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Linkspartei bei der EuropawahlMesslatte für Europa-Programm

Bei der Europawahl will die Linke mit sozialen Forderungen, Klima und linker Asylpolitik punkten. Über Wagenknecht möchten sie „nicht spekulieren“.

Martin Schirdewan und Janine Wissler präsentieren in Berlin den Entwurf des Parteivorstands für das Programm zur Europawahl im Juni 2024 Foto: Frank Gaeth/imago

Berlin taz | Am Ende der Pressekonferenz kamen die beiden Vorsitzenden unvermeidlich auf ihre prominente Noch-Parteifreundin Sahra Wagenknecht zu sprechen. Würde es den Wahlkampf zur Europawahl der Linkspartei überschatten, wenn Wagenknecht mit einer eigenen Liste antritt und ihrer bisherigen Partei damit Konkurrenz macht? Auf die Frage antwortete Linken-Parteichef Martin Schirdewan schwammig.

Man wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen. „Wir reden über ein Phänomen ohne Programm.“ Seine Mit-Vorsitzende Janine Wissler sekundierte: Über eine Partei zu spekulieren, die es nicht gebe und von der man nicht wisse, wofür sie stehe, sei nicht sinnvoll. „Unsere Aufgabe ist es, unseren Job zu machen.“

Zuvor hatten die beiden Linken-Vorsitzenden über eine halbe Stunde lang ausführlich das Programm ihrer Partei zur Europawahl referiert, dazu wurden mehrere dicht beschriebene Folien eingeblendet. Dieses Programm habe der Vorstand „einstimmig angenommen und verabschiedet“, betonte Schirdewan stolz. Die Zeit der Streitereien in der Linkspartei sei vorbei, so lautete die Botschaft.

Mehr als 80 Seiten umfasst der Programm-Entwurf in gedruckter Form, die Broschüre wurde nach der Pressekonferenz ausgegeben. Das ganze liest sich wie ein Best-of aller linken Vorschläge für ein besseres Europa, ein bisschen auch wie ein „Wünsch dir was“.

„Schuldenbremsen sind Zukunftsbremsen“

Das Programm enthält Forderungen nach einem europäischen Mindesteinkommen, einer Vier-Tage-Woche, einer kostenlosen Grundsicherung und einem Ausbau des Schienennetzes samt kostenlosen Bussen und Bahnen. „Wir wollen Europa zum Kontinent der Eisenbahn machen“, sagte Janine Wissler. Die Vision einer „United Railways for Europe“ sei „eine meiner persönlichen Lieblingsforderungen“, sagte sie.

Mehr öffentliche Ausgaben und „massive Investitionen“, weniger Auflagen durch Schuldenbremsen will die Linkspartei, denn „Schuldenbremsen sind Zukunftsbremsen“, so Wissler. Konzerne wolle man stärker besteuern, die Rechte der Ar­beit­neh­me­r:in­nen stärken. Sozial gestaffelte Energiepreise gemeinnütziger Versorger sollten Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verbinden.Ein Kommunalisierungsfonds soll helfen, öffentliches Eigentum zurückzukaufen.

Außerdem im Programm: keine Waffen in Krisengebiete liefern und „Doppelstandards in den internationalen Beziehungen“ überwinden. Ziel sei „ein geeintes Europa, das sich an Abrüstung und Verhandlungen orientiert und strategisch unabhängig ist“, erklärt Schirdewan. Das Programm sei „ein Angebot an alle, die sich ein friedliches, soziales und gerechtes Europa wünschen“. „Unser Ziel ist das gute Leben für alle in der Europäischen Union.“ Im November soll das Programm bei einem Europa-Parteitag der Linken in Augsburg beschlossen werden. Dort werden dann auch die Kan­di­da­t:in­nen offiziell gekürt.

Abgrenzung von Wagenknecht

Stolz zeigte sich Wissler darüber, zwei parteilose Kan­di­da­t:in­nen auf der Liste zu haben: die Seenotretterin Carola Rackete und den Sozialmediziner Gerhard Trabert, bekannt als „Arzt der Armen“. Zusammen mit Martin Schirdewan, der „im Osten verankert“ sei, als Spitzenkandidaten und der Gewerkschafterin Özdem Demirel repräsentiere diese Liste die „Vielfalt der Linken“.

