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Nach offenem Brief an „New York Times“Nicht ohne Haltung

Es wird wieder leidenschaftlich über Journalismus und Aktivismus diskutiert. Aber wer legt fest, was objektiv und was ideologisch ist?

Die Räumung in Lützerath im Januar 2023 wird von der Presse beobachtet Foto: Jochen Tack/imago

Dürfen Jour­na­lis­t*in­nen wählen gehen oder FC-Bayern-Fan sein? Ja, klar, würden die meisten antworten. Können sie vor dem Bundestag gegen die AfD demonstrieren oder bei Fridays for Future aktiv sein? Diese Frage würden deutlich weniger bejahen. Denn das Gebot des Journalismus ist Neutralität, auch wenn es keine Einigkeit darüber gibt, was damit gemeint ist. Denn es scheinen nicht für alle dieselben Regeln zu gelten.

Aktuell wird mal wieder über die Frage diskutiert, wie viel Aktivismus der Journalismus verträgt. Auslöser ist ein offener Brief, den Mitte Februar tausend Mit­ar­bei­te­r*in­nen der New York Times an die Zeitung adressiert haben. Sie kritisieren die tendenziöse Bericht­erstat­tung über trans und nichtbinäre Menschen. Obwohl ein Großteil der Texte fair sei, würden sie sich „ernste Sorgen über redaktionelle Voreingenommenheit“ machen. Die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen sehen eine transfeindliche Agenda, eine Mischung aus „Pseudowissenschaft und euphemistischer Sprache“.

Ihre Vorwürfe gegen die renommierte US-Tageszeitung untermauern sie mit Beispielen. In einem Text, wird ein trans Kind „Patient Null“ genannt, eine Bezeichnung, die man bei tödlich ansteckenden Krankheiten nutzt. Die NGO Glaad veröffentlichte zur selben Zeit einen Brief, in dem sie die NYT aufforderte, keine Anti-Trans-Texte mehr zu veröffentlichen. Ein Sprecher der NYT wies die Vorwürfe von sich, die Berichterstattung sei „nuanciert und fair“.

In den USA befeuerten beide Briefe eine generelle Debatte über Objektivität und Aktivismus im Journalismus. Etwas später ist diese auch in Deutschland angekommen. Der US-Politikwissenschaftler Yascha Mounk schreibt in der Zeit, dass es nicht nur um den journalistischen Umgang mit trans Menschen gehe, sondern um „die Rolle und die Zukunft des Journalismus“. Denn früher hätten Jour­na­lis­t*in­nen „die Welt dargestellt, wie sie eben ist“, heute seien sie „Verteidiger der Demokratie und Minderheitenrechte“.

Der Aktivismusvorwurf als Beleidigung

Ähnlich sieht das René Pfister im Spiegel, der einen neuen Journalismus ausmacht, der sich von der Objektivität verabschiedet habe. Das ist für ihn nicht nur „die Blüte des woken Amerika“, auch in Deutschland sieht er den objektiven Journalismus in Gefahr.

Als Beispiel führt er den Stern an, der eine Ausgabe in Zusammenarbeit mit Fridays for Future veröffentlicht hat, sowie die taz, die einen Vertrag von ProQuote unterschrieben hat, dass bei gleicher Qualifikation bevorzugt Frauen in Führungspositionen eingestellt werden sollen. Ein letztes Beispiel ist Sara Schurmann, die zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt wurde, und das obwohl (wie Pfister sagen würde) sie gefordert hat, dass alle Jour­na­lis­t*in­nen das 1,5-Grad-Ziel einfordern sollten.

Der Aktivismusvorwurf ist für viele Journa­lis­t*in­nen eine Beleidigung. Denn wer aktivistisch ist, mache seinen Job nicht richtig. Einen ähnlich schlechten Ruf hat der „Haltungsjournalismus“.

Themen und Gespräche haben eigens formulierte Relevanz

Dabei machen alle Jour­na­lis­t*in­nen Haltungsjournalismus: Geprägt durch ihre Identität und Erfahrung suchen sie nach eigens formulierten Relevanzkritieren für Themen und Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen, setzen Schwerpunkte und lassen Aspekte, die ihnen irrelevant erscheinen, weg. Wenn ich als Redakteurin gezielt darauf achte, weibliche Personen zu Wort kommen zu lassen, gilt das als aktivistisch. Wenn ein Redakteur in seiner Arbeit nur mit Männern spricht, gilt das als normal.

Denn Aktivist*innen, so scheint es, sind immer nur die anderen. Kein Wunder also, dass vor allem migrantischen, jungen oder linken Jour­na­lis­t*in­nen dieser Vorwurf gemacht wird. Ihre Herkunft, ihr Alter oder ihre politische Ausrichtung stellt sie automatisch unter Aktivismusverdacht, als hätten andere Jour­na­lis­t*in­nen keine Herkunft, kein Alter oder keine politische Ausrichtung.

Es ist kein Zufall, dass bei Pfisters Beispielen Kli­ma­jour­na­lis­t*in­nen auftauchen, aber eine Person wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt fehlt. Dieser hat sich durch seine Texte und Tweets immer wieder als Verbrennungsmotoraktivist hervorgetan. Doch in der Debatte geht es um die Frage: Wie viel Klimaaktivismus verträgt der Journalismus? Und nicht um die Frage: Wie viel Anti-Klimaschutz-Aktivismus verträgt der Journalismus?

Angst vor Verlust von Diskurshoheit

Es lohnt sich zu diskutieren, wo Journalismus aufhört und Aktivismus anfängt. Doch Pfister, Mounk und Co wollen keine Grenzen ausloten. Vielmehr wird durch ihre Texte eine Angst vor Verlust von Diskurshoheit sichtbar. Guter Journalismus „erkundet komplexe Sachverhalte ohne ideologische Vorbehalte“, schreibt Mounk. Doch was sind „ideologische Vorbehalte“?

Für viele gilt der Einsatz für die Pressefreiheit als Selbstverständlichkeit und nicht als Aktivismus. Wenn ich mich allerdings dafür stark mache, dass Menschenrechte auch für trans Menschen gelten – dann bin ich Aktivistin? Wer hat denn festgelegt, was ein objektiver und was ein ideologischer Zugang ist?

Aktivismus verfolgt politische Ziele, Journalismus will Informationen zugänglich machen. Das muss kein Widerspruch sein, kann sogar Hand in Hand gehen. Der Unterschied ist: Jour­na­lis­t*in­nen verpflichten sich einem Handwerk und dem Pressekodex. Klar ist aber auch: Wir alle gehen mit Haltungen und Erfahrungen an Themen heran. Das lässt sich nie verhindern. Wer das aber anerkennt und transparent macht, der hat viel gewonnen. Mehr als der vermeintlich objektive Journalismus, der nur bestehende Verhältnisse fortschreibt.

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25 Kommentare

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  • Ich frage mich, ob hier nicht unterschiedliche Dinge vermischt werden. Der offene Brief der NYT-Mitarbeiter kritisiert eine einseitige und manipulative Berichterstattung über trans, die vermehrt Einzelpositionen wiedergibt ohne diese in das Spektrum der Debatte einzuordnen, die Quellen uminterpretiert und verfälscht und so zur Stützung eigener Argumentationen missbraucht, die die Ebene des Sachlichen verlässt sowie abwertende und parteipolitisch aufgeladene Sprache benutzt.



    Von seiner Redaktionsleitung zu verlangen, dass diese dafür sorgt, dass die von ihr selbst festgelegte Standards eingehalten werden, ist etwas wesentlich anderes als politischer Aktivismus.

  • Aktivismus ist im Zweifel der gelebter Confirmation Bias (Bestätigungsfehler).



