bundesverfassungsgericht seine Kriterien für ein Parteiverbot. Demnach kann eine Partei verboten werden, wenn sie das Ziel hat, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Es geht um den Schutz der Menschenwürde, die Demokratie und den Rechtsstaat. Die Partei muss zudem planvoll vorgehen und den nötigen Einfluss haben, um ihr Ziel in die Tat umzusetzen. Ein Verbotsverfahren auf den Weg bringen können Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat. Um im Bundestag einen entsprechenden Antrag zu stellen, braucht es zunächst 37 Abgeordnete, der Antrag muss mit einer Mehrheit des Plenums verabschiedet werden. Über den Antrag entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht, konkret der Zweite Senat. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit der acht Rich­ter*in­nen.

Die AfD: Zwei Landesverbände der AfD, Thüringen und Sachsen-Anhalt, sind vom Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft, Gleiches gilt für die Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“. Dagegen hat die JA geklagt. Die Gesamtpartei ist vom Verfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft, das ist eine Stufe darunter. Auch dagegen klagt die AfD.

Herr Wanderwitz, sehen Sie das aggressive Vorgehen der AfD eher, weil Sie aus Sachsen kommen – und nicht aus NRW wie Herr Fiedler?

Wanderwitz: Ja, das ist bei uns schon deutlicher zu sehen. In Sachsen steht die AfD bei 35 Prozent, vielerorts bestimmt sie den Ton und der ist brachialer als im Westen. Der AfDler bei mir zu Hause hat 2019 bei der Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl gesagt, dass man die, die jetzt in den Parlamenten sitzen, jagen und erlegen muss.

Fiedler: Das hat Alexander Gauland so ähnlich auch gesagt.

Wanderwitz: Genau. Und dann hat der Mann aus meiner Heimat noch dazu gesagt, dass man sie rausschlagen muss aus den Parlamenten. So etwas findet man bei fast allen, man muss nur ein bisschen googeln. Die Moderaten in der AfD sind alle aufgefressen worden. Maximilian Krah, den AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, den kenne ich seit 30 Jahren, wir waren mal gemeinsam in der Jungen Union. Da war das ein anderer Mensch.

Fiedler: Ich glaube, bei der Bewertung der AfD haben wir keine zwei Meinungen.

Wanderwitz: Ich erlebe in Sachsen regelmäßig bei Veranstaltungen, auch mit unserem Ministerpräsidenten, dass uns brennender Hass entgegenschlägt, wir werden angeschrien und bedroht. Da bin ich froh, dass vor der Tür eine Hundertschaft zwischen denen und uns steht. Das ist schon etwas, das sich in etwa anfühlt, wie ich mir den Beginn der 30er Jahre vorstelle.

Aber die vor der Tür, das sind doch vor allem Leute der rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen, oder?

Wanderwitz: Ja, aber auch AfD-Mitglieder. Und wenn es gegen uns Demokraten geht, legen die eh zusammen. Die AfD saugt ja alles auf, was es im rechtsradikalen Spektrum gibt. Nehmen wir diesen Herrn Halemba im bayerischen Landtag, der im Gästebuch seiner Burschenschaft mit „Sieg Heil“ unterschrieben haben soll. Auch diese Leute sind in der AfD dezidiert willkommen. Da will man noch den letzten Hitler-Wiedergänger abholen, um am Ende das Land umzukippen.

Für ein erfolgreiches Verbotsverfahren braucht es laut Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt Waffen und Gewalt, sondern ein planvolles Vorgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuschaffen …

Wanderwitz: Ich beziehe mich vor allen Dingen auf Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das hat ja auch der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt gerade in den Mittelpunkt gestellt, als er die dortige AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Die übergroße Zahl der AfD-Mitglieder vertritt ein Bild vom Menschen und vom Volk, das nicht zu unserem Grundgesetz passt. Da soll eine Bundestagsvizepräsidentin, Aydan Özoguz, die in Hamburg geboren und deutsche Staatsbürgerin ist, „in Anatolien entsorgt“ werden, weil sie einen türkischen Migrationshintergrund hat. Die große Frage ist: Glauben wir, dass die AfD in dem Moment, wo sie die Möglichkeit hätte, das auch in die Tat umsetzen würde? Die AfD kommt etwas schafspelziger daher als die NPD, aber sie ist genauso gefährlich.

Lässt sich dieses planvolle Vorgehen der AfD wirklich vor Gericht beweisen?

Fiedler: Das ist genau die Schwierigkeit. Man muss das dem Gericht ganz objektiv in vielen Akten belegen.

Wanderwitz: Wir wissen, dass Rechtsprechung änderungsfähig ist. Insofern geht es auch um eine Einschätzungsfrage des Bundesverfassungsgerichts. Es ist eben schwer zu sagen, ob es reicht oder nicht. Aber jeder Tag und jede Stunde, die wir hier im Bundestag Debatten führen, bestehen daraus, dass die AfD unsere Demokratie und ihre Institutionen verächtlich macht. Das ist genau das planvolle Vorgehen. Ich schieße die Demokratie so lange sturmreif, bis die Wählerinnen und Wähler mich mit solch großen Mehrheiten wählen, dass ich sie dann von innen zerstören kann.

Fiedler: Beim Verächtlichmachen des Rechtsstaats sind wir uns einig. Aber das ist ja nicht die Frage, sondern die beabsichtigte Abschaffung muss belegt werden. Nun kenne ich die vielen Akten nicht, die der Verfassungsschutz über die AfD angelegt hat. Aber die Dinge, die dort vor Gericht präsentiert werden müssen, sind komplizierter in der Beweisführung, als zu sagen, die machen den Rechtsstaat verächtlich. Und natürlich dürfen wir nicht nur auf Deutschland schauen, sondern auch nach Europa. In der EVP etwa …

der Europäischen Volkspartei, zu der die CDU gehört.

Fiedler: In der EVP wird das ganz anders diskutiert. Dass Manfred Weber von der CSU mit Berlusconi Wahlkampf für eine Postfaschistin macht, das wäre hier hoffentlich undenkbar. Aber egal ob in Europa oder bei uns, die Strategien sind dem Grunde nach gleich. Die Rechtsextremen leben von den Krisen, Angst steht im Mittelpunkt. Wenn wir uns jetzt nicht aktuell mit Migrationsfragen zu befassen hätten, wären die Umfragewerte bei 8 Prozent

wochentaz

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Wanderwitz: Das glaube ich nicht. Die AfD wäre trotzdem zweistellig, natürlich wäre die Bedrohungslage kleiner. Aber das ist sie nicht – und wird sie kurzfristig wohl auch nicht. Zu der großen Krise des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist jetzt die Krise im Nahen Osten dazugekommen. Und wir wissen nicht, was als Nächstes kommt. So lange sitzt die AfD im Sauerstoffzelt. Was Europa betrifft: Da haben wir ein schönes Beispiel dafür, wie es schon einmal so geklappt hat, wie ich mir das vorstelle: das Verbot der Goldenen Morgenröte in Griechenland. Danach haben viele deren Wählerinnen und Wähler wieder demokratische Parteien gewählt – weil eben die Rechtsradikalen nicht mehr wählbar waren. Zwar gibt es jetzt eine neue rechtsradikale Partei, die bei 5 oder 6 Prozent liegt. Aber da hat es diese Atempause für die Demokratie gegeben.

Fiedler: Die AfD jetzt zu verbieten, ist doch eine Operation am offenen Herzen, das sollten wir uns wirklich gut überlegen.

Wanderwitz: Ich dachte auch, wir kriegen die schon klein. Wir machen gute Politik, wir reden mit den Menschen, wir vermitteln den Wert der Demokratie. Das haben wir auch gemacht – und jetzt steht die AfD bei 20 plus bundesweit. Und wir haben eine Europawahl vor der Brust, wo der AfD-Mobilisierungsslogan ist, von Herrn Höcke benannt: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Nazisprech, ganz bewusst natürlich. Und wenn wir Pech haben, wird die AfD da bundesweit stärkste Partei. Wir müssen dringend anfangen mit diesem Verfahren, bevor die Sache uns über den Kopf wächst.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass ein Verbot möglich ist. Der Verfassungsschutz hat aber nur zwei AfD-Landesverbände, Thüringen und Sachsen-Anhalt, als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Wäre nicht der erste Schritt, dass der Verfassungsschutz die ganze Partei als gesichert rechtsextrem einstuft?

