Fridays protestieren fürs Klima: Weniger, aber sehr lebendig
Thunberg streikt in Stockholm, Neubauer in Berlin und Grönemeier singt in Hamburg: Der globale Klimastreik war bunt, aber in diesem Jahr etwas kleiner.
In Berlin sagt Fridays-Frontfrau Luisa Neubauer: „Ich kann mit der Angst, der Sorge, der Verzweiflung leben. Aber womit ich nicht leben kann, wäre das Gefühl, dass wir rückblickend nicht alles gegeben haben.“ Der Platz vor dem Brandenburger Tor ist mit von der Polizei geschätzten 12.500 Menschen nicht überfüllt, aber voll.
„Wir sind laut, wir sind viele, haltet euch an Klimaziele!“, skandieren die Berliner Fridays, viele von ihnen tragen Schilder und Transparente mit Sprüchen wie „System change not climate change“ oder „Ey, jetzt reicht's“. Im sechsten Jahr seit Gründung der Bewegung hat der Zustrom deutlich nachgelassen. 2019 waren in Berlin noch etwa 270.000 Menschen bei Fridays-Protesten auf die Straße gegangen, 2022 Jahr noch rund 30.000. Unter den Demonstrierenden sind aber weiter Menschen jeden Alters: Kinder, Jugendliche, Familien und Renter*innen.
„Auch wenn sich die einzelnen Protestgruppen gerade ein bisschen ausstechen – wenn man die gleichen Ziele verfolgt, sollte man alle Protestformen mitnehmen“, sagt ein Streikender, der Leon genannt werden will und auf die Letzte Generation anspielt. Die 19-jährige Irma ergänzt: „Ich glaube, dass der Streik politisch nicht mehr so viel bringt, aber dass er die Klimaaktivist*innen in sich stärkt“.
Auch die Grünen kommen nicht gut weg
In München demonstrieren viele sehr junge Menschen am Siegestor mit selbst gebastelten Plakaten. Das Gymnasium Fürstenried ist vertreten, andere Schulen auch. Als vor genau vier Jahren 40.000 DemonstrantInnen einige Meter entfernt am Königsplatz klimastreikten, waren viele noch Kinder.
Auf der Ludwigstraße – ein neoklassizistischer Boulevard an der Uni, normalerweise vom Autolärm dominiert – zeigt sich, dass „Fridays for Future“ sicherlich geschrumpft sind, aber durchaus noch lebendig. Offizielle Angaben gibt es nicht, schätzungsweise 5.000 Demonstrant*innen fanden in der bayerischen Landeshauptstadt zusammen.
Bei den Reden geht es vor allem um die bevorstehende Landtagswahl. Die Vertreterin des Bündnisses gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA), die gerade in München endete, geißelt dabei auch die Grünen. Diese würden „bei Profitinteressen einknicken“. Auch was man hier von den regierenden Christsozialen hält, wird deutlich: Von der Bühne ruft eine Rednerin „CSU“, die Masse antwortet mit „Scheiße“.
Die Stimmung ist dennoch gut an diesem Sonnentag, die Klimastreikenden freut es zu sehen, dass sie nicht allein sind. Als letzte Band spielen die „Sportfreunde Stiller“ – und verströmen Optimismus und gute Laune pur.
Keine Stars, kleinere Städte, weniger Zustrom
In kleineren Städten ohne Staraufgebot kommen nicht so viele Protestierende. Die Fridays, die einst Massen angezogen haben, sind älter geworden und haben sich gewandelt – wie die Umstände durch Corona, Krieg und Energiekrise. In der VW-Stadt Wolfsburg steht es sogar ungewiss um die Zukunft der Fridays-Ortsgruppe.
Viele Protestierende der ersten Generation sind inzwischen für Job oder Uni in andere Städte umgezogen. Richtig nachgekommen sind jedoch zu wenige. Die, die geblieben sind, organisieren sich deshalb in anderen lokalen Gruppen der Umwelt- und Klimaschutzbewegung. Gestreikt haben sie am Freitag trotzdem.