    Natürlich gibt es einen Punkt ab dem dieser den journalistischen Motiven nicht nur ein Bein stellt.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @Required:

      Aktivismus hat politische Ziele. Dass Argumente für eine Sache vorgebracht werden, dient diesen politischen Zielen. Man kann von Aktivisten, die von einer Sache überzeugt sind, weder verlangen noch erwarten, dass sie auch Gegenargumente zur Sache vorbringen.

      Confirmation Bias tritt in ganz anderen Zusammenhängen auf, in Erlebnisberichten oder Tatsachenbeschreibungen. Es handelt sich um systematische Fehler in der Berichterstattung oder der Wissenschaft.

      Problematisch wird es erst, wenn die Rollen Berichterstatter und Aktivist nicht getrennt werden. Jemand, der als Aktivist sehr glaubwürdig für eine Sache eintreten kann, würde sehr unglaubwürdig werden, wenn er wie ein Berichterstatter* auftritt. Von Berichterstattern* muss man erwarten, dass sie Gegenargumente berichten und zumindest benennen. Tun sie das nicht, sind sie bloss Sprachrohr von Interessengruppen und zeichnen ein Zerrbild der Realität. Leider passiert das sehr häufig.

  • Dazu, was objektiv und was ideologisch sei, gibt es recht verbreitet anerkannte Definitionen. Eigentlich in jedem Lexikon, im Duden, der Wikipedia, sonstwo.



    Die Frage, wer das definiert, sollte damit beantwortet sein. Und eine Kernqualität von Journalismus, abseits von Kommentaren und Kolumnen, muss Objektivität sein. Wer das bestreitet sollte vielleicht Schriftsteller:in werden, oder Politiker:in. Jedenfalls ist die Berufsbezeichnung "Journalist:in" dann falsch, denn wer nicht-objektiv schreibt, informiert nicht mehr, sondern manipuliert.



    Unabhängig davon ist es wohl keinem Menschen möglich, wirklich vollständig objektiv zu sein - ist halt ein Ideal, und wie jedes echte Ideal unerreichbar. Deswegen reicht's auch nicht aus, nur eine Zeitung zu lesen, einen Blog, einen newsfeed. Trotzdem: wer sich selbst als Journalist:in bezeichnet, bezeichnet sich damit auch als objektiv. Und sollte mindestens versuchen, diesem Anspruch auch gerecht zu werden, sonst geht das Medium kaputt.

  • Für gute Journalisten sollte gelten:

    - niemals "embedded" sein



    - unbestechlich sein



    - der Wahrheit verpflichtet, nicht den Herrschenden



    - den Menschenrechten verpflichtet

  • Ein Journalist soll informieren, deshalb ist er besonders geschützt und hat besondere Rechte.

    Ein Aktivist will bestimmte Ziele durchsetzen und nimmt es dabei mit den zivilrechtlichen Grenzen manchmal nicht ganz Ernst.

    Beides steht sich konträr entgegen. Ein Journalist sollte nie aktiv als Aktivist an Aktionen teilnehmen oder als solcher Publizieren. Hier kommt allenfalls die Kommentar- und Meinungsspalte in Betracht.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Wie wäre es mit folgender Abgrenzung von Aktivismus vs. Journalismus: Journalismus darf valide Argumente - vor allem auch die Argumente, die der eigenen Haltung widersprechen - nicht unterschlagen oder aus der Berichterstattung ausschließen.

    Aktivisten, die man auch als Anwälte einer bestimmten Sache bezeichnen kann, dürfen hingegen sehr wohl gezielt Argumente vorbringen, die ihrem Anliegen nützen.

    Daraus würde folgen, dass Journalisten konsequent Argumente von Aktivisten hinterfragen müssen, auch derjenigen, denen sie selbst nahe stehen. Das Problem ist, dass genau das häufig nicht passiert. Sonst würde man von z.B. Automann Poschardt erwarten, dass er das schädliche Potential des Verbrenners wenigstens nennt.

  • Wer behauptet "neutral" zu sein hat entweder nicht genug Reflexion betrieben oder lügt.

    Beides eine schlechte Voraussetzunge für diesen wichtigen Beruf.

