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Chaos bei TwitterNeue Plattform gesucht

Unternehmer Elon Musk legt Twitter in Trümmer. Die Lehre daraus: Für den Diskurs im Netz muss ein anderes und nicht kommerzielles Modell her.

Sterbender Vogel? Logo am Twitter-Büro in New York Foto: Brendan McDermid/reuters

T witter war Teil einer demokratischen Infrastruktur. In einer sich radikal und rapide verändernden digitalen Öffentlichkeit war Twitter kein Ideal – aber die Grundlage für das, was man als diskursive Demokratie beschreiben kann. Der neue Twitter-Chef Elon Musk zerreibt das nun täglich; er zerreibt damit auch eine Möglichkeit, Öffentlichkeit und Demokratie im digitalen Zeitalter wenigstens verhalten progressiv zu gestalten; und so überraschend wie schockierend ist es, dass nun keine echte Alternative zu Twitter besteht.

Mastodon, eine Plattform, auf die manche ausweichen, hat eine andere Ausrichtung und funktioniert nur sehr holprig. Die Dezentralität, die das eigentliche Gestaltungselement von Mastodon ist, und die auch eine theoretische Grundlage einer anderen Form von Demokratie sein könnte, wirkt hier vor allem rückständig und klein. Klar ist: Das Drama um Twitter hat eine tiefere Dimension und wirft grundsätzliche Fragen nach dem Wesen der Demokratie im 21. Jahrhundert auf.

Öffentlichkeit hat es immer gegeben, in jeweils historisch verschiedener Form und Gestalt. Demokratie ist ohne Diskurs nicht zu haben – die Frage ist, wie er strukturiert ist und wie frei er ist von staatlicher oder, im Fall von Twitter nun, privater oder privatwirtschaftlicher Kontrolle.

Im antiken Athen gab es die Agora, für eine kleine Menge von Menschen, es war eine exklusive Demokratie, die heute oft als Ideal gesehen wird, trotz der offensichtlichen Limitationen – die Einschränkung des Wahlrechts etwa, keine Frauen, keine Sklaven: Die diskursive Einigung über wesentliche gesellschaftliche Fragen war das Ziel, die Polis formte sich im öffentlichen Gespräch.

Stimme für die Stimmlosen

Die Neuerfindung der Demokratie nach der Französischen Revolution war dann deutlich agonistischer. Die Parteien begannen, die Politik zu bestimmen, die Öffentlichkeit strukturierte sich ähnlich – Zeitungen, etwa in Frankreich, England, den USA, aber auch in Deutschland, waren oft weltanschaulich geprägt, Medien wurden zu einem Mittel der Politik; oder umgekehrt, die Politik wurde mediatisiert.

Die digitale Revolution bedeutete hier einen Bruch – die Frage des Besitzes an den medialen Produktionsmitteln wurde radikal demokratisiert, der Diskurs wurde geöffnet für viele, die bislang keine Stimme hatten. Es war eine Machtprobe, die auch die etablierte Form von Politik als wesentliche öffentliche Interessenvertretung betraf.

Die alte Macht, Verlage, Fernsehsender, aber auch Parteien, Regierungen, Staaten bis zu autokratischen Regimen, standen einer neuen Macht gegenüber, die schwer zu definieren war und sich erst nach und nach fand: Da waren Menschen, die Revolutionen antrieben, da waren Stimmen, die eine Reichweite bekamen, die größer war als alle traditionellen Medien im jeweiligen Land zusammen.

Es geriet etwas, buchstäblich, in Bewegung: Seit etwa 2010 war das Zeitalter der sozialen ­Medien auch das Zeitalter der sozialen Bewegungen, vom Arabischen Frühling 2011 über ­#MeToo 2017 bis zu #BlackLivesMatter 2013 und vor allem seit 2020 nach dem Tod von George Floyd.

Bild: Frank May
Georg Diez

ist Chefredakteur von „The New Institute“. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Blogdown. Notizen zur Krise“ im Frohmann Verlag.

