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Verschärfte AbschieberegelnNeue deutsche Härte

Die Bundesregierung heizt die Diskussion mit verschärften Abschiebe­regeln weiter auf – und erntet Kritik. Doch was genau wurde beschlossen?

Hier bis 28 Tage Haft, andernorts bis zu sechs Monaten: Abschiebezelle am Flughafen München Foto: Stephan Rumpf/dpa/picture alliance

BERLIN taz | Die Worte von Nancy Fae­ser waren deutlich: „Wir sorgen dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen müssen“ – so bewarb die Bundesinnenministerin am Mittwoch die verschärften Abschieberegelungen, auf die das Bundeskabinett sich gerade geeinigt hatte. Nur so, betonte die SPD-Politikerin, könne Deutschland seiner humanitären Verantwortung für die Menschen weiterhin gerecht werden, „die wir vor Krieg und Terror schützen müssen – wie die 1,1 Millionen Geflüchteten aus der Ukrai­ne“. Der Fahrplan ist klar: Hier die Ukrai­ne­r*in­nen, die wirklich Hilfe brauchen – und da der Rest, der hier nichts zu suchen hat.

In den vergangenen beiden Jahren habe Deutschland im Mittel jeweils 12.000 Menschen abgeschoben, heißt es im Gesetzentwurf. Nun sollen es mehr werden – wenn auch nur ein bisschen. Mit rund 600 zusätzlichen Abschiebungen rechnet die Regierung pro Jahr. Dafür nimmt sie weitreichende Eingriffe in die Grundrechte Geflüchteter in Kauf. Im Entwurf aufgezählt sind Einschränkungen der Freiheit der Person, des Fernmeldegeheimnisses und der Unantastbarkeit der Wohnung.

Ganz konkret: Die Sicherungshaft, die etwa bei Fluchtgefahr Abzuschiebender verhängt werden kann, soll von drei auf sechs Monate ausgeweitet werden. Der Ausreisegewahrsam unmittelbar vor der Abschiebung soll von 10 auf bis zu 28 Tage verlängert werden. Für diesen Freiheitsentzug braucht es überhaupt keine Haftgründe mehr.

Behörden sollen Datenträger wie etwa die Mobiltelefone Geflüchteter bereits dann auslesen dürfen, wenn diese keinen Pass oder Passersatz vorweisen können. Auch Wohnräume sollen durchsucht werden können, um an Datenträger und Unterlagen zu gelangen. In Gemeinschaftsunterkünften sollen im Zweifel auch die Räume Dritter betreten werden können, die gar nicht abgeschoben werden sollen. Abschiebungen mitten in der Nacht sollen deutlich vereinfacht werden.

Kritik von Verbänden, Anwälten und Kirchen

Bei Menschen, die seit mindestens einem Jahr in Deutschland geduldet sind, musste eine Abschiebung bisher angekündigt werden. Das soll entfallen, außer bei Familien mit Kindern unter 12 Jahren. Mitglieder krimineller Vereinigungen sollen künftig auch ohne strafrechtliche Verurteilung abgeschoben werden können. Auch Schleu­se­r*in­nen sollen leichter ausgewiesen werden können.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärt, Haft dürfe als „gravierendster Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit immer nur Ultima Ratio sein“. Im Entwurf würden aber mildere Mittel gar nicht diskutiert, sondern allein praktische Gründe angeführt. Der auf Abschiebehaft spezialisierte Anwalt Peter Fahlbusch kritisiert seit Langem, dass schon jetzt mehr als jede zweite Abschiebehaft rechtswidrig sei. Zählt er alle seit 2001 von ihm vertretenen Fälle zusammen, kommt der Anwalt auf „90 Jahre rechtswidrige Haft“. Mit Blick auf das Gesetzesvorhaben ist er sicher: „Mehr Haft wird zu mehr rechtswidriger Haft führen.“

Der Deutsche Anwaltverein kritisiert unter anderem das Auslesen von Handys. Behörden hätten damit auch Zugriff auch höchst private Nachrichten und Fotos Betroffener – obwohl diese noch nicht einmal die Möglichkeit bekommen hätten, ihre Identität aufzuklären. Auch die Haftandrohung von bis zu drei Jahren bei unrichtigen oder unvollständigen Aussagen im Asylverfahren sei unverhältnismäßig. Falschaussagen führten schon jetzt dazu, dass Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. Die Strafe verletze den Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten müsse.

