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Messerangriff von WürzburgDie Unberechenbaren

Islamistisches Attentat oder Wahntat? Der Fall Würzburg zeigt einen neuen Tätertyp, auf den sich Zivilgesellschaft und Behörden eingestellt haben.

Gedenken an die Opfer in der Innenstadt von Würzburg Foto: imago/images

Abdirahman J. A. sitzt weiter in Untersuchungshaft in der JVA – und schweigt. Warum der 24-Jährige am Freitag vor einer Woche in der Haushaltsabteilung von Woolworth in Würzburg plötzlich zu einem 33 Zentimeter langen Küchenmesser griff und damit drei Frauen erstach, warum er vier weitere Frauen schwer verletzte und dann noch ein Mädchen und einen Jungen – dazu sagt er nichts. Auch nicht, warum er dabei laut eines Kaufhausdetektivs zweimal „Allahu akbar“ rief.

„Er hat sich bisher nicht eingelassen und er wird es vorerst auch nicht tun“, sagt sein Anwalt Hans-Jochen Schrep­fer. „Für mich gibt es derzeit aber keine Anhaltspunkte für eine islamistische Tat.“ Er habe länger mit Abdirahman J. A. am Tag nach der Tat gesprochen, er habe die Vorwürfe bei der richterlichen Haftprüfung gehört. Außer dem „Allahu akbar“-Rufen gebe es nichts Erwiesenes für ein politisches Motiv. „Und das allein reicht nicht.“

Die Er­mitt­le­r:in­nen sind sich da nicht so sicher. Rund 130 Beamte der Soko „Main“ werten derzeit zwei Handys von Abdirahman J. A. aus, befragten bereits Dutzende Zeug:innen. Vor allem aber setzen sie auf ein psychiatrisches Gutachten, das nun von einem fränkischen Professor erstellt wird. Es soll helfen, die Frage zu klären, was das nun für eine Tat war. Ein islamistisches Attentat? Der Amoklauf eines Wahnhaften? Oder beides?

Es ist eine Frage, die sich nicht zum ersten Mal stellt.

Abdirahman J. A. kam 2015 aus dem Bürgerkriegsland Somalia nach Deutschland, erhielt hier einen subsi­diä­ren Schutzstatuts und lebte zunächst in Chemnitz. Von dort gibt es ein Video von 2018, in dem er von einem rassistischen Übergriff auf einen Bekannten während rechter Unruhen in der Stadt berichtet. Zuletzt lebte der 24-Jährige in einer Würzburger Obdachlosenunterkunft. Mit politischen Taten fiel er den Behörden nicht auf.

Psychotischer Schub?

Aber er wurde anderweitig auffällig. Zu Jahresbeginn bedrohte Abdirahman J.  A. in seiner Unterkunft zwei Mal andere mit einem Messer. Für eine Woche landete er in einer psychiatrischen Klinik. Die regte an, ihm einen Betreuer an die Seite zu stellen – wofür das Amtsgericht zunächst keinen Bedarf sah. Im Juni stieg der 24-Jährige dann in ein fremdes Auto ein und weigerte sich, dieses wieder zu verlassen. Wieder landete er für eine Nacht in der Klinik. Laut Medienberichten war er auch zuvor schon in psychiatrischer Behandlung, soll mit Drogen- und Alkoholkonsum aufgefallen sein. Geschah der Messerangriff aus einem psychotischen Schub heraus?

Andererseits soll der Somalier laut Ermittlern im Krankenhaus nach der Tat von seinem „Dschihad“ gesprochen haben. Anwalt Schrepfer stellt das in Frage: „Obwohl ich mehrere Stunden in der Klinik war, habe ich davon nichts mitbekommen. Auch im Haftbefehl steht dazu nichts.“ Auch das anfangs kolportierte IS-Material, das sich im Zimmer des 24-Jährigen befunden haben soll, dementieren die Ermittler.

Der Fall Abdirahman J. A. bleibt also vorerst offen. Bisher hat die Bundesanwaltschaft diesen auch nicht übernommen, was sie im Falle einer politischen Tat dieser Dimension täte. Andererseits sitzt Abdirahman J. A. auch nicht in der Psychiatrie, sondern weiterhin in der JVA – zumindest bis zum Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens. Dort könnte auch geklärt werden, warum der Somalier vor allem Frauen attackierte. Dies könne auch Zufall sein, erklären die Ermittler bisher.

Es gibt inzwischen eine Reihe ähnlicher Fälle, bei denen lange über das Motiv gerätselt wurde. Im August 2020 etwa fuhr ein psychisch erkrankter Iraker auf der Berliner Stadtautobahn Motorradfahrer um und rief danach „Allahu akbar“. 2018 zündete ein Syrer im Kölner Hauptbahnhof einen Molotow-Cocktail, nahm eine Frau als Geisel und bezeichnete sich als IS-Anhänger – er wurde in die Psychiatrie eingewiesen.

2017 erstach in Hamburg ein Palästinenser in einem Supermarkt einen Mann, verletzte sechs weitere Personen. Auch er rief dabei „Allahu akbar“, sprach von einer inneren Stimme – hier aber sah ein Gutachter keine wahnhafte Erkrankung. Auf der anderen Seite zeigte auch der Hanau-Attentäter, der neun Menschen mit Migrationsgeschichte erschoss, nicht nur einen ausgeprägten Rassismus, sondern auch Verfolgungswahn.

Die Vermischung von psychischer Auffälligkeit und Extremismus sei inzwischen ein „dominantes Muster“ von Gewalttaten wie in Würzburg, sagt der Terrorismusexperte Peter Neumann. Beides schließe sich nicht aus, könne sich ergänzen oder die Tatmotivation sogar noch verstärken. Entscheidend zur Einordnung sei, ob der Täter bei der Ausführung zurechnungsfähig war.

Auch Sinan Selen, Vizechef des Bundesamts für Verfassungsschutz, nannte erst kürzlich im Bundestag den Umgang mit psychisch Erkrankten eine „besondere Herausforderung“ für seine Behörde. Und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das mit seiner Beratungsstelle „Radikalisierung“ ebenfalls mit dem Thema beschäftigt ist, erklärt, dass heute „zumindest Einzeltäter im Kontext extremistischer Gewalttaten deutlich häufiger psychische Störungen vorweisen“.

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Und das nicht nur in Deutschland. In einem im Juni veröffentlichten Report hält Europol fest, dass die europaweit zehn islamistischen Attacken 2020 mit zwölf Toten alle von Einzeltätern verübt wurden – von denen gleich mehrere „eine Kombination aus extremistischer Ideologie und mentaler Erkrankung“ aufwiesen. Die Verhinderung solcher Taten sei sehr schwierig: Denn hier gebe es „kein klares Profil“. Einige psychisch auffällige Täter würden „dschihadistisches Verhalten imitieren“ – begünstigt durch die weite Verbreitung von islamistischer Propaganda und die mediale Berichterstattung über solche Terrortaten.

Die Öffentlichkeit will Einordnung

Öffentlichkeit und Politik aber drängen auf eine klare Einordnung solcher Fälle – auch um daraus Konsequenzen ziehen zu können. Es ist ein schma­ler Grat: Einerseits sollen ideologische Motive nicht bagatellisiert werden, andererseits Taten von psychisch Erkrankten auch nicht politisch instrumentalisiert. „Es hilft nichts“, sagt Kerstin Sischka, eine Berliner Psychotherapeutin. „Es braucht stets eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall.“

Sischka arbeitet seit Jahren in Projekten zur Gewaltprävention und Deradikalisierung, aktuell bei Violence Prevention Network. Im Würzburger Fall geht auch sie fest von einer psychischen Störung des Täters aus – der sich bei seiner Tat aber „islamistisch inspirieren“ ließ. „Wie genau die Gewichtung dieser Wechselbeziehung ausfällt, muss nun der Gutachter klären.“

Auch früher habe es psychisch instabile Extremisten gegeben – die aber in ihren politischen Gruppen aufgefangen wurden. Durch die gesellschaftliche Vereinzelung und Digitalisierung, aber auch durch polizeilichen Druck gebe es solche Gruppen heute weniger, so Sischka. Labile Radikale fielen nun auf sich zurück, würden unberechenbarer. Auch können psychisch Erkrankte, die mit Problemen kämpfen, in der Ideologie einfache Antworten finden und sich schneller zu Gewalt verleiten lassen.

Beim Bamf beteuert man, Radikalisierten mit psychischen Auffälligkeiten schon lange „ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit“ zu schenken. Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen spielten für die Deradikalisierung „eine äußerst wichtige Rolle“ und würden schon heute eingebunden, entsprechende Modellprojekte gefördert. Im Sommer 2020 habe man zudem eine Broschüre an Praxen verschickt, die erklärt, wie man Radikalisierungen erkennt.

