Jagd auf Krähen: Zum Abschuss freigegeben
Jedes Jahr werden viele Tausend Krähen abgeschossen. Naturschützer kritisieren die Jagd als unethisch und sinnlos.
Jedes Jahr, so der Naturschutzbund Nabu, werden in Deutschland viele Tausend, teils sogar mehr als hunderttausend Rabenvögel abgeschossen. In nahezu allen Bundesländern können Krähen von August bis Februar bejagt werden. Lediglich für Kolkraben gibt es eine ganzjährige Schonzeit. Im Internet tauschen sich selbst ernannte „Crowbusters“ über die Wirksamkeit waidmännischen Zubehörs aus, sie prahlen mit der Zahl erlegter Krähen und posten lange Fotostrecken von sich und ihren Opfern.
Warum die Vögel „reguliert“, also abgeschossen werden dürfen und auch sollen, erklären die Behörden mit dem Schutz der Nester von Singvögeln: „Krähen plündern bei den anderen Tieren, sie rauben aus fremden Nestern und dadurch sind dann vor allem die Bodenbrüter in Gefahr“, erklärt etwa das Landratsamt im bayrischen Dachau. Zu den Bodenbrütern zählen Braunkehlchen, Rebhuhn und Kiebitz. Weiter behaupten Behörden, Jäger und Agrarlobby, dass Krähen Samen von den Feldern pickten und damit Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen verursachten.
Aus Sicht des Nabu sind das „veraltete und wissenschaftlich längst widerlegte Argumente“. Für den Rückgang verschiedener Bodenbrüter seien nicht die Krähen verantwortlich, sagt Frederik Eggers vom Nabu Niedersachsen: „Die Gefahr für die Bodenbrüter kommt nicht aus der Luft, sondern von verschiedenen vierbeinigen Beutegreifern am Boden.“ Die Hauptursache für den Rückgang von Bodenbrütern sei allerdings der zunehmende Verlust von Lebensräumen, Rückzugsmöglichkeiten und Nahrungsquellen, was wiederum auf die intensive landwirtschaftliche Nutzung von Flächen zurückzuführen sei.
Raben und Krähen bilden zusammen die Gattung „Corvus“ in der Familie der Rabenvögel. Die Gattung umfasst 42 Arten, die fast weltweit verbreitet sind und nur in Südamerika fehlen.
In Europa kommen der Kolkrabe, die Aas- oder Rabenkrähe, die Nebelkrähe und die Saatkrähe vor.
Die von Krähen verursachten Schäden in der Landwirtschaft beschränken sich Eggers zufolge vorrangig auf die Beschädigung von Silofolien. Zudem werde häufig vergessen, dass Krähen auch Insekten und Mäuse auf ihrem Speiseplan hätten, die von den Landwirten ebenfalls nicht gerne auf ihrem Feld gesehen würden.
Als „sinnlos und unethisch“ kritisieren die Naturschützer deshalb die Krähenjagd. Als „besonders perfide“ bezeichnen sie die von Fachgeschäften wie Hubertus-Fieldsports für die Jagd auf Rabenvögel angepriesenen Lockinstrumente. So simulieren auf Feldern aufgestellte Attrappen Krähen bei der Nahrungssuche und locken so weitere Krähen an, die dann abgeschossen werden.
Andere Geräte imitieren den Angstschrei einer sterbenden Krähe oder den Klageschrei, den eine Krähe erzeugt, wenn eine andere stirbt. Die Artgenossen reagieren auf die Geräusche und versammeln sich bei dem vermeintlich schreienden Vogel, um ihm zu helfen.
In der Argumentation sowohl der Jagdfreunde wie auch der -gegner:innen kommt zu kurz, dass Krähen und Raben außergewöhnlich intelligente Tiere sind. Schon der griechische Dichter Äsop wusste um die Intelligenz von Rabenvögeln. In einer Erzählung schrieb er von einer Krähe, die in einen Krug Steine warf, um den Wasserstand zu erhöhen, so dass sie daraus trinken konnte.
Ein Forscherteam aus Neuseeland überprüfte 2014, ob das auch stimmen kann. Sie präsentierten sechs Krähen einen mit Wasser gefüllten Zylinder, in dem ein Stück Futter schwamm. Dieses konnten sie nur erreichen, wenn sie Steine oder andere schwere Objekte in den Zylinder hineinwarfen. Die cleveren Vögel meisterten das so gut wie siebenjährige Kinder.
Überhaupt zeigen die Allesfresser großen Einfallsreichtum, um an Nahrung zu gelangen. Nebelkrähen in Finnland etwa haben gelernt, unbewachte Angelleinen von Eisfischern aus den Löchern zu ziehen, um die daran zappelnden Fische zu fressen. Und die in den USA und Kanada vorkommenden Amerikanerkrähen warten darauf, dass Grauhörnchen Futter aus einem für die Vögel unzugänglichen Mülleimer holen, um es ihnen anschließend abzujagen.
Krähen können sich offenbar auch Gesichter merken, so etwas wie Gefühle entwickeln und diese Emotion an andere Krähen weitergeben. Der US-amerikanische Ornithologe John M. Marzluff fing 2011 zahlreiche Krähen ein, um sie zu markieren. Zwei Wochen später beschimpften ihn ein Viertel der Vögel, nach 15 Monaten waren es 30 Prozent, drei Jahre später sogar zwei Drittel.
2016 wurde nachgewiesen, dass Rabenvögel die Fähigkeit der so genannten Theory of Mind besitzen. Das heißt, sie können erkennen, was in anderen Krähen vorgeht und sie können diesen mentalen Zustand mit ihrem eigenen vergleichen. Kognitionsbiologen der Uni Wien ließen Raben nacheinander durch ein Guckloch in einen anderen Raum spähen, in dem ein Artgenosse Futter versteckte. Dann wurden die Vögel in das jeweils andere Zimmer gebracht. Der Rabe, der vorher den anderen beobachten konnte, beeilte sich dann, sein Fressen ebenfalls zu verstecken: Er wusste durch seine eigene Erfahrung, dass er beobachtet werden konnte.
Schwedische Forscher:innen zeigten, dass Raben auch strategisch denken können. Wenn sie einen bestimmten Gegenstand in einen Apparat warfen, bekamen sie schmackhaftes Futter vorgesetzt, ohne die vorherige Anstrengung gab es weniger leckeres Essen. In den meisten Fällen entschieden sich die Tiere tatsächlich für den größeren Aufwand und den Gegenstand – auch wenn ihnen das erst im Nachhinein die Belohnung einbrachte.
In der schwedischen Stadt Södertälje will man sich dieses Verhalten der Krähen nun zunutze machen und sie als Müllsammler einsetzen. Konkret sollen sie die Straßen und Plätze von Zigarettenstummeln befreien. Herzstück des Projekts ist ein Automat, der für jeden eingeworfenen Zigarettenstummel und andere kleine Müllteile etwas Futter herausrückt. Der Plan ist kein Gag, denn die Stadt hat ein Kostenproblem. Für die Reinigung der öffentlichen Verkehrswege und Plätze berappt die Kommune jährlich umgerechnet 1,9 Millionen Euro. Und der häufigste Müll sind weggeworfene Kippen. Jeder von den Krähen aufgepickte und in den Automaten eingeworfene Stummel, so Initiator Christian Günther-Hansen, könnte der Stadt eine Einsparung von zwei Cent bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS