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Pro und Contra zum Recht auf HomeofficeRevolution oder Isolation?

René Hamann
Kommentar von René Hamann und Ariane Lemme

Am Plan des Bundesarbeitsministers, ein Recht auf 24 Tage Heimarbeit im Jahr einzuführen, scheiden sich die Geister. Liegt alles Heil im Homeoffce?

Vor- oder Nachteile? Homeoffice ist in Deutschland umstritten Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

A rbeitsminister Hubertus Heil plant ein Recht auf mindestens 24 Tage Heimarbeit im Jahr. Liegt also alles Heil im Homeoffice?

Ja,

das Heil liegt unbedingt im Homeoffice. Besser gesagt, im Recht auf Homeoffice. Eine Pflicht, quasi ein vom Arbeitgeber verordneter Hausarrest, steht ohnehin nicht zur Debatte. Das Recht, wenigstens ein paar Tage im Monat von zu Hause, unterwegs oder sonst wo zu arbeiten, ist vor allem ein Meilenstein in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie – oder Privatleben.

Klar, unter Corona, bei geschlossenen Kitas und Homeschooling, war das Arbeiten von zu Hause – vor allem für Frauen – nur eine Doppelbelastung. Unter Normalbedingungen, wenn die Kinder tagsüber betreut werden, verschafft es den Eltern enorm Luft: Statt zwei Wegen, den zur Kita und den zum eigenen Arbeitsplatz, legt man nur noch einen zurück, in der eigenen Mittagspause lassen sich lässig das Abendessen vorbereiten und nebenbei mindestens zwei Maschinen Wäsche waschen – alles Dinge, die sonst von der kostbaren Zeit mit den Kindern abgehen, wenn alle erst abgehetzt und erschöpft abends nach Hause kommen. Das mit der kostbaren Zeit gilt natürlich auch für Kinderlose, auch die haben ja abends ein Privatleben.

Gerade in den Ballungsräumen, den Großstädten, sind die Wege lang und nervenaufreibend – und die Mieten steigen überall seit Jahren. Wer nicht noch längere Wege in die Peripherie auf sich nehmen will, zahlt die halt zähneknirschend. Mit einer Normalisierung des mobilen Arbeitens könnten mehr Menschen – so sie es wollen – in günstigere Wohnungen am Stadtrand oder gar ganz aufs Land ziehen.

Für wichtige Meetings, kreative Prozesse oder was sonst noch Anwesenheit erfordert, kann man dann ja immer noch ins Büro. Fairer- oder unfairerweise muss man sagen, dass ohnehin höchstens die Hälfte aller Jobs homeofficetauglich sind. Pfleger, Friseure, Bäcker und alle, die sonst noch vor Ort sein müssen, würden aber immerhin von weniger Berufsverkehr, möglicherweise einem entspannteren Mietmarkt und im Zweifel von einem weniger erschöpften Partner profitieren.

Ariane Lemme

Nein,

im Homeoffice liegen zu viele Nachteile. Es gibt ein deutsches Wort für „Homeoffice“. Es heißt „Telearbeit“. Homeoffice klingt zeitgemäß, nach der Möglichkeit, auf Mallorca oder auf den Kanaren am Strand zu joggen, bevor man ein paar Daten aus dem Airbnb-Apartement mit Meerblick schickt – also nach dem neoliberalen Traum der digitalen Mittelschicht. „Telearbeit“ ist dagegen technischer, bürokratischer, mit leichtem Siebziger-Touch. Noch deutscher klingt „Fernarbeit“. Dabei ist die Arbeit gar nicht fern, sondern so nahe, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatem, zwischen Arbeit und Nichtarbeit noch weiter verschwimmt.

Die Fernarbeit ist gleichzeitig ein Privileg. Höchstens 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung könnte auf Fernarbeit umstellen, denn der Müll kann nicht digital abgeholt und alte Menschen können nicht digital gepflegt werden. Sie werden sich weiterhin dem Sozialen aussetzen müssen. Erinnern wir uns: Den Schub ins Digitale, den Verweis ins Homeoffice haben wir der Pandemie zu verdanken. In der Pandemie ist das Soziale eine Gefahr. Angedacht ist das neue „Mobile-Arbeit-Gesetz“ jedoch auch für die Zeit nach Corona, so sie jemals kommen sollte. Eine gute Idee ist die Manifestierung der Fernarbeit indes nicht. Denn sie ist eben das nicht: sozial.