Und: „Alle vier agieren auf der Grundlage unseres Programms“, betonte Wissler. Dieser Satz soll wohl als kleiner Seitenhieb auf Wagenknecht und deren Freunde gelten, bei denen das bekanntlich nicht immer der Fall gewesen war.

Gerade in der Flüchtlingspolitik setzt sich das Programm sehr deutlich von Wagenknecht ab. „Wir stehen für eine solidarische Flüchtlingspolitik“, sagte Schirdewan. Die Linke sei ein „Bollwerk gegen rechts“. Wagenknecht hatte dagegen in der Bild-Zeitung geklagt, wer Zuwanderung steuern und begrenzen wolle, werde „als Nazi abgestempelt“. Mit einer neuen Partei will sie ausdrücklich auch bisherigen Wäh­le­r:in­nen der AfD eine politische Heimat bieten, erklärte sie dort.

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13 Kommentare

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  • Rackete und Trabert, respektable Kandidaten, ganz im Ernst! Aber sie werden keinen einzigen ehemaligen Linken-Wähler zurückholen, schon gar nicht diejenigen, die bei der AfD gelandet sind.



    Aber immerhin: mein Sohn erwägt, bei der Europawahl die Linkspartei zu wählen, nicht mehr die Grünen, wie bisher. Wegen Carola Rackete.

  • „Außerdem im Programm: keine Waffen in Krisengebiete liefern und „Doppelstandards in den internationalen Beziehungen“ überwinden.“

    Hm - ist die Ukraine (k)ein Krisengebiet?



    Leider schwammig und verschwurbelt wie ehedem!

    • @Rufus:

      "Leider schwammig und verschwurbelt wie ehedem!"

      Nö, ziemlich klar:



      Ukraine ist ein Kriegsgebiet, und Opfer eines völkerrechtswidrigen Überfalls.

      Die Ägäis - *das* ist zB ein Krisengebiet. Das Südchinesische Meer ist ein Krisengebiet. Zypern ist ein Krisengebiet. Südsahara ist ein Krisengebiet. Äthiopien/Eritrea ist ein Krisengebiet. Sudan/Südsudan ist ein Krisengebiet.

      Ich finde das alles andere als schwammig. Es ist vielleicht zu pauschal, aber es ist total *logisch*: niemanden aufrüsten, der sich auf eine militärische Auseinandersetzung zubewegt.

      (Die Lieferung von Waffen in *Kriegs*gebiete ist ja "offiziell" ohnehin kaum möglich. Das scheitert nicht am rechtlichen Rahmen, sondern am Willen der Regierung, das geltende Recht umzusetzen. Insofern braucht die Linkspartei da *gar nix* ändern.

      *Krisengebiete* aufrüsten ist hingegen weitgehend legal:



      Unter Merkel war die BRD einer der führenden ausländischen Zulieferer der russischen Rüstungsindustrie (evtl sogar der wichtigste außer China). Das Ausmaß ist so krass, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob die CDU/CSU nicht sogar Putins Überfall überhaupt erst *ermöglicht* hat: das russische Raketenarsenal, die russischen Panzertruppen, die russische Eloka performen vorrangig durch deutsche (und erst in zweiter Linie französische; von chinesischen ganz zu schweigen) Komponenten gut genug, um eine Invasion zu starten.

  • Ich bin gespannt darauf, dieses Programm selbst zu lesen. Das mit der "solidarischen Flüchtlingspolitik" wäre erklärungsbedürftig, ist es nur wieder das übliche "Kein Mensch ist illegal!", ist es heiße Luft.

    "Keine Waffen in Krisengebiete" ist für diesen Parteivorstand auch ein interessantes Statement, einem Aufruf ("Manifest für Frieden"), in dem es hieß, die ständige Eskalation der Waffenlieferungen in die Ukraine müsse beendet werden, konnte sich der Vorstand ja nicht selbst anschließen. Jetzt stellt man (erneut) selbst eine radikalere Forderung. Die Glaubwürdigkeit dieser darf angezweifelt werden.

