Streitgespräch über ein Verbot der AfD: „Wir brauchen eine Atempause“

Die AfD wird immer radikaler. Hilft jetzt nur noch ein Verbot? Marco Wanderwitz von der CDU und Sebastian Fiedler von der SPD streiten darüber.

Überklebtes AfD-Logo.

Soll diese Partei verboten werden? Überklebtes Wahlplakat 2021 in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

wochentaz: Herr Wanderwitz, Sie wollen ein AfD-Verbotsverfahren auf den Weg bringen und suchen dafür Mitstreiter im Bundestag. Warum ist das der richtige Weg?

48, Rechtsanwalt, ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter der CDU aus dem sächsischen Erzgebirge. Er war Ostbeauftragter der Bundesregierung, innerhalb seiner Partei steht er für einen harten Abgrenzungskurs zur AfD.

Marco Wanderwitz: Es hat ja einen guten Grund, dass uns das Grundgesetz die Möglichkeit zu einem Parteiverbot gibt: Weil eine wehrhafte Demokratie gegen ihre größten Feinde auch ganz scharfe Schwerter führen muss. Ich bin, auch durch Erfahrungen aus meiner sächsischen Lebenswirklichkeit, zu dem Ergebnis gekommen, dass die AfD mittlerweile unzweifelhaft rechtsradikal ist. Dass sie wirklich Böses im Schilde führt und das auch ernsthaft betreibt. Deshalb ist das Verbotsverfahren der richtige Weg. Und da neben der Bundesregierung und dem Bundesrat auch der Bundestag, zu dem ich gehöre, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen kann, sammle ich dort Unterstützer. Der Antragsentwurf liegt hier vor mir.

Wären Sie dabei, Herr Fiedler?

50, Kriminalhauptkommissar, kommt aus Nordrhein-Westfalen und sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag. Zuvor war er Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Fiedler ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestags.

Sebastian Fiedler: Nein, Stand heute bin ich nicht dabei – aus juristischen und politischen Gründen. Ich bin kein Verfassungsjurist, aber nach allem, was ich weiß, darf man durchaus Zweifel haben, ob ein solches Verfahren erfolgreich wäre. Für ein Verbot reicht es nicht, wenn sich eine Partei gegen die Menschenwürde, Demokratie und den Rechtsstaat richtet. Da müssten, bildlich gesprochen, schon Waffenarsenale im Keller liegen – es muss ein aggressives Vorgehen gegen den demokratischen Rechtsstaat nachgewiesen werden können. Aber selbst der Verfassungsschutz hat die AfD erst in zwei Bundesländern als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Man kann also alles andere als siegesgewiss nach Karlsruhe gehen. Und ein erfolgloses Verfahren wäre eine Katastrophe.

Schon 2017 scheiterte ein NPD-Verbotsverfahren. Das Bundesverfassungsgericht attestierte der Partei zwar, verfassungsfeindlich zu sein – aber zu durchsetzungsschwach, um die Demokratie wirklich angreifen zu können.

Wanderwitz: Es stimmt, man kann nicht sicher sein und ein nicht gelingendes Verfahren wäre eine ziemliche Katastrophe. Aber in der Abwägung würde ich dieses Risiko eingehen. Ohne Verbotsverfahren werden wir die AfD nicht mehr los. Jetzt haben sie nur einen Landrat und einen Bürgermeister. Aber ich fürchte, der erste Ministerpräsident in einem ostdeutschen Bundesland ist nicht mehr fern. Zu einer absoluten Mehrheit könnten zum Beispiel in Thüringen gut 40 Prozent reichen, wenn SPD, FDP und Grüne an der Fünfprozenthürde scheitern. Ich höre jetzt oft, bei diesen Zustimmungswerten für die AfD kann man ein Verbot nicht mehr machen. Vorher aber hieß es, das ist alles noch beherrschbar. Ich befürchte nur, die Zeit dazwischen hat es nie gegeben.

SPD-Politiker Sebastian Fiedler bei einem Streitgespräch.

Sebastian Fiedler, 50, Kriminalhauptkommissar, kommt aus NRW, seit 2021 für die SPD im Bundestag Foto: Stefan Boness/Ipon

Fiedler: Es darf aber doch nicht der Eindruck entstehen, dass wir mit einem Verbotsverfahren den bequemeren Weg wählen, weil wir es anders nicht hinbekommen.

Wanderwitz: Wir würden ja nicht beschließen, einen politischen Mitbewerber zu verbieten. Sondern wir leiten ein rechtsstaatliches Verfahren ein, an dessen Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wir brauchen eine Atempause für die Demokratie. Die AfD in den Parlamenten treibt uns jeden Tag vor sich her. Sie hat Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die 24 Stunden am Tag vom Steuerzahler bezahlt das Internet und die Parlamente mit rechtsradikalen Inhalten fluten.

Fiedler: Herr Wanderwitz, Ihr Parteifreund Norbert Lammert hat einmal sinngemäß den klugen Satz gesagt: Demokratische Rechtsstaaten – er ergänzte: insbesondere gut funktionierende Rechtsstaaten – sind gegen das Wahlverhalten der eigenen Bevölkerung nicht gefeit. Für dieses Wahlverhalten sind aber alle Parteien verantwortlich. Wir müssen Konzepte anbieten, die überzeugen – hier und jetzt. Natürlich versucht die AfD, den Staat von innen heraus anzugreifen, aber der Rechtsstaat ist wehrhaft.

Wanderwitz: Der Rechtsstaat war nicht in der Lage, die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann aus dem Richteramt zu entfernen, jetzt muss sie sich bald wegen Terrorverdachts vor Gericht verantworten.

Fiedler: Das stimmt. Aber wir hatten an anderer Stelle eine Rechtsprechung, nach der der ehemalige AfD-Abgeordnete Jens Maier jetzt nicht mehr auf einem Richterstuhl sitzt. Gerade erst haben wir im Bundestag festgelegt, dass bei Schöffinnen und Schöffen das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ganz klar sein muss. Wir haben das Gesetz zu den parteinahen Stiftungen auf den Weg gebracht, womit es nun eine aktive Verfassungstreue braucht, um finanziert zu werden – für alle Parteien. Und bei dieser Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats würde ich gerne noch nachschärfen.

Wo denn?

Fiedler: Wir müssen eine Lücke beim Verfassungsschutz schließen und ihn in die Lage versetzen, bei der Finanzierung von nicht gewaltorientiertem Extremismus hinzugucken. Bisher kann er das, vereinfacht gesprochen, nur bei der Terrorismusfinanzierung. Eine zusätzliche Befugnis zur Überwachung von Extremismusfinanzierung ist aber nicht nur für die Aufklärung des Rechtsextremismus, sondern etwa auch beim Islamismus relevant. Wenn wir über Schwerter des Rechtsstaats sprechen, dann haben wir das noch nicht ausgepackt. Gerade bei der AfD ist oft unklar, woher ihre Gelder kommen, vielleicht auch aus Russland oder anderswo.

Wanderwitz: Absolut, das sehe ich auch so.

Die Frage ist: Reicht das?

CDU-Politiker Marco Wanderwitz bei einem Streitgespräch.

Marco Wanderwitz, 48, Rechtsanwalt, kommt aus Sachsen, seit 2002 Bundestagsabgeordneter der CDU Foto: Stefan Boness/Ipon

Fiedler: Ich habe nicht gesagt, dass das reicht. Ich habe Beispiele genannt, die zeigen, dass wir durchaus etwas tun. Aber wir haben eine Partei, die schon jetzt bundesweit 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint, in manchen Bundesländern deutlich mehr. Das Verfahren würde Jahre dauern. In dieser Zeit würde sich die AfD noch mehr in die Opferrolle begeben, als sie das ohnehin schon tut.

Wanderwitz: Ich glaube auch, dass sie noch ein bisschen lauter schreien würden. Aber es wäre nur ein weiterer Teil der AfD-Erzählung, dass wir sie undemokratisch aus dem Weg räumen wollen. Und ich bin überzeugt, dass die AfD im Grunde große Angst vor dem Verbotsverfahren hat.

Fiedler: Aber in den USA sehen wir ja, dass Gerichtsverfahren den Rechtsaußen nicht unbedingt schaden müssen. Dort laufen strafrechtliche Verfahren gegen Trump und es stärkt ihn. Ich habe Sorge, dass das hier auch so wäre. Deshalb überwiegt bei mir die Skepsis. Außerdem diskutieren Sie nur das bestmögliche Szenario, Herr Wanderwitz. Ein schlechteres wäre, dass sich die AfD durch das Verfahren weiter radikalisiert. Und ich würde nicht ausschließen, dass durch weitere Krisen – im Osten, bei der wirtschaftlichen Entwicklung oder Arbeitslosigkeit – dann noch ganz andere Bekloppte zusammenkommen, wie wir das in der Coronazeit gesehen haben. Dann würde ein reines AfD-Verbot auch nichts helfen.

