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Linke verliert bei der BundestagswahlDie verlorene Platte

Zwanzig Jahre lang hat Petra Pau Marzahn-Hellersdorf gewonnen. Doch jetzt triumphiert im Berliner Osten ein CDU-Mann. Wie konnte das geschehen?

Bleibt im Bundestag, trotz verlorenem Direktmandat: Petra Pau am Wahlabend auf der Linken-Party Foto: Reuhl/Fotostand/imago

Berlin taz | Tja, sie wisse auch nicht, warum die Linke das Direktmandat hier in Marzahn-Hellersdorf verloren hat, sagt die junge Frau mit Einkaufstüte in der einen und dem Kind an der anderen Hand. Ein Mann mit zwei Tüten voller leerer Flaschen und Selbstgedrehter im Mundwinkel sagt, zur Linken könne er nichts sagen, er habe die CDU gewählt. Er spricht mit russischem Akzent. Russlanddeutscher? Er nickt. „Meine Kinder wählen CDU und ich wähle, was sie wählen.“ Zwei Frauen mit angeleinten Hündchen winken gleich ab. Die Linke? „Da fragen Sie de Richtige, die haben meine Stimme noch nie bekommen. Ist doch eh alles korrupt hier“, sagt die eine und die andere nickt.

Ein Rentner, Elektriker von Beruf, zuckt die Schultern: „Weeß ick och nich. Meine zwei Kreuze haben die Linken bekommen.“ Seit 1991 wähle er die Partei, die vorher PDS hieß, genauso lange, wie er hier in Marzahn wohne. Direktkandidatin Petra Pau kenne er auch persönlich. „Der Bezirk hat sich aber auch verändert, ist viel bunter hier.“

Eine Gesellschaft, die sich verändert, eine Partei, die nicht mitkommt. Vielleicht ist das schon ein Teil der Antwort auf die Frage, warum die Linke bei dieser Bundestagswahl im Kleinen wie im Großen verloren hat. Nicht einmal 5 Prozent der Wäh­le­r:in­nen stimmten am Sonntag für die Partei.

Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf galt 30 Jahre lang als linke Hochburg. Er fungierte auch als Lebensversicherung. In den 90ern und zuletzt 2002 war es das hiesige Direktmandat, das Kan­di­da­t:in­nen der PDS zum Einzug in den Bundestag verhalf, als die Partei die 5-Prozent-Hürde verfehlte. So wie dieses Mal wieder, nur ohne Marzahn-Hellersdorf.

Die rote Burg ist gefallen

Denn seit dem Sonntag ist die rote Burg gestürmt. Der Verlust steht beispielhaft für die Entwurzelung der Linken im Osten, für den Schwund der alten Stammwähler:innen. Ohne den Osten, wo sie lange Volkspartei war, ist die Linke eine Kleinstpartei.

Die Suche nach den Ursachen beginnt vor dem Wahlkreisbüro von Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf, es befindet sich im Erdgeschoss eines hellen Betonbaus. Hier im Zentrum von Marzahn ist viel Beton verbaut. Marzahn war die erste Berliner Großsiedlung, die die DDR in den 1970ern errichten ließ. Die Wohnungen waren begehrt, Zentralheizung, Warmwasser, Müllschlucker im Treppenhaus.

Marzahn-Hellersdorf beherbergt heute den größten Plattenbau Europas und gleichzeitig eine der ausgedehntesten Eigenheimsiedlungen. Platte und Häuschen – der Bezirk vereint die ganze Bandbreite sozialer Gegensätze. 250.000 Menschen leben hier, so viele wie in ganz Aachen oder Chemnitz.

Petra Pau, Jahrgang 1963, lebt seit 1989 in Marzahn. Aufgewachsen ist sie in einer Berliner Altbauwohnung, kein Bad, die Toilette im Hausflur teilen sich sechs Parteien. Vor der Wende arbeitet Pau als Pionierleiterin, ab 1991 als Berufspolitikerin für die PDS. Seit 2002 gewinnt sie in Marzahn-Hellersdorf das Direktmandat. Jedes Mal. In Hochzeiten holt sie fast jede zweite Stimme.

Am Sonntag verpasst Pau erstmals das Direktmandat. 39.403 Stimmen gehen an Mario Czaja von der CDU, nur 29.259 an sie. Bundesweit verharrt die Linke bei dünnen 4,9 Prozent und erreicht nur über drei Direktmandate als Fraktion den Bundestag. Über die Landesliste gelingt es Pau, dennoch wieder in den Bundestag zu kommen.

Die CDU als neue Kümmererpartei

Zu Besuch bei der Frau mit dem roten Igelhaarschopf. Nicht in ihrem Marzahner Büro, sondern im Bundestag, wo ihr als Noch-Vizepräsidentin ein Büro mit Blick auf den Reichstag zusteht. Es ist Dienstagmorgen, in einer Stunde beginnt die erste Fraktionssitzung der um 30 auf 39 Mitglieder geschrumpften Fraktion.

Dass die Linke überhaupt Fraktionsstatus hat, verdankt sie einer Besonderheit der Geschäftsordnung. Wenn eine Partei mehr als 5 Prozent der gewählten Abgeordneten stellt, gilt sie als Fraktion und nicht nur als Gruppe mit deutlich weniger Rechten. Die Linke repräsentiert 5,3 Prozent der Abgeordneten.

Pau kennt die Geschäftsordnung gut, hat sie gleich nach dem Aufwachen am Montagmorgen studiert. Zu Bett gegangen sei sie am Sonntag noch mit dem Gedanken, dem Bundestag nicht länger anzugehören.

Warum der Bezirk nach 30 Jahren an ihren Herausforderer ging? Pau redet nüchtern, fast emotionslos. Wie nahe ihr die Niederlage geht, lässt sich nur erahnen. Eine Ursache sei der sehr personalisierte Wahlkampf um das Direktmandat gewesen. Der 46-jährige Mario Czaja, wie Pau Urberliner und zudem im Bezirk geboren, tritt als Kiezkümmerer auf, setzt auf kommunale Themen, etwa ein Freibad.

„Seitdem das Bad in Mahlsdorf Anfang der 90er geschlossen wurde, sind wir die einzige Großstadt ohne Freibad. Wir kämpfen seit Langem dafür“, erklärt Pau. Das Bundesinnenministerium habe jedoch Geld für Neubauten verweigert, das sei Aufgabe der Kommune. Das habe Czaja natürlich nicht thematisiert. Ihre Stimme bebt vor Empörung.

Positiv formuliert hat sich die CDU das Kümmererimage der einstigen PDS geschnappt, die im Osten immer den Anspruch vertrat, vom Mieter- bis zum Kleingartenverein vor Ort präsent zu sein. Hat die Linke das vielleicht zu leichtfertig aufgegeben und stattdessen auf soziale Bewegungen gesetzt, wo sich die jungen Neumitglieder tummeln?

Wir sind Kümmererpartei. Wir sind da

Petra Pau

„Wir sind auch die Kümmererpartei“, entgegnet Pau fest. „Das heißt, wir sind für die Leute da.“ Sie sei in den letzten Monaten täglich im Bezirk unterwegs gewesen, stand ab sechs vor der U-Bahn-Station und hat am Nachmittag Erbsensuppe mit dem Deutschen Roten Kreuz an Bedürftige ausgegeben. Mehr Präsenz ging also nicht? Sie breitet ratlos die Arme aus. „Es sei denn, jemand hätte sich nachts noch mit mir treffen wollen.“

Zur Erbsensuppeausgabe gesellte sich an diesem Donnerstag vor der Bundestagswahl auch Mario Czaja, der auch ehrenamtlich Präsident des Roten Kreuzes ist. „Wir bekriegen uns nicht“, sagt Pau. Ihr gehe es immer darum, hart in der Sache zu sein, aber niemals persönlich verletzend. „So habe ich es immer gehalten.“

Der Streit in der Partei

Innerhalb von Paus Partei hat dieses Prinzip in den letzten Jahren nicht unbedingt gegolten. In einer sehr persönlich geführten Auseinandersetzung streiten die Lager um den richtigen Kurs. Ein Kreis wirbt um Wähler:innen, die nach rechts abzuwandern drohen, setzt dabei auch auf nationalistische Töne. Eine andere Gruppe bemüht sich um die jungen Leute, denen Umweltschutz und Minderheitenrechte am Herzen liegen.

Obwohl sich die Ge­nos­s:in­nen zuletzt, die Niederlage vor Augen, disziplinieren, ist diese unversöhnlich geführte Diskussion noch längst nicht beendet. Man muss sich nur die Pressemitteilung anschauen, mit der Oskar Lafontaine am Montag ankündigt, im nächsten Jahr nicht mehr für den Landtag in Saarbrücken zu kandidieren. Als Ursache für den Absturz der Linken nennt er „die Übernahme grüner Politikinhalte – offene Grenzen für alle, starke Betonung von Minder­heiten­themen und ein Klimaschutz über Verteuerung von Benzin, Gas und Heizöl“.

Dass die Linke bei der Bundestagswahl über 1,4 Millionen Wäh­le­r:in­nen an SPD und Grüne verloren hat, muss diese These nicht unbedingt stärken.

Andere, wie die scheidende Abgeordnete Heike Hänsel, sehen die zu starke Fokussierung auf eine Regierungsbeteiligung als Ursache für den Absturz. Da ist von einer „tödlichen Strategie“ die Rede.

Petra Pau widerspricht. Das Gegenteil sei richtig: Der Linken fehle eine realistische Umsetzungsperspektive. „Wir haben ein massives Problem, inwieweit uns noch die Kompetenz zugeschrieben wird, Probleme zu lösen“, sagt sie. Sie deutet aus dem Fenster auf den Reichstag. Nur der Tatsache, dass der Bundestagspräsident seinen Dienstsitz im Westen habe, sei es zu verdanken, dass die Mitarbeiter des deutschen Parlaments nach dem Westtarif bezahlt würden. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gelten in Ost und West immer noch unterschiedliche Löhne und Renten. Und die einstige Ostpartei, die Linke, hat daran in 30 Jahren nichts ändern können.

Pau sagt, ihre Partei müsse jetzt eine strategische und programmatische Debatte führen. Sie hat da schon mal eine Idee skizziert. „Links sein im 21. Jahrhundert“, heißt ihr Büchlein, veröffentlicht vor zwei Jahren. Paus zentrale These: „Rote müssen im 21. Jahrhundert zugleich Grüne und Piraten sein. Nur so kann aus dem nötigen Kontra zum Bestehenden ein werbendes Pro für Neues werden – bündnis- und mehrheitsfähig.“

Pau muss jetzt los zur Fraktionssitzung. Forschen Schrittes eilt sie zum Reichstagsgebäude. Wie sich die Fraktion jetzt neu aufstellen müsse? Zunächst mal sollten sich einige nicht mehr für den Nabel der Welt halten, sagt sie. Wen sie meine? Keine Namen. Stattdessen lobt sie die beiden neuen Parteivorsitzenden, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow. Beide hätten sich vorbildlich verhalten: die eigene Person zurückstellen und versuchen, alle zu integrieren.

Otto Wels statt Clara Zetkin

Auf der Fraktionsebene unter der Reichstagskuppel wird Pau von einem Mitarbeiter empfangen. „Wir sind bei der SPD im Otto-Wels-Saal.“ Ob die Linke ihren alten Versammlungsraum, den Clara-Zetkin-Saal, weiter für sich nutzen kann, steht noch nicht fest.

Fest steht dagegen, dass das Freibad in Marzahn gebaut wird. Der rot-rot-grüne Senat hat die Mittel dafür in den Haushalt eingestellt. Mario Czaja von der CDU wird das wohl als seinen Erfolg verkaufen. Aber Pau ist fest entschlossen, dort auf jeden Fall schwimmen zu gehen.

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39 Kommentare

 / 
  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Zur roten Burg mal eine kleine Entleihe aus der Semantik:

    'Fallen' ist bekanntermaßen etwas Anders als 'erstürmen'. Jeder Pirat, der beim Entern eines anderen Schiffes ins Wasser fällt, weiß: Erstürmen fühlt sich schöner an.

    Und trockener.

  • Kommentar entfernt, bitte verzichten Sie auf Pauschalisierungen. Danke, die Moderation

  • Früher haben die Angehörigen der Verurteilten Geld gesammelt und dem Henker zugesteckt, damit dieser dem Delinquenten, der aufs Rad geflochten werden sollte, möglichst unauffällig einen frühen Tod bescherte, bevor die Qualen noch größer werden.

    Heute gibt es Kümmerer-Politiker*innen, die Suppenküchen betreiben und das Elend verwalten, mit dem politischen Gegner "fair" umgehen, aber nichts mehr zu ändern vermögen.

    Ich glaube, den Wähler*innen ist es egal, ob ihre Verteter aus der Arbeiterklasse oder dem akademischen Milieu stammen, wenn sie nur wirklich kämpfen. Gemeinsam mit den Wölfen heulen können sie schließlich selber.

  • Zitat:



    Wir kämpfen seit Langem dafür“, erklärt Pau. Das Bundesinnenministerium habe jedoch Geld für Neubauten verweigert, das sei Aufgabe der Kommune.

    Sagt doch alles ! In Berlin ist die Linke an der Regierung und schafft es nicht Geld für ein Freibad zu bekommen ?



    Alos entweder wollen sie nicht oder sind total unfähig.



    Wollen linke nicht hören ? Pech gehabt.

  • Ich denke, dass bundesweit gesehen der größte Faktor der Linksschwenk der SPD ist, die in der GroKo mit Erfolgen wie dem Mindestlohn, dem Gute-Kita-Gesetz und Grundrente ihr Profil besser schärfen konnte als die Union. Und bei dem nachwachsenden zumeist akademischen und urbanen Wählern des linken Spektrums sind die Grünen führend. Hinzukommt, dass die alten Wähler, die die PDS einst trotz der SED-Vergangenheit oder sogar gerade deswegen wählten, allmählich wegsterben.

    Aber auch die fehlende Perspektive, im Bund zu regieren, sowie die beschränkten Koalitionsoptionen sind auch nicht gerade hilfreich.

    • @pedroleum:

      Statt zu wehklagen und die Ursachen in den multimedial aufbereiteten 'Misthaufen' zu suchen, sollten Sie es einmal mit der Auseinandersetzung versuchen, warum



      a) lt. Stat.Jahrbuch der Bundesrepublik D. 2008, schon im Jahre 2007 weniger als 25% aller deutschen Privathaushalte über mehr als 75% aller deutschen Privatvermögen verfügten - und -



      b) im Jahre 2016, wie in einem Wochenbericht des DIW 2018 konstatiert wurde, die Vermögens- und Einkommenskonzentrationsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nahezu die gleichen waren, wie sie in der Zeit von 1900 bis 1918 im Deutschen Kaiserreich bestanden haben.

      Der anglo-amerikanische Universalmerksatz lautet: "What finally count is money!"

      Und wenn Sie dann auch noch bei Eucken, Müller-Armack, Erhard und Schiller nachlesen, finden Sie die Banalitäten der Grundsätze und Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, in deren Zentrum "die konsensual verfasste, wirtschftliche Mehrwertschöpfungsarbeit und die "FAIRE" Beteiligung des Kapitals und des Humankapitals steht.

      Aber das ist vielleicht zu anstrengend.

      • @Tao Lao:

        Verstehe nicht, wieso das für die Linke, die für soziale Gerechtigkeit eintritt, ein Problem sein soll. Das müsste ihr ja eigentlich einen Boost geben.

  • Naja, vielleicht liegt der Absturz darin begründet, daß die ursrüngliche Wählerklientel sich nicht mehr in der Partei wiederfindet. Ein ähnliches Problem hatte die SPD ja auch-wenn Studienabbrecher allen Ernstes die Arbeiterklasse verteten wollen, geht das eben meistens in die Hose.



    Von den Arbeiterkindern, die vielleicht andere Pläne haben, als in ihrer zugedachten Klasse zu verharren mal ganz abgesehen:)

    • @Stinky Turner:

      Problem dürfte eher sein, dass sie mit den Grünen eine starke Konkurrenz hat. Denn für die Grünen ist vieles von dem, was Kritiker wie Wagenknecht den sog. Lifestyle-Linken vorwerfen, kein Problem.

  • Richtig bestürzend finde ich, dass die Linke 5,3% der Abgeordnetensitze hat (hatte ich noch nicht gerechnet), also um annähernd 10% überrepresentiert ist im Bundestag.

    Wer hat sich das bloß ausgedacht?

    • @ Engel:

      Ich denke, dass das auf die 5-Prozent-Hürde zurückzuführen ist. So werden die Anteile der Parteien an den Sitzen im Bundestag größer, wenn sie den Sprung über diese Hürde geschafft haben.