    "... der einen neuen Journalismus ausmacht, der sich von der Objektivität verabschiedet habe."

    Jaja. Früher war alles besser. Ist das Dummheit oder Chuzpe? Sind an diesem Menschen (angeblich vom Fach!) Jahrzehnte um Jahrzehnte von Murdoch und Springer so spurlos vorbeigegangen?

    Liebe taz -- ich bin froh, dass Ihr eine Haltung habt und sie auch noch stolz vor Euch hertragt.

  • Die zweite Frage ist genauso klar zu beantworten wie die erste. Natürlich darf ein Journalist in seiner Freizeit auch bei Fridays for future mitmachen oder gegen die AfD demonstrieren.

    Er sollte dies aber aus seinen Artikeln heraushalten können und in der Lage sein, auch Fakten zu berichten, die vielleicht Menschen bestärken könnten, die seine Überzeugung nicht teilen und zwar ohne diese Fakten dann so "einzuordnen", dass sie "harmloser" werden. Oder er ordnet alle Fakten ein, auch die seiner Überzeugung entsprechen - gerade Statistik bietet hier viele Möglichkeiten.

    In meiner Jugend haben wir das in der Schule gelernt, also auch Argumente der "Gegenseite" erkennen und nennen können. In der Juristenausbildung gehört es auch zwingend dazu - erst Fakten sammeln und danach erst werten, was relevant ist und zwar in beide Richtungen.

    Das sollte ein guter Journalist auch können - jedenfalls wenn man unter "gut" versteht, sachlich und objektiv sein zu wollen. Wenn man unter "gut" versteht, die richtige Meinung zu haben und die passenden Artikel mit den entsprechend gefilgerten Fakten



    zu schreiben, dann muss man das alles natürlich nicht können.

  • Die Kritik ist durchaus berechtigt. Auch ich lese gerne die Taz nicht weil ich objektiv informiert werden möchte, sondern weil ich ein links günes Weltbild verstehen will. Ein objektives Medium müsste minestens 13 % AFD wählende Reprorter haben. Denn dies wiederspiegelt den Wähler /Leser in Deutschland.

  • Ziemlich gelungener Text. danke dafür.



    Zwei Punkte die mich triggern:

    1. "...heute seien sie „Verteidiger der Demokratie und Minderheitenrechte“

    Verteidiger der Demokratie bedeutet allerdings auch zu akzeptieren, wenn eine Mehrheit eine andere Meinung oder Ideologie als der Journalist vertritt - das gelingt meines Erachtens zu oft nicht. Speziell bei ÖR-Formaten wie Funk wird auffällig oft unausgewogen berichtet.

    Minderheitenrechte sollen selbstredend geschützt werden. Aber auch hier erlebe ich desöfteren ein Aufbauschen von Interessen von Minderheiten bzw. durch deren selbsternannte Vertreter, die dann von Medien bzw. ihren Vertretern ohne ordentliche Einordung einfach weiterverbreitet werden. Auch das ist eben auch nicht der richtige Weg. (als Beispiel hierfür die unkommentierte Verbreitung der Forderung des Berliner Blindenverbandes, der eine Entfernung aller E-Scooter in Berlin fordert - also das "potentielle" Interesse von 26.000 Sehbehinderten oder Blinden = 0,01 % der Berliner Bevölkerung knallhart über das Interesse einer Mehrheit von Nutzern stellt...)

    2. "Der Aktivismusvorwurf als Beleidigung"

    Die Punkte, die unter der oben genannten Headline als Beispiele von René Pfister aufgeführt werden mögen unvollständig sein und meintwegen auch tendenziös sein, es macht sie aber dadurch nicht unwahr. Auch wenn das nicht direkt die journalisitsche Arbeit betrifft kann man durchaus infrage stellen, ob die eindeutige Positionierung eines medial-tätigen Unternehmens oder gar der Privatperson eine zukünftige objektive journalistische Arbeit zu dem jeweiligen Themenkomplex durch selbiges/selbige überhaupt zulässt.

    Daraus folgernd ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt, dass Journalisten ihre Artikel klar kennzeichenen müssen. sobald sie ihre eigene Meinung einbringen, und zwar zusätzlich zu den bestehenden Rubriken wie "Meinung", "Kommmentar" oder "Kolumne".

    Wie taz.de/!ku86524/ schreibt, finde ich das bei der TAZ entsprechend gut gelöst.

  • "Es ist kein Zufall, dass bei Pfisters Beispielen Kli­ma­jour­na­lis­t*in­nen auftauchen, aber eine Person wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt fehlt."

    Dies ist eigentlich der zentrale Punkt, an welchem sich ideologisch-reaktionärer oder eben kritischer Journalismus bricht. Ersterer behauptet von sich, er sei "objektiv", obwohl er aktiv eine spezifische Schlagseite hat (und gerade kein ausgeglichenes Bild zeichnet), während zweiter ggf. auch selbstkritisch solche Fragen und Grenzen auslotet. Es ist eigentlich wie in allen vergleichbaren Debatten zu Gender, Rassismus, Sexismus usw. wo ein bürgerlich-konservativer Zirkel sich bedroht fühlt. Dies gibt es jedoch nicht nur im Journalismus, sondern auch massiv innerhalb der Wissenscharft, wo mit vergleichbaren Pseudoargumenten vorgegangen wird.

  • "Es ist kein Zufall, dass bei Pfisters Beispielen Kli­ma­jour­na­lis­t*in­nen auftauchen, aber eine Person wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt fehlt."

    Mir persönlich würden jetzt nicht so viele Leute einfallen, die die Welt, Cicero, Focus, Politico etc. als objektive Berichterstattung bezeichnen würden.

    Wenn ich möglichst objektive Nachrichten lesen will, lese ich den DLF, die DW oder die BBC und auch dann ist immer die Frage, in was für einem Medium und von wem liest du welche Nachricht.

    Ich spende der taz seit Jahren Geld, aber ich käme nie auf die Idee, die taz in vielen Artikeln für objektiv zu halten, darum lese ich sie ja. Genauso wie ich manchmal auf Reddit Artikel von anderen politischen Richtungen lese, weil mich andere Positionen interessieren.

    Ich habe auch ehrlich gesagt kein Problem mit dem Haltungsjournalismus, ich bekomme immer nur Kopfschmerzen, wenn man Haltungsjournalismus betreibt, aber behauptet, man sei objektiv.

    Fallschirmjournalismus, das ist Scheiße und wird viel zu oft betrieben.

    Treffen sich zwei Journalisten in Bosnien. «Seit wann bist du hier?» «Seit gestern.» «Und wann fährst du wieder?» «Morgen.» «Und woran arbeitest du?» «An einem Artikel: ‹Bosnien – gestern, heute und morgen.›

    Auf Reddit gab es im Bundeswehr sub mal ein Spiel, jede elementar falsche Beschriftung von Gerät in deutschen Medien zu posten. Man hätte ein massives Alkoholproblem, würde man immer einen Schnaps pro fail trinken.

    • @Sven Günther:

      Mir fallen da sehr viele Leute ein, die entweder nur eines dieser Blätter lesen und dies aufgrund ihrer Weltsicht eben als 'richtig' und deshalb 'objektiv' einstufen. Es gibt auch genug Leute, die glauben, die Bildzeitung sei eine relativ seriöse Zeitung, die ben berichtet "was ist". Man kann das für dumm halten, aber die konservative Springerpresse wird ernst genommen, sonst hätte sie nicht solch einen gesellschaftlichen Impact.

      Kritiker*innen würden, abgesehen davon, trotzdem sagen, dass irgendwelche DLF-Artikel zu Klima, Gender usw. woke-beeinflusst sind. Selblst die Sendung mit der Maus gilt mittlerweile als links-grün-ideologieverdächtig bzw. unterwandert.

  • Das ist ein bisschen lustig, dass die Kritik von René Pfister kommt, der in seinen Beträgen fast schon obsessiv eine antifeministische Agenda verfolgt, seit Jahrzehnten. Weiter weg von der Idee neutraler Berichterstattung kann man als Journalist kaum sein.

  • Herrje, soviel falsch an diesem Kommentar. Mal sehen, ob es gelingt, dass aufzuarbeiten. Es beginnt schon beim verfehlten Einstiegsvergleich zwischen Wählen gehen & Bayern-Fan-sein auf der einen und FFF-Aktivismus & Anti-AfD-Demos auf der anderen Seite.

    Das sind nämlich zwei komplett verschiedene Paar Schuhe. Das reine Bayern-Fan-sein ist natürlich kein Problem, sobald dieses Fandom sich allerdings in einer "Bayern-München-einziger-Deutscher-Meister!"-Schlagseite in der Fußballberichterstattung niederschlägt, wird es zum Problem. Dieser Bayern-Aktivismus, der dann die Berichterstattung durchzieht, ist vielleicht im Bayern München Fan Magazin zulässig und sogar erwünscht, in allgemeinen Zeitschriften, wie dem Kicker wäre dieser Individual-Aktivismus allerdings problematisch.

    Das wäre der richtige Vergleich gewesen, denn so verhält es sich auch mit FFF-Aktivismus. Dieser mag menschlich verständlich und sogar wünschenswert sein, er verstellt aber den Blick für die ggf. rationalen Argumente der jeweils anderen Seite. Das ist eben im FFF-Wochennewsletter willkommen, in der allgemeinen Presse indes eher abzulehnen. Denn wer ein allgemeines Presseorgan liest, will - meines Erachtens - vor allem Informationen, nicht Aktivismus.

    Das bedeutet keine 100 %-ige Neutralität. Kommentare und Themen können ruhig eine gewisse politische Schlagseite haben (FAZ, Süddeutsche, taz, etc.), aber in allgemeinen Berichten erwartet der Leser (zu Recht) eine volle tatsachengetreue Berichterstattung und keinen Aktivismus. Dieser kann in Kommentaren und Meinungsstücken vorkommen, aber nicht in "normalen" Artikeln.

    Und das Argument "Haltungsjournalismus" gibt es in den USA doch auch, kann kaum ein schlechteres sein. Denn das heißt nicht nur NYT, sondern auch Desinformationen durch Fox News, Breitbart und New York Post. Gerade die USA ist ein warnendes Beispiel, wohin der Weg des Haltungsjournalismus führt und weshalb das Beharren auf der Neutralität etwas Gutes ist.

  • "Dabei machen alle Jour­na­lis­t*in­nen Haltungsjournalismus: Geprägt durch ihre Identität und Erfahrung suchen sie nach eigens formulierten Relevanzkritieren für Themen und Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen, setzen Schwerpunkte und lassen Aspekte, die ihnen irrelevant erscheinen, weg."

    Das würde ich noch nicht als Aktivismus bezeichnen. Ein Propagandist/Aktivist/Haltungsjournalist bewertet und selektiert Themen und Gesprächspartner*innen genau nicht nach Relevanz, sondern danach ob sie geeignet sind die Meinung der Leser in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Z.B. indem er bewusst international anerkannte Fachleute meidet, stattdessen nur Aussagen von fachfremden Schwurblern, anderen Aktivisten und extremen Außenseitern präsentiert.

    Er versucht nicht, die Wahrheit zu ergründen, sondern sie zu filtern und zu verzerren. Er weiß dass seine Texte nicht objektiv sind. Er widerspricht seinen gleichgesinnten Interviewpartnern nicht obwohl er weiß dass sie lügen. Sein Ziel ist nicht Information sondern Beeinflussung für einen vermeintlich guten Zweck.

