piwik no script img

Nach antisemitischer HetzschriftAiwanger bittet um Entschuldigung

Die Vorwürfe wurden zunehmend heftiger. Nun zeigt Bayerns Vize-Regierungschef Aiwanger Reue und bittet NS-Opfer um Entschuldigung. Ein Rücktritt kommt für ihn nicht infrage.

Aiwanger nach seiner Entschuldigung Foto: Lennart Preiss/dpa

München/Berlin dpa/rtr/taz | In der Flugblatt-Affäre lehnt der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger weiter einen Rücktritt ab. In einem Statement in seinem Ministerium am Donnerstagnachmittag sprach der Chef der bayrischen Freien Wähler von einem „abscheulichen Pamphlet, das in seiner Schultasche gefunden wurde“. Auch habe er als Jugendlicher Fehler gemacht. Er bereue dabei „zutiefst, wenn ich durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe“. Seine „aufrichtige Entschuldigung gilt allen NS-Opfern“.

Gleichzeitig betonte Aiwanger, die Vorwürfe lägen 36 Jahre zurück. Das antisemitische Flugblatt habe er nicht verfasst. Auch habe er nie den Hitlergruß gemacht oder Hitlerreden vorm Spiegel eingeübt. „Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind.“ An menschenfeindliche Witze könne er sich nicht erinnern. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich in aller Form.“

Aiwanger sprach von einer Kampagne, die gegen ihn gefahren werde. Dies sei „nicht akzeptabel“ und schaffe ein Zerrbild. „Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger.“

Zuvor war insbesondere auch von Holocaust-Überlebenden deutliches Unverständnis geäußert worden. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hatte sich im Münchner Merkur schockiert gezeigt. „Das zerstört so viel Vertrauen“, sagte Knobloch.

Landtag kommt zu Sondersitzung zusammen

Aiwanger erklärte, die Vorwürfe lägen 36 Jahre zurück. Das antisemitische Flugblatt habe er nicht verfasst. „Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind.“ Auch habe er nie den Hitlergruß gemacht oder Hitlerreden eingeübt. An menschenfeindliche Witze könne er sich nicht erinnern. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich in aller Form.“ Erneut sprach Aiwanger von einer Kampagne. Dies sei „nicht akzeptabel“ und schaffe ein Zerrbild. „Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger.“ Ein Sprecher versicherte, dass Aiwanger den 25-Fragen-Katalog von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) „zeitnah“ beantworten werde. Zuvor war der Druck gestiegen.

Auf Antrag der Opposition sollte der Landtag am 7. September zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Einziges Thema: „Vorwürfe und offene Frage betreffend den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsminister Aiwanger im Zusammenhang mit einem Flugblatt mit antisemitischem Inhalt“. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann sagte nach Aiwangers Erklärung: „Die Menschen in Bayern warten seit Tagen, dass sich Hubert Aiwanger angemessen zu den schwerwiegenden Vorwürfen erklärt. Eine Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes und ihren Nachfahren war überfällig. Ausreichend ist die heutige Stellungnahme in meinen Augen nicht.“

Der Grünen-Politiker Erik Marquardt äußerte sich auf X: „Aiwanger hatte sogar gute Chancen, die Nazi-Affäre halbwegs unbeschadet zu überstehen. Meistens zeigt sich aber erst in der Reaktion auf Krisen, wer den Herausforderungen als Minister gewachsen ist. Viel deutlicher als er kann man in der Krisenkommunikation nicht scheitern.“

Spitzen der Bundesregierung entsetzt

Am Mittwoch hatten sich auch die Spitzen der Bundesregierung entsetzt geäußert. Es dürfe nichts „vertuscht und verwischt“ werden, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). Notwendige Konsequenzen müssten gezogen werden. Ähnlich hatten sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgedrückt.

Aiwanger selbst hatte noch erklärt, er sei seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit und Extremist, in der Jugend könne man aber einiges so oder so interpretieren. Diesen Satz nannte auch Alexander Dobrindt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, „verstörend, weil er Interpretationen zulässt“.

Der Vorstand und Kabinettsmitglieder der Freien Wähler stellten sich dagegen hinter Aiwanger. Der Landesvorstand der Freien Wähler Bayern wolle eine bürgerliche Koalition fortsetzen. „Dies ist seitens der Freien Wähler nur gemeinsam mit Hubert Aiwanger möglich“, erklärte dieser. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • „Dies ist seitens der Freien Wähler nur gemeinsam mit Hubert Aiwanger möglich“



    Da kam mir doch Der Salute von Rudolf Heß in den Sinn(gemäß): Aiwanger aber ist FWG, wie FWG Aiwanger ist!



    Der Hubsi fühlt sich als Opfer einer Kampagne. Hoffentlich fühlt er sich nicht wie Jana aus Kassel.



    de.wikipedia.org/w...in_Jana_aus_Kassel

  • Privilegien- Klammerei ist in der Demokratie so nicht vorgesehn !

  • Liebes Autorenteam. Seriöser Journalismus zeichnet sich u.a. durch korrektes Zitieren aus. Hubert Aiwanger sagte mitnichten "... wenn ich durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe, sondern "...durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet (..) Gefühle verletzt habe...". Jetzt lässt sich trefflich darüber debattieren was Aiwanger denn nun damit gemein haben könnte. Ein Grund ihn falsch zu zitieren ist diese sicherlich komplizierte Artikulation aber nicht. Solche journalistischen Fehler verwundern. Denn, diesen einfachen Grundsatz zu befolgen ist doch wirklich nicht so schwierig!?

