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Klage gegen BayerWie gefährlich ist die Pille?

Seit zehn Jahren liegt Felicitas Rohrer mit dem Pharmakonzern wegen dessen Verhütungspille im Rechtsstreit. Bisher erfolglos. Nun geht sie in Berufung.

Macht die Antibabypille „Yasminelle“ für schwere Schäden verantwortlich: Felicitas Rohrer Foto: Christoph Breithaupt

Berlin taz | Felicitas Rohrer war 25 Jahre alt, sportlich und gesund und hatte gerade ihre Ausbildung als Tierärztin beendet, als sie mit einer beidseitigen Lungenembolie und einem Herzstillstand in die Uniklinik Freiburg eingeliefert wurde. 2009 war das, Rohrer wäre fast gestorben.

Sie führt das auf Nebenwirkungen der Verhütungspille „Yasminelle“ mit dem Wirkstoff Drospirenon zurück, die von dem Chemie- und Arzneimittelriesen Bayer AG vertrieben wird. Im Jahr 2011 verklagte Rohrer den Konzern, der bestreitet die Vorwürfe. Am Dienstag geht der Rechtsstreit weiter.

Rohrers Fall ist ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde in Deutschland eine Klage gegen Bayer zugelassen, bei der es um die Nebenwirkungen eines Medikaments geht. Ende 2018 hatte das Landgericht Waldshut-Tiengen Rohrers Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld von mindestens 200.000 Euro abgewiesen.

Ihre gesundheitlichen Probleme seien nicht zweifelsfrei auf die Einnahme der Pille zurückzuführen, so das Gericht damals. Am 4. Mai steht die Berufung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe an. Wegen der Pandemie findet die mündliche Verhandlung im Landgericht Freiburg statt.

„Irreparable Schäden“

„Das wird ein verdammt wichtiger Tag für mich“, sagte die heute 36-Jährige der taz, die gesundheitlich für immer beeinträchtigt sein wird. Medikamente und Kompressionsstrümpfe sind Teil ihres Lebens, sie kann weder lange stehen noch lange sitzen. Da sie nicht mehr schwer heben darf, kommt eine Arbeit als Tierärztin nicht in Frage, Rohrer arbeitet heute als freiberufliche Journalistin. „Ich habe irreparable Schäden und muss mein Leben meinem Körper anpassen“, sagt sie.

Angehört werden soll bei der Berufungsverhandlung zunächst ein Gefäßmediziner. Derselbe hat bereits vor dem Landgericht ausgesagt, dass die Pille mindestens mitursächlich für Rohrers schwere Erkrankung war. Bayer hingegen argumentiert, dass auch ein bereits Monate zuvor unternommener Flug Rohrers nach Thailand ursächlich gewesen sein könnte.

Die Pille ist das am weitesten verbreitete Verhütungsmittel in Deutschland und Europa. Gerade an Pillen der sogenannten dritten und vierten Generation allerdings, die seit den 1990er Jahren auf den Markt kamen und zu denen Yasminelle gehört, gibt es seit Langem Kritik. Bekannt ist, dass speziell diese ein höheres Thromboserisiko haben als die der vorherigen zweiten Generation, was Bayer mittlerweile auch auf dem Beipackzettel erwähnen muss.

Der „Pillenreport“ der Techniker Krankenkasse (TK) und der Uni Bremen problematisiert allerdings die Strategien der Pharmaindustrie, „diese Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“: Gerade für junge Mädchen werden die häufig verordneten Pillen dieser Generation über Beautytipps für schöne Haut oder Haare wie ein Lifestyleprodukt vermarktet.

Frankreich weiter

Offizielle Zahlen zu Thrombosen und Lungenembolien im Zusammenhang mit der Pille gibt es in Deutschland nicht. In Frankreich allerdings wurde den Pillen der dritten und vierten Generation schon 2013 die Erstattungsfähigkeit durch das öffentliche Gesundheitswesen entzogen, was zu einem Verordnungsrückgang um 45 Prozent führte. „Parallel dazu“, heißt es im Bericht der TK, sanken die Klinikaufnahmen aufgrund von Lungenembolien bei 15- bis 19-jährigen Frauen um fast 30 Prozent.

In den USA wiederum zahlte die Bayer AG bereits mehr als 2 Milliarden Dollar Entschädigung an rund 10.000 Klägerinnen, die durch Thrombosen und Lungenembolien zum Teil schwer geschädigt worden waren. Die dortigen Sammelverfahren spielen für deutsche Gerichte keine Rolle. Rohrers Anwalt allerdings vertritt weitere Frauen in Deutschland, die wegen der Pille gegen Bayer klagen. Deren Verfahren befinden sich noch in Vorstufen.