Homeoffice kann Eltern, besonders alleinerziehende, entlasten, kann Büromieten senken, und als Kollateralnutzen der Umwelt dienen, wird aber auch zu einer weiteren Kontrolle des Privaten führen, zu einer weiteren Ausdehnung von Arbeit (wer zu Hause arbeitet, meldet sich beispielsweise auch weniger krank), zur weiteren Privatisierung der Unkosten, zu einer verstärkten Isolierung, zu noch mehr Vereinzelung. Ausschluss von innerbetrieblichen Prozessen und Entscheidungen wäre ebenfalls zu nennen. Nicht alles lässt sich digital via Zoom lösen.

Und ja, noch ist Corona, und Corona verstärkt die Prozesse, die eh schon laufen. Nach #staythefuckathome sollte gerade deswegen dereinst #returntooffice stehen.

René Hamann

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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18 Kommentare

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  • "Eine Pflicht, quasi ein vom Arbeitgeber verordneter Hausarrest, steht ohnehin nicht zur Debatte"

    Damit ist eigentlich alles gesagt. Zumindest gehen all die Kontra Argumente völlig an diesem Fakt vorbei. Niemand muss, aber wer darin einen Nutzen erkennt, kann das wahrnehmen.

    Und bei 2 Tagen pro Monat wird auch niemand isoliert oder von "betrieblichen Prozessen ausgeschlossen".

    Das Recht auf Homeoffice ist ein Element um Arbeit flexibler zu machen, das mal nicht nur der Arbeitgeberseite zu Gute kommt.



    Schon deshalb ist es sozial.

  • Bei der Befürwortung gibt es inherente Unlogik:

    "nebenbei mindestens zwei Maschinen Wäsche waschen – alles Dinge, die sonst von der kostbaren Zeit mit den Kindern abgehen"

    Dh nichts anders, als das es eben auch bei der homearbeitszeit nicht nebenher geht, sondern von der Arbeitszeit abgeht. Homeoffice ist kein Zuckerschlecken.

    Bei der Ablehnung wird das Wichtigste nicht weiter ausgeführt:

    "Höchstens 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung"







    Dieser Punkt muss unbedingt stark beachtet werden. Denn klar, alle Kommentarinnen hier haben offensichtlich Bildschirmzeit, aber 50% eben auch nicht. Um diese Ungleichheit nicht zu vergrößern und damit den Anreiz ins Handwerk zu gehen oder in die Pflege noch weiter zu verringern, sollte das Recht auf homeoffice unbedingt vermieden werden.

    Lieber eine generelle Arbeitzeitreduktion. Davon haben alle was. Inkl. der Kinder.

    • @fly:

      Umgekehrt wird ein Schuh draus: im Homeoffice schafft man Hausarbeit in den Zeiträumen, die man im Büro mit Nichtstun verbrächte. Man weiß aus Studien sehr gut, dass von acht Stunden im Büro selbstverständlich nicht volle 8 Stunden minus Mittagspause gearbeitet wird. Ich sehe es an mir selbst: in der Zeit, in der ich im Büro zB Kaffee mache und darauf warte, dass er fertig ist, stehe ich eben in der Kaffeeküche rum. Im Homeoffice stopfe ich in diesen 5 Minzuten eben schnell die Wäsche in die Maschine und stelle sie an. Wenn ich drei Stunden später die nächste Kanne Kaffee koche, hole ich die fertige Wäsche raus. Warte ich eine halbe Stunde, bis meine Chefin mir Rückmeldung zu einem Papier gebe, dann staubsauge ich rasch. Wäre ich im Büro, müsste ich die Wäsche und die Fußbodenreinigung am Abend oder am Wochenende machen. Also: Homeoffice bedeutet, dass ich meine Arbeit erledige UND die Hausarbeit schaffe. Büro bedeutet, dass ich nur die Arbeit mache. Alles andere muss später erledigt werden. Was erzeugt wohl mehr Gesamtwohlfahrt für die Wirtschaft und ist effizienter?

  • Liebe Autoren,

    die Frage war, ob es eines gesetzlichen ANSPRUCHS auf eine bestimmte Zeit Homeoffice (mit allem drum und dran einschließlich Versicherungs- und Arbeitsschutz etc.) bedarf. Die generelle Gut- bzw. Schlechtfinderei von Homeoffice, die Ihr in Euren Meinungsstücken betreibt, mag zwar unheimlich nach guten Argumenten aussehen, aber sie geht überwiegend am Thema vorbei.

    Denn mit der Frage, ob "man" Homeoffice für nützlich oder nachteilig zu halten hat, haben die von Heil vorgesehenen Rechtsansprüche nur partiell etwas zu tun. Da geht es vor allem darum, ob und wie weit der Arbeitnehmer unabdingbar allein entscheiden darf, wo er die vom Arbeitgeber bezahlte Leistung erbringt und wie weit beide(!) verpflichtet sind, daraufhin die Privatwohnung des Arbeitnehmers in einen regelkonformen Arbeitsplatz umzuwandeln.

    Worüber ihr redet, ist weitgehend subjektiv und kann insofern auch am bequemsten im Dialog zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgewogen werden.

  • "Die Fernarbeit ist gleichzeitig ein Privileg."

    Klar zwei Stunden mit dem Autopendeln für jeden und Fußgänger bekommen eine Kugel ans Bein gebunden!

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Heimarbeit ist Klasse für das Unternehmen. All die Vorschriften für einen sicheren Bildschirmarbeitsplatz, Ausstattung usw. fallen weg. Kantine, Garderobenständer, Toiletten,Waschbecken, Aufenthaltsraum, Teeküche. Betriebsversammlungen , Mitarbeitervertretung ist nicht mehr notwendig, die Kündigung kommt per E-Mail. Am Ende ist es natürlich wirtschaftlicher die Angestellten als freie Mitarbeiter zu beschäftigen, wie es z.B bei Zeitungen ( auch Taz ) schon lange der Fall ist. Es lebe die Heimarbeit.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      So ist es. Weiterer nützlicher Nebeneffekt für die Arbeitgeber: Beschäftigte, die ganz überwiegend im Home-Office tätig sind, können auch schwieriger gewerkschaftlich organisiert werden. Und wie ein Streik aussehen soll, wenn die Leute überwiegend zu Hause sind, ist auch schwer vorstellbar.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      "All die Vorschriften für einen sicheren Bildschirmarbeitsplatz, Ausstattung usw. fallen weg."

      Das stimmt so nicht.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Hanne:

        Aber klar, es ist Heimarbeit und es gibt bis jetzt keine Gesetzliche Regelung zur Arbeitsplatzsicherung im häuslichen Bereich. Wie hoch soll der Küchentisch sein, Lichteinfall auf den Pc, , Raumtemperatur, Hitzefrei, Arbeitspausen und noch viele andere Dinge die der Arbeitgeber vorhalten muss. Wer kontrolliert, wann und wie oft. All diese kleinen Dinge die mühsam in den letzten 100 Jahren erstreckt wurden. Auf einmal spielen diese Kinkerlitzchen keine Rolle mehr, da Heimarbeit- Verzeihung- Homeoffice - so hipp ist. Kleines Beispiel: Wer haftet, wenn ich , zu Hause, zum Weg auf das Klo , über den Teppich stolpere und einen komplizierten Knöchelbruch erleide weil mein Mann oder Kind den Teppich umgeschlagen hat?

  • Ich bin Corona bedingt seit ca. einem halben Jahr im Homeoffice und denke es gibt Vor- und Nachteile, wie auch im Artikel beschrieben. Bzgl. der Ablenkungen im Büro oder zu Hause denke ich, dass das sehr unterschiedlich sein kann. Es gibt viele Ablenkungen und Unterbrechungen im Büroalltag, die ich zu Hause nicht habe und umgekehrt. Ich konnte (trotz zwei kleiner Kinder) in vielen Momenten konzentrierter arbeiten, als im Büro. Daher gibt es einige Arbeiten, die sich im Homeoffice besser und effektiver machen lassen, vor allem wenn länger konzentriertes und ruhiges Arbeiten gefragt ist. Bei anderen Arbeiten, bei denen es vor allem um Abstimmung mit Kollegen ankommt, ist das zwar im Homeoffice möglich aber vor Ort deutlich einfacher und besser umzusetzen.



