Neue Parteiführung und Ministerposten: Wer wird was bei den Grünen?
Postenpoker bei den Grünen: Omid Nouripour und Ricarda Lang werden als neue ParteichefInnen gehandelt. Ein Promi könnte leer ausgehen.
Vielleicht ändert Nouripour seine anarchistische Mailbox-Ansage bald, ihm könnte ein Karriersprung bevorstehen. Nouripour, Realo aus Hessen, seit 2006 Mitglied des Bundestages, wird als neuer Grünen-Vorsitzender gehandelt. Das ist nicht die einzige interessante Personalie bei den Grünen. In den nächsten Wochen fallen in der Ökopartei die Entscheidungen, wer welchen Job bekommt. Wer wichtiger wird und ins Kabinett oder die Fraktions- und Parteispitze aufrückt – und wer das Nachsehen hat.
Die Grünen werden seit 16 Jahren wieder in der Regierung sein. Deshalb gibt es mehr wichtige Ämter zu vergeben als in der Opposition. Dennoch: Es ist wie bei dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“. Es gibt mehr InteressentInnen, die sich zu Höherem berufen fühlen, als Jobs, die zu besetzen sind. Und es gilt die Regel: Alles sortiert sich von oben herab. Das neue Machtzentrum der Grünen werden die MinisterInnen bilden.
Die Grünen rechnen im Kabinett mit vier, höchstens fünf Ministerien. Robert Habeck und Annalena Baerbock sind gesetzt. Er liebäugelt mit dem wichtigen Finanzministerium – und würde, so eine interne Vereinbarung, zusätzlich den Posten des Vizekanzlers übernehmen. Baerbock werden Ambitionen für ein großes Klimaschutzministerium nachgesagt, das die Grünen im Wahlkampf gefordert hatten. Aber auch das Auswärtige Amt käme infrage.
Wird Habeck Innenminister?
Falls die Grünen das Finanzministerium der FDP überlassen, müsste Habeck sich neu orientieren. Er soll wenig Lust verspüren, ein klassisches Grünen-Ressort im Ökobereich zu übernehmen, heißt es. Dazu passt das Gerücht, dass er alternativ Interesse am Innenministerium haben soll. Der erste Grüne überhaupt in diesem Amt, Verfassungsminister und zuständig für den Schutz der Demokratie, der Heimat ganz neu denkt: Diese Jobbeschreibung fände Habeck sicher attraktiv.
Den dritten Zugriff auf ein Ministeramt hat der Parteilinke Anton Hofreiter, im Moment noch Fraktionschef. Hofreiters Präferenz ist das Verkehrsministerium. Der promovierte Biologe war bis 2013 Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag und kann aus dem Stegreif minutenlange Vorträge über Bahnstrecken halten, die kein Mensch außer ihm kennt. Aber er ist im Ökobereich flexibel – und könnte etwa auch Landwirtschaft oder Umwelt und Naturschutz.
Das vierte Ministerium müsste in der Grünen-Logik an eine linke Frau gehen. Das ergibt sich aus der Notwendigkeit der Quotierung – und den Begehrlichkeiten der Flügel. Baerbock und Habeck sind beide Realos. Neben Hofreiter müsse deshalb noch eine Parteilinke Ministerin werden, heißt es im linken Grünen-Glügel.
Als Kandidatinnen werden die Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger und Katharina Dröge genannt. Die eine ist in der Fraktion für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zuständig, die andere für Wirtschaftspolitik. Für Brugger käme etwa das Entwicklungsministerium infrage, für Dröge ein Haus im wirtschaftspolitischen Bereich.
Landesministerin Anne Spiegel wird gehandelt
Auch Claudia Roths Name fällt bei den internen Spekulationen über MinisterInnenämter. Sie fühlt sich allerdings im Amt der Bundestagsvizepräsidentin recht wohl, ob sie wechseln würde, ist offen. Außerdem gibt es noch die Variante, eine regierungserfahrene Frau aus einem Bundesland nach Berlin zu holen. Hier wird Anne Spiegel gehandelt. Spiegel ist seit Mai Vize-Ministerpräsidentin und Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität in Rheinland-Pfalz. Davor war sie im Kabinett von Malu Dreyer (SPD) fünf Jahre lang für das Ressort Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz zuständig.
Die Grünen sind immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Besserverdiener-Partei zu sein, die sich nicht groß um soziale Belange kümmere. Um dem vorzubauen, sympathisieren sie mit der Idee, auch ein Ministerium aus diesem Bereich zu beanspruchen. Eine Familienministerin Spiegel würde dazu passen.
