piwik no script img

Eklat zwischen der EU und PolenEs geht ums Ganze

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Zu lange hat die EU im Konflikt mit der polnischen Regierung laviert. Dreht Brüssel nun den Geldhahn zu, riskiert es den Bruch mit Warschau.

Sprach von „Erpressung“: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Dienstag im Europaparlament Foto: Ronald Wittek/Pool EPA/ap/dpa

S ie reden zwar miteinander, aber eine gemeinsame Sprache finden sie nicht. Dies ist das bittere Fazit nach dem Auftritt des polnischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki im EU-Parlament. Er sprach von Polen und von der Souveränität seines „stolzen Landes“. Die EU-Abgeordneten hingegen kritisierten die autoritäre Wende der erzkonservativen PiS-Regierung in Warschau. Man redete aneinander vorbei und überzog sich mit Drohungen. Er werde sich nicht „erpressen“ lassen, warnte Morawiecki.

Der polnischen Regierung müssten nun EU-Gelder gestrichen werden, forderten viele Abgeordnete. Das lässt nichts Gutes ahnen. Schon beim EU-Gipfel am Donnerstag könnte es zum Showdown kommen. Die Niederlande wollen Polen direkt herausfordern. Noch in diesem Jahr könnte außerdem die EU die ersten Finanzsanktionen aus dem neuen Rechtsstaatsmechanismus verhängen. Wenn der Europäische Gerichtshof den Mechanismus wie erwartet billigt, wäre der Weg dafür frei.

Allerdings ist noch immer offen, ob die EU-Kommission den Geldhahn zudrehen will. Behördenchefin Ursula von der Leyen hat diese Möglichkeit zwar sehr deutlich angedeutet, doch der Entscheidung weicht sie aus. Wer sie zurückhält, ist vor allem die Kanzlerin. Kurz vor ihrem womöglich letzten EU-Gipfel in Brüssel hat sich Angela Merkel gegen schnelle Strafen ausgesprochen. Sie hofft noch immer auf einen erfolgreichen Dialog.

Wer setzt sich durch? Die Europaabgeordneten, die hartes Durchgreifen fordern, oder Merkel und von der Leyen, die bremsen? Von der Antwort auf diese Frage könnte die Zukunft der EU abhängen. Es geht ums Ganze. Wenn die EU-Politiker noch lange zögern, werden sie endgültig unglaubwürdig.

Wenn sie jedoch schnell und hart durchgreifen, riskieren sie den Bruch mit Polen – und eine Blockade im Ministerrat, wo Warschau sein Veto gegen wichtige Beschlüsse einlegen könnte. Die EU hat zu lange laviert, nun gibt es keine gute Option mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Bei allen wirklich großen Konflikten mangelt es der EU nicht unbedingt an Willen, zumindest aber an Effektivität. Mit dem faschistischen Belarus werden immer noch ausgedehnte Handelsbeziehungen unterhalten. Die PiS tritt seit vielen Jahren demokratische Grundprinzipien ebenso mit den Füßen wie sie kritische Medien, Minderheiten und unabhängige (Erinnerungs-)kultur unterdrückt.



    Das Gleiche gilt für Ungarn, auch wenn sich die Opposition dort durchsetzen könnte. Von den Zuständen in Slowenien, Griechenland, Rumänien ganz zu schweigen. Siehe auch: www.derstandard.at...-geschaefte-machen

  • Fragt man die Polen, ob sie in der EU verbleiben wollen, antworten ca. 80% mit Ja. Fragte man sie, ob europäisches Recht über polnischem Recht stehen soll, würden wohl mehr als 80 % mit Nein antworten. So ist es aber nunmal vertraglich mit allen Mitgliedsstaaten vereinbart worden. Man kommt also nicht umhin, festzustellen, dass der Beitritt Polens zur EU auf einem grundlegenden Irrtum hinsichtlich der Rechtsfolgen beruhte. Eine Eheschließung wäre unter dieser Prämisse von Anfang an nichtig.

  • Gesetzt der Fall es geht politisch in die andere Richtung und eine gewählte linke Regierung in einem EU-Land beschließt Reformen, die der EU nicht passen. Wird dann auch der Geldhahn für andere Projekte zugedreht?

    Wenn Sachsen braun umkippt, was dann? Infrastruktur nicht mehr bezahlen, oder Sachsen "ausdeutschen"? Eine Überlegung wäre es auf den ersten Blick wert, andererseits: wenn in Berlin ein Mietendeckel beschlossen wird, dann klagt die CSU weil das angeblich gegen deutsches Recht verstoßen würde.



    Eine Souveränität im Kleinen ist durchaus wichtig in einer Demokratie.

    In den USA gibt es auch Staaten mit sehr unterschiedlichen Gesetzen, von linksliberal bis rechtskonservativ,



    ohne das einer dieser Staaten ausgeschlossen wird.

    Im Zweifel ist die Durchsetzung der EU-Rechte gegen die polnische Regierung möglicherweise ein wichtiger Schritt, gewisse Bedenken was dies für künftige linke Regierungen ebenfalls bedeuten könnte, aber nicht unangebracht.

