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Wohnen in Berlin immer noch LuxusAufs Land ziehen ist keine Lösung

Nur 1 Stunde und 40 Minuten mit dem ÖPNV entfernt von Berlin gibt es ganz problemlos bezahlbaren Wohnraum!? Das ist nichts für unsere Kolumnistin.

So sehen ungefähr die Neubauten von Wohnungen aus, die sehr teuer zu mieten (oder kaufen) sind Foto: Britta Pedersen/dpa

V erehrte Leser*innen, ich weiß, diese Kolumne heißt „Die Fußgängerin“ und Sie möchten gern darüber lesen, wie ich durch die Stadt flaniere und zum Nachdenken anregende Beobachtungen mache. Kommt noch, verspreche ich Ihnen! Das wird hier noch ganz charmant.

Aber erst muss ich noch mal über Mieten schreiben. Und Ihnen davor zunächst erklären, warum ich eigentlich wollte, dass diese Kolumne „The Walking Dead“ heißt: Das beschreibt viel treffender als „Fußgängerin“, wie ich mich oft fühle, wenn ich durch diese Stadt laufe. Als überflüssige Alte nämlich, die eigentlich nur noch jüngeren Menschen mit besseren Geschäftsideen einen tollen Job, eine schöne Wohnung, Platz auf dem Gehweg und im ÖPNV, kurz gesagt: Raum wegnimmt.

Es war der Redakteur, der auf „Fußgängerin“ bestand, und ich kann mich ihm nicht widersetzen, denn er ist der klügste und liebenswürdigste und auch der einzige Stalinist, den ich kenne. Und Stalinist ist seine Selbstbezeichnung.

Raum also: Mir wurde nach meiner letzten Kolumne vorgeschlagen, ich solle doch aufs Land ziehen, wenn ich mir in Berlin keine Wohnung mehr leisten kann. Nur etwa 1 Stunde und 40 Minuten mit dem ÖPNV entfernt würde ich ganz problemlos bezahlbaren Wohnraum finden.

Nettoeinkommen bis 2.000 Euro

Ich gehöre zu dem guten Drittel der Berliner Haushalte mit einem Nettoeinkommen bis 2.000 Euro im Monat. Knapp die Hälfte der fast 2 Millionen Haushalte hier hat bis 2.500 Euro netto. Das sind keineswegs nur 1-Personen-Haushalte, sondern auch welche mit Kindern. Und Achtung: Es geht um Einkommen; Kindergeld etc. ist da schon drin.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es gibt Menschen, die besitzen oder mieten in Berlin Wohnungen, weil sie hier ein paar Tage im Jahr arbeiten, oder um ihre Kinder und Enkel zu besuchen, um sich Premieren in den Opern und Theatern anzusehen oder einfach nur, um hier shoppen zu gehen. Vielleicht leben sie sonst auf dem Land. Sicher ist: Sie haben genug Geld für (Wohn-)Raum.

Die deutsche Verfassung sieht ein Recht auf Wohnraum nicht vor. Allerdings wird aus dem Grundrecht auf Menschenwürde die Notwendigkeit der Sicherung des Existenzminimums der Bür­ge­r*in­nen abgeleitet und damit ein „Recht auf Unterbringung“ durch den Staat beziehungsweise das Land beziehungsweise die Kommunen. Unterbringung ist so etwas Ähnliches, aber nicht dasselbe wie Wohnen: Man kann sich dabei nämlich nicht aussuchen, wie, wo und mit wem man wohnt.

Für mich wirft das viele Fragen auf – genauso wie der Ratschlag, ich solle doch aufs Land ziehen. Was ist eigentlich ein Existenzminimum und wer bestimmt es: der Staat? Der Markt? Derzeit läuft das so, dass der Markt die Preise bestimmt.

Das Existenzminimum

Der Staat legt das Existenzminimum der Bür­ge­r*in­nen fest. Geraten sie in Existenznot, zahlt er ihnen Unterstützung – etwa einen Mietzuschuss: das Wohngeld. Er tut das, weil für die „Unterbringung“ all derer, die sonst ihre Wohnungen verlieren würden, nicht genug bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht.

Das Wohngeld stützt also den Preisanstieg auf dem Wohnungsmarkt. Eine Beschlagnahmung von Wohnraum etwa, der leersteht, weil er teuer ist, für diese „Unterbringung“ findet nicht statt. Könnte man ja auch machen.

Außerdem: Wenn in Berlin die Mieten weitersteigen, wird das Land dann bald die Hälfte der Haushalte mit Wohngeld bezuschussen? Oder wird es sie dann „unterbringen“? Wo denn bloß: Auf dem Land – ausbürgern aus Berlin also sozusagen? Und wer würde dann noch in der Stadt wohnen?