Bekämen die Grünen ein fünftes Ministerium, dürften sich Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir ins Spiel bringen. Beide gehören dem Realo-Flügel an, beide fühlen sich für Höheres berufen. Göring-Eckardt, Christin, versöhnlich im Tonfall und auch bei Konservativen beliebt, liebäugelt zwar mit dem Amt der Bundespräsidentin. Aber die kleine Sensation, die eine Frau im Schloss Bellevue bedeuten würde, ist unwahrscheinlich, da die Sozialdemokraten Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier opfern müssten, der bereits Interesse an einer zweiten Amtszeit signalisiert hat.
Cem Özdemirs Lust auf mehr Verantwortung ist nicht zu übersehen, er likt fleißig jeden lobenden Tweet, der ihn als Minister vorschlägt. Sein Job als Verkehrsausschuss-Chef und einfacher Parlamentarier unterforderte ihn in den vergangenen vier Jahren sichtlich, immer wieder meldete er sich mit außenpolitischen Aufschlägen zu Wort. Özdemir, Sohn türkischer Gastarbeiter, würde das Kabinett vielfältiger machen. Außerdem ist er einer der besten Redner der Partei und hat seinen Wahlkreis in Stuttgart mit 40 Prozent direkt gewonnen. Wenn er bei der grünen Reise nach Jerusalem leer ausginge, läge darin eine gewisse Tragik. Der Fall ist aber nicht unwahrscheinlich.
27 Jahre alt, klug, gut vernetzt
Durch das Aufrücken von Habeck und Baerbock in Ministerämter wird ein Wechsel an der Parteispitze notwendig. Vorstandsmitglieder dürfen nicht gleichzeitig MinisterInnen sein – laut Satzung ist nur eine Übergangsfrist von acht Monaten erlaubt. Baerbock und Habeck hatten vor der Bundestagswahl kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Zeit an der Parteispitze nun endet. Ihre Spuren sind groß. Beide haben die Grünen seit 2018 als gesamtgesellschaftliche Kraft neu und erfolgreich ausgerichtet.
Für das Amt der Parteivorsitzenden wird seit Längerem Ricarda Lang gehandelt. Die Parteilinke und ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend ist im Moment Vizevorsitzende. Lang ist 27 Jahre alt, klug und gut vernetzt. In Sozialen Netzwerken wird immer wieder Frauenhass über ihr ausgekübelt. Lang, der auf Twitter fast 60.000 Menschen folgen, ermutigt junge Frauen dazu, zu ihrem Körper zu stehen. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Feminismus und Bildungspolitik. Lang äußerte sich auf taz-Anfrage nicht zu den Spekulationen.
Nouripour ist ein Routinier im Parlament und war in der letzten Legislatur der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Wie Habeck und Baerbock steht auch der 46-Jährige dafür, die Partei zu öffnen. Nouripour gründete 2013 zusammen mit dem CDUler Jens Spahn eine schwarz-grüne Gesprächsrunde, die Neuauflage der legendären Pizza-Connection. Er besitzt einen deutschen und einen iranischen Pass, ist Muslim und Fan von Eintracht Frankfurt. Auch Nouripour äußerte sich gegenüber der taz nicht zu seinen Ambitionen. „Kommt Zeit, kommt Rat.“
Es kann beim Parteivorsitz allerdings Gegenkandidaturen geben. Baerbock musste sich 2018 bei der Chefinnen-Wahl gegen die Niedersächsin Anja Piel durchsetzen, die inzwischen beim DGB arbeitet. Die Entscheidung über die neuen Vorsitzenden fällt ein Parteitag, der Ende Januar 2021 geplant ist.
Britta Haßelmann schweigt
Bleibt die Bundestagsfraktion. Wenn Hofreiter und Göring-Eckardt aufrücken, wird der Fraktionsvorsitz frei. Gute Chancen für den Realo-Platz hätte Britta Haßelmann, im Moment Parlamentarische Geschäftsführerin. Haßelmann versieht ihr Werk kundig und uneitel. Sie ist extrem beliebt und in der Lage, jede trockene Geschäftsordnungsdebatte in eine flammende Attacke auf die AfD zu verwandeln.
Aber will sie überhaupt? Auch Haßelmann hält sich bedeckt. Sie konzentriere sich gerade auf die weitere Konstituierung des Bundestages und der Fraktion und auf die Koalitionsverhandlungen, sagte sie. „Über die Frage, wer was macht oder machen möchte, reden und entscheiden wir zu einem späteren Zeitpunkt.“
An ihre Seite könnte eine der jungen Frauen aus dem linken Flügel rücken, die bei den MinisterInnenämtern leer ausgehen – also Agnieszka Brugger oder Katharina Dröge. Ambitionen für größere Aufgaben werden auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nachgesagt, der neu ins Parlament gekommen ist. Die Chancen des Parteilinken stehen jedoch nicht gut, weil er für das mäßige Wahlergebnis verantwortlich gemacht wird.
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