Keine Stigmatisierung

Im Frühjahr starteten auch in Nordrhein-Westfalen zwei Pilotprojekte. So testet das Landeskriminalamt in mehreren Polizeibehörden das Projekt „Periskop“, das labile Personen aufspüren soll, die Anschläge begehen könnten. Erhalten Polizei oder Behörden Hinweise auf psychische Erkrankungen und Gewaltaffinität, werden zu den Menschen Prüffälle angelegt – rund 20 sollen es aktuell sein. Zusammen mit Gesundheitsbehörden, Schulen, Ausländerbehörden oder Kliniken berät die Polizei dann, wer der richtige Adressat für die Betroffenen ist.

In vielen Fällen, so das NRW-Innenministerium, offenbaren Täter im Vorfeld ihre Gewaltabsichten, im Alltag oder im Netz. Für die Prüffälle brauche es Hinweise auf eine „mehr als abstrakte Gefahr“ von Gewalttaten. Eine psychische Erkrankung allein reiche nicht, sondern ein Zusammenspiel mehrerer „Risikofaktoren“. Ein Generalverdacht gegen psychisch Erkrankte dürfe nicht entstehen, betont eine Sprecherin. „Ziel des Konzepts ist es, sorgsam mit Personen mit Risikopotenzial umzugehen und gleichzeitig Gefahren ernst zu nehmen.“

Kerstin Sischka sieht das „Periskop“-Projekt skeptisch: „Es besteht die Gefahr, dass psychisch Erkrankte stigmatisiert werden und das Gesundheitswesen zum Helfer der Sicherheitsbehörden gemacht wird.“ Sie lobt aber das im Februar gestartete zweite Projekt in NRW. In allen 30 zentralen Geflüchtetenunterkünften werden Mit­ar­bei­te­r:in­nen und Be­woh­ne­r:in­nen vom Beratungsnetzwerk „Grenzgänger“ über islamistische Gefahren geschult.

Werden Radikalisierungen bemerkt, können anonym Hinweise gegeben werden. Für Sischka ist das Projekt wichtig, weil bisher Geflüchtete psychotherapeutisch „viel zu schlecht erreicht werden“. Und weil zivilgesellschaftliche Träger wie „Grenzgänger“ ein anderes Vertrauen zu den Betroffenen aufbauen könnten als die Polizei. „Gerade beim Thema psychisch erkrankter Einzeltäter und Einzeltäterinnen muss die Zivilgesellschaft zwingend mit an den Tisch.“

Mehr Behandlungskapazitäten

Es ist eine Forderung, die inzwischen selbst von Teilen der Polizei geteilt wird. So plädierte nach dem Würzburg-Angriff Sebastian Fiedler, der Chef des Bund Deutscher Kriminalbeamten, für einen Ausbau der psychiatrischen Behandlungskapazitäten. Gerade Menschen mit bestimmten Arten von Schizophrenie trügen ein „erhebliches Risiko“ in sich, zu Gewalttätern zu werden. Auch Kriegstraumatisierte seien gefährdet. Der Fachkräftemangel in der Psychiatrie sei auch „ein enormes Sicherheitsproblem“.

Laut Studien leben indes 95 Prozent der psychisch Erkrankten gewaltfrei. Dennoch unterstützt auch Psychotherapeutin Sischka die Forderung: „Aktuell betreut ein Psychiater im Quartal rund 1.000 Patienten. Eine intensive Behandlung ist da nicht möglich, hier fehlt es an Personal.“

Auch Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchhardt (CDU) macht sich Gedanken, welche Folgen aus der Tat zu ziehen sind. Vorerst gelte es die Tat aufzuklären, sagt er der taz. Abhängig vom Motiv müssten dann staatliche Maßnahmen ergriffen werden. Eines ist Schuchhardt aber schon heute klar: „In jedem Falle ist die psychologische Begleitung geflüchteter Menschen aus Kriegsregionen erheblich zu verbessern.“

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37 Kommentare

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  • Femizid in reiner Form.

  • Kommentar entfernt, bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Henry Ford:

      Subsidiären Schutz erhalten Menschen, denen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht, die aber keinen Asylanspruch haben - solche Menschen brauchen stattdessen eine Bleibeperspektive, Sprachkurse und die Möglichkeit, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen.

    • @Henry Ford:

      Warum machen Sie als Auslöser der Tat ein Merkmal bei Frauen fest ('luftig' gekleidet)? Das ist doch die alte patriarchalische Denkweise, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht.

  • Guter Artikel.

    Das Handling solcher Fälle ist in der DE Öffentlichkeit leider zu einem populistischen Dauerläufer geworden.

    Psychische Gründe will keiner hören, nur noch die großen Verschwörungen, wo hinter dem geringsten fundamentalistischen bzw. extremistischen Bezug ein Netzwerk, eine Armee von Mördern und Terroristen lauert.

  • Mal ganz zynisch gesprochen: Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von einem Mann getötet. Das interessiert keine Sau. Wo sind denn da jedesmal die Sondersendungen und Lichterketten?

    Nur weil der Täter hier ein Flüchtling, dazu noch Moslem ist, wird jetzt ein medialer Riesenaufriss gemacht und ganz zum Wohlgefallen der Rechtsextremen heftig Islamophobie geschürt.



    Wäre das Medienecho eigentlich genauso groß, wenn es sich um einen deutschen Täter handeln würde, der "Jesus lebt!"gerufen hätte? Ich denke nicht.

    In der muslimischen Kultur ist der Ausruf "Allahu akbar" ganz geläufig auf den Lippen, das sagen die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Hier bei uns sagt man auf dem Land manchmal auch noch "In Gottes Namen" oder "Jesses", ganz unpolitisch, nur so als angewöhnte Floskel.

    Für mich ist der Täter kein Terrorist - diese Einordnung verharmlost ECHTEN Terrorismus mit Autobomben und Selbstmordanschlägen.



    Das ist ein psychisch schwerstkranker Mensch. Schulamokläufer töten ja auch ohne politische Agenda. Da ist ein gefühlter seelischer Schmerz, der in blanke Aggression umschlägt. Man kann den Leuten nicht in den Kopf gucken. Ruhige und unauffällige Typen drehen von heute auf morgen durch und laufen Amok, ganz kulturunabhängig, wie mir scheint.

    • @Schnetzelschwester:

      Die Ermordung von drei Frauen und die Verwundung anderer ist also harmloser, als 'Echter' Terrorismus? Wow. Wie oft kommt das denn vor? Im übrigen ist das Medienecho bei Taten von Rechtsradikalen mindestens genauso.

    • @Schnetzelschwester:

      Wovon gehen Sie aus, wenn beim Morden „Heil Hitler!“ gerufen wird?



      Sicher, irgendwie krank sind Mehrfach-Mörder alle; doch sagen die Begleitrufe nicht auch etwas über Gesinnung und Geisteshaltung aus, oder ist „Ausländer raus!“ auch nur ein so dahin geworfenes Stereotyp ohne weiteren Belang? Mit den Worten des Anwalts reichten diese also nicht für die Annahme eines rechtsradikalen, eines nazistischen Anschlags?

  • Gesellschaftlich relevant wird es nicht durch den einzelnen Täter - das muss die Justiz individuell bewerten. Gesellschaftlich relevant wird es dadurch, wie das an die wichtigen gesellschaftlichen Strömungen ankoppelt - (fast) unabhängig von dem, wie es der Täter selber sieht. Etwa für die große Spaltung in Links und Rechts ist es wichtig, was das andere Lager daraus macht, nicht was der Täter denkt. Falls er gezielt Frauen umgebracht hat, ist weniger wichtig, warum das der Täter gemacht hat, als ob das z.B. linke Lager geschlossen ist, oder es da verschiedene Prioritäten gibt. Es geht also um unser Vertrauen und Misstrauen untereinander - der Täter triggert das "nur". Auch wenn wir sagen, dass es nur ein Verbrechen ist und sonst nichts, ist es zuerst eine Aussage gegen alle Kreise, die mehr daraus machen wollen.

  • Es wäre ein Zeichen für gesellschaftliche Sensibiltität gegenüber den oft traumatisierten und hier prekär lebenden Geflüchteten, wenn diese leichten Zugang zu einer psychotherapeutischen Begleitung finden könnten. Allein die Erfahrung dass sich in langen Gesprächen ein Vertrauensverhältnis aufbaut und das sich Therapeut*innen ganz auf die individuellen Gedanken, Gefühle und den personlichen Schmerz ihres Gegnübers einlassen, könnte traumatisierten Geflüchteten die Erfahrung vermitteln in der neuen Gesellschaft eben nicht mit ihreren Ängsten alleine gelassen zu werden.