  • Beim täglichen Schultaschen durchsuchten, wie es damals wohl noch üblich war in seiner Schule, wurde zufällig dieses "abscheuliche Pamphlet" gefunden. Wer dem Hubert wohl den gemeinen Streich gespielt hat?

  • Ich wünsche mir vom ach-so-betroffenen Herrn Bundeskanzler Scholz dieselbe Offenheit und Ehrlichkeit in der Sache Cum-Ex bzw. Warburg, die er hier von Herrn Aiwanger einfordert.



    Immerhin war er damals schon gestandener Bürgermeister und kein (post-) pubertärer Schulbub mehr.

  • Er hat sich entschuldigt dass er die Flugblätter vor ca. 35 Jahren in der Tasche hatte. Man kann die Entschuldigung akzeptieren oder nicht. Wenn alles andere nicht stimmt müsste er Anzeige erstatten damit eine saubere gerichtliche Klärung erfolgt.



    Dass die Grünen seinen Rücktritt oder Entlassung fordern ist nachvollziehbar, sie wollen ja an die Macht in Bayern und das geht nur wenn die CSU nicht mehr mit den FW zusammenarbeitet.

    • @Filou:

      Das kann nur jemand schreiben der nicht im Freistaat lebt.

      • @Tom Lehner:

        Wie kommen Sie darauf ?

  • Er gibt zu das er bis 18 ein Nazi gewesen ist und sein politisches Agitieren zeigt, dass sich sehr wenig an seiner grundsätzlichen Geisteshaltung verändert hat. Und dann noch diese verlogene Entschuldigung, die keine war

  • "Er bereue dabei „zutiefst, wenn ich durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe“". Welches Pamphlet? Hat er es nun doch verfasst? Oder wie oder was?



    Hubsi, beleidigte Leberwurst, erst denken dann reden!

    • @Peter Lorenz:

      dito, Peter. Die taz hat falsch zitiert. Über den medialen Tellerrand schauen hilft.

  • Aiwanger vor dem Spiegel: " Ich berrreue zutiefst, wenn ich durrrch das Pamphlet Gefühle verrrletzt habe. Meine aufrrrichtige Entschuldigung gilt allen NS-Opferrrn.



    Wirrr müssen unss die Demokrrratie wiederrr zurrrückholen".

  • Eine verbale Bla-Bla Entschuldigung ohne Verhaltensänderung ist einen feuchten Kehrricht wert! Seine Art u Weise von Kommentaren und seine extremen verbalen Attacken gegen andere Meinungen zeigen, dass sich an seiner grundsätzlichen Geisteshaltung sehr wenig verändert hat seit er im Abitur war und diese, zum Mord +Genozid aufrufenden, Schmierzettel in der Schule verteilte. Jetzt den Jammer Lappen zu spielen :"Das sei ein Hetzkampange gg ihn" nach dem er die letzten 10 Jahre ,genauso andere Politiker versucht hat anzugreifen, zeigt einfach nur wie Doppelzüngig dieser Mensch ist.

  • Keiner ist unnütz, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen!

  • "Er bereue dabei „zutiefst, wenn ich durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe“.

    Ernst? Übelster antisemitischer Dreck und er bereut es, falls damit jemandes Gefühle verletzt wurden?

    Dieser eine Satz reicht doch schon aus, um zu konstatieren, dass der Typ wegmuss.

    • @Jim Hawkins:

      Ja, das ist eine ganz klassische Nonpology.

      We can haz Schulakte nao?

    • @Jim Hawkins:

      Kein Ernst.

      Warum sollte er bereuen, wenn das Flugblatt von seinem Bruder verfasst wurde und es nur deshalb in seiner Schultasche gefunden wurde, weil er sie zur Schadensbegrenzung einsammelte?

      Eigentlich sollte sich Frau Knobloch dafür einsetzen, daß ihm der Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" verliehen wird.

      • @0 Substanz:

        Das Problem ist doch heute nicht, dass dieser Zettel damals in seiner Tasche war.



        Das Problem ist, dass er nach Bekanntwerden anfing rumzudrucksen, zu verharmlosen sich zu verstecken.



        Hätte er sofort und ohne Aufforderung gesagt: "War Mist damals, so und so kams dazu." Hätte ihm jeder eine Entschuldigung und die Distanzierung geglaubt.



        Jetzt kommt er mit seiner Salamitaktik und gibt immer nur so viel zu, wie er gerade nicht mehr legnen kann und entschuldigt sich nicht mal für die Tat, sondern nur für die Wirkung.



        Zu wenig!



        Zu spät!

        • @Herma Huhn:

          Sie haben völlig recht, zumindest sehe ich das genauso.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Was ein Komplize sagt:



      "Fraktionschef Florian Streibl sagte: »Wir sind mit ihm solidarisch.« Es werde nun das Schicksal von Millionen Juden dazu instrumentalisiert, einen Politiker fertigzumachen, kritisierte er."



      (Quelle lässt sich Suchfinden)