Wanderwitz: Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Institution, die eine wichtige Rolle spielt. Aber dessen Einstufung hat nur Indiz-Charakter für Karlsruhe. Die AfD hat gegen die Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall geklagt, die Sache liegt jetzt seit anderthalb Jahren beim Oberverwaltungsgericht Münster. Nach den Einlassungen von Verfassungsschutzpräsident Haldenwang rund um den letzten AfD-Parteitag denke ich schon, dass der Tag der Einstufung der gesamten AfD als erwiesen rechtsextrem gar nicht so fern ist. Und da hat mich sehr gefreut, Herr Fiedler, dass Ihre Parteichefin Saskia Esken gesagt hat, wenn dieser Fall eintritt, dann spricht viel dafür, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen.

Fiedler: Das entbindet uns trotzdem nicht davon, uns über die politischen Notwendigkeiten Gedanken zu machen. Wie können wir Lösungen für die Probleme herbeiführen, die die Leute überzeugen? Und ich sehe ein Defizit: Es wird viel zu wenig über die teils absurden Inhalte der AfD gesprochen. Ein Beispiel: Wenn die Partei einen Austritt aus der EU fordert und gleichzeitig den Einsatz von Frontex im Mittelmeer – das passt nicht zusammen. Wenn wir immer nur rufen, das sind Rechtsextreme, dann schalten viele Menschen inzwischen ab.

Wanderwitz: Aber Sie müssen auch sehen: Laut Mitte-Studie lag der Anteil derer, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, zuletzt bei 8 Prozent – in den ostdeutschen Bundesländern dürften es doppelt so viel sein. Die wählen die AfD, weil sie so rechtsradikal ist. Die werden bedient mit der Aussage, unsere Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist null. Die wollen selbst Leuten in der dritten Generation die Pässe wegnehmen oder denen, die anders aussehen oder Muslime sind. Diese Menschen können wir nicht abholen, sondern nur dagegenhalten.

Fiedler: Diese Leute habe ich auch nicht gemeint.

Wanderwitz: Aber die sind halt verdammt viele.

Aber deren Einstellungen bekommen Sie auch mit einem Verbot nicht weg.

Wanderwitz: Beim harten Kern nicht. Aber ich würde ihnen mit dem Verbot ihren parlamentarischen Arm aus dem Spiel nehmen. Und ich glaube schon, dass ein Verbot bei einer nicht kleinen Zahl von Leuten noch mal etwas macht.

Es gäbe ja auch Alternativen: nur ein Teilverbot von besonders extremen Landesverbänden wie der Thüringer AfD. Oder einen Entzug der Parteienfinanzierung. Wäre nicht auch das ein gangbarer Weg?

Fiedler: Finanzen streichen ist aus meiner Sicht ein super Punkt, definitiv. Das halte ich für eines der schärfsten Schwerter, die man auch nutzen sollte. Beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren hatte das Bundesverfassungsgericht diesen Weg ja explizit vorgeschlagen und der wird bei dieser Partei ja auch bereits gegangen.

Wanderwitz: Natürlich, alles hilft. Vielleicht kommt am Ende ein Teilverbot der AfD heraus. Das kann der Bundestag aber rechtlich bisher nicht in Karlsruhe beantragen, sondern das kann nur dort entschieden werden.

Herr Wanderwitz, Sie brauchen 37 Abgeordnete für einen Verbotsantrag. Wie viele haben Sie denn schon?

Wanderwitz: Ich führe viele Gespräche, auch in den Ampelfraktionen. Und wir zwei, Herr Fiedler, haben ja jetzt auch gesprochen.

Hat Marco Wanderwitz Sie überzeugt, Herr Fiedler?