Zieh doch aufs Land, wenn du dir in Berlin keine Wohnung mehr leisten kannst

Ich möchte weder Wohngeld noch aufs Land. Ich möchte nicht auf meine Freund*innen, mein selbstbestimmtes Umfeld, das Flanieren in der Stadt verzichten müssen – auf meine Menschenwürde. Meine Existenz. Nur, weil ich nicht reich genug bin.

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Kolumnistin taz.stadtland
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18 Kommentare

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  • Karlsson , Moderator

    Vielen Dank für die Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Es gibt Menschen, die besitzen oder mieten in Berlin Wohnungen, weil sie hier ein paar Tage im Jahr arbeiten, oder um ihre Kinder und Enkel zu besuchen, um sich Premieren in den Opern und Theatern anzusehen oder einfach nur, um hier shoppen zu gehen. Vielleicht leben sie sonst auf dem Land. Sicher ist: Sie haben genug Geld für (Wohn-)Raum.

    Und Flüchtlinge sperrt man in Lager ohne jegliche Infrastruktur, am A**** der Welt.



    Und da sage noch einmal jemand etwas gegen Enteignung!

  • Soll also heißen das Leute die bereits für den Löwenanteil der Steuereinnahmen sowie die vollen Beiträge der Sozialversicherungen bezahlen und über die Grundsteuer die Kommunen unterstützen nun auch noch enteignet werden sollen damit weniger ambitionierte Leute das Eigentum bewohnen dürfen.

    Ich glaube sowas nennt man ungerecht. Nur weil der Staat Sozialwohnungen nicht adäquat fördern möchte und die Bürokratie auf die Notwendigkeiten beschränken möchte will man nun denen auf die Schliche kommen die sich durch viel Arbeit und Brillanz ihr Vermögen, selbst gegen den gierigen Staat, aufbauen können und denen die Früchte ihrer Arbeit weg nehmen.

    Man sollte vielleicht mal von der Neidmentalität in Deutschland wegkommen. Harte Arbeit, die richtigen Entscheidungen, Timing und Glück sollten kein Stigma werden durch welches man schlechter da steht als andere. In dem Punkt würde ich genauso auf das Grundgesetz verweisen. Es handelt sich um eine Diskriminierung von Menschen die Erfolg haben. Nun ist es vielleicht nicht mehr Herkunft oder sexuelle Orientierung sondern die Tatsache das man mehr Arbeit leistet als andere. Ich finde das um ehrlich zu sein sehr ungerecht.

    Man kann genauso vorschlagen das man sich einen Job sucht mit dem man sich das Leben in Berlin leisten kann. Die freie Berufswahl ist übrigens auch im Grundgesetz verankert. Außerdem gibt es ein Recht auf Freizügigkeit. Da kann man hinziehen wo man will sofern man es sich leisten kann.

    Das große Problem hier ist das man Besserverdienern eins auswischen will weil man mit der eigenen Situation unzufrieden ist. Ich würde in diesem Zuge vielleicht mal vorschlagen den Staat zu bitten den sozialen Wohnungsbau besser zu unterstützen. So muss man die Gesellschaft nicht in Geringverdiener und Mittelstand spalten.

  • Das Ding ist nicht das Wohnen in Berlin oder "auf dem Land" (sind due Städte dort nun schon Dörfer"?.

    Das Ding ist das Wohnen UND Arbeiten in Berlin oder auf dem Land. Menschen, die in Berlin arbeiten finden in Berlin keine Wohnung und "auf dem Land" keine Arbeit.

    Deshalb pendeln täglich 1.864.77 Menschen nach/von/in Berlin ( www.pendleratlas.de/berlin/ ) Das ist der Grund für die Blechlawinen und das Verbrennen von Lebenszeit auf Arbeitswegen.

    Die Arbeit muss wieder in den entvölkerten Gürteln um Berlin kommen ! ( www.deutschlandatl...ungsleerstand.html ).



    Stopp von Ausweisungen weiterer Gewerbegebiete in Berlin.

  • Soweit muss man nicht pendeln um bezahlbaren Wohnraum zu finden. Ich musste auch aus der Innenstadt ziehen da wir mittlerweile 4 Kinder habe und unsere Wohnung zu klein wurde und es angesehen vom Preis keine Wohnung in der Größe in der Innenstadt gibt. Jetzt fahre ich jeden Morgen 30 Minuten… that’s life. Selbstbestimmtes Recht auf billiges wohnen in der Innenstadt… is klar. Was mich auch verwundert an diesem Artikel ist das sich der Redakteur als stalinist bezeichnet - als Historiker ist das wirklich erschreckend das sich ein taz Redakteur mit einem Massenmörder indentifiziert.

  • Leider ist der Wohnungsmarkt in Deutschland überwiegend marktwirtschaftlich und nur zu einem geringen Teil sozial organisiert. Das bedeutet, dass bei anhaltend starkem Zuzug insbesondere in die Metropolen bei stagnierendem Wohnungsbau überproportional steigen werden.

  • Die Lust auf die Flaniererei verschwindet mit dem Alter und der Degeneration der Statd-/Zivilgesellschaft.



    Ich wohne seit zig Jahren auf der Schöneberger Insel und ich kann sie nicht mehr sehen, die Bierball spielenden Volltrottel im Park vor dem (runiertem) Gasometer, die Beachballdeppen auf dem Bergrün-Gewerbepark (ja genau, der im Bademantel Karstadt für 1 Euro von von der Leyen gekauft hat), stundenlang brüllende Balkontelefonierer, die dunklen Limousinen von Chrissie Lindner und Co, wenn sie sich auf dem Euref-Gelände unechte Wagyu-Steaks aus AFD-Brandenburg für 100 Euro reinschieben wollen und die ganzen verdammten Zugezogenen, die es eigentlich gar nicht ertragen in Berlin zu sein und deshalb z.B. an diesem Pfingstwochenende 2/3 der Wohnungen in meiner Straße unbewohnt lassen.

    Was wir wirklich brauchen: Trailer Parks am Stadtrand mit fairen Mieten für Leute, die genau darauf kein Lust mehr haben und die mehrheitlich keine gravierenden psycho-sozialen Probleme haben.

  • Es muss gar nicht 1:40 h sein. Schon in Oranienburg - vom Gesundbrunnen grade mal 20 Minuten Fahrzeit im Regionalexpress entfernt - gibt es bezahlbare Wohungen.

    • @Kanuka:

      Bezahlbar? Für wen und von wem?

  • Es erscheint zwar zunächst unrealistisch, aber ich finde den Gedanken sehr sinnvoll, Wohnraum zu beschlagnahmen, statt per Wohngeld-Subvention den Reichen die Taschen noch voller zu stopfen!

    Einzig, ich glaube nicht daran. Das Problem ist, dass Eigentum in unserem Grundgesetz offenbar höher steht als soziale Teilhabe. Wirklich ein schwerer Geburtsfehler, in einer ansonsten sehr guten Verfassung.

    • @Ringsle:

      "Einzig, ich glaube nicht daran. Das Problem ist, dass Eigentum in unserem Grundgesetz offenbar höher steht als soziale Teilhabe."

      Wir hatten mal im Nachkriegsdeutschland ein Experiment am Laufen, wo Eigentum nichts und soziale Teilhabe alles war. Als Erfolg konnte man das Projekt nicht verbuchen, ist am Ende krachend gescheitert.

  • Der Umzug aufs Land ist mit dem Flanieren in Berlin vereinbar, wenn die Menschenwürde dran hängt ist das Pendeln ein geringer Preis.

    Falls das der Menschenwürde widerspricht und die Regierung Lösungen schafft bin ich gespannt wieviele Bürger das deutschlandweit in Anspruch nehmen werden. Und bin natürlich gespannt ob man einfach winzige Wohnungen schafft oder aber alles zubaut um dem Bedarf zu decken.

  • Es gibt kein Grundrecht sich seinen Wohnort auszusuchen. Wenn Berlin zu teuer wird muss man halt umziehen. Dann flaniert man halt nur noch alle paar Wochen Mal durch die Stadt und sieht die Freundinnen seltener. Davon ist bis dato noch niemand gestorben.

    • @SeppW:

      An Ihrer Stelle wäre ich mir ob Ihres letzten Satzes gar nicht so sicher. Stress bis hin zur Depression, Vereinsamung etc. sind hinlänglich bekannt als Faktoren für körperliche wie mentale Erkrankungen.

      Abgesehen davon möchte ich Sie mal erleben, wenn Ihnen Ihre Bleibe und Ihr langjähriges Lebensumfeld weggepreissteigert wird.

  • Nur wie möchte die Autorin den Zielkonflikt lösen, dass immer mehr Menschen in Berlin leben wollen - mehr Menschen als verfügbare Wohnungen.

    Zumal in Berlin immer mehr Menschen in Singlehaushalten leben, Kinder teils mehrere Kinderzimmer in verschiedenen Wohnungen haben und im allgemeinen der Platzbedarf steigt.

    • @DiMa:

      Ja, das ist ein Problem. Spätestens, wenn alle Freiräume zugebaut sind, werden viele aber nicht mehr dort wohnen wollen. Wer nicht zu sehr gebunden ist, geht dann vielleicht wieder. Ob die Wohnungen dann billiger werden?

  • Ich möchte das auch nicht. Genau so wenig wie Sie



    Es wird nur keinen interessieren was wir möchten.



    Politisch schon gar nicht.



    Die Gutverdiener sollen in die Städte, die reichen Alten.in meiner Stadt wir ein altes C&A kaufhaus in exclisive Alterwohnungen umgebaut, mit Cafe und Supermarkt.



    Es wird eng für uns!

    • @R.A.:

      Sorry, ohne Brille sollte ich nicht schreiben!