    Die Realität sieht oft ganz anders aus, denn die Zugänge zur gesprächsbasierten Psychotherapie sind Geflüchteten oft vielfach verbaut. Das beginnt schon mit der Sprachbarriere, die den methodischen Zugang oft erschweren dürfte.

    Eine Person wie der Attentäter von Würzburg würde überdies von Psychotherapeuten sowieso abgewiesen, da ihm als Rauschmittelkonsument ohne festen Wohnsitz nicht die notwendige Stabilität zugestanden wird um in den selbstreflexiven Prozess Therapie einzusteigen. Keine Kasse würde sowas finanzieren.



    Bestenfalls eine nach stunden geringe Unterstützung durch eine Verhaltenstherapie wäre drin ...

    Tja und Psychiater, die sehen ihre Patient*innen alle 4-8 Wochen, erkundigen sich nett nach deren Befinden und reden auch mal 20 Minuten ... im wesentlichen wird beim Psychiater aber nur ein neues Rezept ausgestellt - Fakt ist: soviel Gespräch dass daraus Erkenntnisse über einen Radikalisierungsprozess gewonnen werden könnte, findet beim Psychiater überhaupt nicht statt.

    Was ein Geflüchteter und wohnungsloser Mensch mit psychischer Erkrankung hier vom Gesundheitssystem erwarten kann ist ausschließlich akute Krisenintervention durch kurzzeitige stationäre allgemeinpsychiatrische Einweisung. Eine anschließende therapeutische Eins-zu Eins Begleitung wird unterlassen und der Erkrankte gleich wieder verloren.

    • @LuckyLulu :

      "(...) die Zugänge zur gesprächsbasierten Psychotherapie sind Geflüchteten oft vielfach verbaut." (Luckylulu)



      Das ist sicherlich richtig. - Richtig ist aber auch dass dies nicht exclusiv für Geflüchtete alleine gilt, sondern für alle Menschen in diesem Lande. Versuchen Sie mal einen Termin bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten zu bekommen. Sie müssen sich auf eine Wartezeit von mehreren Monaten einstellen. In diesem Sinne ist die ambulante Versorgungslage mit psychotherapeutischen Praxen bei uns generell katastrophal.



      Bliebe noch die stationäre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik wegen akuter Selbst-oder Fremdgefährdung. Dazu bräuchte es einer entsprechenden Krankheitseinsicht des Betroffenen, welche aber in einem akuten Stadium der Erkrankung oft schon völlig abhanden gekommen ist.



      Bliebe noch das Ansteuern einer psychiatrischen Unterbringung auf Grund der Anregung durch psychosoziale Betreuer. Genau diese Betreuungsstruktur ist aber ebenfalls erheblich zu dünn gestreut. Es genügt nun mal nicht Kriegstraumatisierten einfach nur einen Sozialarbeiter als Quasi-Hausmeister in die Unterkunft zu setzen.



      Der Fehler war nicht 2015 die Grenzen zu öffnen (die ohnehin offen waren), sondern das Versäumnis der Installation entsprechend tragender sozial-und gesundheitspflegerischer Strukturen. Mithin also die vielgepriesene Spar-und Rotstiftpolitik.

      • @LittleRedRooster:

        Sie haben völlig Recht, was Hilfsmöglichkeiten für psychisch Kranke angeht. Es ist kaum möglich, wenn keine Krankheitseinsicht besteht.

        Eine kleine Berichtigung habe ich aber: Die einzige Möglichkeit jemanden gegen seinen Willen stationär unterzubringen ist, wenn akute Eigen- oder Fremdgefährung vorliegt - wie das definiert ist liegt im Ermessen des jeweiligen Gutachters/Gerichts. Die Hürden liegen hoch. Aber hier braucht der Betroffene eben keine Krankheitseinsicht haben.

        Die aktuelle rechtliche Situation kann - je nach Fall - zum Schutz des freien Willens auch eines einwilligungsunfähigen psychisch Kranken gesehen werden ... oder als Beihilfe zur unterlassen Hilfeleistung.

        Es war, ist und bleibt leider ein schwieriges Thema.

    • @LuckyLulu :

      Andererseits müssen wir auch gegen schlechte Menschen ganz klare Kante zeigen - es bleibt die Abwägung, wann wir entgegenkommen, den Hilfeschrei hören, Hilfe anbieten, und wann wir klare Kante zeigen.

