Skandalurteil in Zypern: Erst vergewaltigt, dann verurteilt
Eine junge Britin wird in Zypern von einer Gruppe israelischer Jugendlicher vergewaltigt. Am Schluss wird sie verurteilt, die Jungs kommen frei.
Im Juli machte die damals 18-Jährige, deren Identität geheimgehalten wird, Urlaub in der Billigabsteige „Pambos Napa Rocks“ im zypriotischen Agia Napa. Sie liierte sich mit einem 17-Jährigen aus Israel. Eines Abends, als sie mit ihm im Bett war, kamen ein Dutzend betrunkene israelische Jungs dazu, zwischen 16 und 19 Jahre alt. „Mein Freund sagte, ich sollte mich hinlegen, und er kniete auf meinen Schultern“, gab sie später zu Protokoll. „Ich konnte nicht atmen. Ich versuchte, meinen Kopf zu bewegen, und seine Freunde schrien und grölten. […] Ich weiß nicht, wie viele mich vergewaltigten.“
Sie floh in eine Klinik neben dem Hotel, die Polizei wurde gerufen, der Freund wurde festgenommen und gestand, dass seine Freunde bei „einvernehmlichem Sex“ anwesend waren. Als die zwölf ebenfalls festgenommen wurden, fanden sich Videoaufnahmen von dem Überfall auf ihren Telefonen. Drei waren geständig. Klare Sache also.
Nicht in Zypern. Nach zehn Tagen wurde die Engländerin, deren Pass eingezogen worden war, sieben Stunden lang ohne Beistand befragt und unterschrieb ein in schlechtem Englisch verfasstes Geständnis, wonach sie alles erfunden habe – unter Druck, sagte sie später. Die jungen Israelis flogen heim und ließen sich noch am Flughafen feiern, während sie über die „Hure“ höhnten. Statt ihrer wurde die Engländerin in Zypern wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ angeklagt. Der Richter erklärte, die Angeklagte mache einen „schlechten Eindruck“, und sagte, „ich werde nicht die Frage behandeln, ob sie vergewaltigt wurde oder nicht“.
Die israelischen Jungs waren bestens vernetzt
Am 30. Dezember fiel das Urteil gegen die Engländerin: Schuldig. Drei Tage später unterzeichneten Zypern und Israel ein wichtiges Gaspipelineabkommen. Manche der involvierten Jungs waren bestens vernetzt, Freunde der Familien des Bürgermeisters von Jerusalem und des israelischen Ministers für regionale Zusammenarbeit.
Auch in Israel stellten die Medien kritische Fragen. Journalisten fanden die 19-Jährige in Zypern schwer traumatisiert vor. Großbritanniens Außenminister schaltete sich ein, Boykottaufrufe gegen Zypern machten die Runde.
Am Dienstag wurde das Strafmaß verkündet: Vier Monate Haft auf Bewährung. Vor dem Gerichtsgebäude in Paralimni demonstrierten Dutzende angereiste Israelinnen in Solidarität mit der Angeklagten. „Zyperns Justiz, Schande über dich“, riefen sie. Ihr Anwalt will vor das Oberste Gericht ziehen. Der Schuldspruch steht noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten