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Scholz-Plan für „konzertierte Aktion“Vom Damals lernen

Scholz will in einer „konzertierten Aktion“ mit Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften die Inflation bekämpfen. Doch wie 1967 kann dabei viel schief gehen.

Erst „konzertierte Aktion“, dann wilde Streiks – wie schon 1969, hier bei Bergleuten in Dortmund Foto: Klaus Rose/imago

L ängst vergangene Zeiten kehren wieder: Die Ölpreise steigen rasant, die Inflation ist so hoch wie 1973, und SPD-Kanzler Scholz will eine Idee reaktivieren, die zuletzt 1967 praktiziert wurde, nämlich die „konzertierte Aktion“. Es lohnt ein Rückblick, denn damals wurden Fehler gemacht, aus denen sich heute lernen lässt.

Die konzertierte Aktion war eine Idee von SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, um die erste Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit zu überwinden, als etwa 500.000 Menschen ihre Stelle verloren hatten. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten sich gütlich einigen, moderiert vom Staat. Das Ergebnis war, dass die Gewerkschaften 1967 auf höhere Löhne verzichteten, um Arbeitsplätze zu retten. Im Gegenzug versprach Schiller „soziale Symmetrie“: Sobald die Konjunktur wieder lief, sollten Löhne und Gewinne im Gleichklang steigen.

Bald mussten die Gewerkschaften jedoch feststellen, dass die soziale Symmetrie ausblieb. Das Wachstum kehrte viel schneller zurück, als es prognostiziert worden war, sodass die Firmengewinne geradezu explodierten. Die Profite der Unternehmer stiegen 1968 um satte 17,5 Prozent, während sich die Beschäftigten mit einem Plus von 6 Prozent bescheiden mussten. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Firmenchefs freiwillig nachsteuern müssen, um die soziale Symmetrie zu wahren. Doch stattdessen freute man sich über die eigenen Sondergewinne. Dieser rabiate Egoismus erwies sich als fatal.

Die Arbeitnehmer fühlten sich betrogen, auch von ihren eigenen Gewerkschaften. Also griffen sie zur Selbsthilfe: Im September 1969 kam es bundesweit zu wilden Streiks. Die Beschäftigten machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Gewerkschaften vorab zu informieren, dass ein Ausstand geplant war, sodass die hauptamtlichen Funktionäre genauso überrascht wurden wie die Firmenchefs.

Schock der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften waren schockiert, dass sie so plötzlich den Einfluss auf ihre Mitglieder verloren hatten. „Das geht uns an die Nieren“, räumte DGB-Chef Heinz Oskar Vetter wenig später ein, „dass das explosive Aufbegehren der Arbeitnehmer von uns nicht vorausgesehen worden ist.“

Die wilden Streiks lohnten sich, denn die betroffenen Betriebe gewährten durchweg ein zweistelliges Lohnplus. Durch das Wachstum herrschte wieder Vollbeschäftigung, und die Firmen waren auf ihre Angestellten angewiesen. Um die Rebellion einzudämmen, wurde schließlich ein allgemeiner Tarifvertrag geschlossen, bei dem die IG Metall eine Gehaltserhöhung von 11 Prozent aushandelte.

Doch ihren angestammten Einfluss konnten die Gewerkschaften trotzdem nicht mehr zurückgewinnen, weil viele Beschäftigte ihre Funktionäre für allzu zahm hielten. 1970 kam es in Baden-Württemberg erneut zu spontanen Arbeitsniederlegungen, was eine Lohnsteigerung von weiteren 15 Prozent einbrachte. Im Durchschnitt stiegen die Löhne und Gehälter zwischen 1969 und 1974 um 11,8 Prozent pro Jahr. Dem Wachstum hat es nicht geschadet: Bis 1973 legte die Wirtschaft um 5 Prozent pro Jahr zu. Auch der Außenhandel war ausgeglichen.

Einmalzahlungen würden den Angestellten helfen, ohne dauerhaft das Lohngefüge zu belasten

Es hätte also keinen Grund zur Sorge gegeben – wenn die Inflation nicht gewesen wäre. Gerade weil die Wirtschaft brummte und die Betriebe komplett ausgelastet waren, lag es für die Firmenchefs nahe, die erhöhten Lohnkosten auf die Kunden abzuwälzen. Im April 1973 betrug die Geldentwertung bereits 7,5 Prozent. Die Lohn-Preis-Spirale drehte sich also bereits, als sich ab Oktober 1973 auch noch die Ölpreise vervierfachten und die Inflation zusätzlich anheizten. Um diese erneute Geldentwertung zu kompensieren, verlangten die Gewerkschaften ein Plus von 15 Prozent. Am Ende kamen bei der IG Metall 11,8 Prozent mehr Lohn heraus.

