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Haltung der SPD zum Pestizid GlyphosatAls Minister kneift Karl Lauterbach

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Als SPD-Abgeordneter forderte Lauterbach, das möglicherweise krebserregende Pestizid Glyphosat zu verbieten. Nun, als Gesundheitsminister, schweigt er.

Niemand da, der sich in der Glyphosat-Frage zuständig sieht: Svenja Schulze und Karl Lauterbach Foto: Frank Gaeth/imago

S elten stehen Worte und Taten in so einem krassen Widerspruch wie bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und seiner SPD in Sachen Glyphosat. Das weltweit meistverkaufte Pestizid ist von der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Konsequenterweise forderte Lauterbach wiederholt, den Unkrautvernichter zu verbieten, als er noch einfacher Bundestagsabgeordneter war. Nun, als Kabinettsmitglied, könnte er maßgeblich dazu beitragen, seine Forderung durchzusetzen. Doch Lauterbach und die SPD kneifen.

Das ist gerade jetzt fatal. Die EU-Zulassung von Glyphosat läuft Mitte Dezember aus. Am 16. November sollen die Mitgliedstaaten endgültig darüber abstimmen, ob es eine Erlaubnis für weitere 10 Jahre geben soll. Die Ampelkoalition kann sich nicht wegducken, denn Deutschland hat als größter EU-Staat besonders viel Gewicht – durch sein Stimmengewicht und Einfluss auf andere Länder. Doch das Kabinett ist mal wieder gespalten. Die FDP will entgegen dem von ihr mit beschlossenen Koalitionsvertrag Glyphosat weiterhin erlauben, die Grünen nicht.

Das Zünglein an der Waage sind also die SPD-Kabinettsmitglieder – aber die schweigen: Auf die Frage der taz, wie Deutschland bei der EU abstimmen sollte, wich Lauterbachs Ministerium aus und verwies auf das Agrarressort. Er erklärt sich also für nicht zuständig. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze äußert sich nicht, obwohl sie sich zuvor als Umweltministerin klar gegen das Pestizid ausgesprochen hatte. Kanzler Olaf Scholz schweigt sowieso.

Krebsverdacht ist ein Gesundheitsthema

Dabei ist Lauterbach als Gesundheitsminister thematisch direkt betroffen. Schließlich geht es neben Schäden an der Natur auch um Krebs. Lauterbach hatte gesagt, dass Glyphosat aus medizinischer Sicht nicht vertretbar sei. Er weiß, dass die WHO-Krebsagentur ihr Urteil auf gute Fall- und Kontrollstudien sowie auf Auswirkungen auf langjährige Nutzer des Pestizids stützt. In Fütterungsversuchen hatten Tiere Tumore entwickelt. Es ist daher unverantwortlich, dass die Sozialdemokraten Glyphosat freie Bahn lassen.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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17 Kommentare

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  • Herr Lauterbach äußert sich nicht dazu, weil es unpopulär ist sich nicht gegen Glyphosat auszusprechen. Wenn er sich positionieren muss, würde es sich faktenbasiert für Glyphosat entscheiden müssen. Er denkt da eher logisch als ideologisch wie viele der Glyphosat-Gegner.



    Selbst die WHO sagt Glyphosat ist gesundheitlich unbedenklich so wie es hier in Europa eingesetzt wird.

  • Es gibt viele Konsummittel, die nicht möglicherweise sondern eindeutig krebserregend sind und die aus gutem Grund nicht verboten werden.



    Selbstverständlich ist es absolut seriös Glyphosat zuzulassen und man braucht keine Verschwörungstheorien, um das zu erklären. Es gibt viele verschiedene Studien und selbst die ungünstigste kommt nur zu der Beurteilung "möglicherweise krebserregend". Auch als Anhänger des biologischen Landbaus kann man bzw kann ich das akzeptieren.



    Zumal die Rückstände nicht aus der ordnungsgemäßen Anwendung hierzulande stammen, denn die Sikation ist in der Zulassung überhaupt nicht vorgesehen. Das wird regelmäßig verschwiegen. Als Mittel zur Ermöglichung einer pfluglosen Bodenbearbeitung verursacht Glyphosat keine Rückstände in Lebensmitteln.

  • Es ist doch ganz einfach: Seit dem Kauf von Monsanto ist Bayer der größte Anbieter von Glyphosat und glyphosatresistenten Saaten weltweit. In wessen Bundestagswahlkreis ist der Hauptsitz von Bayer? Damit dürften sich m.E. alle weiteren Spekulationen erledigt haben, was den Herrn Bundesgesundheitsminister hier bewegt. Und da behaupte nochmal jemand, die direkte Vertretung aus den Wahlkreisen sei uneingeschränkt positiv zu werten.