Wanderwitz: Es ist zu befürchten, dass sich die AfD durch ein Verbotsverfahren noch weiter radikalisiert. Aber das würde nicht den großen Unterschied machen. Für mich bleibt die Abwägung: Was kann ich gewinnen und welche Gefahren lauern auf dem Weg dahin?

Entscheidungen: In der Bundesrepublik gab es bislang zwei erfolgreiche Parteiverbote: 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Zwei Verbotsverfahren gegen die NPD dagegen scheiterten. Das erste wurde 2003 aus verfahrensrechtlichen Gründen eingestellt, das zweite 2017, weil die NPD zu wenig Einfluss hat, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen.

Verfahren und Kriterien: Im zweiten NPD-Urteil konkretisierte das Bundesverfassungsgericht seine Kriterien für ein Parteiverbot. Demnach kann eine Partei verboten werden, wenn sie das Ziel hat, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Es geht um den Schutz der Menschenwürde, die Demokratie und den Rechtsstaat. Die Partei muss zudem planvoll vorgehen und den nötigen Einfluss haben, um ihr Ziel in die Tat umzusetzen. Ein Verbotsverfahren auf den Weg bringen können Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat. Um im Bundestag einen entsprechenden Antrag zu stellen, braucht es zunächst 37 Abgeordnete, der Antrag muss mit einer Mehrheit des Plenums verabschiedet werden. Über den Antrag entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht, konkret der Zweite Senat. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit der acht Rich­ter*in­nen.

Die AfD: Zwei Landesverbände der AfD, Thüringen und Sachsen-Anhalt, sind vom Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft, Gleiches gilt für die Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“. Dagegen hat die JA geklagt. Die Gesamtpartei ist vom Verfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft, das ist eine Stufe darunter. Auch dagegen klagt die AfD.

Herr Wanderwitz, sehen Sie das aggressive Vorgehen der AfD eher, weil Sie aus Sachsen kommen – und nicht aus NRW wie Herr Fiedler?

Wanderwitz: Ja, das ist bei uns schon deutlicher zu sehen. In Sachsen steht die AfD bei 35 Prozent, vielerorts bestimmt sie den Ton und der ist brachialer als im Westen. Der AfDler bei mir zu Hause hat 2019 bei der Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl gesagt, dass man die, die jetzt in den Parlamenten sitzen, jagen und erlegen muss.

Fiedler: Das hat Alexander Gauland so ähnlich auch gesagt.

Wanderwitz: Genau. Und dann hat der Mann aus meiner Heimat noch dazu gesagt, dass man sie rausschlagen muss aus den Parlamenten. So etwas findet man bei fast allen, man muss nur ein bisschen googeln. Die Moderaten in der AfD sind alle aufgefressen worden. Maximilian Krah, den AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, den kenne ich seit 30 Jahren, wir waren mal gemeinsam in der Jungen Union. Da war das ein anderer Mensch.

Fiedler: Ich glaube, bei der Bewertung der AfD haben wir keine zwei Meinungen.

Wanderwitz: Ich erlebe in Sachsen regelmäßig bei Veranstaltungen, auch mit unserem Ministerpräsidenten, dass uns brennender Hass entgegenschlägt, wir werden angeschrien und bedroht. Da bin ich froh, dass vor der Tür eine Hundertschaft zwischen denen und uns steht. Das ist schon etwas, das sich in etwa anfühlt, wie ich mir den Beginn der 30er Jahre vorstelle.

Aber die vor der Tür, das sind doch vor allem Leute der rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen, oder?

Wanderwitz: Ja, aber auch AfD-Mitglieder. Und wenn es gegen uns Demokraten geht, legen die eh zusammen. Die AfD saugt ja alles auf, was es im rechtsradikalen Spektrum gibt. Nehmen wir diesen Herrn Halemba im bayerischen Landtag, der im Gästebuch seiner Burschenschaft mit „Sieg Heil“ unterschrieben haben soll. Auch diese Leute sind in der AfD dezidiert willkommen. Da will man noch den letzten Hitler-Wiedergänger abholen, um am Ende das Land umzukippen.