Es ist tragisch, dass die Gewerkschaften damals auf hohen Löhnen beharrten, weil sie damit ihren eigenen Niedergang provozierten. Denn eine galoppierende Inflation lässt sich nicht ignorieren, und es war abzusehen, dass die Bundesbank die Zinsen energisch nach oben treiben würde. Die Folgen waren ebenso klar: Die Wirtschaft würde schrumpfen, die Arbeitslosigkeit stark steigen – und die Macht der Gewerkschaften schwinden.

Die „Schocktherapie“ der Bundesbank ließ nicht lange auf sich warten, und die Kreditzinsen erreichten ein bis dato unbekanntes Niveau: Wer ein Haus baute, musste für eine Hypothek plötzlich über 10 Prozent Zinsen zahlen, und wer sein Konto überzog, musste sogar 14 Prozent aufbringen.

Schock der siebziger Jahre

Da Kredite unerschwinglich wurden, brach die Konjunktur massiv ein. 1975 schrumpfte die Wirtschaft um 0,9 Prozent. Plötzlich waren über eine Million Menschen arbeitslos, und weitere 900.000 Beschäftigte mussten kurzarbeiten. Trotzdem räumten selbst keynesianische Ökonomen wie Heiner Flassbeck ein, dass es damals keine Alternative gab und die Bundesbank die Zinsen hochsetzen musste: „Der erste Anstieg der Arbeitslosigkeit war unvermeidbar, weil sonst die Gewerkschaften (…) in Deutschland niemals begriffen hätten, dass es Zeit war, zur Vernunft zurückzukehren.“

Heute könnten die Gewerkschaften erneut versucht sein, ihre Fehler aus den frühen 1970ern zu wiederholen. Wieder sorgen hohe Ölpreise für eine rapide Inflation, und wieder herrscht fast Vollbeschäftigung, sodass sich höhere Gehälter leicht durchsetzen lassen. Aber das Ergebnis wäre, wie in den 1970ern, eine Lohn-Preis-Spirale. Die Inflation würde außer Kontrolle geraten.

Eine konzertierte Aktion ist daher richtig, bei der sich Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten, wie sich die Inflation eindämmen ließe. Eine gute Idee wären Einmalzahlungen: Sie würden den Angestellten helfen, ohne dauerhaft das Lohngefüge zu belasten. Aber die Arbeitgeber sollten sich hüten, Zugeständnisse der Gewerkschaften auszunutzen. Sonst wäre das Verhältnis bleibend vergiftet wie in den Zeiten nach 1968.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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13 Kommentare

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  • Als 68er, der damals mit seinem Blick kaum über die Studentenbewegung hinauskam, ist das für mich ein sehr interessanter und wichtiger Beitrag. But the times have changed: Inzwischen hat die Zahl der am Wertschöpfungsprozess teilnehmenden Arbeitnehmer*innen stark abgenommen, Produktion wurde automatisiert und/oder verlagert, so dass der Druck der Abhängigen gegenüber dem Kapital deutlich geringer geworden ist, zumal gleichzeitig die Kaufkraft relativ abnimmt und den Druck auf die Endpreise erhöht. Es ist -abgesehen von dem durch weitere Verknappung immer teurer werdenden Umbau auf alternative Energieformen- weit und breit in diesen Breitengraden kein Aufschwung in Sicht. Da Notsituationen die Politik zum Schuldenmachen drängen und die zunehmende Anzahl der in den Ruhestand wechselnden Mitmenschen die Sozialkassen plündert, ist absehbar, dass die Währungsstabilität weiter gefährdet ist ohne Aussicht auf eine jemals finanzierbare 'Zeitenwende'.

  • "Doch wie 1967 kann dabei viel schief gehen."

    Was dann schief ging laut war laut Artikel: "Die Profite der Unternehmer stiegen 1968 um satte 17,5 Prozent, während sich die Beschäftigten mit einem Plus von 6 Prozent bescheiden mussten. "

    Das 17% Wirtschaftswachstum und 6% Lohnerhöhungen nun "schief gehen" bedeutet halte ich irgendwie für übertrieben Frau Herrmann.

  • Verstehe ich sie richtig?



    Die Arbeitgeber haben sich damals nicht an die Absprache gehalten die Löhne gerecht anzupassen, aber der "Fehler" lag bei den Arbeitnehmer die die versprochene Lohnerhöhung wollten?

  • Einmalzahlungen sind definitiv keine gute Idee und schaden langfristig den lohnabhängig Beschäftigten, weil sie sich eben nicht auf das Lohngefüge auswirken.



