Aus für Verkehrsprojekt in Kreuzberg: Grün-blauer Traum abgesoffen
Grüne schockiert, SPD pikiert: Die CDU-geführte Verkehrsverwaltung pfeift auf Bundesmillionen und beerdigt die „Promenade“ am Halleschen Ufer.
„Ich bin außer mir vor Wut und Entsetzen“, sagt Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, der taz. Die vor einigen Jahren vom grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg erdachte autofreie Promenade am Landwehrkanal sei nicht nur verkehrs- und umweltpolitisch sinnvoll, sondern ein „Prestigeprojekt, mit dem man sich im progressiven Städtebau hervortun kann“. Es zu kippen, sei ein „Imageschaden für Berlin“.
„Abgesehen von unterschiedlichen ideologischen Überzeugungen hatte ich gedacht, dass ein Konsens in der Landespolitik herrscht, Bundesmittel mitzunehmen“, so Kapek. „Frau Schreiner kündigt diesen Konsens auf. Kein bayerischer Verkehrsminister wäre auf diese Idee gekommen.“ Die Grünen würden den Fall so schnell wie möglich im Abgeordnetenhaus zum Thema machen und auch Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) befragen.
Die hat in ihrer jetzigen Funktion nichts mit dem Projekt zu tun – im Sommer 2022 war sie es aber, die als Parlamentarische Staatssekretärin von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) die gute Nachricht verkündete: Im Rahmen des Investitionsprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“ würde der Bund 2,95 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die ersten 600 Meter auf der Nordseite des Landwehrkanals zu einer Oase für FußgängerInnen, RadfahrerInnen und die Stadtnatur zu machen. Insgesamt hätte die Maßnahme 4,4 Millionen Euro gekostet, den Rest hätte das Land getragen.
„Das wird schön!“
„Das wird schön!“, twitterte Kiziltepe damals. Beworben hatte sich der Bezirk mit dem Konzept, den Autoverkehr künftig in beiden Richtungen über das Südufer des Kanals – das Tempelhofer Ufer – zu führen. Damit wäre auf dem Halleschen Ufer Platz zum Flanieren entstanden, Flächen hätten entsiegelt, Sitzgelegenheiten am Wasser errichtet werden können.
Zunächst wäre es nur um 600 Meter zwischen Mendelssohn-Bartholdy-Park und Möckernbrücke gegangen. Das Konzept, das auf die Potenzialanalyse „Mehr Grün in Friedrichshain-Kreuzberg“ von 2019 zurückgeht, bezieht sich aber auf das gesamte Ufer vom Potsdamer Platz im Westen bis zur Zossener Brücke im Osten, wo die Straße vom Kanal wegschwenkt.
In dem Schreiben an die grüne Verkehrsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Annika Gerold, das der taz vorliegt, begründet Verkehrsstaatssekretärin Claudia Elif Stutz die Absage damit, dass das Hallesche Ufer als Teil der B96 zum Bundesfernstraßennetz gehöre. Das müsse nach Bundesrecht auch zusammenhängend sein, die „Herausnahme des Teilabschnitts“ wäre verbunden mit einem „zwingenden, bisher nicht erkennbaren anderweitigen Netzschluss“. Weiter argumentiert Stutz, Hallesches und Tempelhofer Ufer seien Teil des „Großraum- und Schwertransport-Routennetz des Landes“, teilweise auch des ÖPNV-Vorrangnetzes.
Die geplante Umgestaltung mache die „umfassende Untersuchung einer verkehrlichen Machbarkeit“ notwendig, „einschließlich einer Reihe von Nachweiserfordernissen“. Diese seien sehr aufwendig „bzw. kaum ohne erhebliche andere nachteilige Aspekte vorstellbar“. Außerdem bedürften sie intensiver, „voraussichtlich langjähriger und wenig erfolgversprechender“ Abstimmungen mit dem Bund, schreibt die Staatssekretärin. „Im Lichte der zu erwartenden hohen Personal- und Ressourcenbindung bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich dieses Verfahren nicht einleiten werde und darum bitte das Projekt ‚Umgestaltung des Halleschen Ufers‘ nicht weiter zu verfolgen.“
„Nicht in Kenntnis gesetzt“
Auch der Koalitionspartner ärgert sich über die neue Volte: „Meine Fraktion wurde hierüber nicht in Kenntnis gesetzt“, sagt der verkehrspolitische Fraktionssprecher der SPD, Tino Schopf, der taz. Die Kehrtwende komme aber nicht nur überraschend, sie sei zudem für ihn, auch angesichts der Förderung, „nicht nachvollziehbar“.
Die Bedenken der Senatsverwaltung teile er nicht, so Schopf. Denn: „Ich setze voraus, dass bei einem Förderbescheid in solcher Größenordnung alle Faktoren im Hinblick auf die Versorgung und die Erreichbarkeit in der Stadt sowie des ÖPNV berücksichtigt wurden und der Bund nicht ohne tiefergehende Prüfungen solche Förderungen vergibt.“
Tatsächlich antwortet das Bundesbauministerium auf taz-Anfrage, für das Förderprojekt seien „Machbarkeit und zügige Umsetzbarkeit auf Basis der Angaben des Zuwendungsantragstellers geprüft und positiv bewertet“ worden. Weiter wollte man sich nicht zu dem Fall äußern, solange sich der Bezirk nicht an das Ministerium wende.
Der Bezirk war zuletzt vom Senat aufgefordert worden, per Machbarkeitsuntersuchung zu klären, ob eine Verkehrsführung über das Tempelhofer Ufer verträglich wäre – beauftragt wurde diese aber noch nicht. Trivial ist die Konzentration von Pkws, Lkws und Bussen auf einem Ufer sicher nicht. Bei einem weiteren Projektfortschritt wären die regulären Buslinien M29 und M41 ebenso betroffen wie etwaige Schienenersatzverkehre bei Arbeiten an der Hochbahn, wo die U1 und die U3 fahren.
„Die Hochbahn ist stellenweise 120 Jahre alt und muss regelmäßig in Stand gesetzt werden“, gibt Jens Wieseke, Sprecher des Fahrgastverbands IGEB, zu bedenken. Dann müsse es aber auch ein Konzept geben, wie der Ersatzverkehr zügig die Strecke bedienen könne. „Wenn das vorläge, könnten wir unseren Frieden damit machen.“
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