Fiedler: Nein, Stand heute nicht.

Herr Wanderwitz, Ihr eigener Fraktions- und Parteichef, Friedrich Merz, ist gegen ein AfD-Verbotsverfahren.

Wanderwitz: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich ihn für das Thema gewinnen kann. Viele Kolleginnen und Kollegen ringen mit dieser Frage. Wir sind als Abgeordnete nur unserem Gewissen verpflichtet. Und Gruppenanträge im Bundestag sind nicht so selten. Ich sag mal so: Es wird.

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21 Kommentare

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  • Herr Fiedler hat eine reichlich idealisierte Weltsicht, um das mal so zu sagen...

    • @nutzer:

      Idealisiert?



      Ich finde ihn im Gegenteil sehr rational. Er betrachtet Nutzen und Risiken eines Verbotsverfahrens.



      Klar klingen Verbote für alles, was einem nicht passt, erstmal gut.



      Das Problem ist nur, dass die anderen Parteien die AfD nicht verbieten können, das machen RichterInnen.



      Und ein Scheitern wäre ein Super-GAU, eine Legitimierung der AfD von höchster Stelle.

  • "... Da müssten [...] schon Waffenarsenale im Keller liegen"

    Ho hum. In letzter Zeit nicht mehr Nachrichten gelesen?

  • Wenn 1/5 der deutschen Faschisten wählen (entweder weil sie selbst welche sind oder kein Problem mit diesen haben) wird man das nicht mit einem Verbot lösen können - auch wenn ich persönlich an dem Tag, an dem das passiert, tanzen werde.



    Wenn Strukturen zerschlagen und Gelder eingezogen werden, dann sind die Netzwerke immer noch da. Ein Verbot schafft eine Atempause von wenigen Jahren und dann stehen wir vor dem gleichen Problem.

  • "Sie hat Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die 24 Stunden am Tag vom Steuerzahler bezahlt das Internet und die Parlamente mit rechtsradikalen Inhalten fluten."

    Interessant. Und das ohne Stiftungszuwendungen und ohne die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten an ihrer Seite.

    Es scheint mir ehe so, daß die etablierten Parteien vor lauter Unfähigkeit mit dem Rücken an der Wand stehen und in dieser Verzweiflung jede Karten spielen.

    Die Äußerungen von Herrn Wanderwitz machen mir Angst.

  • Wenn man mitbekommen hat was B. Höcke alles so auf dem Landesparteitag in Pfiffelbach von sich gegeben hat und dafür 88% Zustimmung erhalten hat, kann ein Verbotsverfahren nur begrüßen. Für eine Atempause ist keine Zeit. Die Menschen sin zwar dann nicht weg aber die Strukturen sind erstmal zerschlagen.



    Ich bin juristisch nicht so bewandert aber alles was möglich ist sollte schnellsten getan werden.



    Wenn es in Thüringen erstmal eine AfD Ministerpräsidenten gibt ist es zu Spät.

    • @Garum:

      Es IST bereits spät. Solche Diskussionen wie im Artikel hätten vor 5 Jahren geführt werden müssen.

    • @Garum:

      "Wenn es in Thüringen erstmal eine AfD Ministerpräsidenten gibt ist es zu Spät."

      ------------

      Wenn derjenige wie damals Herr Ramelow auch ein Prüfverfahren durchläuft und eine positive Bescheinigung erhält, was spricht dagegen ?

      • @SeppW:

        das war auch die Meinung, der Nationalkonservativen, als Hitle rzum Reichskanzler wurde. Das erledigt sich von ganz alleine... Nun kann man Höcke nicht mit Hitler vergleichen, ganz bestimmt nicht, aber die Argumente, die die Gefahr einer Übernahme durch demokratiefeindliche Kräfte verharmlosen, die lassen sich vergleichen.



        Es ist schlicht naiv zu glauben, es ginge nur um eine Wahlperiode und danach könne wieder anders gewählt werden.