Für ein erfolgreiches Verbotsverfahren braucht es laut Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt Waffen und Gewalt, sondern ein planvolles Vorgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuschaffen …

Wanderwitz: Ich beziehe mich vor allen Dingen auf Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das hat ja auch der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt gerade in den Mittelpunkt gestellt, als er die dortige AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Die übergroße Zahl der AfD-Mitglieder vertritt ein Bild vom Menschen und vom Volk, das nicht zu unserem Grundgesetz passt. Da soll eine Bundestagsvizepräsidentin, Aydan Özoguz, die in Hamburg geboren und deutsche Staatsbürgerin ist, „in Anatolien entsorgt“ werden, weil sie einen türkischen Migrationshintergrund hat. Die große Frage ist: Glauben wir, dass die AfD in dem Moment, wo sie die Möglichkeit hätte, das auch in die Tat umsetzen würde? Die AfD kommt etwas schafspelziger daher als die NPD, aber sie ist genauso gefährlich.

Lässt sich dieses planvolle Vorgehen der AfD wirklich vor Gericht beweisen?

Fiedler: Das ist genau die Schwierigkeit. Man muss das dem Gericht ganz objektiv in vielen Akten belegen.

Wanderwitz: Wir wissen, dass Rechtsprechung änderungsfähig ist. Insofern geht es auch um eine Einschätzungsfrage des Bundesverfassungsgerichts. Es ist eben schwer zu sagen, ob es reicht oder nicht. Aber jeder Tag und jede Stunde, die wir hier im Bundestag Debatten führen, bestehen daraus, dass die AfD unsere Demokratie und ihre Institutionen verächtlich macht. Das ist genau das planvolle Vorgehen. Ich schieße die Demokratie so lange sturmreif, bis die Wählerinnen und Wähler mich mit solch großen Mehrheiten wählen, dass ich sie dann von innen zerstören kann.

Fiedler: Beim Verächtlichmachen des Rechtsstaats sind wir uns einig. Aber das ist ja nicht die Frage, sondern die beabsichtigte Abschaffung muss belegt werden. Nun kenne ich die vielen Akten nicht, die der Verfassungsschutz über die AfD angelegt hat. Aber die Dinge, die dort vor Gericht präsentiert werden müssen, sind komplizierter in der Beweisführung, als zu sagen, die machen den Rechtsstaat verächtlich. Und natürlich dürfen wir nicht nur auf Deutschland schauen, sondern auch nach Europa. In der EVP etwa …

der Europäischen Volkspartei, zu der die CDU gehört.

Fiedler: In der EVP wird das ganz anders diskutiert. Dass Manfred Weber von der CSU mit Berlusconi Wahlkampf für eine Postfaschistin macht, das wäre hier hoffentlich undenkbar. Aber egal ob in Europa oder bei uns, die Strategien sind dem Grunde nach gleich. Die Rechtsextremen leben von den Krisen, Angst steht im Mittelpunkt. Wenn wir uns jetzt nicht aktuell mit Migrationsfragen zu befassen hätten, wären die Umfragewerte bei 8 Prozent

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wanderwitz: Das glaube ich nicht. Die AfD wäre trotzdem zweistellig, natürlich wäre die Bedrohungslage kleiner. Aber das ist sie nicht – und wird sie kurzfristig wohl auch nicht. Zu der großen Krise des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist jetzt die Krise im Nahen Osten dazugekommen. Und wir wissen nicht, was als Nächstes kommt. So lange sitzt die AfD im Sauerstoffzelt. Was Europa betrifft: Da haben wir ein schönes Beispiel dafür, wie es schon einmal so geklappt hat, wie ich mir das vorstelle: das Verbot der Goldenen Morgenröte in Griechenland. Danach haben viele deren Wählerinnen und Wähler wieder demokratische Parteien gewählt – weil eben die Rechtsradikalen nicht mehr wählbar waren. Zwar gibt es jetzt eine neue rechtsradikale Partei, die bei 5 oder 6 Prozent liegt. Aber da hat es diese Atempause für die Demokratie gegeben.

Fiedler: Die AfD jetzt zu verbieten, ist doch eine Operation am offenen Herzen, das sollten wir uns wirklich gut überlegen.

Wanderwitz: Ich dachte auch, wir kriegen die schon klein. Wir machen gute Politik, wir reden mit den Menschen, wir vermitteln den Wert der Demokratie. Das haben wir auch gemacht – und jetzt steht die AfD bei 20 plus bundesweit. Und wir haben eine Europawahl vor der Brust, wo der AfD-Mobilisierungsslogan ist, von Herrn Höcke benannt: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Nazisprech, ganz bewusst natürlich. Und wenn wir Pech haben, wird die AfD da bundesweit stärkste Partei. Wir müssen dringend anfangen mit diesem Verfahren, bevor die Sache uns über den Kopf wächst.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass ein Verbot möglich ist. Der Verfassungsschutz hat aber nur zwei AfD-Landesverbände, Thüringen und Sachsen-Anhalt, als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Wäre nicht der erste Schritt, dass der Verfassungsschutz die ganze Partei als gesichert rechtsextrem einstuft?

