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Verschwörungserzählungen und CoronaDas Virus in den Köpfen

Eine neue Studie zeigt, wie Verschwörungsideologien in der Pandemie grassieren. Die Politik schaue zu, ohne zu handeln, beklagen die Forscher:innen.

Tankstelle in Idar-Oberstein, an der ein Verschwörungsideologe einen Tankwart erschossen haben soll Foto: Christian Schulz/dpa

Berlin taz | Anschläge auf Impfzentren, Gewalt bis zum mutmaßlichen Mord an einem Tankwart, Angriffe gegen Medienschaffende, Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen und Ärzt:innen: „Erschreckend“, sagt die Forscherin Pia Lamberty, seien die vielen Vorfälle im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien zur Coronakrise.

Aber sie meint auch das Missverhältnis zwischen der Verrohung der Gesellschaft und der geringen Beachtung, die diese Enwicklung von der Politik erfährt. Im Bundestagswahlkampf habe das Thema praktisch keine Rolle gespielt, und auch bei den Triellen der Kanzlerkandidaten und ihrer Kontrahentin sei über innere Sicherheit nur wenig diskutiert worden, sagt Lamberty der taz.

Mit einer am Mittwoch vorgestellten Studie will die von Lamberty und ihrem Kollegen Josef Holnburger angeführte gemeinnützige Organisation CeMAS einiges nachholen. Mit „Welche Rolle Verschwörungsideologien in der Demokratie spielen“ ist das aus Anlass der Bundestagswahl erstellte 120-Seiten-Papier überschrieben. Denn, so Lamberty, es habe in der Zeit der Coronapandemie nicht nur die Debatte gefehlt, sondern auch die Datengrundlage – sowohl, was wissenschaftliche Untersuchungen angeht, als auch etwa empirische Informationen in der Kriminalstatistik.

Den vom Verfassungsschutz im Zusammenhang mit den Querdenken-Protesten verwendeten Begriff der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ hält Lamberty für falsch. Denn damit würden Verschwörungsideologien auf solche reduziert, die als anti-staatlich gelten und somit die rechtsextreme Mobilisierung insgesamt unterschätzt. Vom „gesellschaftlichen Klimawandel“, den vor einem halben Jahr der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, als Reaktion auf wachsenden Antisemitismus und Rassismus forderte, sehen die CeMAS-Aktivist:innen keine Spur.

Auch die Bild ist in der „alternativen Öffentlichkeit“ beliebt

Laut ihrer Studie wurde die Coronapandemie zum vereinigenden Moment einer Szene, die zuvor „nur lose miteinander vernetzt“ gewesen sei. „Durch die Covid-19-Pandemie hatte man auf einmal einen gemeinsamen Feind, der auch sonst scheinbar unüberbrückbare Gegensätze verschwinden ließ“, schreiben die Forscher:innen.

Zwar seien die Teilnehmerzahlen bei Coronaprotesten auf der Straße rückläufig, nicht aber die Aktivitäten vor allem in den Telegram-Netzwerken. Das verschwörungsideologische Milieu sei nicht verschwunden. Die reichweitenstärksten Nachrichten auf Telegram hätten auch noch im September durchschnittlich 275.000 Aufrufe pro Tag erzielt. Dort wurde nicht nur für die AfD mobilisiert, sondern auch für verschwörungsideologische Kleinstparteien wie Die Basis – oder auch für Wahlenthaltung.

In der „alternativen Öffentlichkeit“ behaupten sich laut CeMAS-Studie nicht nur einschlägige Kanäle wie der Ableger des russischen Staatsmediums RT Deutsch, Epoch Times, Tichys Einblick und der Blog von Boris Reitschuster. Auch etablierte Medien würden in verschwörungsideologischen und rechtsextremen Kanälen gern verbreitet, allen voran – noch vor Reitschuster oder Epoch Times – bild.de, gefolgt von den Online-Portalen der Welt und des Focus.

Die neue Bundesregierung sehen die For­sche­r:in­nen vor einer „Mammutaufgabe“. Sie müsse den Weg aus der Pandemie meistern, wozu eine höhere Impfquote dringend erforderlich sei, „und dies in einer Zeit, in der gegen Impfungen massiv mobilisiert wird“. Dazu komme, dass eine Pandemie das Potenzial habe, gesellschaftliche Spannungen weiter zu verschärfen.

Im übrigen werde das Milieu der Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g:in­nen mit Abebben der Coronakrise nicht einfach verschwinden. Das nächste Thema dieser Szene haben die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bereits klar ausgemacht: die Klimakrise, „von individueller Leugnung des Klimawandels über gezielte Verbreitung von Desinformation bis hin zu verschwörungsideologischer Mobilisierung“.

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31 Kommentare

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  • Die Überschrift ist allerdings grenzwertig: Wenn man selbst autoritäre Denkschemata verwendet, kann man solche, auch wenn sie andere Inhalte haben, nicht wirklich sinnvoll kritisieren...

  • Und was ist den die Alternative? Meinungsvielfalt, insbesondere die saudoofen oder als nicht passenden empfundenen Meinungen wegdrücken? Wer entscheidet darüber?



    Die Diskussion zur Buchmesse wegen eines rechten Verlags hat doch gezeigt, dass schon so ein spezifischer Fall nicht fliegt. Wie soll das grundsätzlich funktionieren?

    • @Andi S:

      Es gibt in diesem Land verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit. Das Recht auf Faktenfreiheit hingegen findet sich in der Verfassung nicht.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Die Politik hat keine Pfeile mehr im Köcher gegen Verschwörungserzählungen. Sie hat ihrem Souverän so häufig, hartnäckig und auch nach Aufklärung noch die Unwahrheit aufgezwungen, dass ihr jetzt jede Glaubwürdigkeit fehlt, um auch nur die vollkommen hirnverbrannten Geschichten wieder einzufangen.

    Und dass Querdenker und AfDler vor allem älteres Volk sind, hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass die die Lügen der Mächtigen über einen langen Zeitraum ertragen mussten und satt sind. Mangelnde Bildung mag der Grund sein, warum sie auf so bescheuerte Geschichten hereinfallen - aber das ist nicht die Ursache.

    Die Ursachen sind die seit 30 Jahren nicht mehr eingelösten Versprechen der kapitalistischen Meritokratie, die offensichtlichen Lügen der Geopolitik schon im kalten Krieg, aber eben auch danach. Die Ursache ist, dass die Politik den Mittelstand seit 50 Jahren fertig macht, während sie alle Tore für die Konzerne und die Finanzwirtschaft weit öffnet - und bei den sowieso selten offenkundigen Grenzüberschreitungen nie einschreitet.

    Die Ursache ist auch ein CSU-Verkehrsministerium, das seit Jahren die Weichen (Jackpot im Wortspiellotto!) falsch stellt, sinnlos Geld an Freunde verteilt - und das hat absolut keine Konsequenz.

    Kanzler wird einer, der Brechmittel einsetzt und die Finanzwirtschaft bei einem der größten Steuerverbrechen der Geschichte deckt.

    Mir reicht als Verschwörungserzählung, dass die A*schlöcher die Macht übernommen haben und sich die von Wahlen auch nicht mehr nehmen lassen. Aber das sind sicher nicht die, die den ins Kraut schießenden Märchen irgendetwas entgegen setzen können.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Chapeau!

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Dass "die da oben" alle lügen ist erst einmal eine Behauptung, die impliziert, dass man selbst ja eine ehrliche Haut sei, aber "die da oben...."



      Zum einen stellen Sie hier eine Behauptung auf, die Sie nicht näher verifizieren können, noch wollen. Es lebe das Vorurteil und wenn es alle teilen, wird aus Fake News Wirklichkeit. Muss man nur lange genug wiederholen, dann werden es die Menschen schon glauben.