        Es geht nicht um politische Meinungen, es geht um Strukturen und die werden durch Höcke , sofort umgekrempelt. Zu glauben, eine affde halte sich an politische Gepflogenheiten oder habe irgendeine Hemmung die eigene Macht zu zementieren ist schlicht weltfremd.



        Und ein Prüfverfahren, dass Höcke als auf dem Boden des Grundgesetzes sieht, tja, das kann nur gefakt sein.

        • @nutzer:

          "Es ist schlicht naiv zu glauben, es ginge nur um eine Wahlperiode und danach könne wieder anders gewählt werden."



          Ist das naiv? Wie war das denn bisher mit der FPÖ in Österreich?

          Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der NSDAP und den heutigen Rechtsaußen wie AFD, FPÖ und wie sie alle heißen: sie haben keine exekutiven Machtmittel innerhalb ihrer Partei, wie die NSDAP sie mit der SA hatte. Und wir haben eine stabile Verfassung, die von der Bundeswehr nötigenfalls militärisch geschützt wird.

      • @SeppW:

        Sie sollten sich mal informieren was B. Höcke auf dem LP so von sich gegeben hat.

        • @Garum:

          Was hat er denn geäußert? Und wieso steht das nicht in dr TAZ ?

        • @Garum:

          Ich habe mir die Rede diese Unsympathen angehört.



          So lange im rechtlichen Rahmen möglich ist, gibt es keine Einwände.

          Bin auf das erste Gesetz, Haushalt ... der Afd gespannt, welches vom Verfassungschutzgericht gekippt wird.



          Dann sind sie bei den etablierten angekommen.

  • Wenn sie die Partei verbieten, die von 1/5 aller Wähler gewählt wird, dann ist dies meines Erachtens auf eine besondere Weise auch das Ende der Demokratie, weil man via Verordnung gegen Wählers Wille handelt.



    In der AfD hat es sehr wohl Politiker die nicht in eine demokratische Partei gehören, aber deshalb die Partei als Gesamtes verbieten zu wollen dürfte wohl rechtlich niemals durchkommen.



    Klarstellung: Niemals würde ich die AfD wählen oder gut finden, aber unser die genannte Forderung halte ich für ungesetzlich. Auch ein so schlechte Partei wie die AfD hat die gleichen Rechte wie andere Parteien, auch wenn sie sich partiell nicht immer an die Pflichten hält.



    Die CDU wurde auch nicht wegen Filbinger verboten, die SPD nicht wegen CumEX,...

    • @Rudi Hamm:

      So einfach ist es nicht. Wenn die AfD systematisch versucht, unsere demokratische Ordnung zu beseitigen, ist ein Verbot das schärfste Schwert dagegen. Hält man sich nicht an die wenigen Pflichten einer Partei in einem Rechtsstaat, indem man versucht, denselben zu beseitigen, dann verwirkt man auch sein Recht auf Gleichbehandlung. Ein Verbot der NSDAP z.B. im Jahr 1932 hätte der ganzen Welt viel Leid erspart.

    • @Rudi Hamm:

      Filbinger oder sonst ein Altnazi waren aber weit davon entfernt zum 3ten Recih zurückzukehren, die cdu als ganzes sowieso, rechtskonservativ ja, das waren sie, aber nicht rechtsradikal...

      • @nutzer:

        Naja, bei Maaßen habe ich da so meine Zweifel.

    • @Rudi Hamm:

      Die AFD benutzt die freiheitlich demokratische Grundordnung, um sie abzuschaffen. DAS ist dann das Ende der Demokratie.



      In der Weimarer Republik dachte man auch, man könne die Nazis einhegen. Wir alle wissen, was dabei rausgekommen ist.

    • @Rudi Hamm:

      Es geht bei der AfD um die Auflösung der demokratischen Ordnung. So verstehe ich das was B. Höcke auf dem LP in Thüringen von sich gegeben hat.

      • @Garum:

        Höcke ja. Aber Höcke ist so wenig die ganze AfD, wie Sarazin die ganze SPD ist.



        Aber ja, wenn die Mehrheit der AfD wie Höcke wäre, wäre das rechtlich was anderes.