Man sollte das alles noch mal reflektieren, weil jetzt, wo Twitter so massiv in der Krise ist, immer wieder zu lesen ist, es sei ja eh alles schlimm gewesen: In der FAZ etwa wurde Twitter als „fahl glühender Gruselwurm“ beschrieben, der „in endlosen Threads grunzend durch Hirne und Herzen weiterwurmt und dabei die Grundsubstanz eines gigantisch-formlosen Meinungs-Schleimhaufens ausscheidet, der früher oder später jede Information, jeden Gedanken und jeden geraden Satz unter sich begräbt“.

Nicht alles ist schlecht

Das ist nur ein Beispiel für eine spätbürgerliche Öffentlichkeit im Regressionsmodus. Es macht aber wenig Sinn, wenn jetzt die, die immer an der Seite gestanden haben und nie die eben sehr reale Twitter-Erfahrung als sich beständig drehender globaler Kiosk der geistigen Auseinandersetzung gemacht haben, immer wieder abstrafen, was sie nie verstanden haben und nie verstehen wollten.

Die Probleme von Twitter waren weitgehend bekannt: Sie haben mit der Frage von Lügen, Propaganda und Desinformation zu tun – sie haben aber vor allem mit einem Geschäftsmodell zu tun, das die Nut­zer*­in­nen in einer finanziell lukrativen Abhängigkeit hielt, durch Algorithmen etwa, die bestimmte Inhalte verstärken und nach Suchtkriterien operieren, dem endlosen Scrollen, sie haben auch mit der Genese als soziales Netzwerk zu tun.

Aber all das sind Dinge, die man ändern kann – wenn man will. Die Daten-Ökonomie war und ist falsch konstruiert: Die extraktive Art, also die Verwendung der Daten zu kapitalistischen Zwecken, ist das eigentliche Problem der digital organisierten Öffentlichkeit, nicht die Technologie selbst – die, wie es der Historiker Melvin Kranzberg einmal beschrieben hat, weder gut noch böse noch neutral ist. Technologie ist das, was wir als Gesellschaft daraus machen.

Und hier muss das Nachdenken über eine andere Form und Logik der digitalen Öffentlichkeit beginnen: Was sind die Gegebenheiten und Erfordernisse einer digitalen Demokratie – wie können sie über eine Plattform wie Twitter oder eine andere Plattform umgesetzt werden?

In gewisser Weise kann man Musk dafür dankbar sein, dass er die Kommerzialisierung und auch Radikalisierung von Twitter vorantreibt und damit die in der Logik der bisherigen Datenökonomie eingebaute Schieflage deutlich macht: Wer eine öffentliche Sphäre will, die nicht vor allem nach wirtschaftlichen Kriterien organisiert ist, muss nach Alternativen Ausschau halten, wie tatsächlich ein „Marktplatz“ im 21. Jahrhundert aussehen sollte, wie es Elon Musk für Twitter beansprucht.

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17 Kommentare

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  • Das Problem von Twitter ist die Zentralisierung. Echte Twitter-Alternativen müssen daher dezentral sein.



    Es ist mittlerweile so weit, dass ein privater Akteur wie der Multimiliardär Musk so mächtig ist, um in einem zwischenstaatlichen Krieg über SpaceX die Kommunikation zentral beeinflussen zu können. Auch die Führung in der Ukraine weiß, dass sie zwangsweise diese Informationen braucht, um erfolgreich zu sein.

  • "Mastodon, eine Plattform, auf die manche ausweichen, hat eine andere Ausrichtung und funktioniert nur sehr holprig. Die Dezentralität ... wirkt hier vor allem rückständig und klein."



    Seufz.



    Abgesehen von dem Missverständnis von Mastodon als "Plattform" (es ist einer von vielen miteinander verbundenen Diensten im Fediverse), kann ich nicht erkennen, was da holprig sein soll. Bei mir läuft das, trotz gerade großen Ansturms auf die ehrenamtlich(!), kosten(!)- und werbefrei(!) betriebenen Server, total rund.



    Und zu "rückständig" ... wie, man kann auf Twitter nicht Instagram oder Youtube-Beiträge kommentieren, oder umgekehrt? Gute Güte, was ist das denn für eine rückständige Architektur?! Das ActivityPub-Protokoll ist doch schon längst standardisiert...