  • Mag ja alles stimmen, und die Unfähigkeit vieler, Frau Wagenknechts und anderer oft kluge Positionen nachzuvollziehen, vor allem sich damit überhaupt auseinander zu setzen, ist sicher ein großes Problem der Linken. Intoleranz war schon immer ein besonders links allgegenwärtiges Problem.



    Aber:



    eigentlich müsste doch die einzige pazifistische, NATO-kritische Partei nach dem Afganistan-Debakel trotz allem mindestens 10% bekommen. Hat sie nicht.



    Das versteh ich nicht.

  • Vieleicht merken die Leute langsam, dass die Situation in Berlin nicht nur die Schuld der Anderen ist, wie die Linkspartei gerne behauptet, sondern dass die Linke einfach nichts auf die Reihe bekommt ausser fordern und das Geld der Anderen verteilen.

    • @Münchner:

      Richtig erkannt, Kompliment.

  • Vermutlich ist das Ergebnis in Marzahn- Hellersdorf ohne besonderen Wert für generelle Überlegungen. Die Ursachen sind sehr vielfältig. Pau ist eine wirklich gute Politikerin, aber 20 Jahre sind auch sehr viel. Veränderung ist irgendwann auch mal ein Wert an sich. Und Czaja scheint ein engagierter Mann zu sein, der ja auch immerhin dem Bundestrend getrotzt hat. Zudem dürfte es selbst in Marzahn- Hellersdorf einen gewissen demographischen Wandel gegeben haben. Die CDU- Gewinne können durchaus auch direkt auf Kosten der Linken entstanden sein. Die anderen Parteien sind ziemlich stabil geblieben, die AFD hat sogar deutlich verloren, leider hat wahrscheinlich auch davon die CDU profitiert, aber das ist sicherlich nicht die alleinige Ursache. Hinzu kommt der schreckliche Zustand der linken Bundespartei, die in Teilen ja immer noch nicht begreift, dass sie nicht gebraucht wird wenn sie nicht mitregieren will. Pau hat völlig recht: es fehlt die Machtoption. Vor allem aber hat sich die Linke auch viel zu lange um die schmerzhaften innerparteilichen Debatten gedrückt, die Partei ist gespalten und verwendet ihre Kraft darauf sich zusammenzuhalten statt für die Menschen zu arbeiten. Darin ähnelt sie übrigens stark der CDU, die sich auch seit 20 Jahren einer inhaltlichen Diskussion verweigert. Die CDU hat sich hinter starken (Merkel) und schwachen (Laschet) Vorturnern versteckt, die Linke hat es bei reichlich Streit mit Spagatübungen versucht, beides funkioniert nicht. Das von Pau gelobte "Integrieren" ist der falsche Weg. So wie die CDU die Werteunion loswerden muss, so muss die Linke sowohl jede Unschärfe nach rechts (Wagenknecht) loswerden als auch das nur selbstreferentielle Sich- die- Hände- nicht- schmutzig- machen- wollen. Vier Jahre Zeit.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Solang es so bleibt, dass sich bei Wahlkampf-Auftritten von Sahra die Plätze und Straßen füllen, während Janine und Susanne Schwierigkeiten haben, überhaupt wahrgenommen zu werden, wird es schwierig, Sahra ihre Legitimität in der Linken abzusprechen oder gar für den Misserfolg alleinig verantwortlich zu machen. Viele, vor allem Großstadtbewohner, wählen die Linke gerade *nicht* wegen Sahra. Es gibt aber, vor allem außerhalb großer Städte, mindestens genauso Viele, die Die Linke *nur* wegen Sahra wählen. Wie die Partei aus dieser Zerreißprobe zwischen Linksliberal und Linksautoritär herauskommen will? Das wird nur gelingen, wenn man punktuell Programmatik von Sahra als Gesamtpartei übernimmt, und Sahra dafür andere Punkte übernimmt, gegen die sie bisher wettert. Bisher sehe ich beide Seiten nicht dazu bereit, auch nur einen Krümel weit nachzugeben. Mich betrübt das sehr. Es fehlt der LINKEN eine gute Führung, die zwischen den Polen steht und die die Gestaltungskompetenz hat, Leute wie Sahra und Katja in eine gemeinsame Gummizelle zu stecken und da nicht eher wieder herauskommen, bis sie sich mit Blutsfreundschaft verewigt auf eine inhaltliche Kompromisslinie geeinigt haben. Punkt. DIE LINKE kann extrovertierte Transgender ebenso abholen wie besorgte, sozial benachteiligte Bürger einer deindustrialisierten Kleinstadt. Davon bin ich überzeugt. Es hat keine Zweck, beides gegeneinander auszuspielen. urbane Lifstyle-Linke vs. rechtsoffene Provinzlinke - was soll der Quark!!!