Wanderwitz: Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Institution, die eine wichtige Rolle spielt. Aber dessen Einstufung hat nur Indiz-Charakter für Karlsruhe. Die AfD hat gegen die Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall geklagt, die Sache liegt jetzt seit anderthalb Jahren beim Oberverwaltungsgericht Münster. Nach den Einlassungen von Verfassungsschutzpräsident Haldenwang rund um den letzten AfD-Parteitag denke ich schon, dass der Tag der Einstufung der gesamten AfD als erwiesen rechtsextrem gar nicht so fern ist. Und da hat mich sehr gefreut, Herr Fiedler, dass Ihre Parteichefin Saskia Esken gesagt hat, wenn dieser Fall eintritt, dann spricht viel dafür, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen.

Fiedler: Das entbindet uns trotzdem nicht davon, uns über die politischen Notwendigkeiten Gedanken zu machen. Wie können wir Lösungen für die Probleme herbeiführen, die die Leute überzeugen? Und ich sehe ein Defizit: Es wird viel zu wenig über die teils absurden Inhalte der AfD gesprochen. Ein Beispiel: Wenn die Partei einen Austritt aus der EU fordert und gleichzeitig den Einsatz von Frontex im Mittelmeer – das passt nicht zusammen. Wenn wir immer nur rufen, das sind Rechtsextreme, dann schalten viele Menschen inzwischen ab.

Wanderwitz: Aber Sie müssen auch sehen: Laut Mitte-Studie lag der Anteil derer, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, zuletzt bei 8 Prozent – in den ostdeutschen Bundesländern dürften es doppelt so viel sein. Die wählen die AfD, weil sie so rechtsradikal ist. Die werden bedient mit der Aussage, unsere Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist null. Die wollen selbst Leuten in der dritten Generation die Pässe wegnehmen oder denen, die anders aussehen oder Muslime sind. Diese Menschen können wir nicht abholen, sondern nur dagegenhalten.

Fiedler: Diese Leute habe ich auch nicht gemeint.

Wanderwitz: Aber die sind halt verdammt viele.

Aber deren Einstellungen bekommen Sie auch mit einem Verbot nicht weg.

Wanderwitz: Beim harten Kern nicht. Aber ich würde ihnen mit dem Verbot ihren parlamentarischen Arm aus dem Spiel nehmen. Und ich glaube schon, dass ein Verbot bei einer nicht kleinen Zahl von Leuten noch mal etwas macht.

Es gäbe ja auch Alternativen: nur ein Teilverbot von besonders extremen Landesverbänden wie der Thüringer AfD. Oder einen Entzug der Parteienfinanzierung. Wäre nicht auch das ein gangbarer Weg?

Fiedler: Finanzen streichen ist aus meiner Sicht ein super Punkt, definitiv. Das halte ich für eines der schärfsten Schwerter, die man auch nutzen sollte. Beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren hatte das Bundesverfassungsgericht diesen Weg ja explizit vorgeschlagen und der wird bei dieser Partei ja auch bereits gegangen.

Wanderwitz: Natürlich, alles hilft. Vielleicht kommt am Ende ein Teilverbot der AfD heraus. Das kann der Bundestag aber rechtlich bisher nicht in Karlsruhe beantragen, sondern das kann nur dort entschieden werden.

Herr Wanderwitz, Sie brauchen 37 Abgeordnete für einen Verbotsantrag. Wie viele haben Sie denn schon?

Wanderwitz: Ich führe viele Gespräche, auch in den Ampelfraktionen. Und wir zwei, Herr Fiedler, haben ja jetzt auch gesprochen.

Hat Marco Wanderwitz Sie überzeugt, Herr Fiedler?

Fiedler: Nein, Stand heute nicht.

Herr Wanderwitz, Ihr eigener Fraktions- und Parteichef, Friedrich Merz, ist gegen ein AfD-Verbotsverfahren.

Wanderwitz: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich ihn für das Thema gewinnen kann. Viele Kolleginnen und Kollegen ringen mit dieser Frage. Wir sind als Abgeordnete nur unserem Gewissen verpflichtet. Und Gruppenanträge im Bundestag sind nicht so selten. Ich sag mal so: Es wird.

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