    • @sponor:

      Mastodon ist nicht nur ein Musk, es sind tausende kleine Musk, die zumeist weder das Personal noch das Geld haben "ihre" kleinen Claims zu moderieren.



      Mit der Abhängigkeit von politisch motivierten Sponsoren wird ach eine entsprechende Willkür Einzug halten.

      Und wenn die dortige Aufbruchsstimmung sich gelegt hat wir das gleiche passieren wie beiden Wikis, wo es weltweit eine allein selig machende Enzyklopädie gibt.

      Technik ist nicht due Lösung. Eine demokratische Gesellschaft muss sozialen Plattformen die Vorgaben geben, in deren Grenzen die Plattformbetreiber bzw. hier die Mastodon-Instanzbetreiber-Fürsten und! deren Teilnehmer sich austoben können.

  • Twitter hat ca. 1,4 Millionen täglich aktive Nutzer in Deutschland lt. einer Analyse von ARD und ZDF in 2020.

    Zur Einordnung: Eine Folge GZSZ schauen im Schnitt 2,0 Millionen.

    Trotzdem berichten seit dem Kauf durch Musk alle Medien gefühlt jeden Tag über Twitter.

    Was für ein Irrsinn.

    • @Rudolf123:

      Tja , warum wohl sieht die Berichterstattung von unseren Medien so aus ?

  • Die einzige Möglichkeit nichtkommerzieller, dennoch massentauglicher Plattformen die die Ansprüche auf Rechtssicherheit in allen Belangen erfüllen können, also das Individuum vor Zu- und Übergriffen anderer schützt, wären öffentliche Plattformen organisiert nach dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.



    Oder wie sollen sonst all die tausende Mitarbeiter finanziert werden, die Qualität und Rechtmäßigkeit gewährleisten sollen, wenn der Nutzer nichts bezahlen und auch Daten nicht verhökert werden sollen?

  • "Die digitale Revolution bedeutete hier einen Bruch – die Frage des Besitzes an den medialen Produktionsmitteln wurde radikal demokratisiert"

    Sie besitzen keine Produktionsmittel, weil Sie bei Twitter einen Text einstellen können. Wenn Sie diesen Text in der taz veröffentlichen, gehört Ihnen dadurch ja auch nicht der Verlag.

    Besitz an Produktionsmitteln heißt im Fall einer digitalen Plattform bspw. Zugang zu Servern und Rechte am Quellcode. Das ist natürlich nebulöser als Besitz einer Fabrik für Eisenwaren, aber es immer noch so undemokratisch wie es die Besitzverhältnisse in einer kapitalistischen Gesellschaft seit eh und je sind.

    Das Problem, dass jemand wie Musk einfach Twitter kaufen kann ist strukturell das gleiche Problem wie das Rupert Murdoch sich einfach noch einen TV-Sender kaufen kann oder dass Bezos mal eben die WaPo verschluckt: Meinungsfreiheit ist so oder so in ihrem Ausmaß eine Frage des Geldes. Wer sich medialen Einfluss kaufen kann, kann seiner Stimme mehr Gehör verschaffen. Das Problem hat man im Kapitalismus in jedem Medium. Dass man die User "mitmachen" und kostenlos Content produzieren lässt, ändert daran nichts - organisch Reichweite aufbauen ist auch auf digitalen Plattformen immer leichter für den, der sich bei der Plattform mit einem dicken Werbebudget beliebt machen kann, der Profis beschäftigt, um den Algorithmus zu manipulieren u. dgl.

    Reichweite ist steuerbar und die Steuerbarkeit ist eine Frage des Geldes. Wer glaubt, Meinungsfreiheit sei in unserem System universal gegeben statt grotesk ungleich verteilt, macht sich was vor. Und das liegt nicht an so einem imaginierten Nonsens wie einer angeblichen "cancel culture". Es liegt wie immer an den Besitzverhältnissen.

  • Sorry, Twitter als Demokratieplattform darzustellen, ist etwas schräg.