Zusammen mit einer weiteren Geschädigten hat Rohrer die Initiative „Risiko Pille“ gegründet. Auf deren Website veröffentlicht sie Hunderte Erfahrungsberichte von Frauen, die erlittene Thrombosen und Embolien mit den risikoreicheren Pillen in Verbindung bringen. „Wir sind Ansprechpartnerinnen für die Frauen, wollen aufklären und politisch Druck machen“, sagt sie. Es sei ein Mythos, dass es nur Einzelfälle seien, in denen Frauen von der Pille geschädigt wurden.

„Ich will, dass ein derart großer Konzern wie Bayer Verantwortung für die Medikamente übernehmen muss, die er auf den Markt bringt“, sagt Rohrer. Was ihre Erwartung an die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht angehe, sei sie dennoch zurückhaltend. Immerhin sei sie schon vor dem Landgericht der Überzeugung gewesen, dass die Faktenlage „erdrückend“ gewesen sein müsse.

Bayer: Mitgefühl ja, Schadensersatz nein

Eine Sprecherin des Konzerns Bayer, der 2020 einen weltweiten Jahresumsatz von rund 41,4 Milliarden Euro erzielte, antwortet auf Anfrage, man habe „großes Mitgefühl mit dem Schicksal von Frau Rohrer“. Die geltend gemachten Ansprüche halte das Unternehmen gleichwohl für unbegründet.

Ein Urteil wird am Dienstag nicht erwartet.

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20 Kommentare

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  • Sind Pillen nicht verschreibungspflichtig? Müssen nicht die Ärzte die Frauen über die Risiken der Pille entsprechend aufklären. Meine Frau wurde aufgeklärt, bereits vor Jahrzehnten!

    • @Rudolf Fissner:

      Wird aber nicht gemacht. Zumindest nicht in Bezug auf das deutlich höhere Risiko 4.Generation ggü. 2.Generation

    • @Rudolf Fissner:

      Gut, Aufklärung ist das eine. Die meisten Frauen nehmen das abstrakte Risiko einer Thrombose in Kauf ("wird mich schon nicht treffen, ich bin gesund"), denn das Risiko ungewollt schwanger zu werden ist konkreter (jeden Monat aufs Neue).

      Für welche Verhütungsmethode hatte sich Ihre Frau bzw. hatten Sie beide sich denn damals entschieden? Alles was Hormone (für die Frau) beinhaltet, birgt das Thromboserisiko in sich. Und das Paradox an sich: die Libido wird damit gesenkt. Verhütungsmittel wie Kupferspirale oder -kette verstärken die Regelblutung, was unangenehm ist, vor allem wenn frau eh schon starke Perioden hat. Die mechanischen Methoden wie Kondome, Pessare, Femidome sind mit ziemlich Rumgefummel verbunden. Die Pille für den Mann ist ein Hirngespenst - welche Frau würde sich darauf auch verlassen wollen. Von Onigo-Knauss-Temperaturmessen und Coitus interruptus brauchen wir hier gar nicht sprechen, viel zu unzuverlässig. Sterilisation ist endgültig, und Frauen werden dadurch verfrüht in die Wechseljahre katapultiert. Nichts ist irgendwie ideal. Mein persönlicher "Gewinner" ist das Kondom, da keine Hormone und weil es zusätzlich vor Infektionen schützt.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Tja, in den USA kriegt mensch ja vielleicht auch Geld, wer den Hund in der Mikrowelle trocknet (hoffentlich - für den Hund - nur eine urban legend) ...

    Aber das tägliche Hormongaben keine Nebenwirkungen haben sollten ...

    15jährige kriegen kein verschreibungspflichtiges Medikament ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten!

    Zuletzt: Mein G'tt, gebt Ratschläge, wie mensch Spass haben kann, ohne schwanger zu werden und da gibt es eben mehr als Kondome!

    • @91655 (Profil gelöscht):

      15-jährige, also Minderjährige können auch ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten ein verschreibungspflichtiges Medikament erhalten.



      Es ist nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern vielmehr die Einwilligungsfähigkeit erforderlich und entscheidend.



      Unter dieser versteht man normalerweise eine geistige Fähigkeit, die Tragweite und Auswirkungen eines medizinischen Eingriffs zu erkennen und verstehen.

  • Hallo, zumindest meiner tut es seit Jahren. Deswegen, auch als überzeugte Feministin, die grundsätzlich zustimmt das zu 99% die Frauen die doofen sind, die verhüten und damit ggf. ihrer Gesundheit schaden dürfen - es gibt die wenigen Männer, die anders handeln.

  • Ich drücke Frau Rohrer die Daumen!!



    Eine Scheiße, dass wir Frauen soviel Risiko auf uns nehmen müssen, um zuverlässig nicht ungewollt schwanger zu werden. Zeig mir einen Mann, der (in Langzeitbeziehungen) gerne Kondome benutzt...