    Das Video der Pressekonferenz hat bei Youtube 576 Aufrufe (Stand jetzt). Interessant.

  • Das klingt doch ganz gut.



    Leider steht der Plan duch das elefantöse Problem einer möglichen Wagenknecht Partei auf tönernen Füßen.



    Die Linke ist nicht zu beneiden und macht das einzig Richtige, ein Programm unabhängig von etwaig Austretenden aufzustellen.



    Sollten Frau W. allerdings ernst machen, wird dieses Thema wahrscheinlich sämtliche Programmatik überschatten.

    • @Philippo1000:

      "Sollten Frau W. allerdings ernst machen, wird dieses Thema wahrscheinlich sämtliche Programmatik überschatten."

      Ja, aber was das für die Linksparetei bedeutet, ist nicht antizipierbar: Es kommt zu sehr auf das Timing an.

      "Aufstehen" hat bewiesen, dass Wagenknecht die logistische Herausforderung verbockt. Ob es Unwillen oder Unfähigkeit war - sie *konnte* die versprochene Kampagne nicht stemmen; außer nem Newsletter kam da nicht viel.

      Wagenknechts Partei wird KandidatInnen aufstellen *müssen*, und sie wird überschwemmt *werden* mit Vollverstrahlten, Polit-Nomaden und Erlösungssuchern, die von AfD und BASIS rübermachen. Aus der Linkspartei kann sie ja auch nur die Durchgeknallten und halbtote Stalinisten abgreifen.

      Bei der Europawahl könnte das noch gutgehen. Dann wären aber die kompetenten Leute in Brüssel, und es stehen Landtagswahlen im Osten an.

      Und ich sehe keinen Hinweis darauf, dass Genossin Nerzkragen *der* Herausforderung gewachsen ist:



      Die "Stammwähler im Osten" - nennen wir es beim Namen: die Resterampe der SED, Baujahr Leipzig-einundleipzig - kriegen nicht mehr auf die Kette, als alle paar Jahre mit Rollator zu den Urnen zu kriechen.



      Die jungen Aktiven, die sich auf Wagenknechts Listenplätze drängen werden, werden Nazbols und andere Faschos sein, und Egomanen wie bei den Piraten. Denn der ostdeutsche Parteinachwuchs der letzten 20 Jahre sind überwiegend Linksprogressive ohne DDR-Sozialisation, die um parteipolitisch aktiv zu werden entweder in die bestehenden Strukturen der Linkspartei eintreten könnten, oder in Nazihausen i.Th. nen Grünen-Ortsverband aufbauen. Klar gingen die zur Linkspartei.



      Aber halt nicht zu Wagenknecht.

      Aus Sicht der Linkspartei steht dem Risiko des Bedeutungsverlusts also die Chance eines Generationenwechsels gegenüber. Und der ist überfällig - 2/3 der Linkspartei-Stammwähler im Osten stehen mit einem Fuß im Grab.

      *Wenn* W. die abgreift, und dann unter Schwurblern implodiert - *dann* würden Wissler et al "zuletzt lachen".

  • Das Einzige was man der Linken vorwerfen kann ist der zögerliche Umgang mit Frau W. Das sie sich mit eigenen Inhalten beschäftigen wollen ist verständlich. Das vermissen auch die der Linken zugeneigten Wähler. In der Vergangenheit war die Uneinigkeit gerade im und um das Lager der roten Zora aus dem Saarland die Regel und nicht die Ausnahme. Frau W. und ihre Sympathisanten vergessen gerne das auch den Wählern das nicht verborgen blieb.



    Was mich nervt ist die an den Tag gelegte Inkonsequenz der Sarah W. Wie schon einmal droht sie der Partei mit Liebesentzug und einem Wechsel der Seiten. Wie könnte die Linke dastehen wenn sie sich nur halbwegs einig wäre? Gerade in der derzeitigen Situation.



    Und ja, wir brauchen eine andere Flüchtlingspolitik. Eine ehrliche. Das verlogene Spiel mit "Frontex", den Ländern am "Rande der EU" und die Ignoranz die wahren Probleme auch nur anzusprechen erfordert das. Genau das wird eine Sarah W. aber nicht tun.