    • Pascal Beucker , Autor , Inlandsredakteur
      @Benedikt Bräutigam:

      Aber ist das Problem wirklich im Fall der Niederlage Pauls die fehlende Machtoption? „Wir haben ein massives Problem, inwieweit uns noch die Kompetenz zugeschrieben wird, Probleme zu lösen“, sagt Pau. Das stimmt, könnte aber weniger mit der Nichtregierungsbeteiligung im Bund, sondern mehr mit der realen Regierungsbeteiligung im Land und im Bezirk zu tun haben. Nehmen wir als Beispiel das von ihr selbst benannte Schwimmbad, für das die Linkspartei "seit Langem" kämpfen würde. Da beklagt sich Pau, dass das Bundesinnenministerium Geld für Neubauten verweigert habe, da das Aufgabe der Kommune sei. Nun ja, das ist ja auch so. Aber da wird es eben knifflig für sie: Die Linkspartei stellte bislang die Bezirksbürgermeisterin in Marzahn-Hellersdorf. Von 2002 bis 2011 war sie das erste Mal am Berliner Senat beteiligt. Hätte da nicht schon längst jenes Freibad gebaut sein können? Die entscheidende Frage scheint da also nicht, ob die Linkspartei bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen, sondern ob sie im Fall der Fälle mit dieser Regierungsverantwortung auch etwas anzufangen weiß.

      • @Pascal Beucker:

        Ich würde den Bau eines Freibads lediglich rein formal an der kommunalen Ebene festmachen. Eine Kommune kann sich doch über den finanzpolitischen Kurs übergeordneter Ebenen nicht hinwegsetzen. Damals herrschte der rot-rote Sparkurs, und die Linke war in Berlin so stolz, mitregieren zu dürfen, dass sie sich wie das Schoßhündchen der SPD verhielt. Und die wollte Sparen Sparen Sparen. Man muss auch bedenken, dass Berlin damals gerade in Bezirken wie Marzahn unter Wohnungsleerstand litt, eine heute unvorstellbare Situation. Kurzum: In den Nullerjahren hätte in Marzahn niemand ein Freibad bauen können, egal welcher Bezirksbürgermeister. Es war die Zeit der Abwanderung aus dem Osten, und davon war auch Marzahn stark betroffen, den Verfall sozialer, sportlicher und kultureller Infrastruktur eingeschlossen. Und die vielen zugezogenen Osteuropäer im Bezirk wählen tatsächlich eher CDU als Links. Für das eher konservativ eingestellte Milieu könnte Pau eine Überforderung darstellen. Und diejenigen, die zwar überfordert waren, aber eben aus Tradition heraus SED/PDS/DIE LINKE wählten, die gibt es bald nicht mehr, sie sterben aus. Man kann nur hoffen, dass die antifaschistische Arbeit von Petra nachhaltige Spuren im Bezirk hinterlassen wird, eher er gänzlich CDU und AfD anheim fällt...

  • Die Antwort auf die Frage in der Überschrift ist doch nicht so schwer: Der Czaja hat halt auf die Wähler überzeugender gewirkt als die Pau - selbst wenn er ein sog. Christlicher ist!

  • "Zuletzt im Jahr 2002 war es das hiesige Direktmandat, das der Partei zusammen mit weiteren über die Erststimme eroberten Wahlkreisen zum Einzug in den Bundestag verhalf, weil sie die 5-Prozent-Hürde verfehlt hatte."

    Dazu sollte noch gesagt werden, das 2002 die damalige PDS nur zwei Direktmandate im Bundestag hatte und eben nicht mit dem Zweitstimmenanteil einzog (damals 4%). Dafür fehlte das dritte Direktmandat.