Die beiden großen Kirchen bezweifeln, dass die Maßnahmen „zu mehr und zu schnelleren Abschiebungen führen“ werden. Die geplanten „schweren Eingriffe in Grundrechte“ seien „aus kirchlicher Perspektive nicht mehr verhältnismäßig“.

Irreführende Zahlen

Die Vorschläge stießen „zu Recht auf einhellige Ablehnung von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen“, findet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat. Auch sie sieht „unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte“. Eine Kritik, die die Innenministerin zu kontern weiß: Auch die grünen Mi­nis­te­r*in­nen hätten mit am Kabinettstisch gesessen und zugestimmt. Wohl auch, weil es im Gegenzug bald Liberalisierungen bei Arbeitsverboten für Geduldete geben soll.

An der aktuellen Belastung in den Kommunen werden schärfere Regeln kaum etwas ändern. Zum einen bekommt der allergrößte Teil der Asylsuchenden in Deutschland Schutz. Das zeigt ein Blick auf die bereinigte Schutzquote – also auf jene Fälle, die inhaltlich entschieden wurden. Diese liegt auf einem Rekordniveau von über 70 Prozent. Das überrascht nicht, die Hauptherkunftsländer sind derzeit Syrien und Afghanistan. Dazu kommen diejenigen, die erfolgreich gegen ihre ablehnenden Bescheide klagen. Rund 40 Prozent von ihnen bekommen Recht. Von Abschiebung kann hier keine Rede sein.

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Auch sonst wird immer wieder mit irreführenden Zahlen hantiert. So hatte CDU-Chef Friedrich Merz Ende September nicht nur behauptet, abgelehnte Asylsuchende nähmen Deutschen die Plätze beim Zahnarzt weg. Er erklärte auch, es seien „300.000 Asylbewerber abgelehnt“, die nicht ausreisen würden.

Tatsächlich hielten sich in Deutschland zum Stichtag 31. August 2023 rund 260.000 Ausreisepflichtige auf. Nur bei rund 155.000 Fällen handelt es sich überhaupt um abgelehnte Asyl­be­wer­be­r*innen. Von denen sind nur 19.400 „vollziehbar ausreisepflichtig“. Rund 87 Prozent hingegen sind geduldet, können also aktuell gar nicht abgeschoben werden. Das kann daran liegen, dass ihre Identität nicht geklärt ist, oder daran, dass ihre Herkunftsstaaten sie nicht zurücknehmen. In vielen Fällen sind Abschiebungen nicht möglich, weil die minderjährigen Kinder der Betroffenen hier einen Schutzstatus haben. Oder wegen gesundheitlicher Gründe.

Neuer Höhepunkt der Asyldebatte

Das Gesetzesvorhaben ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Bund und Ländern seit Mai diesen Jahres. Es war also lange vorbereitet. Trotzdem ist es der nächste Höhepunkt in einer sich immer weiter hochschaukelnden Asyldebatte, in der es vor allem darum geht, Härte zu zeigen. Erst vor einer Woche prangte ein Foto von Olaf Scholz auf dem Cover des Spiegel, darunter die Aussage, man müsse „endlich in großem Stil abschieben“. In sozialen Medien verglichen Nut­ze­r*in­nen das mit Wahlplakaten der AfD oder der NPD, auf denen steht „Konsequent abschieben“.

Auch in der eigenen Partei waren einige nicht erfreut über Scholz’ Schwerpunktsetzung. Solche Worte seien der „Weg in die rechte Sackgasse“, kritisierte Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Mi­gra­tion und Vielfalt in der SPD, in der taz. Die Jusos erklärten, die Kanzler-Forderung käme „direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“. Die SPD dürfe nicht mitmachen beim „rhetorischen Überbietungswettbewerb in der Asylpolitik“, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli.

Tatsächlich hat der Kanzler harte Konkurrenz aus der Union. CDU-Chef Friedrich Merz betonte nach dem Hamas-Massaker in Israel, Migration sei der Hauptgrund für Antisemitismus hierzulande. Man könne nicht noch mehr Geflüchtete aufnehmen, es gebe schon „genug antisemitische junge Männer im Land“. Jens Spahn befürwortete jüngst, „irreguläre Mi­gra­tions­be­we­gungen“ gegebenenfalls „mit physischer Gewalt“ aufzuhalten. Sachsens Innenminister Armin Schuster forderte, Deutschland solle Straftäter und Gefährder auch nach Syrien oder Afghanistan abschieben.

Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern sind vorbei. Die Migrationsdebatte ist es noch lange nicht.

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