    • @LuckyLulu :

      Ich rate Ihnen mal einen Besuch im Gefängnis. Dort werden sie auf solche Menschen wie den Attentäter treffen: psychisch nicht gesund, oft mit schwierigen Biographien, dissoziale Verhaltensmuster und eben ... kriminell. Mit denen hätten Sie im Gerichtssaal vermutlich (auch) kein Mitleid, sondern würden Bestrafung fordern.

      • @TazTiz:

        Und wo wäre dies "schlecht"? Aus diesem Grund gibt es eine Rechtssprechung, die für jeden Menschen gilt. Wer genug geistige Gesundheit besitzt um die entbehrliche Flucht anzutreten, der ist sich im Klaren darüber was er tut.

        Dann halt unbefristet geschlossene Psychiatrie. Wie es auch bei deutschen Tätern üblich ist.

  • Wieso wird eigentlich der Messerangriff eines Deutschen wenige Tage später mit keinem Wort erwähnt? Oder die Tatsache, dass die Kriminalität seit 2015 kontinuierlich gesunken ist in Deutschland. Dieser Artikel hat stellenweise Springerpresse-Niveau.

    • @Elio:

      Weil diese Tat bsonders grausam war. Der Mann hat auf ein 11jähriges Mädchen eingestochen, und die Mutter die sich auf ihr Kind geworfen hat wurde ermorder. Eine 63 alte Frau die helfen wollte (Zivilcourage) wurde auch ermordet.

      In Herne hat ein 20jähriger einen 9jährigen Jungen ermordet. Darüber wurde wochenlang berichtet. Und da gab es Kommentare wie Rübe ab, u.s.w.

      Über den Kindermörder Jürgen Bartsch spricht man noch nach 45 Jahren immer noch. Dazu gibt es über 1 Millionen Einträge bei Google.Und der war auch psychisch krank.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Herr Litschko informiert uns wie immer sehr detailliert. So auch in diesem Artikel. Wie kommt's, daß ihm sowas wie der "fränkische Professor" aus den Tasten fließt?

  • Ich weine.



    Frauen werden ermordet und die TAZ kümmert sich um die Psyche der Mörder? Was ist mit den Opfern? Den ermordeten Frauen? Deren Kinder und Angehörigen?

  • " Außer dem „Allahu akbar“-Rufen gebe es nichts Erwiesenes für ein politisches Motiv. "

    Äh, wie wäre es mit der Tatsache, dass außer einem Jungen, alle Opfer weiblich sind? Ist das kein eventueller Hinweis auf ein politisches, weil Frauenverachtendes, Motiv?

    Was bringt uns eine Statistik für frauenfeindliche Taten, wenn Taten gar nicht auf diese Möglichkeit hin untersucht werden.



    Ist Frauenhass so eine natürliche und verständliche Sache, dass es Ermittelnden gar nicht einfällt solche Sachen zu prüfen?

    • @curiouscat:

      Erwartest du in Bezug auf Täter mit diesem Hintergrund etwa neutrale Handlungen, bei dem vorherrschenden politischen Meinungskorridor?

    • @curiouscat:

      Die Frage ist ja, ob es Frauenhass war, oder ob der Täter sich gezielt Opfer ausgewählt hat, bei denen mit wenig Gegenwehr zu rechnen war, was mir wahrscheinlicher erscheint, da viele eben ein höheres Alter hatten oder noch extrem jung waren.

      • @Kim S:

        Hm... Also ich bin gerne bereit zuzugeben, dass der Durchschnittsmann stärker als die Durchschnittsfrau ist. Dennoch finde ich, dass es eher für ein Frauenverachtendes Motiv sprechen könnte, wenn jemand gezielt Frauen wegen ihrer vermeintlichen Schwäche aussucht.



        Wenn ich gezielt eine Gruppe Menschen aussuche die sich durch Geschlecht oder Hautfarbe/Abstammung oder auch sexuelle Orientierung auszeichnet ist das auf jeden Fall schon mal ein Anhangspunkt für weitere Untersuchungen. Wenn es nur schwule Männer wären, weil die laut homophober/frauenverachtender Ideologie weniger männlich und daher schwächer sind, ist die Frage ob es an einem homophoben Motiv lag ja auch nicht weit.

