Waffenlieferungen an die Ukraine: Kritik an Streubombenvorstoß der USA
Die USA wollen der Ukraine panzerbrechende Streumunition liefern. Während Kyjiw Bedenken entgegentritt, äußern Nato-Verbündete Vorbehalte.
„Streumunition wird nur auf Feldern eingesetzt werden, wo es eine Konzentration russischen Militärs gibt“, führte Verteidigungsminister Oleksii Resnikow aus. „Die Ukraine wird den Einsatz dieser Waffen und ihre Einsatzorte genau dokumentieren“, sagte er. Zudem würden diese Gebiete nach Ende des Krieges „für Minenräumung priorisiert“.
Die US-Regierung hatte am Donnerstag ein umfassendes neues Militärhilfspaket für die Ukraine bekanntgegeben. Neben Panzerfahrzeugen, Artillerie, Drohnen und Luftabwehrraketen enthält das 800-Millionen-Dollar-Paket auch DPICM-Streumunition des Kalibers 155 Millimeter für Haubitzen.
Russland verurteilte Washingtons Ankündigung als weitere „eklatante Offenbarung des aggressiven antirussischen Kurses“. Doch auch Nato-Verbündete äußerten Kritik. Großbritannien, neben den USA wichtigster militärischer Verbündeter der Ukraine, distanzierte sich: „Wir raten von dem Einsatz ab“, sagte Premierminister Rishi Sunak, der am Montag in London US-Präsident Joe Biden empfangen wird.
Biden sprach selbst von einer „schwierigen Entscheidung“
Biden selbst hatte zuvor von einer „schwierigen Entscheidung“ gesprochen. Spanien lehnte die Lieferung ab. In Deutschland hielt sich die Bundesregierung zurück, aber einzelne Politiker äußerten sich kritisch. Für den Nato-Gipfel am Dienstag und Mittwoch in Litauen bietet die Streubombenlieferung nun Stoff für Streit. Es gibt ohnehin Differenzen über die Perspektive eines ukrainischen Nato-Beitritts – die USA stehen da auf der Bremse, während sie bei Waffenlieferungen nun einen Gang hochschalten.
DPICM-Streumunition für die Ukraine war bereits am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar Thema. Im März forderte eine Gruppe Kongressabgeordneter der US-Republikaner, darunter die Vorsitzenden der Ausschüsse für Außenpolitik und Streitkräfte, Biden schriftlich zu Lieferungen auf. Die Offensivkapazitäten der Ukraine, schrieben sie, würden damit deutlich ausgeweitet. Das Pentagon gab jetzt als Begründung für die Lieferung „Dringlichkeit“ an: Man werde damit den Zeitraum überbrücken, bis die Verbündeten der Ukraine genügend Munition produzierten, um dem aktuellen ukrainischen Verbrauch hinterherzukommen.
Ein panzerbrechendes DPICM-Geschoss vom Kaliber 155 Millimeter setzt beim Aufprall je nach Typ 72 oder 88 Submunitionskörper in alle Richtungen frei. Man kann also zum Beispiel auf eine Panzerstellung schießen und mit der dann umherfliegenden Submunition die umliegenden Schützengräben direkt treffen. Die bestehenden DPICM-Systeme haben eine Reichweite von bis zu 29 Kilometern und könnten damit auch russische Linien hinter der Front erreichen.
Die Bedenken dagegen speisen sich daraus, dass 110 Staaten weltweit – darunter Deutschland und Großbritannien, nicht aber die Ukraine, die USA und Russland – die Osloer Streubombenkonvention von 2008 ratifiziert haben. Sie ächtet den Einsatz von Streumunition, da Blindgänger noch weit nach dem Einsatz eine Gefahr für Zivilisten darstellen kann, ähnlich wie Landminen. Die geplante Art des Einsatzes in der Ukraine schließt allerdings laut Experten diese Gefahr aus, da nahe der aktuellen Kriegsfront kaum noch Zivilisten leben und diese Gebiete von russischer Seite bereits vermint wurden. Vor jeder Rückkehr von Zivilisten müssen diese Gebiete also ohnehin von Minen und Blindgängern geräumt werden.
Nicht jeder Typ von Streumunition ist durch die Osloer Konvention verboten. Erlaubt ist Streumunition mit Selbstzerstörungsmechanismen oder mit weniger als zehn Submunitionskörpern. Die ukrainischen Streitkräfte setzen im Krieg regelmäßig Streumunition des Typs SMArt155 aus deutscher Produktion ein, die sich von den geplanten US-Lieferungen nur durch die geringere Anzahl der Submunitionskörper unterscheidet und vom Osloer Abkommen nicht betroffen ist. Verbotene Typen setzt in der Ukraine ausschließlich Russland ein – auch gegen zivile Ziele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will