      Zum anderen stellen Sie sich hier einen Heiligenschein aus. Sie, lügen? Natürlich niemals. Auch das ist ein weitverbreiteter Habitus. Man inszeniert sich als arglosestes Opfer, das nur von bösen finstren Mächten den Spass am Leben vergällt bekäme.



      Ich nehme Ihnen den Saubermann so wenig ab, wie ihre Behauptung, oben seien nur amoralische finstre Gestalten unterwegs.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Dem gibt es eigentlich nicht mehr hinzuzufügen.

      Der Kapitalismus hat darin versagt, unsere Probleme zu lösen und ein Deutungsvakuum hinterlassen, in das unsere rechtsoppurtunen Kräfte nur zu gern hineinspringen.

      • @Notyourgirl:

        "Der Kapitalismus hat darin versagt, unsere Probleme zu lösen und ein Deutungsvakuum hinterlassen..."

        Der Kapitalismus hat doch nichts mit den kursierenden Verschwörungstheorien in Sachen Corona zu tun. Dass in kommunistischen/sozialistischen Gesellschaften keine Verschwörungstheorien kursieren, liegt einzig daran, dass dort jegliche Theorien/Meinungen, die nicht opportun sind, unterdrückt und notfalls mit Gewalt, Gefängnis oder Todesstrafe bekämpft werden.

        • @Elena Levi:

          Wer es geschafft hat, sich in den vergangenen 30 Jahren nicht vom massiven Framing der INSM das Hirn hat waschen zu lassen, kann genau das nachvollziehen, was BOANDLGRAMER oben treffend beschreibt.



          Diejenigen, die den Parolen der INSM auf den Leim gegangen sind, spüren mehr als dass sie erkennen, dass die damit verbundenen Versprechen nicht aufgehen und misstrauen instinktiv und zu Recht denjenigen, die diese Frames immer fein bedient haben.



          Natürlich hat der Kapitalismus selbst nicht diese Verschwörungstheorien direkt verursacht, aber der Bogen, den NOTYOURGIRL schlägt ist durchaus richtig.

        • @Elena Levi:

          „Dass in kommunistischen/sozialistischen Gesellschaften keine Verschwörungstheorien kursieren, liegt einzig daran, dass dort jegliche Theorien/Meinungen, die nicht opportun sind, unterdrückt und notfalls mit Gewalt, Gefängnis oder Todesstrafe bekämpft werden.“

          Völlig an den Haaren herbei gezogene Behauptung die nur vom hier diskutierten Thema ablenken soll. Dass nennt man dann whataboutism.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Die Politik schaue zu, ohne zu handeln, beklagen die Forscher:innen."

    Genau das ist das Problem auch in anderen Bereichen, wie etwa in der Außenpolitik.

  • Man tritt also öffentliche Gruppen bei, schmeißt die Nachrichten in eine Datenbank und erstellt Graphen zu einzelnen Begriffen. Schick.

    Aber wie will man feststellen, dass die Aktivitäten wirklich dem Milieu entspringen?

    Der Hildmann hatte, so weit ich mich erinnere, über 100.000 Leute in seinem Kanal. Davon waren wahrscheinlich alleine 1.000 von Journalisten und die große Mehrheit Schaulustige, die wie ich sich über diese Leute amüsiert haben. Bei den Veranstaltungen von Hildmann waren fast immer nur wenige dutzend Menschen anwesend. Manchmal auch nur eine Handvoll.



    Gruppen, in denen jeder schreiben darf, sind voll mit Trollen.

    In der Studie sind auch meine Aktivitäten zu finden, die ich unter dem Motto "schaut Mal was die da treiben" entstanden.

    • @Required:

      Natürlich sind alle komplett doof die an der Studie beteiligt waren. Sie wissen weder wie die Studie endsanden ist noch haben sie sie gelesen. Aber gleich Fehler unterstellen. Typisch für die Gruppe die Gegenstand der Studie war.

      • @Andreas J:

        Ich habe eine Frage formuliert. Nichts weiter.



        Traffic und Interaktionen einem Milieu explizit zuordnen zu wollen ist schon sehr steil.

        Sie können die Krallen wieder einfahren.

  • Kommunikation ist DAS Manko aller Regierungen unter Merkel, und eines der Dinge, die die neue Regierung sofort ändern muss. Maßnahmen müssen in Zukunft wieder erklärt / begründet werden, Information muss zur Primetime kommuniziert werden. Townhalls, wie in den USA sollten Standard werden.

  • Von einer solchen Studie erwarte ich auch Vorschläge, die findet man im Artikel jedoch nicht.



    Soweit ich weiß, werden Straftaten im Netz im Rahmen der Möglichkeiten verfolgt.



    Wie weit die Möglichkeiten des Staates bei der Cybercriminalität reichen könnten, weiß jeder, der mal mit der berliner Verwaltung zu tun hatte. Die Immobilienverwaltungen der Bezirksämter haben noch nicht einmal ordentliche Software für ihre Arbeit, die arbeiten mit selbstgebastelten Exceltabellen!



    Und die LKSs dieses Landes sind noch nicht einmal alle miteinander online vernetzt.

    • @Berlin:

      Natürlich kann ein Artikel, der eine über 100 seitige Studie vorstellt nicht auf jeden Punkt eingehen. Wenn Sie sich die Studie anschauen, werden Sie feststellen, dass auf Seite 90 Handlungsvorschläge ausgearbeitet wurden.

      • @Ingo Knito:

        Schade, dass davon nichts im Artikel erwähnt wird.

    • @Berlin:

      Die Studie enthält sogar Handlungsempfehlungen in ihrem Fazit. Aber um das zu wissen, muss man sie schon lesen:



      cemas.io/publikati...emokratie-spielen/

      • @Andreas V.:

        Oder die taz könnte diese Punkte kurz erwähnen.

    • @Berlin:

      Seit wann müssen Studien Lösungsvorschläge zwingend anbieten? Sie beschreiben doch wissenschaftlich aufgearbeitet einen Ist-Zustand, aus dem man dann Lösungsansätze ableiten kann.

      Wir reden hier allerdings nicht von Cyberkriminalität, sondern vom Verbreiten von falschen Informationen, die Menschen als "Wahrheit" auffassen und sich deswegen nicht impfen lassen.

      • @Jan Berger:

        Vielleicht bin ich in den falschen Gegenden unterwegs, aber mich hat noch nie jemand auf der Straße angesprochen, um mir die neueste Verschwörung mitzuteilen. So etwas finde ich ausschließlich im Web.

      • @Jan Berger:

        Nee, wenn die Schlagzeile für die Studie lautet, "Politik muss mehr machen", dann kann man auch Lösungsvorschläge erwarten.

        Sonst ist es so wie fast immer, wenn sich beklagt wird, dass "die Politik" wieder irgendwas nicht richtig berücksichtigt.

        Gerade bei der Studie - WAS soll denn die Politik machen? Telegram abschalten? Impfgegner verfolgen? Es sind genug Informationen im Raum, die die Notwendigkeit von Impfung belegen. Diese Informationen kann man aber offensichtlich nicht in alle Köpfe hineinbekommen.

        Insofern eine Studie, die sich ihren Raum schafft, aber nichts darüber hinaus. Zu wenig.

    • @Berlin:

      Wieso soll eine Studie die Probleme aufzeigt auch die Lösung bieten? Das ist Aufgabe der Politik. Und was haben Verschwörungstheoretiker mit Cyberkriminalität zu tun?

      • @Andreas J:

        In der Regel gibt es am Ende einer Studie ein Fazit.



        Es wird ja hier in den Antworten auch von Handlungsempfehlungen im Fazit der Studie berichten.