        • @curiouscat:

          Bei einer Person von über 70 oder einer um die 10 Jahre ist es einfach höchstwahrscheinlich, dass sie im Prinzip wehrlos sind - gerade wenn der Angreifer ein Messer hat.

          Und selbst wenn man jetzt eher auf das Geschlecht und nicht das Alter der Opfer schaut: Frauen sind im Durchschnitt leichter und weniger kräftig als Männer und damit für den Nahkampf leichtere Ziele. Gewichtsklassen und Geschlechtertrennung existieren ja nicht von ungefähr in Kampfsportarten. Und auch bei gleichem Gewicht ist der Anteil an Muskelmasse bei Männern nunmal deutlich höher - nicht umsonst wird Testosteron als Dopingmittel missbraucht.



          Da muss man gar keine "sexistischen" Überlegungen einfließen lassen, dass Frauen weniger Erfahrung im Nahkampf hätten als Männer oder sich im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung nicht wehren würden. Aber auch da würde ich persönlich dem Durchschnittsmann einfach bessere Chancen einräumen.

    • @curiouscat:

      Schaust halt mal, wieviele Männer du am Freitag Nachmittag in einer Haushaltswarenabteilung eines Woolworth in Bayern findest.

    • @curiouscat:

      Das erinnert an die tödliche Attacke auf ein schwules Paar in Dresden, bei dem lange nicht thematisiert wurde, warum es gerade dieses Paar getroffen hat. Ich finde, da lassen Medien Frauen und Schwule im Stich.

    • @curiouscat:

      Was bringt Sie den auf die Idee, die Polizei würde Frauenhass nicht im Blick haben?

      Im Artikel steht es anders.

      Statt ins Blaue hinein zu spekulieren, warten sei das Ergebnis des Gutachtens ab.

      Das nennt man Professionalität.

      • @rero:

        Da haben Sie recht, man muss abwarten. Aber leider ist es bei den meisten Taten mit Frauen als Opfern, dass die Ermittelnden Frauenhass nicht auf dem Radar haben. Zudem, schaut man sich die Rechtssprechung und Geschichte an, scheint es als würden Taten gegen Frauen nicht als Frauenhass gewertet werden.



        Lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

    • @curiouscat:

      "Ist Frauenhass so eine natürliche und verständliche Sache...?" (Curiouscat)



      Nein ist er nicht!



      Ja, auch mir drängte sich der Verdacht auf so eine Motivlage erstmal scheinbar zwingend auf. Allerdings machte mich dann ein weiterer Gedanke stutzig:



      Der Täter ging also in die Haushaltswarenabteilung eines Kaufhauses um dort ein Messer zu kaufen. Machen wir also die Probe aufs Exempel und gehen wir in die Haushaltswarenabteilung eines x-beliebigen Kaufhauses. Sehen wir uns dort mal um: Wieviele Männer werden wir hier wohl finden die uns "zum Opfer fallen" könnten...? Probieren Sie es aus!



      Wir ringen aus verständlichen Gründen alle nach Erklärungen, sind fassungslos. Aber gerade weil wir emotional so sehr betroffen sind laufen wir auch Gefahr dies Geschehen vorschnell in eine unserer Denkschubladen zu stecken. Am schnellsten natürlich in die jeweils ohnehin schon bevorzugten. Und schon liegen wir mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit falsch.



      Wir sollten uns selbst ein wenig mehr Zeit lassen - sollten auch der polizeilichen Ermittlungsarbeit und den nun wohl auch beteiligten Psychiatern mehr Zeit geben.

    • @curiouscat:

      Ist doch das gleiche wie nach dem Mord in Dresden wo die Behörden auch erstmal darauf hingewiesen werden mussten dass die beiden Opfer ausgesucht wurden weil sie als homosexuelles Paar erkannt worden sind.

  • Egal wie es auch sei, am Ende bleibt es ein Risiko, psychisch kranke Migranten so insuffizient behandeln zu können und gleichzeitig frei rumlaufen lassen zu müssen.

    Im Grunde sollte die Leute von Seebrücke genau diesen Menschen eine Unterstützung anbieten. Es ist nämlich eine Flöhe hüten.

  • Endlich Einsicht, Zweifel, Nachfragen..... hoffentlich ist jetzt endlich Schluss mit dieser Pauschalenteilung.... Rechtsterror, Islamterror, Linksterror etc.

