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Verkehrsstreik der GewerkschaftenSicher nicht der Letzte

Kommentar von Wolfgang Mulke

Zwei Gewerkschaften setzen am Montag zusammen die Arbeitgeber mit einem Mobilitätsausstand unter Druck. Vermutlich werden viele Weitere folgen.

Streik am Donnerstag in Halle. Weiterer Warnstreiks am Montag angekündigt Foto: Hendrik Schmidt/dpa

A m kommenden Montag werden in weiten Teilen des Landes nur Fußgänger und Radfahrer uneingeschränkt mobil bleiben. Bei allen anderen Verkehrsmitteln wirkt sich mehr oder minder stark ein bisher in dieser Form nicht gewohnter Streik aus. Zwei Gewerkschaften tun sich zusammen und setzen die jeweiligen Arbeitgeber mit einem flächendeckenden Mobilitätsausstand unter Druck, weil es in ihren Tarifverhandlungen stockt.

Mit einer neuen Strategie auf Gewerkschaftsseite hat der gebündelte Warnstreik nichts zu tun. Es ist eher die Terminlage, die ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht, eher ein Zufall also. Dass Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) aber zum großen Kaliber greifen, hat durchaus gute Gründe.

Viele der zusammengenommen mehr als 2,7 Millionen betroffenen Beschäftigten arbeiten in den unteren Lohngruppen, die unter der Inflation am meisten leiden. Unter ihnen ist der Unmut über die bisherigen Angebote der öffentlichen wie privaten Arbeitgeber groß, mithin auch die Kampfbereitschaft. Und sie erwarten, dass ihre Vertreter spürbare Verbesserungen durchsetzen.

Die Forderungen beider Gewerkschaften sind zudem taktisch klug gesetzt. Sie pochen auf einem Mindestbetrag, der den Leuten mit niedrigem Einkommen überproportional viel bringt, den Spitzenverdienern weniger. Das lässt sich innerhalb der Belegschaften, aber auch in der Öffentlichkeit gut verkaufen. Und die öffentliche Meinung spielt bei Tarifverhandlungen in wichtigen Branchen wie dem öffentlichen Dienst oder der Mobilität eine große Rolle. Hier sind die Arbeitgeber derzeit in die Defensive geraten, denn unter den hohen Preisen stöhnen die Beschäftigten überall und haben daher mehr Verständnis für die Forderungen als bei vergangenen Tarifrunden.

Kein Einlassen auf vorschnelle Kompromisse

Die Krisen rundum sind zudem eine Chance für Gewerkschaften, dem Mitgliederschwund und ihrem Bedeutungsverlust etwas entgegenzusetzen. Dort, wo sie gut organisiert sind, können sie bessere Arbeitsbedingungen aushandeln. Die letzten Abschlüsse, insbesondere bei der Post, haben das gezeigt. So verzeichnen sowohl die EVG als auch Verdi plötzlich wieder Zulauf. Allein schon deshalb werden sie sich in diesem Jahr kaum auf vorschnelle Kompromisse einlassen.

Der Warnstreik kommende Woche schmerzt viele, die auf Mobilität angewiesen sind – ist aber keineswegs maßlos. Da aufseiten der Arbeitgeber bisher keine entscheidende Bewegung in Richtung der Gewerkschaftsforderungen erkennbar ist, muss sich das Land wohl auf weitere Ausstände einstellen, vor allem, wenn es in der kommenden Woche keinen Abschluss im öffentlichen Dienst gibt.

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12 Kommentare

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  • Ja, je mehr jemand hat, umso geringer wird die Bereitschaft, etwas abzugeben. Von Teilen wollen wir gar nicht erst Reden. Ich war vom 1. Lehrjahr bis zum Eintritt in die Rente in der Gerwerkschaft. Erst HBV, dann Ver.Di. Das war auch für mich eine gute Entscheidung. Die Gewerkschaften sind zur Zeit die effektivsten Umweltschützer im Land. Also weiter so! Unsere Wirtschaft muss gebremst werden, sonst bringt sie uns um und die Menschen in den rückständigen Teilen der Welt gleich mit.

  • Der ÖPNV wird immer nur ein Backup für den Individualverkehr bleiben. Es verändern sich ggf. lediglich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und die Qualität selbst.

  • Lieber Herr Gorch. Aus diesem Grunde sollten Sie mitstreiken. Für zuverlässigen ÖPNV mit Mitarbeitern, die die Binnenkonjunktur ankurbeln können.

    • @TOM1976:

      Gerne, sobald die Gewerkschaften sich von der Politik (vor allem Sozen & Grünen) trennen und für die Arbeiter eintreten und nicht mit solchen Aktionen die Arbeiterschaft ärgern sondern die Arbeitgeber zwingen.

  • Und wieder zeigt sich - nicht die Arbeitgeber werden bestreikt sondern die Kunden und speziell diejenigen die kein HomeOffice machen können und sich auch kein Auto leisten können. Daher zeigt sich das der ÖPNV eine unsichere Sache ist und maximal als Backup für den Individualverkehr funktioniert.

    • @Thorsten Gorch:

      Warum machen Sie allein die Streikenden verantwortlich für den Streik?



      Dazu, dass es zum Streik kommt, gehören ja wohl immer zwei. Dass die Arbeitgebenden mit ihrer starren ritualisierten Haltung "völlig überzogen" erst diese Streiks notwendig machen, wird offensichtlich völlig ausgeblendet. Was ist denn mit deren Verantwortung? Haben wir uns schon so sehr daran gewöhnt, dass von Unternehmen so gar kein verantwortungsbewusstes Verhalten erwartet wird?



      Dieses Narrativ "die Streikenden behindern die Menschen" wird ja schon seit geraumer Zeit immer fleißig von den Arbeitgebenden und auch sehr gern durch Skandalisierungen in den Medien gefüttert.



      Und ist den Menschen wirklich nicht bewusst, dass jeder Streik auch einer für ihre eigenen Interessen ist? Sind sie wirklich nicht in der Lage, mit solchen temporären Störungen umzugehen? Urlaub nehmen? Überstunden abbummeln? Fahrgemeinschaften bilden?

      • @Life is Life:

        Sehr richtig, das musste `mal gesagt werden.



        Aber in Deutschland scheint Solidarität immer noch ein Schimpfwort zu sein, auch noch über sechzig Jahre nach der Diktatur. Das ist sehr traurig.

        • @felixul:

          Wir haben jetzt aber auch über 60 Jahre kapitalistische " Erziehung" genossen. Die war sehr effektiv, wie man sieht.

    • @Thorsten Gorch:

      Mehr noch. Gerade die öffentlichen Verkehrsmittel werden immer wieder als wichtiges Mittel gepriesen, um den Klimawandel entgegenzuwirken. Das entfällt allerdings während dieses (und möglicherweise folgender) Streiks.



      Merkwürdig ist, dass die Umweltschützer scheinbar nichts zu diesem Problem zu sagen haben (oder sie werden sie gar nicht erst gefragt). Wie wäre es, wenn die taz mal die „letzte Generation“ hierzu interviewt und z. B. fragt:



      - Was ist mit jenen ehemaligen Autofahrern, die nun gegen ihre Überzeugung gezwungen sind, ihr Auto wieder hervorzuholen?



      - Und was ist mit jenen, die im Glauben an die öffentlichen Verkehrsmittel kein Auto besitzen, aber keine Möglichkeit haben, zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihre Arbeitsstelle zu erreichen?



      Bei vielen Streikes konnten sich die Streikenden auf die Solidarität der Bevölkerung verlassen. Ich fürchte, das wird diesmal nicht so sein. Überhaupt: Die Art der Durchführung von Streiks hat sich seit dem vorletzten Jahrhundert nicht geändert. Wird es nicht Zeit, eine Form zu finden, die den Streik auf die Tarifparteien beschränkt?

    • @Thorsten Gorch:

      Bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV sorgt auch mit dafür, dass der ÖNPV als Dienstleistung besser funktioniert.

      Und was sollen Gewerkschaften denn sonst machen? Außer Worte haben sie doch sonst keinen Hebel. Zumal das Streikrecht in Deutschland ohnehin für europäische Verhältnisse eher restriktiv ist.

    • @Thorsten Gorch:

      Welche Alternative haben die Gewerkschaften denn jenseits des Streiks, um für höhere Löhne zu kämpfen, wenn das Kapital nicht will?



      Am Ende des Tages ist die Gesetzgebung in Deutschland hier auch maximal gewerkschaftsfeindlich: wenn der ÖPNV streikt, haben andere Arbeiter:innen das Risiko zu tragen.

      Dass der ÖPNV wegen möglicher Streiks alle 2 Jahre nur das Backup für das Auto ist, ist doch ein sehr schwaches Argument. Niemand käme auf die Idee, zu sagen, dass die Betreuung der Kinder in Kitas nur ein Backup für die Betreuung zu Hause wäre, weil alle 2 Jahre an einzelnen Tagen die Erzieher:innen streiken.



      Aber mit Solidarität hat man's in Deutschland eben nicht so.

    • @Thorsten Gorch:

      Ja, so kann man das sehen.