    • Anna Lehmann , Autorin des Artikels, Leiterin Parlamentsbüro
      @Phili:

      Völlig korrekt. Diese Formulierung war missverständlich und wir haben sie deshalb korrigiert.

  • Manchmal sterben Stammwähler auch, oder ziehen einfach um/weg. Das Problem der DieLinke lässt sich wohl nicht an einem Wahlkreis sezieren.

  • Mario Czaja hat ein Auschlussverfahren der CDU hinter sich, weil schon 93 mit der PDS zusammenarbeiten wollte. Im der Berliner Fraktion war er trotz seiner, für die CDU, ganz erstaunlichen Wahlerfolge ziemlich isoliert. Jetzt in der Bundestagsfraktion der Union könnte er sehr nützlich für die Linke werden.

  • Wie das passieren konnte?



    Die Antwort ist in Sarah Wagenknechts Buch, besser Streitschrift, "Die Selbstgerechten" zu finden.

    • @Trabantus:

      Wieso? Bei den Grünen funktioniert das, was Wagenknecht der Linken vorwirft, sehr gut. Es dürfte eher der fehlende Pragmatismus in weiten Teilen der Linken sein, der die potenziellen Wähler zu den Grünen treibt.

    • @Trabantus:

      So ist es. Wagenknecht hat zumindest begriffen, warum die Wähler von der Linken weggehen.



      Ob die Anbiederung an AfD Postionen allerdings wirklich hilfreich sind, wage ich zu bezweifeln.

    • @Trabantus:

      Wagenknecht hat die Partei doch überhaupt erst grundlos gespalten - und auch noch für jede Koalitionen mit anderen Parteien unmöglich gemacht!

      Wer will denn mit solchen "Linken" zusammenarbeiten? Das nationalistische Getöne (siehe das Zitat ihres Ehemannes) ist sowas von anti-links, dass es kracht. Da ist ja die FDP ein humanistischer Haufen gegen!

      Und dann gleichzeitig irgendwelche Klischeebildchen über nicht genehme Mitglieder der eigenen Partei verbreiten - absolut daneben!

      Wenn ich noch nicht mal aushalte, dass Leute meiner eigenen Partei in Prenzberg auch gern mal Latte trinken - wie stellt sich Wagenknecht eigentlich vor, mit normalen Leuten auszukommen, für reale Menschen attraktiv zu sein, die heute einfach nicht mehr in Einheitskluft und nach Einheitsgeschmack leben wollen.

      Aber am fiesesten finde ich, dass sie ohne jede Not schlimmer gegen Flüchtlinge eintritt als der rechte CDU-Flügel - und Flüchtlinge gegen angeblich bedrohte Jobs auspielt wie die AFD.

      Unwählbar, solange Wagenknecht und ihr Mann dabei sind.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @agtaz:

        Hummer und Austern, meinte Wagenknecht. Sie hat recht, warum sollten sich die Abgehängten mit einen Milchkaffee zufrieden geben.

      • @agtaz:

        "wie stellt sich Wagenknecht eigentlich vor, mit normalen Leuten auszukommen, für reale Menschen attraktiv zu sein, die heute einfach nicht mehr in Einheitskluft und nach Einheitsgeschmack leben wollen." - Ähm, was heißt denn "heute nicht mehr" und "Einheitskluft" und "Einheitsgeschmack"? Möchten sie damit die DDR beschreiben? - Das wäre a) wirklich sehr daneben und ignorant (Individualismus drückt sich ja nicht nur im Konsum aus, oder finden sie das wohl?) und b) glauben sie wirklich, dass dies Sarah Wagenknechts Ziel ist? - Ihre Kritik zielt doch letztlich darauf ab, dass man aus seiner eigenen priviligeierten Position keine moralische Überlegenheit ableiten sollte. Ihretwegen können Menschen wahrscheinlich so viel Latte trinken, wie sie wollen, wenn sie nicht davon ausgehen, dass nur mit diesem Lebensstil die Welt gerettet werden kann.

    • @Trabantus:

      Bullshit. Wo WagenknechtianerInmnen antraten, verlor die Linkspartei überdurchschnittlich viele Stimmen.

      • @Ajuga:

        " Bullshit".



