Klage gegen Bayer: Wie gefährlich ist die Pille?
Seit zehn Jahren liegt Felicitas Rohrer mit dem Pharmakonzern wegen dessen Verhütungspille im Rechtsstreit. Bisher erfolglos. Nun geht sie in Berufung.
Sie führt das auf Nebenwirkungen der Verhütungspille „Yasminelle“ mit dem Wirkstoff Drospirenon zurück, die von dem Chemie- und Arzneimittelriesen Bayer AG vertrieben wird. Im Jahr 2011 verklagte Rohrer den Konzern, der bestreitet die Vorwürfe. Am Dienstag geht der Rechtsstreit weiter.
Rohrers Fall ist ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde in Deutschland eine Klage gegen Bayer zugelassen, bei der es um die Nebenwirkungen eines Medikaments geht. Ende 2018 hatte das Landgericht Waldshut-Tiengen Rohrers Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld von mindestens 200.000 Euro abgewiesen.
Ihre gesundheitlichen Probleme seien nicht zweifelsfrei auf die Einnahme der Pille zurückzuführen, so das Gericht damals. Am 4. Mai steht die Berufung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe an. Wegen der Pandemie findet die mündliche Verhandlung im Landgericht Freiburg statt.
„Irreparable Schäden“
„Das wird ein verdammt wichtiger Tag für mich“, sagte die heute 36-Jährige der taz, die gesundheitlich für immer beeinträchtigt sein wird. Medikamente und Kompressionsstrümpfe sind Teil ihres Lebens, sie kann weder lange stehen noch lange sitzen. Da sie nicht mehr schwer heben darf, kommt eine Arbeit als Tierärztin nicht in Frage, Rohrer arbeitet heute als freiberufliche Journalistin. „Ich habe irreparable Schäden und muss mein Leben meinem Körper anpassen“, sagt sie.
Angehört werden soll bei der Berufungsverhandlung zunächst ein Gefäßmediziner. Derselbe hat bereits vor dem Landgericht ausgesagt, dass die Pille mindestens mitursächlich für Rohrers schwere Erkrankung war. Bayer hingegen argumentiert, dass auch ein bereits Monate zuvor unternommener Flug Rohrers nach Thailand ursächlich gewesen sein könnte.
Die Pille ist das am weitesten verbreitete Verhütungsmittel in Deutschland und Europa. Gerade an Pillen der sogenannten dritten und vierten Generation allerdings, die seit den 1990er Jahren auf den Markt kamen und zu denen Yasminelle gehört, gibt es seit Langem Kritik. Bekannt ist, dass speziell diese ein höheres Thromboserisiko haben als die der vorherigen zweiten Generation, was Bayer mittlerweile auch auf dem Beipackzettel erwähnen muss.
Der „Pillenreport“ der Techniker Krankenkasse (TK) und der Uni Bremen problematisiert allerdings die Strategien der Pharmaindustrie, „diese Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“: Gerade für junge Mädchen werden die häufig verordneten Pillen dieser Generation über Beautytipps für schöne Haut oder Haare wie ein Lifestyleprodukt vermarktet.
Frankreich weiter
Offizielle Zahlen zu Thrombosen und Lungenembolien im Zusammenhang mit der Pille gibt es in Deutschland nicht. In Frankreich allerdings wurde den Pillen der dritten und vierten Generation schon 2013 die Erstattungsfähigkeit durch das öffentliche Gesundheitswesen entzogen, was zu einem Verordnungsrückgang um 45 Prozent führte. „Parallel dazu“, heißt es im Bericht der TK, sanken die Klinikaufnahmen aufgrund von Lungenembolien bei 15- bis 19-jährigen Frauen um fast 30 Prozent.
In den USA wiederum zahlte die Bayer AG bereits mehr als 2 Milliarden Dollar Entschädigung an rund 10.000 Klägerinnen, die durch Thrombosen und Lungenembolien zum Teil schwer geschädigt worden waren. Die dortigen Sammelverfahren spielen für deutsche Gerichte keine Rolle. Rohrers Anwalt allerdings vertritt weitere Frauen in Deutschland, die wegen der Pille gegen Bayer klagen. Deren Verfahren befinden sich noch in Vorstufen.
Zusammen mit einer weiteren Geschädigten hat Rohrer die Initiative „Risiko Pille“ gegründet. Auf deren Website veröffentlicht sie Hunderte Erfahrungsberichte von Frauen, die erlittene Thrombosen und Embolien mit den risikoreicheren Pillen in Verbindung bringen. „Wir sind Ansprechpartnerinnen für die Frauen, wollen aufklären und politisch Druck machen“, sagt sie. Es sei ein Mythos, dass es nur Einzelfälle seien, in denen Frauen von der Pille geschädigt wurden.
„Ich will, dass ein derart großer Konzern wie Bayer Verantwortung für die Medikamente übernehmen muss, die er auf den Markt bringt“, sagt Rohrer. Was ihre Erwartung an die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht angehe, sei sie dennoch zurückhaltend. Immerhin sei sie schon vor dem Landgericht der Überzeugung gewesen, dass die Faktenlage „erdrückend“ gewesen sein müsse.
Bayer: Mitgefühl ja, Schadensersatz nein
Eine Sprecherin des Konzerns Bayer, der 2020 einen weltweiten Jahresumsatz von rund 41,4 Milliarden Euro erzielte, antwortet auf Anfrage, man habe „großes Mitgefühl mit dem Schicksal von Frau Rohrer“. Die geltend gemachten Ansprüche halte das Unternehmen gleichwohl für unbegründet.
Ein Urteil wird am Dienstag nicht erwartet.
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