    Kurzfristig mag das gut sein, aber perspektivisch zahlen die Beschäftigten die Kosten dafür mit einer niedrigeren Rente.

  • Nein, wir brauchen keine konzertierte Aktion, sondern die Einsicht, dass nicht alle gleich unter der Inflation leiden. Auch müssen wir von dem %Denken für alle wegkommen.



    Die unteren Lohngruppen brauchen 3€/h mehr, die mittleren 2€/h und die Angestellten und gut bezahlten keinerlei Erhöhung. So mein konkreter Grobvorschlag am Küchentisch.



    Hilft bei allem was aktuell relevant ist und tut keinem wirklich weh.

    • @Tom Farmer:

      Moment, ich heuer Mal kurz beim Putzdienst an, bei dem Vorschlag bleibt unterm Strich mehr übrig - Unterschied zwischen der Putzkraft im Büro und mir sind knapp 2€/ h

      Das Problem sind Reallöhne, die in den letzten 20 Jahren nicht einmal einen Inflationsausgleich erfahren haben. Wird sich auch nicht ändern solange die sozen mit im Parlament sitzen

      • @Nath kach:

        Wenn Sie so dicht beieinanderliegen bekommen Sie doch beide was, also in meinem Beispiel. Wieso die Einwände, wenn nicht so anerkannte Berufe attraktiver werden?

  • Wie lautet denn jetzt die Empfehlung für die aktuelle Lage? Die Gewerkschaften sollen nicht zu viel fordern und die Arbeitgeber sollen die Arbeitnehmer nicht übervorteilen? Das scheint mir als Richtschnur dann doch etwas beliebig...



    In meinen Augen ist das Kernproblem momentan, dass viele "durchschnittliche" Konsumenten vor allem Dinge kaufen, die sie eigentlich gar nicht benötigen. Würden sie sich das sparen, hätten sie keinerlei echte Geldnöte. Ein schöner Beweis ist die Menge an SUV auf Strassen, Geh- und Radwegen.

  • Die Konzertierte Aktion verbreitetr Mitte der 1960er noch den Mief der einstigen Voksgemeinschaft. Die Deppen waren die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften. Sie wurden von 'Plisch und Plum' - Wirtschaftsminister Schller (SPD) und Finanzminister Strauß (CSU) in der damaligen GroKo über den Tisch zogen. Und wer machts heute? Plisch-Habeck und Plum Lindner?! Die Geschichte wiederholt sich als Burleske oder Tragödie: Fait votre jeu......

  • Ja nee, ist doch logisch: Arbeiter sind selbst an der Inflation schuld, wenn sie einen Inflatiosausgleich haben wollen.



    Sie sollten sich mit Einmalzahlungen begnügen, die dann auf die nächste Lohnrunde nicht angerechnet werden.



    Und sich von der Einmalzahlung eine Lochzange kaufen und damit ein paar zusätzliche Löcher in den Gürtel stanzen. Damit sie ihn enger schnallen können.



    Wer hat eigentlich das Gerücht aufgebracht, die taz sei eine linke Zeitung?

  • „Eine gute Idee“ wäre eine spürbare Umverteilung von oben nach ganz unten.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    In Dänemark hat man mit einem Gremium, in dem Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierung sitzen, Erstaunliches vollbracht.



    uA wurde zB der Kündigungsschutz abgeschafft; im Gegenzug erhält ein Arbeitnehmer nach seiner Kündigung automatisch eine 100%ige Lohnfortzahlung bis er einen neuen Job hat.



    Damit haben die Dänen schon lange eine echte Vollbeschäftigung, der Arbeitsmarkt ist nicht statisch sondern beweglich.

    Undenkbar, das so etwas in Deutschland funktionieren könnte.



    Hier fehlt, berechtigterweise, das Vertrauen in die Redlichkeit der Regierung.



    Und die Verbände handeln ausgespochen egoistisch. So fühlt sich zB die Gewerkschaft nicht zuständig für Arbeitslose, weil die ja nicht organisiert sind ...

    Wenn es nicht die Ampel mit den tonangebenden FDP & Grünen wäre, (die uns Wähler massiv betrogen haben), würde ich trotzdem sagen: Eigentlich ein guter Plan.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Es fehlt nicht das Vertrauen in die Redlichkeit der Regierung.

      Es fehlt die Redlichkeit der Regierung.

      Ich sag nur 1000000000 € Betrugsprofite bei den Bürgerteststellen.

      Etliche 1000000000 € Betrugsprofite bei den Maskenmafiosi.

      156000000000 € Betrugsprofite durch Cum-Ex-Geschäfte.

      Und von diesen Summen sind etliche 1000000000 € wegen Verjährung nicht rückholbar.

      So. Und wo ist da die Redlichkeit ?