  • Die Trennung von Gesetzgebung und Rechtsprechung ist für die Demokratie von entscheidender Bedeutung. Das hat rein gar nichts damit zu tun, dass die EU Polen evtl. erpresse. Vielmehr hat es damit zu tun, dass ein Land die demokratischen Spielregeln nicht anerkennen und handhaben will. Dass dieses Land dann nicht Mitglied in einer Gemeinschaft sein kann, dessen Grundwerte diese Spielregeln darstellen, liegt eigentlich auf der Hand. Liebe Polen, war nett mit euch, tretet aus der EU aus und macht's gut. Alles Gute für die Zukunft.

  • Dass EU-Recht vor Landesrecht steht, hat sich der EuGH in 2018 selbst "zugeschustert", es ist NICHT in den EU-Verträgen verankert. Das sehen Fachleute, z.B. Herr Voßkuhle als ehemaliger Vorsitzender des BGH, deshalb als eigentlich für niemanden verbindlich an. - Hier hätte schon die Kommission in den Jahren klärend tätig werden müssen. Hat sie aber nicht und lässt dadurch an ihrer seriösen Effektivität zweifeln. Und "sitzen" nicht (und handeln nicht) in der Kommission vorwiegend abgeschobene Politiker der Mitgliedsstaaten? - Europa muss an seinem Kopf erst mal funktionieren.

  • Da es ja offenbar zum Guten Ton der Gegenwart gehört Gesetze und Regelungen ganz nach Bedarf so auszulegen wie es grade am besten auskommt ist das Ganze doch kein Wunder.

    Und Polen ist ja nur eine Blume von dieser Wiese.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Naja, nach Polen dann Ungarn und die anderen Ost-Länder aus der EU werfen. Die sind nicht so weit weg von Polen.

    Frankreich wird dann auch bald gehen und England ist ja schon weg.

    Dann könnte man die EU vielleicht umbenennen in Deutsche Union.

  • Ob Spanien, Ungarn oder Polen - die EU hat kaum Mittel, ihr eigenes Rechtsgefüge durchzusetzen. Die über 20 Länder können machen, was sie wollen und werden mit Geld belohnt. Als Organisation ist die EU eine Katastrophe. Als Idee ist die EU liebenswert.

  • Ab und zu bin ich in Polen (meist Stettin) und stelle sachlich fest, dass Medien und Regierung anti-europäisch und anti-deutsch sind. Bei der Bevölkerung bin ich nicht so sicher, aber beides findet deutliche Mehrheiten.



    Politisch würde ich sagen, dass Polen ein Proxy der USA ist. Und zwar ohne jede Einschränkung. Im Grunde gehört Polen nicht in die EU.

  • Der EU bleibt keine andere Wahl. Entweder sie gibt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf oder Polen. Eine wirklich einfache Wahl.

    Die stolzen polnischen Wähler können dann entscheiden, ob sie eine Diktatur ohne EU-Milliarden wollen.

    • @Dorian Müller:

      Die EU hat noch keinen Mechanismus um Partnerstaaten rauszuwerfen, und sogar wenn doch, so würde zumindest Ungarn immer auf Polens Seite stimmen. Sprich, es gibt nur die Option, dass die Polen selbst austreten (was sie nicht tun werden solange sie von der EU profitieren) .

      Persönlich denke ich sollte man das Ganze zum Anlass nehmen um die EU komplett neu aufzusetzen. Aber naja, das ist vielen in Brüssel wohl zu radikal.

  • 3G
    34936 (Profil gelöscht)

    Fehlt der EU die rechtsstaatliche Ordnung?

    Hält sie sich jemals an die selbst aufgestellten Regeln?

    • @34936 (Profil gelöscht):

      Sollte man vielleicht den EuGH fragen...

    • @34936 (Profil gelöscht):

      Darüber wacht der EuGH, der die Kommission in die Schranken weisen kann,



      Polen hingegen spricht dem EuGH das Recht ab, bindende Entscheidungen zu treffen.



      Das ist ein ganz großer Unterschied.

  • Man riskiert nicht den Bruch mit Polen, sondern den Bruch mit der PiS / der aktuellen polnischen Regierung. Daran, dass es keine gute Option mehr gibt, ist allein sie schuld, nicht die EU.

    "Er werde sich nicht „erpressen“ lassen, warnte Morawiecki.".

    Der Erpresser will sich nicht erpressen lassen. Aha.

    • @Barbara Falk:

      "Man riskiert nicht den Bruch mit Polen, sondern den Bruch mit der PiS / der aktuellen polnischen Regierung."



      Stimmt, aber Polen und die polnische Regierung lassen sich hier ziemlich schlecht auseinanderdividieren...

      • @Encantado:

        Gerade an diesem Punkt lässt sich das sehr gut auseinanderdividieren.

        Weil praktisch niemand in Polen, auch nicht die PiS-Wähler, aus der EU raus will.

  • Steht die EU über unserem Grundgesetz?



    Wenn ja, dann finde ich das falsch. Unser Grundgesetz muss vorrangig zum EU-Recht stehen.



    Und was Polen betrifft: Solche Grauzonen gibt es immer nur dann, wenn Gesetze schlampig verabschiedet wurden und Länder diese anders auslegen können.



    Ich weiß schlichtweg nicht, wer hier im Recht ist. Aber ich weiß, dass die polnische Regierung die Zahlungen gerne in Anspruch nimmt, aber die Verpflichtungen lieber abweist, wie man auch an der Asylpolitik sieht.