        Wenn das die neuen Argumente der Linke sind, indem man deren Kritiker einfach mit "Bullshit" abtut und die Schuld einfach bei den anderen sucht, statt sich mal an der eigenen Nase zieht, wundert mich das Ergebnis der Linke überhaupt nicht mehr.



        Glauben sie im ernst, dass Wagenknecht für das desaströse Ergebnis der Linke schuld ist? Nein, die Linke hat vor lauter Ideologie und Lifestyle ihre Wähler total vergessen, das ist das Problem.

      • @Ajuga:

        Haben Sie das Buch gelesen? Ich schon.



        Der Stimmverlust bestätigt ihre Aussagen.

        • @Trabantus:

          Nuja, für sie Wagenknecht-Fans hat jedes Wort der Dame ähnliches Gewicht wie für Evangelikale die Bibel, oder für Sarrazin-Fans sein "rotes Büchlein". Ihre Beiträge bestätigen das mal wieder nachdrücklich

          • @Kaboom:

            "Nuja, für sie Wagenknecht-Fans hat jedes Wort der Dame ähnliches Gewicht wie für Evangelikale die Bibel, oder für Sarrazin-Fans sein "rotes Büchlein"."

            Eine solche Äußerung ist geradezu die Bestätigung dessen was S. Wagenknecht teilweise in bezug auf DIE LINKE problematisiert. In diesem Fall: bloße Polemik statt sachliche Argumentation und respektvolle Auseinandersetzung (Was sich auch an der "Bullshit"- Forumlierung des anderen Users ablesen lässt, 2 Beiträge über Ihrem).

            • @dreivorzwölf:

              so ist es!

  • Ich habe meine beiden Stimmen der Linken gegeben obwohl iuch ursprünglich teilen wollte in Grüne und Linke. WARUM ?



    Weil ich es mir sehr gewünscht habe das sie Teil unserer Bundesregierung wird. Was nützen hehre Ziele und Utopien ( die braucht gelegentlich auch) wenn nicht wenigstens versucht wird durch mitregieren etwas zu ändern. Und manchmal heißt das eben auch über den eigenen Schatten springen, siehe Bundestagsabstimmung zur Rückholaktion.

  • 20 Jahre sind einige Jährchen zu viel...

  • Zitat: „Fest steht dagegen, dass das Freibad in Marzahn gebaut wird. Der rot-rot-grüne Senat hat die Mittel dafür in den Haushalt eingestellt. Mario Czaja von der CDU wird das wohl als seinen Erfolg verkaufen. Aber Pau ist fest entschlossen, dort auf jeden Fall schwimmen zu gehen.“

    So sind sie, die „Kümmerer“, die sich vor allem um sich selber kümmern: Sie nutzen das Desinteresse und die Denkfaulheit ihrer Wähler gnadenlos aus. Die aber haben offensichtlich nichts dagegen, belogen und betrogen zu werden. Es fehlt ihnen schlicht an Selbstwertgefühl, schätze ich. Was auch kein all zu großes Wunder ist angesichts der Behandlung, die sie sich gefallen lassen müssen von den meisten Volks-Vertretern und deren Lieblings-Klienten, den „Eliten“.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Petra Pau weiß genau, dass der Bau eines Schwimmbades oder Hallenbades ein Kommunales Projekt ist. Es können Fördermittel beantragt werden, aber den Hauptanteil der Baukosten und die Unterhaltskosten tragen die Kommunen. Eventuell sind die Wähler mittlerweile doch aufgeklärter und honorieren es eben nicht mehr, wenn vor der Wahl beim Roten Kreuz Erbsensuppe ausgeteilt wird. Vermutlich wird es aber wie bei anderen Abgeordneten enden: Bundesverdienstkreuz, Job beim Roten Kreuz, ASB, AWO oder eben Volksfürsorge und dann in den Ruhestand. Ich denke es ist doch kein Verdienst, wenn ich aus einer Altbauwohnung ohne Toilette in einen Neubau mit Innentoilette, Aufzug und Einbauküche ziehe. Marzahn, Rudolf, Märkisches Viertel oder Heerstraße- Nord macht keinen Unterschied, einzig bei der Heerstrasse- Nord gibt es keine U-Bahn und auch keine S-Bahn, diese sind wirklich abgehängt und sozusagen Heroen und Benachteiligten.