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Karlsruhe zu Kudamm-RaserMordurteil gebilligt

Hamdi H. verursachte den Tod eines Rentners. Das Bundesverfassungsgericht hat keine Einwände gegen die Entscheidung des Berliner Landgerichts.

Die Tauentzienstraße in Berlin nach dem Raserunfall im Februar 2016 Foto: Britta Pedersen/dpa

FREIBURG taz | Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Verfassungsbeschwerde von Hamdi H. ab, der als erster Raser in Deutschland wegen Mordes rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Er hatte 2016 auf dem Berliner Kurfürstendamm bei einem Wettrennen den Tod eines Rentners verursacht.

Im Februar 2016 lieferten sich zwei junge Männer – Hamdi H. und Marvin N. – nachts um halb eins spontan ein Wettrennen auf dem Kudamm. Ampeln wurden ignoriert, die Geschwindigkeit lag zum Schluss bei 160 bis 170 Stundenkilometer. Kurz vor dem Ziel kollidierte H. auf der Tauentzienstraße mit einem Jeep, der bei Grün aus einer Seitenstraße kam. Der Fahrer, ein Rentner, hatte keine Chance und starb noch an der Unfallstelle.

Das Landgericht Berlin verurteilte die beiden Raser im Februar 2017 wegen Mordes. Doch der BGH hob das Urteil zunächst wieder auf. Ein Tötungsvorsatz sei nicht ausreichend bewiesen. Im März 2019 verurteilte das Landgericht Berlin die beiden Angeklagten erneut wegen Mordes. Diesmal bestätigte der BGH das Mord-Urteil gegen Hamdi H., forderte aber eine neue Verhandlung für Marvin N. Das Landgericht Berlin verurteilte N. im März 2021 wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von 13 Jahren Gefängnis. Auch dieses Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

In allen Verhandlungen ging es zentral um die Frage, ob Raser, die den Tod eines Menschen verursachen, dabei fahrlässig oder mit Vorsatz handeln. Früher wurden Raser in solchen Fällen regelmäßig wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt. Seit es aber in vielen Städten eine stark von jungen Migranten geprägte Raserszene gibt, ist das Pendel ins andere Extrem ausgeschlagen und werden immer wieder Mord-Urteile mit lebenslanger Freiheitsstrafe verhängt. Das Verfahren gegen die Kudamm-Raser war der Präzedenzfall.

Beim Bundesverfassungsgericht ging es nun nur um das Mord-Urteil gegen Hamdi H. und dessen Bestätigung durch den Bundesgerichtshof (BGH) im Juni 2020.

In seiner Verfassungsbeschwerde hatte Hamdi H. gerügt, das Mord-Urteil verstoße gegen das Bestimmtheitsprinzip des Grundgesetzes und das Schuldprinzip. Es sei für ihn nicht absehbar gewesen, dass er wegen Mordes verurteilt werden könnte. Wenn aus der objektiven Gefährlichkeit einer Handlung bereits auf den subjektiven Vorsatz geschlossen werde, könne aus fast jeder Gefährdungshandlung im Straßenverkehr ein Mordvorsatz abgeleitet werden. Eine Mord-Verurteilung entspreche in Fällen, bei denen die Fahrer auf einen guten Ausgang vertrauen, auch nicht der individuellen Schuld.

Das Bundesverfassungsgericht wies die Vorwürfe nun in einem 26-seitigen Beschluss zurück. Zwar seien die Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafgesetzbuch nicht definiert, doch habe die Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg zumindest bei Tötungsdelikten für einigermaßen klare Konturen gesorgt. Die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen verwiesen auf zahlreiche BGH-Urteile, das älteste von 1955.

Danach liegt bedingter Vorsatz vor, „wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein“. Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, „wenn der Täter ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten“.

Diese ständige Rechtsprechung habe auch der BGH bei seinem Mord-Urteil gegen Hamdi H. angewandt. Dabei habe er auch nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit des Wettrennens mit extrem hoher Geschwindigkeit abgestellt, sondern zusätzlich die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Damit sei zugleich das Schuldprinzip gewahrt, so die Verfassungsrichter:innen.

Tatsächlich hatte der BGH auch berücksichtigt, dass Hamdi H. das schwächere Auto fuhr und bei der Wettfahrt kurz vor dem Ziel hinten lag. Da er aber unbedingt gewinnen wollte, sei er größte Risiken eingegangen. Die Vorsitzende BGH-Richterin Beate Sost-Scheible hatte damals ausdrücklich betont, dass es sich um eine Einzelfall-Entscheidung handele.

Inzwischen hat sich der Streit um Mord-Urteile gegen Raser etwas entspannt, weil der Bundestag 2017 eine neue Strafvorschrift für tödliche Autorennen eingeführt hat. Der neue Paragraf 315d sieht Höchststrafen bis zu zehn Jahren vor.

Erst am gestrigen Donnerstag hatte das Landgericht Neuruppin einen 24-Jährigen auf Grundlage dieser Strafnorm zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Er hatte im Juli 2021 mit einem 510 PS-starken Sportwagen auf einer Bundesstraße einen Unfall mit einem entgegenkommenden Fahrzeug verursacht. Darin starben zwei Frauen, zwei weitere Mitfahrer wurden schwer verletzt.

(Az.: 2 BvR 1404/20)

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25 Kommentare

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  • 1. Völlig unfähige Juristen. 2. Warum sich zwei in der Geschwindigkeit hochschaukeln müssen, damit es zum Mord kommt, ist mir völlig schleierhaft. 3. In Stuttgart wurden bei einem ähnlichen Fall, 160 km/h, rote Ampel, vor der Kollision nach einmal Gas gegeben, 2 junge Leute ermordet - nur, die Richterin Eßlinger konnte "keinen Vorsatz" feststellen. Entsprechend anders fiel das Urteil bei nahezu gleichem Verbrechen und gleichen Folgen aus. Unfähigkeit der Justiz halt. Dann schiebt sie noch vollkommen überflüssig nach: "Der Unfall beruht auf nichts anderem als dieser hirnlosen Raserei“. 5 Jahre Strafe, ein neuerlicher Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen. Auch deshalb völlig unangemessen, weil die "hirnlose" Raserei nicht aufhört. Und die lebensfremden Entscheidungen der Justiz auch nicht.

  • "Früher wurden Raser in solchen Fällen regelmäßig wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt. Seit es aber in vielen Städten eine stark von jungen Migranten geprägte Raserszene gibt, ist das Pendel ins andere Extrem ausgeschlagen und werden immer wieder Mord-Urteile mit lebenslanger Freiheitsstrafe verhängt."



    Stimmt das so? Ist das belegt? Wenn ja, ist das ein Fall von der Vermengung von Kriminalität und Gruppenbezogener ausgrenzung. Das verunkärt unsere grundgesetzliche Absicht, dass alle vor dem Gesezt gleich behandelt werden.



    Wer mit einem Auto Menschen Umbringt, dem muss nach dem Gestezt klar gemacht werden, dass das gesellschaftlich nicht akzeptiert wird (bekommt also eine "angemessene" Strafe).



    Dabei sollte Geschlecht, Gebutsort, Name ,Hautfarbe, Glaube etc. (per Gestezt) des/der Täter:in egal sein.

    • @Nilsson Samuelsson:

      Für das Urteil ist es tatsächlich egal . Nicht aber dann, wenn es darum geht, präventiv tätig zu werden - z.B im Bereich der Sozialarbeit.



      Und leider ist es so, wie Herr Rath beschreibt. Ihre These ist etwas abwegig.

      • @Emmo:

        ?! Was bedeutet das?



        Es? Wie "so"? These? Abwegig?

    • @Nilsson Samuelsson:

      Ich halte diese these für abwegig. Weder ist die Raser-Szene fest in "migrantischer" Hand noch hat das irgendeinen Einfluss auf die Strafen. Der erste mir bekannte Raser-Fall mit tödlichen Ausgang war der Tod des Sohnes des damaligen OB von Köln. Beide Täter mit Migrationshintergrund und in zweiter Instanz gab es Bewährung (m.e. damals wie heute abwegig).

  • 'ENTSPANNT' ?????



    10 Jahre max - war von Anfang an ein sehr SEHR schlechter Witz, eine Unverschämtheit gegenüber jedem Menschen auf dem Gebiet dieser Republik, der sich gelegentlich im Straßenraum aufhält. Hat die Tuningindustrie dieses Gesetz geschrieben ? Schwarzrot hat sich ja so einige Gesetze fremd-schreiben lassen. Ein Grund mehr, niemandem mehr zu vertrauen, der in unsern Parlamenten sitzt. Wo leben die ? Auf unserm Planeten ganz offensichtlcih nicht.

  • 6G
    654307 (Profil gelöscht)

    Das kann es doch nicht sein, dass man mit seinem Auto 2 Menschen töten darf und per Extragesetz nur maximal 10 Jahre bekommt :/



    Wenn es um Autos geht, verlieren Menschenleben schnell an Wert in Deutschland

    • @654307 (Profil gelöscht):

      Das "in Deutschland" kann man weglassen.

  • „wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein“ Das trifft praktisch auf jeden Blechpiloten zu. Und das mit Recht. Konsequenz kann nur sein Autofahren so weit wie möglich zu beschränken. In unserer recht großen Familie fährt keiner mehr, nachdem ein Familienmitglied im Alter von 6 Jahren auf dem Heimweg von der Schule tot gefahren wurde. Wir wollen uns der potentiellen Tötung und Verletzung andere Menschen nicht aussetzen. Nebeneffekt, die baldige Erkenntnis, dass es Autos aus praktischen Gesichtspunkten sowieso nicht braucht.

    • @guzman:

      Ja, auch mit einem auf 50 km/h beschleunigtem Kleinwagen ist ein tödlicher Unfall jederzeit eine nicht ganz fernliegende Möglichkeit. Nur wo soll man die ganzen Knäste herbekommen um die rund 40 Mio. Kraftfahrzeugführer*innen wegen versuchten Mordes einzubuchten?