    Ein der größten Faktoren aus meiner Sicht ist das Soziale. Das bleibt im Homeoffice auf der Strecke. Zumindest wenn man nur im Homeoffice arbeitet. Man bekommt nur die Dinge mit, die direkt mit der eigenen Arbeit zu tun haben. Alles links und rechts davon geht unter. Und da geht es ja nicht nur um Blabla, den Flurfunk oder Privates, sondern auch um wichtige Arbeitsthemen, die einem an anderer Stelle weiter helfen können. Und der Smalltalk mit den Kollegen zwischendurch ist auch nicht unwichtig und stärkt den Zusammenhalt.



    Unterm Strich denke ich, dass eine gesunde Mischung von Büro- und Heimarbeit ideal ist. Gut organisiert und aufgeteilt, kann man die Vorteile, die beide Modelle bieten, gut nutzen. Je nach Fahrtweg zum Büro kann der ein oder andere Tag im Homeoffice und die damit gesparte Zeit auch ein richtiger Motivationsschub sein.



    Ich denke beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten offen sein und individuell das beste Modell abstimmen. Ohne gegenseitiges Vertrauen wirds allerdings schwer.

  • Wer bezahlt die Miete für das Arbeitszimmer, dass ich bereitstelle? Wahrscheinlich ich, weil ich ja mein Recht nutze und damit so wird es ja suggeriert einen Vorteil erlange? In Wirklichkeit stelle ich aber meinem Unternehmen aber Raum zur Verfügung und den soll es dann bitteschön auch bezahlen.

    • @insLot:

      Es ist ein Recht keine Pflicht. Sie müssen ja nicht von zu Hause aus arbeiten. Sie können ja noch ins Büro. Weshalb sollte also der Arbeitgeber Ihre Miete zahlen?

      • @Strolch:

        Noch ist es ein Recht und keine Pflicht. Aber in ein paar Jahren wird es Pflicht sein, wenn die Gewerkschaften und die Belegschaften nicht aufpassen.

  • Ehrlich gesagt finde ich den Gedanken aus meinem Zuhause einen Arbeitsplatz zu machen alles andere als angenehm! Mir gefällt die klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatem und mit dem Anspruch kann auch ziemlich schnell der Druck kommen!

    • @insLot:

      Hatte ich auch gedacht. Tatsächlich liebe in Home Office.

  • "höchstens 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung könnte auf Fernarbeit umstellen"

    ...weswegen es besser ist, wenn keiner es darf. Denn gut geht es allen nur, wenn es allen gleich schlecht geht im Leben, nicht wahr?

    Ansonsten bedeutet ein RECHT auf Homeoffice nicht dasselbe wie der ZWANG zum Homeoffice.

    • @Suryo:

      "...weswegen es besser ist, wenn keiner es darf. Denn gut geht es allen nur, wenn es allen gleich schlecht geht im Leben, nicht wahr?"

      Danke. Genau das hab ich auch gedacht. Bevor man den "anderen 50%" so einen Anspruch gönnt, sieht man sich erstmal selbst benachteiligt.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ich habe als Selbständiger einige Jahre zuhause am Schreibtisch verbracht. Das war totaler Mist, denn man wird stark isoliert.



    Ich hatte auch über Jahre ein eigenes Büro in einem Institut, aber da stand die Tür offen und es kamen Kollegen rein und man konnte mit denen reden. Die Wege zu einer Mitarbeiterkonferenz waren auch unter 20 m. Viel besser!

    Home-Office mag für Menschen mit Familie zunächst vorteilhaft sein, aber wenn die Kleinen alle 5 Minten ankommen und etwas wollen, ist vernünftiges Arbeiten nicht möglich.



    Auch habe ich erlebt, wie Home-Office ausgenutzt wurde - meist am Freitag oder Montag, um ein verlängertes WE zu haben.