Debatte Ungleichheit in Deutschland: Es stinkt mir, wie derzeit verteilt wird
Während Reiche mit leistungslosem Einkommen protzen, strampelt sich meine Generation unermüdlich, aber erfolglos ab.
Z unächst die gute Nachricht: Die Welt ist noch nicht untergegangen. Die schlechte: Das Ende steht noch bevor. Linke Denker sind ja besonders eloquent, wenn es darum geht, den Weltuntergang zu beschwören – und zwar so, dass alle, die nicht links sind, Reißaus nehmen. Nur muss ich an dieser Stelle wirklich so etwas wie das Ende der Welt beschwören: Endlich läuft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Montagabend-Sendezeit eine Doku wie „Ungleichland – Wie aus Reichtum Macht wird“ – und am nächsten Tag wird nicht zu Massendemos in französischem Stil aufgerufen. Stattdessen mal wieder nur Hashtags auf Twitter.
Wie kann es sein, dass ein mächtiges Finanzekel wie der Immobilienentwickler Christoph Gröner den meisten in Deutschland kein Begriff ist? Endlich tun Medien, was sie tun sollten: Sie richten die Kameras nicht auf den ein oder anderen kriminellen Flüchtling, sondern auf strukturelle, strategisch gewachsene Ungerechtigkeit. Sie zeigen die Unmenschlichkeit der unsichtbaren Hand des Marktes, zeigen, wie falsch Adam Smith in der Annahme lag, man könne das Allgemeinwohl herunter brechen auf die Maxime: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“
Der Film zeigt die Hintergründe der Ungleichheit, deren tägliche Auswirkungen den Unmut auslösen, der sich derzeit auf „die Fremden“ entlädt – und am Ende noch die eigenen Eltern zu „Fremden“ machen wird, weil auch sie im Alter Kosten verursachen, die keiner mehr tragen kann. Etwas rauscht an den Menschen vorbei, und es ist nicht die Flüchtlingswelle. Das mediale Ausleuchten der Protagonisten der Ungleichheit ist eine Chance, das derzeitige Brodeln besser zu verstehen.
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Reiche. Sie können oft ganz gut Charity, solange man dafür ihre Namen unsterblich macht. Dass hier oft mit Gewinnen gefördert wird, die dem Gemeinwesen zuvor vorenthalten wurden? Geschenkt. Gefährlicher für die Galle wird es erst bei Sätzen wie: „Wenn Sie 250 Millionen Euro haben, dann schmeißen Sie das Geld zum Fenster raus und es kommt zur Tür wieder rein.“ Das ist in seiner Brachialignoranz auch deshalb so unerträglich, weil die CSU davon faselt, Flüchtlingskindern „unsere Werte“ vermitteln zu wollen – und auf der anderen Seite Leute walten lässt, die „unsere Werte“ aus dem Fenster schmeißen. Und damit meine ich nicht das Geld. Die Großkotzigkeit derer, die wissen, wie viele Grauzonen das (inter)nationale Recht ihnen zur Wohlstandsmehrung lässt, und ihr zur Schau gestellter ungerechter Erfolg machen sie ja nur in den Augen derer, die noch mit Werten belastet sind, eklig. Für andere ist diese Form des „Ich nehme mir, was ich kriegen kann“-Erfolgs sexy – ein gesellschaftliches Role Model.
Leistung zum Fenster raus
Ich gehöre gar nicht zu denen, die noch mehr verteilen wollen. Doch es stinkt mir, wie derzeit verteilt wird. Viele meiner Generation und meines Bildungsstands gehören zu jenem Mittelstand, der derzeit in Deutschland maximalbesteuert wird und dessen Kaufkraft kontinuierlich sinkt. Während die Reichen ihr Geld zum Fenster rauswerfen, wirft meine Generation ihre Leistung zum Fenster raus, aber sie bekommt dafür wenig Geld zurück: Mediziner, die sich von Nachtdienst zu Nachtdienst schleppen, bis endlich die Roboter kommen, die den Menschenroboter ersetzen. Eigentumswohnungen in Städten, die sich nicht mal mehr Ärzte leisten können. Langsam wird auch dem Letzten klar, dass unsere Generation mit Bildung und Arbeit nicht mehr den Standard der Eltern leben können wird.
Ich wundere mich über die intellektuelle Linke, die sich fragt, weshalb ihre Thesen nun nicht mehr gehört werden von „den Schwächeren“, für die sie zu reden meinen. Weshalb die Rechten auf dem Vormarsch sind. Diese Linken, von denen vermutlich nicht wenige Erben sind, haben kaum mehr Zugang zur Wut über die Verhältnisse in der eigenen Schicht und Arbeitswelt. Niemand schreit dagegen an, dass man als alleinstehender Mensch knapp die Hälfte seines Lohns abzugeben hat in diesem Land. Stattdessen oft meditative Welterklärerei, die immerzu dort endet, wo alles zu komplex ist, um noch erklärbar zu sein. Und das bei einer Datenlage, die so gut ist wie nie zuvor. So kann die Linke keine Kraft entwickeln, die weniger Wohlsituierten als Vorbild und Anknüpfungspunkt dienen könnte. Die Glaubwürdigkeit fehlt.
Immer längere Pendlerzeiten
Viele der „einfachen Menschen“ lachen über „diese Linken“. Unter #ungleichland zeigen Gehaltsvergleiche, dass eine Sekretärin bei Daimler mehr verdient als ein gebildeter Linker. Die meisten Akademiker arbeiten für einen Stundenlohn, für den ein Klempner nicht mal das Haus verlassen würde. In einer Welt, in der nur Stärkere zum Vorbild taugen, fragen sich viele, was man von solchen lernen will: Von solchen, die abends auf Vorträge gehen, ohne sich einen Nachtzuschlag zahlen zu lassen. Die immer längere Pendlerzeiten in Kauf nehmen, immer länger arbeiten. Der Kapitalismus als rhetorischer Feind, den ich in der Praxis selbst verkörpere.
Radikalität zu fordern ist en vogue. Radikales Denken geht in einer immer ungerechteren Gesellschaft aber nicht ohne Wut. Sie geht nicht im Harmoniemodus vieler Millenials. Der Hochmut, nicht mehr zu streiten mit jenen, die anders denken, nicht mehr zu kämpfen, weil es zu proletarisch sein könnte, führte dazu, dass linkes Denken zunehmend zu einem Denken unter sich wurde. Wer aber nur die Kultur- und Medienbourgeoisie erreichen will, kann gleich einpacken. Wenn ich ständig nur Repliken auf meine Kolumnistenkollegen verfasse, wen soll das noch jucken?
Das Unvorstellbare für die Retter dieser Erde ist: Die zu Rettenden wollen nicht gerettet werden. Schon gar nicht in die Welt dieser Retter. Zu viele linke Kritiker treffen einfach den Nerv nicht. Es wäre ein Segen, wenn „Ungleichland“ mehr würde als ein Hashtag: der Anfang einer neuen Aufklärung darüber, woran westliche Demokratien zu arbeiten haben. Möglichst schnell.
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