Ein Bündnis aus Umweltorganisationen wie dem BUND, der Grünen Jugend und der Gruppe „Verkehrswendestadt“, darunter viele ehemalige FFF-Aktivist*innen, hat den örtlichen Demozug im Rahmen des globalen Klimastreiks angemeldet. „Wir sind sehr gespannt, wie viele kommen“, sagt Haike Zacharias vom BUND.
2019, schätzt sie, hätten die Klimaproteste in Wolfsburg um die 500 bis 600 Leute besucht. Mit der Pandemie sei die Teilnahme sowohl innerhalb der Gruppe als auch an den Streiks stark zurückgegangen. „Vergangenes Jahr waren es nur noch um die 50 bis 80 Personen“, erinnert sie sich. Darunter viele junge Mitglieder von Parteien und Gewerkschaften, Schüler*innen jedoch kaum noch.
Weniger Autos ja, aber bitte nicht weniger Arbeitsplätze
„Wolfsburg ist nicht die politisch aktivste Stadt“, sagt Vito Brullo. Der 18-Jährige ist bei der Grünen Jugend, engagierte sich bei den Fridays und hat den diesjährigen Streik mit angemeldet. „Die meisten jungen Leute haben Eltern, die bei VW arbeiten“, fügt er hinzu. Dabei ginge es beim Streik auch um die Zukunft des Automobilstandorts.
Weniger Autos ja, aber bitte nicht weniger Arbeitsplätze – das betont Ruben Gradl von der Gruppe „Verkehrswendestadt“, die sich ebenfalls am Streik beteiligt. „Vielmehr geht es darum, die Industrie umzufunktionieren und beispielsweise Lastenräder oder Straßenbahnen zu produzieren“, so Gradl.
Doch immer mehr Mitarbeiter*innen von Volkswagen stünden hinter der Bewegung, sagt Zacharias. Deshalb meldeten sie den Streik zu 16 Uhr nachmittags an. „Damit die Leute, die arbeiten, auch teilnehmen können.“
Auch auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz haben sich die Menschen zum Klimastreik zusammengefunden. „There is no Planet b“ steht auf einem der Schilder, eine Passantin stimmt im Vorbeigehen laut zu. Andere der Umstehenden haben weniger Verständnis, schimpfen über die verspäteten Bahnen.
Bündnis mit Verdi
Dabei geht es den Demonstrierenden auch um die Verkehrswende. Mit Verdi sammeln sie zusammen Unterschriften für faire Bezahlung beim städtischen Verkehrsunternehmen, der BSAG. „Klimakampf und Arbeitskampf sind untrennbar verbunden, alleine werden wir die Verkehrswende nicht schaffen“, sagt Paul-Nikos Günther von FFF-Bremen. Trotz des breiten Bündnisses hinter dem Klimastreik sind laut Polizei nur etwa 3.500 Menschen dabei, die Veranstalter*innen gehen von über 5.000 aus. Zum Vergleich: 2019 waren noch 30.000 Menschen beim Bremer Klimastreik.
Am Streit um die alte Bremer Ortsgruppe von FFF liegt es laut Günther nicht. Diese hatte sich aufgelöst, nachdem sie die Vereinigung „Palästina spricht“ zu einer Kundgebung eingeladen hatte und daraufhin mit den Antisemitismusvorwürfen gegen diese Gruppe konfrontiert wurde. „Wir haben eine Zusammenarbeit mit ‚Palästina spricht‘ in Zukunft ausgeschlossen“, betont Günther.
Auch dass die Klimabewegung unter ihren unterschiedlichen Ansätzen leidet, sieht Günther nicht: „Wir sind uns nicht immer einig, aber es ist auch unsere Stärke, dass wir so vielfältig aufgestellt sind“, so der Aktivist. Diese vielfältige Aufstellung kann man auch auf der Demo beobachten: Kurz vor dem Rathausplatz sondert sich ein Teil ab und blockiert für etwa eine Stunde die zentrale Bremer Wilhelm-Kaisen-Brücke.
„Wir brauchen eine Klimagerechtigkeitsbewegung die ungehorsamer wird, ob durch Blockaden und Sabotage von fossiler Infrastruktur oder politische Streiks“, sagte dazu eine Sprecherin von Ende Gelände Bremen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“