  • Auch Herr Lauterbach ist lernfähig. 99 % aller Studien sagen, dass Glyphosat ungefährlich ist.



    Warum sollte er also gegen eine Verlängerung der Zulassung sein? Wenn man etwas mit Glyphosat zusammenhängedes verbieten will, dann bitte die Einfuhr von glyphosatverseuchtem Soja aus Brasilien. Dort werden 2-3 mal 5 l Glyphosat auf die Kulturpflanzen gespritzt. In Deutschland vielleicht alle 3 Jahre mal auf Unkraut. Übrigens hat Glyphosat das gleiche Abbauprodukt wie Waschmittel. Das führt oft zu verfälschen Messungen.



    Ein wichtiger Schritt zur Verminderung der Glyphosatbelastung in Lebensmitteln wäre Mercosur zu verhindern. Dies würde auch den Amazonaswald vor Rodung schützen!!!

    • @Martin17:

      99% aller Studien? Nun ja, Bayer hat bereits über 10 Mrd $ gezahlt bei den Vergleichen in den USA.

  • Karl Lauterbach erzählt ja immer gerne, dass er abends bei Rotwein Studien wälzt, um dann über aktuellstes fundiertertes Fachwissen zu verfügen. Komischerweise hielt ihn das nicht davon ab, dass er im Frühling 2022, eine generelle Impfpflicht einzuführen versuchte, nachdem die Pandemie vorbei war. Dies hing möglicherweise mit den 83 Millionen Impfdosen zusammen, die dann mangels Impfpflicht vernichtet werden mussten. Es hält ihn auch nicht davon ab die aus medizinischer Sicht katastrophale Entscheidung zur Cannabis Freigabe getroffen zu haben. Es gibt keine einzige seriöse Studie, die Lauterbachs Einschätzung untermauert. Die Haltung zu Glyphosat reiht sich hier nahtlos ein. Vielleicht sollte Lauterbach anfangen über den abendlichen regelmäßigen Alkoholkonsum, den er nach eigener Aussage für gesundheitsfördernd hält, zu reflektieren und die sich Studien künftig nicht mehr unter Alkoholeinfluss zu Gemüte führen.

  • Wer hätte das gedacht....



    Erst Özdemir, jetzt Lauterbach!



    Die Gehälterliste von Beyer ist lang!

    • @buddhafragt:

      Warum sollte Bayer dafür zahlen? Die Patente sind ausgelaufen (ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Wiederaufleben der Verbotsbestrebungen ist natürlich rein zufällig), Glyphosat kann von jedem Konkurrenten hergestellt werden - da ist kein Geld mehr mit zu machen.

      Wenn Glyphosat verboten wird, glaubt irgendwer dass es ersatzlos verschwindet? Nein, es wird einen Ersatz geben - und ich wette dass ein guter Teil des Ersatzes aus von Bayer patentierten Produkten bestehen wird...

  • Hää, in der Pandemie noch mit Zwang die Gesundheit aller schützen und jetzt ein einfaches Gesetz durchwinken, was die Natur und Gesundheit noch mehr belastet?

    Hmm, ich dachte die wollen nur das Beste für uns.....

    Damit man die Ironie versteht, muss man wissen, dass ich vielfacher Milliardär bin und oftmals mit Olaf und Verfassungsrichtern essen gehe....

  • taz: "Die EU-Zulassung von Glyphosat läuft Mitte Dezember aus. Am 16. November sollen die Mitgliedstaaten endgültig darüber abstimmen, ob es eine Erlaubnis für weitere 10 Jahre geben soll. Die Ampelkoalition kann sich nicht wegducken, denn Deutschland hat als größter EU-Staat besonders viel Gewicht – durch sein Stimmengewicht und Einfluss auf andere Länder."