  • Was mich persönlich beim aktuellen Journalismus stört, ist diese gouvernantenhafte Zwangspädagogik. Medienschaffende halten uns scheinbar alle für grenzdebil. Jede Information muss irgendwie eingeordnet werden. Auf keinen Fall soll der Leser noch anfangen selbst zu denken. Es ist völlig ok eine Informationen auch mal unkommentiert einfach nur zu verbreiten.



    Damals beim Neuen Deutschland war es immer eine beliebte Disziplin das Deckblatt der Zeitung zu lesen und die eine versteckte echte Information zu finden. Ich will mich aber nicht wieder an das Zwischendenzeilenlesen gewöhnen müssen.

  • Sicher auch ein spannendes Thema wäre auch der Einfluss von Lobbygruppen und Korruption auf Journalist:innen und deren Publikationen.

  • Toller Text, sehr gut beobachtet und argumentiert!

  • Solange das, wie hier bei der taz, die jeweilige Haltung (bei der Gegenseite: "Agenda" oder "Ideologie") halbwegs transparent dargestellt ist, hab ich da auch kein Problem mit.

    Ich lese die taz ganz bewusst nicht mit der Erwartung, objektive Wahrheiten zu erhalten, sondern weil mich die Meinungen anderer Milieus interessieren - im Falle der taz: das urban links-alternative Milieu westdeutscher Bildungsbürgerinnen. Das ist nicht mein Umfeld aber es gesellschaftlich ist wichtig genug, um auf dem Laufenden bleiben zu müssen.

    Nervig ist nur dass man dann so viele verschiedene Medien nutzen muss ;)

    • @Chris McZott:

      genau so ist es. Wobei die taz auch Leute wie zum Beispiel Herrn Jakobs (oder Jacobs) hat (schmal mit dunklen Locken), der über Migration schreibt. Ich teile seine Ansichten nicht - aber er ist sehr gut darin, Fakten zusammenzutragen, auch solche, die vielleicht seinem Narrativ vordergründig nicht dienen. Er ordent sie dann so ein, dass seine Schlussfolgerung im Endeffekt bestätigt wird, aber man fühlt sich informiert.

      Bei der WELT erwarte ich umgekehrt auch nicht, dass linke Narrative bedient werden.....

      Problematischer sehe ich eingefärbten Journalismus bei vermeinltich "liberalen" Blättern wie der ZEIT, die zumindest online einen krassen Linksrutsch hinter sich hat und vor allem beim öffentlich-rechtlichen TV, der sogar Ausgewogenheit im Sendeauftrag stehen hat.

    • @Chris McZott:

      die objektive Wahrheit gibt es sowieso nicht.

      Höchstens kann man überlegen welche Werte man auf keinen Fall verletzt.

      Menschenrechte zum Beispiel.

      Das Rassismus verletzt diese.



      Anti Ziganismus, Antisemitismus, Anti LGTBQ, verletzt alles Menschenrechte einer bestimmten Personengruppe.

      Auch beim Kampf gegen den Klimawandel geht es um Menschenrechte.

      Aber Menschenrechte sind nicht gleich Menschenrechte.

      Die einen haben mehr, die anderen weniger Rechte und wo die unscharfe Trennlinie in der Berichterstattung verläuft ist unterschiedlich je nach Medium.

      I

      • @sociajizzm:

        Einspruch! Es gibt objektive Wahrheiten. Die Logik ist ein zentrales Merkmal von Objektivität, auch Naturwissenschaften sind davon nicht befreit. Es wäre fatal nach den Personen aus Orwells Buch zu gehen, in der 2+2=4 hinterfragt wird. Oder ob die Erde eine Kugel oder hohl oder eine Scheibe ist.

      • @sociajizzm:

        Sehen Sie, da geht es schon los.

        Die taz ist, anders als sie vielleicht meinen, nicht objektiv gegen ein zeitloses und ein-eindeutiges Konzept "Rassismus", sondern "nur" gegen das, was man derzeit in ihrem Umfeld für Rassismus, Anti-Ziganismus etc. hält.



        Solche Defintionen unterliegen aber Moden, politischen Weltbildern usw...