Bei der Letzten Generation mitmachen: Memme, Feigling, Hasenfuß
Unsere Autorin würde Straßen blockieren – hätte sie nicht solche Angst. Denn die Aktionen spalten nicht, findet sie. Vielmehr sind es die Parteien, die ihre Glaubwürdigkeit verspielen.
A ngsthase, Memme, Feigling, Waschlappen, Hasenfuß – suchen Sie sich aus, wie Sie mich nennen. Denn hätte ich keine Angst, wäre ich bei den Blockaden der Letzten Generation dabei. Ich würde mich auf die Straße setzen, mich ankleben. Und bereitwillig den Hass von Autofahrenden auf mich ziehen. Auch den Geifer von PolitikerInnen, solchen, die dem Populismus verfallen sind, weil es ihren Zwecken und nicht der Welt dient. Nicht zuletzt würde ich die Häme und Hetze der Bild ertragen. Nur bin ich nicht mehr mutig.
Und das, obwohl „Mut“ und „Wut“ so nah beieinanderliegen. Die Wut habe ich doch. Wut auf all jene, und in der Politik scheint es die Mehrheit zu sein, die nicht so handeln wollen, dass ein Aufbruch sichtbar ist, der die Erderwärmung stoppt. Nur, was ist so schwer, das W in Wut auf den Kopf zu stellen, damit Mut daraus wird? Und was so schwer, beides zu verbinden?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wutmut. Mutwut. Wir brauchen das, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Und um die Politik dahin zu bringen, den Menschen in diesem Land die Wahrheit zu sagen. Die politisch Verantwortlichen können nicht so tun, als gebe es ein Grundrecht aufs Weiter-so, aufs Autofahren, Fliegen, Wasser verschmutzen, Luft verschmutzen, Wälder roden, Ressourcen verschwenden, Autobahnen bauen, Profit schützen. Die Menschen müssen wissen, dass das direkt ins Verderben führt. Die PolitikerInnen müssen es ihnen sagen. Denn: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“
Danke, Ingeborg Bachmann, Sie nahmen es vorweg, als Sie dies bei der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1959 sagten. So kurz nach der NS-Zeit, in der die Menschen politischen Lügen zuhauf gefolgt waren, glaubten Sie, die Menschen seien bereit, der Wahrheit ins Auge zu sehen. „Wir wollen alle sehend werden“, sagten Sie.
Für die Wahrheit braucht es Mut
Für die Wahrheit, das wusste Bachmann, braucht es Mut. Wieso aber so viele in der Politik den Menschen gegenwärtig die Wahrheit nicht zumuten, ist ein Debakel. Auch sie sind Feiglinge. Ihre Angst gilt, anders als meine, nicht dem Mob, sondern dem Souverän.
Es wird jetzt viel darüber geredet, dass die Aktionen der Letzten Generation die Klimabewegung spalte. Dass sie mit ihren Blockaden die Glaubwürdigkeit des Klimaschutzanliegens verspiele. Das Gegenteil ist richtig: Die, die den BürgerInnen signalisieren, dass sie weiter Kohlendioxid verprassen können – die FDP, Kanzler Scholz, die ganze Kohorte von CDU, CSU – verspielen ihre Glaubwürdigkeit, weil sie den Menschen die Wahrheit nicht zumuten.
Die Politikverantwortlichen müssen ihr Narrativ dem Klimanotstand anpassen. „Wir schaffen das“, auch wenn es Einschränkungen bedeutet, müsste es lauten. Stattdessen tun sie, als könne alles bleiben. So fördern sie die Spaltung der Gesellschaft. Sie heizen den Konflikt an und die Erde.
Halb totgeschlagen bei einer Demonstration
Mich allerdings macht diese Erkenntnis nicht mutiger. Ich wurde einmal, in den 80er Jahren, von Polizisten halb tot geschlagen bei einer Demonstration. Die Fratze, die dieser Gewalt nicht Einhalt gebot, sie gar legitimierte, ertrage ich nicht mehr. Hart auf dem Boden aufschlagende Schuhe. Breite Schultern. Geschwellte Brüste. Geballte Fäuste. Stiere Blicke. Genau das, was ich sehe, wenn ich in Videos aufgebrachte Autofahrer auf die am Boden sitzenden DemonstrantInnen losgehen sehe. Sie aus dem Weg zerrend. Wer ist gesetzlos?
Mir bleibt jetzt nur das Wort. Und Bewunderung für Ingeborg Bachmann. Innerhalb der gesellschaftlichen Grenzen, sagte sie, sei unser Blick auf das Vollkommene der Liebe, der Freiheit oder jeder reinen Größe gerichtet – wobei das Vollkommene auch das Unmögliche, Unerreichbare sein könne. „Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen, dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an; daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt“, sagte sie.
Soll heißen, die Letzte Generation, Fridays for Future und alle, die die Erde nicht brennen sehen wollen, kämpfen mit ihren Mitteln weiter für eine Politik, die den Klimawandel stoppt. Sie werden daran wachsen. Und ich? Ich strenge mich hart an, diese Angst doch zu überwinden.
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