    Bei Einzeltäter ohne Einbindung in gewaltbereite Strukturen/Strömungen jedwediger Richtung ist Vorsicht geboten.

    Endlich geht die taz voran und stellt das beliebte Schema... die leichteste Lösung....



    in Frage....

    Natürlich haben auch Amokläufer/Einzeltäter, eine politische Einstellung, ein Menschenbild

    Taten/Täter wie Würzburg u. Hanau sind jedoch nicht mit Anschlägen in Christchurch, Nizza, Berlin, Tunesien, London etc. zu vergleichen

    Wie gesagt... die taz unternimmt jetzt erste Schritte um endlich zu differenzieren.

    Terrorgruppen sind ein riesiges Gefahrenpotential und stellen Sicherheitsorgane vor riesige Probleme...

    Der geisteskranke ( eine andere Erklärung gibt es nicht) Einzeltäter/Amokläufer ist ein sicherheitstechnisch unlösbares Problem.

    Wo Halle einzuordnen ist ?.... nach meiner Meinung ein Psychopath .... wie gesagt auch Psychopathen haben eine politische Präferenz und ein ( häufig krankes) Menschenbild.

  • Das ist kein neuer Tätertyp - siehe Hanau.

    Ein seit vielen Jahren psychisch auffälliger begeht im



    Verfolgungswahn eine rechten Anschlag.



    Wie auch in diesem Fall ist der politische/religiöse Hintergrund wohl eher eine Willkommens Motiv als der Anlass.

  • Das Islamismus-Argument wird oft von Tätern verwendet, um die eigene Ehre und die der Familie nicht mit den eigenen Unzulänglichkeiten, dem eigenen Versagen und eigenen persönlichen Schwächen wie Geisteskrankheiten zu beschmutzen.

    Der Mann hätte dauerhaft ins Krankenhaus, in die Psychatrie gehört, bis zur endgültigen Heilung ohne jegliche Aussicht auf Entlassung. Gefährder dürfen in Zukunft niemals mehr frei herumlaufen, bis sie nachprüfbar geheilt sind. Ärzte müssen dafür haftbar gemacht werden!

    Nur so hätte man den Vorfall verhindern können. Die Tat hatte mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nichts mit dem Islam zu tun.

    • @VanessaH:

      Hmm, auch jetzt herrscht schon Ärzte und Psychotherapeutenmangel ambulant und stationär. Eine Forderung nach mehr Haftung würde die Versorgung weiter verschlechtern und somit die Gefahr erhöhen.



      Eine Gefahr zu prognostiziere ist sehr schwierig, es gibt ja keine Röntgenaufnahme o.ä dafür! Ich finde, Sie machen es sich sehr leicht mit der Vorstellung, dass Ärzte schludrig sind, mit mehr Druck besser arbeiten würden und die Gefahr gebannt wäre. Im Wunsch nach Kontrollierbarkeit wird schnell der Finger auf irgendwen gezeigt.



      Gegen den Willen behandelt werden dürfen nur Menschen mit eindeutiger und akuter (d.h. in den nächsten Stunden/Tagen) Fremd- oder Eigengefärdung, was innerhalb von 3 Tagen richterlich überprüft werden muss (Regeln je Bundesland verschieden). Die Hürden für eine Zwangsmedikation, welche bei Psychose notwendig wäre, sind noch höher. Der Abwägungsprozess, wer aus Schutz gegen den Willen zurückgehalten bzw. untergebracht wird und wer nicht (da dies Freiheitsentzug wäre und die persönliche Freiheit und eigene Willensentscheidung ein hohes Gut sind) kann nie zu 100% perfekt ausgehen. Damit müssen wir leben, auch wenn Ärzte, Polizei, Personal in der Obdachlosenunterkunft etc. ihr Bestes tun, um die Gefahr zu minimieren.

    • @VanessaH:

      Dann wird jeder Arzt stets "Ich kann für nichts garantieren" diagnostizieren, egal wie gut der Patient sich macht. Weil er genau das nicht kann und den Teufel tun wird und jetzt die Verantwortung für den Patienten zu übernehmen.

      Da wird dann keiner mehr raus kommen

    • @VanessaH:

      Ja klar, jede/r, der/die an Depressionen oder einer Psychose leidet, wird unter polizeiliche Überwachung gestellt. Sind nur ein paar Millionen Leute. Ärzte, die solche Patienten nicht der Obrigkeit melden, werden angeklagt. Man man man....