    Algorithmen schaffen da Bubbles von Gleichdenkenden und stellen Grenzen auf, separieren, bilden Gruppen.

    Ich mag (mochte) Twitter, weil ich so bequem Titanic, Postillon und co serviert bekomme.



    Aber Demokratie und Diskussion, gar Austausch?



    Quark. Eher ist das Gegenteil der Fall

  • Ich befürchte, dass das Gegenteil richtig ist. Das Problem in dem wir alle heute stecken ist, dass das Internet von Anfang an kostenlos war. Jeder Schrott, der sich mit Werbung finanzieren lässt kann gemacht werden. Und das ist heute eben das Ergebnis: Datensammlung, blöde Einblendungen, Nachverfolgung und irre Meinungen, sobald das jemand finanziert, egal wer und mit welchem Zweck.



    Wollen wir das? Oder wollen wir nicht eine qualitativ ansprechende virtuelle Welt, in der Qualität und korrektes Verhalten in einem demokratisch legitimieren Umfeld stattfindet? Dafür müsste aber jeder was bezahlen um die Finanzierung zu ermöglichen. Der große Reset eben, nur anders als die Verschwörungsjungs das gerne hätten.

    • @Tom Farmer:

      Ein öffentlich-rechtliches Internet? Hm. Doch eher nicht, oder?

    • @Tom Farmer:

      Ich glaube auch , da haben die öffentlich rechtlichen - aber so richtig gepennt....

  • “Das Drama um Twitter hat eine tiefere Dimension und wirft grundsätzliche Fragen nach dem Wesen der Demokratie im 21. Jahrhundert auf”

    Solche zu (Nerd?-) Maximeanspruch verdichteten Aussagen, lassen einen unsocial-media-abstinenten Dino-Mohaikaner (wie mich) bloss noch staunen. Ist es wirklich so weit? Dass power of the people von twitter abhängt? Und die noch selbständig denkende Restwelt von einem aufgeblasenem Ekelpaket namens Musk? Na dann, prost und gute Nacht du Welt (mit all deinen beschissenen Marktplätzen)!

    • @Ardaga:

      Es ist tatsächlich nicht so weit. Wenn Musk Twitter erfolgreich in den Abgrund reißt, weil er alle Mitarbeiter mit tieferer Kenntnis der Seitenarchitektur gefeuert oder vergrault hat und die Vogelseite kollabiert, dann ist das etwa so beklagenswert wie der Niedergang von myspace oder StudiVZ, also gar nicht. Journalisten als Twitter-Kernzielgruppe sehen das freilich anders, aber das sagt mehr über den Charakter von Journalisten als über die Bedeutung dieser Hellsite aus.

      Das Problem ist nicht, dass wir irgendwann kein Twitter mehr haben, das ist im Gegenteil ein Segen für die Menschheit.

      Das Problem ist vielmehr, was die vom neuen Besitzer hofierten Horden mit der Plattform noch anrichten, bis da endlich die Lichter ausgehen.

  • "Demokratie ist ohne Diskurs nicht zu haben".



    Demokratie ist ja wohl eindeutig älter als Twitter. Wozu dieses Blasenkonstrukt hochjazzen? es geht auch ohne.

    Gruß



    Fritz

    • @Fritz Müller:

      Welche Form der Demokratie meinen Sie jetzt ? Die deutsche Demokratie ? Ich vermute fast, wir sind gerade dabei, irgendwie eine neue Form zu bekommen...

  • Als Nichttwitterer finde ich es faszinierend, wie viele diesen Kurzstatementdienst für wichtig für den Diskurs halten.

  • Mit Verlaub: aber Twitter hat auch bisher wenig zu einem "Diskurs im Netz" beigetragen, sondern war schon vorher ein Forum für Hass, Dummheit und Gerüchte. In der Ära Musk wird das Gepöbel vielleicht vielstimmiger - es bleibt aber Gepöbel. Statt sich an der Moderationspolitik bei Twitter abzuarbeiten, sollte man darüber nachdenken, welchen Beitrag solche Medien zur allgemeinen Verwahrlosung der öffentlichen Diskussionskultur beigetragen haben.