  • Ich weiß mich in guter Gesellschaft von sehr viel hervorragenderen KollegInnen als meiner Wenigkeit, wenn ich diese Rechtsprechung weiterhin schlicht für falsch halte. Ich hoffe sehr, dass sie in Zukunft wieder korrigiert/eingefangen wird. Bis dahin wird die Republik davon aber auch nicht untergehen, & es gibt auch keinen Grund, den Tätern eine schwere Strafe zu ersparen. Natürlich ist ihr Handeln & Verhalten im höchste Maße verwerflich & kriminell. Trotzdem ist dieses Vorsatz-Konstrukt rechtswissenschaftlich mbMn nicht haltbar.

    • 6G
      650228 (Profil gelöscht)
      @JulianM:

      Es gibt so einige Entscheidungen von Gerichten, die realistisch betrachtet juristisch wesentlich skurriler sind (z B. das Ok des BVerfG zur Euro-Rettung trotz eindeutigem no-bail-out oder die Beihilfe zum tausendfachen Mord bei den Sekretärinnen).

  • Ich meine, es wäre für Alle Beteiligten besser, wenn der Täter seine "Schuld" sozusagen abarbeiten könnte.

    Z. B könnte man ihn verpflichten statt die 15 Jahre im Gefängnis zu versauern, einen Teil der Zeit als Rettungssanitäter zu arbeiten. Danach macht der sowas totsicher nie wieder.

    Aber das ist vermutlich zu innovativ.

    • @Sonntagssegler:

      Nein, so jemand ist zu doof im Kopp, als dass man ihn eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit wie Rettungssanitäter zuordnet. Außerdem, ich hatte diese Tätigkeit als Zivi absolviert, und es hat richtig Spaß gemacht. Wäre also keine "Strafe".

    • @Sonntagssegler:

      Klasse Idee! Zur Strafe ab ins Gesundheitswesen!



      Als Rettungssanitäter arbeiten macht man nicht einfach mal so. Das muss jemand wollen und auch ein bisschen Grips haben.



      Aber vielleicht setzt sich Ihre Idee ja durch, dann ist sicherlich auch bald der Pflegenotstand zu beheben...

      • @HopeDrone:

        Gefängnisse sind extrem teuer.

        Es wäre für die Gesellschaft sogar billiger, wenn der Typ nur Krankentragen tragen muss oder den Notfallwagen fährt. O.k. - DAS besser doch nicht. :)



        Wegen eines Lebens prinzipiell auch ein zweites komplett zu zerstören, macht wenig Sinn.

        Historisch gesehen ist unser Rechtssystem sehr auf Schuld und Sühne fokussiert.



        Das ist z.B. in muslimischen Gesellschaften anders, wo der Interessenausgleich zwischen den betroffenen Parteien im Vordergrund steht.

        • @Sonntagssegler:

          ein interessenausgleich? was soll das sein?



          verbrechen schreit nach strafe!



          ein land in dem körperverletzung nicht automatisch verfolgt wird hat ein grundsätzliches problem.

    • @Sonntagssegler:

      Möchten Sie wirklich in einer Notlage von einem Rettungsssanitäter versorgt werden, der seine Motivation daraus zieht, daß er als Strafe für ein Vergehen zu dieser Arbeit verurteilt wurde?

  • Ich kann der verschwurbelten Begründung nicht ganz folgen.



    Mein Eindruck ist, daß man hier mit argumentativer Gewalt versucht, eine Gesetzeslücke zu heilen.

    Das klappt aber nicht wirklich, denn ein heimtückischer Mord war das nicht, zumal der Fahrer während des Rennens wohl auch nicht mehr klar denken konnte.



    Lebenslänglich ist das zi viel., auch die 15 Jahre, dies dann werden könnten.

    Es wird Zeit, da die Gesetzeslage zu ändern.

    • @Sonntagssegler:

      Auch wenn die Antwort von Herrn Schiebulski zumindest in eine richtige Richtung weist, geht es hier gar nicht eigentlich um die sogenannten "objektiven Mordmerkmale". Fraglich ist vielmehr der subjektive Tatbestand, der nämlich verlangt, dass ein Täter den Tod des Opfers als Folge seiner Tat "wissen & wollen" muss.



      Hierbei behilft sich die Rechtsprechug mit der Formel des "bedingten Vorsatzes", das bedeutet im Prinzip, dass 1) eine TäterIn NICHT sicher weiß, dass es zum Tod des Opfers kommen wird, aber das als Möglichkeit annimmt & sich davon nicht abhalten lässt & 2) die TäterIn den Tod des Opfers auch NICHT unbedingt will (Absicht) sondern es ihr gleichgültig ist, ob es lebt oder stirbt. Kein solcher Vorsatz wäre jede sog, bewusste & grobe Fahrlässigkeit, wenn eine TäterIn also in gleicher Weise weiß, dass ihr Handeln zum Tod des Opfers führen kann, aber mit oder ohne guten Grund darauf vertraut/hofft/setzt, dass das schon nicht passieren wird. Diese Abgrenzung ist es, worum es bei diesen Urteilen geht.

    • @Sonntagssegler:

      Ja und?

      Im Angebot sind noch

      -gemeingefährliche Mittel und/oder



      -sonstige niedrige Beweggründe