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Katrina:

      Wir sollten aber auch nicht so tun, als gäbe es keine (mechanischen) Alternativen zu Pille und Kondom. Eine Kombination aus Temperaturtagebuch der Frau und Kondom ist z.B. möglich. Außerdem gibt es das Frauenkondom Femidom, das Diaphragma und das FemCap. Warum wird darüber so wenig diskutiert?



      Es ist auch durchaus möglich, die Verantwortung zu teilen, anstatt sie zwischen den Geschlechtern hin- und herzuschieben.

    • @Katrina:

      "Zeig mir einen Mann, der (in Langzeitbeziehungen) gerne Kondome benutzt..."

      Mir wäre neu, dass Frauen das gerne tun (lassen). Aber ich lasse mich gerne belehren.

      • @Encantado:

        Ganz ehrlich: frau spürt keinen Unterschied ob da ein Gummi dazwischen ist oder nicht. Männer angeblich schon. Aber ich lasse mich da auch gerne belehren.

      • @Encantado:

        Mir wäre auch neu, wenn Männer nicht den Frauen die Verantwortung dafür zuschieben würden, dass sie keine Kondome tragen wollen.

  • Das Problem, nein der Skandal eigentlich, ist das die Pillen der "4.Generation" überhaupt zugelassen wurden bzw. diese noch nicht zurückgezogen wurde:

    Der einzige Grund warum diese überhaupt entwickelt wurden - nachdem schon die 2.Generation die zum Teil starken Nebenwirkungen der ersten nicht mehr hatte - ist, das die Patente abliefen und man ein neues Verkaufsargument für die teureren Originalpräparate suchte.



    Das fand man dann darin, dass man so stark in den Hormonhaushalt eingreift, dass man "schönere Haut", "volleres Haar" etc. bekommt.

    Im Grunde sind das also Kosmetik-Produkte, zufällig auch noch verhüten. Aber dafür sind die Nebeneffekte doch ein klein bisschen zu viel, oder nicht??...

  • Ich hoffe, meine Töchter entscheiden sich nicht für die Pille - zumindest nicht so früh. Das hormonsystem schon mit 16 oder so mit zusätzlichen Hormonen zu füttern scheint mir keine gute Idee zu sein.



    Eine ehemalige Freundin (ca.30 Jahre her) hatte mit der Pille nicht nur extreme Stimmungsschwankungen, sondern nach nur 3 Monaten starke Wesensveränderung - sie war ein völlig anderer Mensch geworden! Natürlich nur anekdotisch, aber zum Glück gab es immer andere Methoden...

  • Dass die Pille Das Thromboserisiko erhöht ist bekannt, steht auch im Beipackzettel. Sofern das auch schon drinnenstand, als die Lungenembolie auftrat, ist eine Klage hier nicht gerechtfertigt. Falls nicht schon.

    • @Vincent Braun:

      Nennen sie mir ein Medikament bei dem keine üblen Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel stehen. Verzichten sie deshalb darauf?

    • @Vincent Braun:

      Zudem ist es ein individueller Streit um die Höhe des Schadens bzw. wie hoch die Rente denn sein soll. Da allein die Klägerin zu fragen, ist wenig erhellend.

      Dass die Pille Thrombosen fördert und ein Langstreckenflug zusätzlich riskant ist, sollte eine angehende Medizinerin eigentlich wissen. Seien wir mal froh, dass sie es überlebt hat, denn selbstverständlich ist das nicht.

      • @TazTiz:

        Die stärkeren Nebenwirkungen wurden aber lange selbst vor Gynäkologen vertuscht. - Stattdessen wurde so getan als wären neuen Präparate ein Fortschritt.

        Zudem wird teilweise das Werbeverbot (als verschreibungspflichtiges Medikament) dadurch, umgangen, dass gezielt Beiträge in Lifestylemagazinen lanciert werden, indenen dann davon berichtet wie schön glatt doch die Haut davon geworden sei...

        Es nehmen teilweise 15-jährige diese Pillen nur um ihre, Akne zu bekämpfen...

        • @Ruhrpott-ler:

          "Es nehmen teilweise 15-jährige diese Pillen nur um ihre, Akne zu bekämpfen..."



          Bevor man hier Schuld zuweist, sollte man wohl nach den Erziehungsberechtigten fragen.

          • @Encantado:

            Im Übrigen: Wenn Pharmakonzerne unter Umgehung des Werbeverbotes ungeeignete Präparate gezielt bei einem jungen Publikum zu platzieren suchen, dann ist das völlig in Ordnung, weil ,, ...ja die Eltern...!" ...!?

          • @Encantado:

            Die verlassen sich aber auf die Versicherungen, die Präparate seien ,,sicher" ; und wissen meistens auch nicht das die 4.Generation sehr viel gefährlicher ist als die alten.