    Worüber redet man hier eigentlich? Die Ampel besteht aus der SPD, die seit Schröder 'wirtschaftshörig' ist, der FDP, die schon immer 'wirtschaftshörig' war und den Grünen, die gerne weiterhin mitspielen wollen und deshalb auch schon 'wirtschaftshörig' geworden sind. Dass Glyphosat nicht nur krebserregend ist, sondern auch die Ackerböden zerstört, sodass dann irgendwann gar nichts mehr wächst, ist doch in den USA schon lange bekannt. Nur in Europa glauben Politiker immer noch den Bayer-Lobbyisten, die weiterhin behaupten, dass Glyphosat für Natur, Tier und Mensch harmlos ist. 63 Milliarden Dollar (63.000.000.000 US-Dollar) hatte Bayer einst für den Saatgut- und Pflanzenschutzmittelproduzenten Monsanto ausgegeben, und dieses Geld 'plus fette Gewinne' muss jetzt natürlich erst mal wieder hereinkommen. Es geht solchen Dax-Konzernen wie Bayer nie um Umwelt- oder Artenschutz, es geht immer nur um 'Geld, Geld, Geld' und dafür werden die Bayer-Lobbyisten unseren "Volksvertretern" schon klar machen, dass Glyphosat unbedingt noch weitere 10 Jahre auf die Äcker gebracht werden dürfen.

  • Nein, es ist nicht unverantwortlich. Es ist eine Risikoabwägung. Man nennt das wissenschaftlich auch Risikofolgenabschätzung. Und der Fall beweist einmal, dass ein Verdacht, noch dazu versehen mit dem Adjektiv "möglicherweise", nicht für ein Verbot reicht - auch wenn das einem Redakteur mit eindeutiger Positionierung nicht schmecken darf.

    Für den Redakteur steht die Schädlichkeit fest, dass er gar nicht mehr auf die Schädlichkeit eingeht. Das unterscheidet ihn von Wissenschaftlern, die das vorsichtiger formulieren - und auf die sich der Minister nun beruft. Hier seinen Fokus geweitet zu haben und nicht ideologisch an Aussagen festzuhalten, ist ein Lernprozess, der einem Minister gut zu Gesicht steht. Das unterscheidet einen Verantwortungsträger, der den Blick über den Tellerrand qua Rolle haben muss, von einem Aktivisten mit einem verengten Blick.

    Die Argumentation "diverser Studien" ist dabei eher einem Reflex zuzuschreiben, denn einer faktenbasierten Argumentation. Das weiß man spätestens auch durch Sahra Wagenknecht, deren "Studien" (vgl. Markus Lanz) bei näherem Hinsehen auch in sich zusammenfallen. Das weiß man bei der Gentechnik, gegen die man auch nicht mehr mit dem Wissensstand von vor 20 Jahren argumentieren kann.

    • @rakader:

      Liggers. Wennse dess noch a weng anschärfen & ab - bei Karl als Bewerbung!



      Viel Glück

  • Ein klarer struktureller Beweis wie fest sich die SPD in der Hand der Konzerne befindet. Kein Wunder dass sich die Mehrheit der Wähler von dieser Partei verabschieden.

  • da kann man wirklich froh sein, dass er bei der Regulierungs- und Verbotsmanie dieser Regierung nicht mitmacht.

  • Ja wie?

    “Haltung der SPD zum Pestizid Glyphosat



    : Als Minister kneift Karl Lauterbach



    Als SPD-Abgeordneter forderte Lauterbach, das möglicherweise krebserregende Pestizid Glyphosat zu verbieten. Nun, als Gesundheitsminister, schweigt er.“

    Is halt uns aller Karl der Salzlose! Woll

  • "Dabei ist Lauterbach als Gesundheitsminister thematisch direkt betroffen. Schließlich geht es neben Schäden an der Natur auch um Krebs..."



    Dieser Logik folgend müsste sich Herr Lauterbach zu fast allen Themen äußern.



    Zum Tempolimit, weil Verkehrs-Unfallopfer in den Notaufnahmen Deutscher Krankenhäusern landen und dort behandelt werden.



    Zu Verteidigungsfragen, weil ein kriegerischer Angriff auf Deutschland die Gesundheit der Bevölkerung gefährden würde..... usw.

    Ich finde mit den von Lauterbach angestrebten Reformen, hat er bisher schon mehr bewegt als die meisten seiner Vorgänger*innen.

  • 6G
    676595 (Profil gelöscht)

    Die Regierung betrachtet das Ganze. Dem Konzern Bayer geht es schlecht. Stellenabbau und fortgesetzte Glyphosat-Klagewellen (52.000 ungelöste), von Aufspaltung des Konzerns ist die Rede usw. Der mögliche Umsatz mit neuen Medikamenten gibt etwas Hoffnung, darunter auch Krebsmedikamente (!). Käme jetzt ein verantwortungsvoller Entscheider daher und würde sich gegen den Absatz des Herbizids aussprechen, dann wäre dies ein Eingeständnis und der Aktienkurs würde in den Keller sacken und Kompetenzniveaus offenlegen. Also lieber warten bis die Sparte ausgegliedert wurde. Schön, dass wir dabei alle mithelfen dürfen.