    Sie kann nur Populismus.

    • @Tom Lehner:

      Haben Sie die aktuellen Umfragedaten zur Beliebtheit von SpitzenpolitikerInnen bei den Anfänger*Innen ihrer Partei schon gesehen?

      Uff.

      Wagenknecht ist abgesoffen, wie seit langem niemand mehr abgesoffen ist. Egal in welcher Partei. Wissler ist nicht populärer als vorher, aber eine große Mehrheit Partei hat neuerdings die Fresse gestrichen voll von S.W..

      Das heißt: auch die aus-dem-Bauch-raus-Wagenknecht-Fans kriegen jetzt massenweise kalte Füße.

      (Ich vermute, dass das hauptsächlich ein West-Phänomen ist, also Leute die von der SPD zur WASG gewechselt sind. Aber das zu überprüfen, geben die Daten leider nicht her.



      *Wenn* das so ist, dann besteht "Team Wagenknecht" zum größten Teil aus Leuten die in 1-3 Legislaturperioden tot sein werden, sowie einer gottverdammte Menge "nationaler Sozialisten".

      Und dann hätten wir bald den bestmöglichen Effekt: eine soziale und eine neoliberale Faschopartei, die sich gegenseitig die Augen auskratzen, und nix auf die Kette kriegen. Plus eine Linkspartei, die die stalinistischen Karteileichen billig losgeworden ist, und sich nun endlich ganz einer jungen Klientel öffnen kann.

      Aber bis das so weit wäre, hätten wir noch ein paar Jahre eine immer weiter steigende Gefahr eines "Einrahmens" der AfD durch die sogenannten "Demokraten" von der Union. In Thüringen ist das eine ganz reale Gefahr; die CDU dort macht mittlerweile gar kein Geheimnis mehr daraus, dass sie Demokratie längst abgeschrieben hat.

  • Soziale Forderungen (ja), Klima (klar), nur den Punkt mit der sogenannten linken Asylpolitik verstehe ich beim besten Willen nicht. Das schränkt Bewegungsspielräume für die erstgenannten Punkte ein und hat für die Partei die Linke mehr Sprengpotenzial als ein möglicher Austritt von Frau Wagenknecht.

    • @DiMa:

      Konkret ausbuchstabiert würde das bedeuten die Menschenrechte der einen zu (vermeintlichen) Gunsten der sozialen Wohlfahrt der anderen einzuschränken. Das wäre nicht links, sondern nationalistisch weil die Überzeugung von der Gleichheit aller Menschen immer zentraler Punkt linken Denkens war.

      • @Ingo Bernable:

        Es geht in meinem Beitrag nicht um die grundsätzliche Asylpolitik im Allgemeinen, sondern konkret um die sogenannte linke Asylpolitik. Insoweit hat die Frage nichts mit Mendchenrechten zu tun (außer man betrachtet das Recht auf unbedingte Grenzüberschreitung als Menschenrecht). Hierbei geht es um die Frage offener Grenzen und des unbeschränkten Zuzuges. Bei einem unberschränkten Zuzug ist die Frage der Finanzierbarkeit des Sozialsystems offensichtlich und die linke Wählerschaft wird sich über Konkurrenzen Gedanken machen. Hierin sehe ich die erwähnte Sprengkraft.

      • @Ingo Bernable:

        Entweder ein sozialer Wohlfahrtsstaat oder offene Grenzen für Jedermann. Beides Zusammen ist auf Dauer nicht realisierbar und sorgt im Endeffekt nur für soziale Verwerfungen und einen maroden Wohlfahrtsstaat.

  • Der Linken bleibt zu wünschen, dass sie sich bei der Europawahl vor allen Dingen wieder auf ihre Kernthemen konzentriert, nämlich Soziale Gerechtigkeit und Frieden!



    Auch wenn ich die Linken nie gewählt habe, bräuchten wir eigentlich eine starke Linke Partei in der Opposition, vor allen Dingen im Bundestag. Die "Performancex der jetzigen Regierung unterstreicht Dose These nochmal!